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Der Wassermann

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Ein kleiner Junge badete für sein Leben gern. Er kümmerte sich nicht um die Ermahnungen seiner Eltern und sprang sogar bei Hochwasser in den Fluß. Eines Tages wurde er von der reißenden Strömung gepackt und abgetrieben. Er ruderte aus Leibeskräften mit den Armen und hielt sich auch eine Weile über Wasser, aber dann verließen ihn die Kräfte, und er rief um Hilfe. Zum Glück hörte ihn der Wassermann, und weil der hübsche kleine Junge ihm gefiel, beschloß er, ihn zu retten, zumal er der ewigen Einsamkeit in seinem großen Reich überdrüssig war und hoffte, auf diese Weise einen munteren Gesellschafter zu bekommen. So nahm er den Kleinen auf den Arm und trug ihn in sein wundersames Schloß, das auf dem Grunde des Flusses stand. Dort legte er ihn behutsam aufs Bett und wartete ab, was er wohl beim Erwachen machen würde. Bald schlug der Junge die Augen auf, hielt Umschau und sah, daß er sich in einem kristallenen Zimmer befand und daß er in einem kristallenen Bett lag. Auf dem danebenstehenden Nachttisch lagen viele Spielsachen, auch die waren allesamt aus Kristall und funkelten so verführerisch, daß er die Hand nach ihnen ausstreckte. Aber da fiel ihm sein Elternhaus ein, und er brach in Tränen aus. „Warum weinst du. Kleiner?“ fragte der Wassermann. „Weil ich nach Hause möchte!“ schluchzte der Junge. „Ist es in deinem Elternhaus etwa schöner als in meinem Schloß?“ fragte der Wassermann erstaunt. „Viel schöner!“ rief der Junge und weinte noch lauter. Als der Wassermann merkte, daß seine Trostversuche vergebens waren, ging er hinaus, wartete, bis sich der Junge in den Schlaf geweint hatte, nahm ihn dann auf den Arm und trug ihn in ein anderes Zimmer.
Und beim Erwachen sah der Junge, daß er in einem Zimmer lag, dessen Wände, Fußboden und Decke aus purem Silber bestanden; auch sein Bett, der Nachttisch und die Spielsachen darauf waren aus Silber. So ein Reichtum! Wie verzaubert starrte er die Herrlichkeiten an, nahm dann einige der silbernen Spielsachen in die Hand und begann, damit zu spielen. Doch schon nach wenigen Augenblicken fielen ihm sein Brüderchen und sein Schwesterchen ein, mit denen er daheim zu spielen pflegte, und. er brach wieder in Tränen aus. Gleich kam der Wassermann gelaufen. „Warum weinst du, Kleiner?“ — „Weil ich zu Bruder und Schwester möchte!“ antwortete der Junge schluchzend. Betrübt ging der Wassermann fort, wartete wieder, bis sich der Junge in den Schlaf geweint hatte, und trug ihn dann in ein drittes Zimmer. Und als der Junge dort die Augen aufschlug, sah er, daß darin alles aus Gold bestand — Fußboden und Wände, Zimmerdecke, Bett und Spielsachen. Nun hatte seine Mutter ihm schon manch ein Märchen erzählt von Schatzkammern, die angefüllt waren mit rotem Gold. Aber er hätte nie geglaubt, daß es dermaßen leuchten und funkeln würde. Geblendet schloß er die Augen, blinzelte dann aber verlangend nach den Spielsachen hin und griff danach. Doch bald ließ er sie wieder fallen, weil er an seine Eltern dachte, und brach in Tränen aus. „Warum weinst du, Kleiner?“ fragte der Wassermann. „Weil ich zu Vater und Mutter möchte!“ schluchzte der Junge. Da wunderte sich der Wassermann, hatte er doch niemals Vater und Mutter, Bruder und Schwester besessen. „Sind dir Vater und Mutter denn lieber als rotes Gold?“ forschte er. „Ja, viel lieber!“ rief der Junge.
Betrübt ging der Wassermann fort, sammelte alle Perlen, die in seinem Unterwasserreich zu finden waren, und häufte sie vor dem Jungen auf. „Sind dir Vater und Mutter auch lieber als diese Perlen?“ fragte er. Der kleine Junge kniff die Augen zusammen, geblendet von den glitzernden Perlen. „Gib dir keine Mühe“, sagte er dann. „Den Wert von Vater und Mutter kann niemand ersetzen. Ich liebe sie mehr als Silber, Gold und Perlen, mehr als die ganze Welt.“ Da erkannte der Wassermann, daß es ihm nicht gelingen würde, den Jungen zu trösten und bei sich zu behalten. Er wartete, bis er wieder eingeschlafen war, trug ihn dann ans Ufer und legte ihn behutsam neben seine ärmlichen Kleider, deren Taschen er mit Gold und Perlen füllte. Danach kehrte er betrübt in sein kostbares, aber einsames Schloß zurück.
Als der Junge erwachte, sah er, daß er am Ufer lag, sprang fröhlich auf und griff nach seinen Kleidern, merkte, wie schwer ihre Taschen waren, fuhr hinein und fand darin Perlen und rotes Gold. Da erkannte er, daß sein Erlebnis mit dem Wassermann kein Traum gewesen war, und lief eilig heim zu Vater und Mutter, zu Bruder und Schwester. Sie saßen weinend beisammen, dachten sie doch, daß er ertrunken wäre. Aber nun kannte ihre Freude keine Grenzen. Durch das rote Gold und die edlen Perlen, die der Junge mitgebracht hatte, zog obendrein Wohlstand bei ihnen ein, sie bauten sich ein neues Haus und brauchten nicht mehr zu darben.
Der kleine Junge ging noch oft zum Baden, doch er schwamm niemals mehr in die reißende Strömung hinaus. Der Wassermann aber saß in seinem Schloß und weinte. Da hatte er nun angenommen, die kostbarsten Schätze der Welt zu besitzen, und nun mußte er erfahren, daß die Menschen etwas Wertvolleres haben — Vater und Mutter, Bruder und Schwester. Er dagegen war mutterseelenallein. Das machte ihn so traurig, daß er drei Tage lang ununterbrochen weinte und dermaßen schluchzte, daß sich hohe Wellen türmten.

Quelle: (Märchen aus Jugoslawien)

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