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In alten Zeiten, da es alles noch ganz anders war in der Welt als jetzt, lebte ein König in Schottland, der hatte die schönste Königin in allen Landen, von einer so seltenen Schönheit und Lieblichkeit, dass sie weit und breit als die Allerschönste besungen und von Dichtern und Erzählern der schottische Vogel Phönix zugenannt ward. Diese schöne Königin gebar dem Könige zwei Kindlein, einen Sohn und eine Tochter, und starb dann in ihrer Jugend hin. Der König trauerte viele Jahre um sie und konnte sie nie vergessen, sagte auch, er wolle nimmer wieder heiraten. Aber der Menschen Sinn ist wankelmütig und kann sich auf sich selbst nicht verlassen; denn als viele Tage vergangen und die Kinder schon groß waren, nahm er sich doch wieder eine Frau. Diese Frau war sehr bös und eine schlimme Stiefmutter gegen die Kinder des Königs. Es waren aber der Prinz und die Prinzessin rechte Spiegel der Huld und Lieblichkeit, und der Hass der Stiefmutter gegen die Kinder kam auch daher, dass die Leute, bei welchen die verstorbene Königin in gutem Andenken stand, immer noch von dieser sprachen, sie aber verschwiegen, und dass sie, wenn sie mit der jungen Prinzessin erschien, gegen diese aufjauchzten und riefen: sie ist gut und schön, wie ihre Mutter war. Das verdross sie, und sie ergrimmte in sich und sann auf arge Tücke, barg aber ihr böses Herz unter Freundlichkeit. Denn sie durfte es sich vor dem König nicht merken lassen, dass sie den Kindern gram war, und das Volk würde sie gesteinigt und zerrissen haben, wie sie ihnen ein Leides getan hätte.
Die Prinzessin, des Königs Tochter, welche Aurora hieß, war nun fünfzehn Jahre alt geworden und blühte wie eine Rose und war die schönste Prinzessin weit und breit. Und es zogen viele Königssöhne und Fürsten und Grafen her und buhlten um sie und begehrten sie zum Gemahl; sie aber sprach zu ihnen: mir gefällt die fröhliche und ledige Jungfrauschaft besser, als alle Freier, und damit mussten sie wieder hinreisen wo sie hergekommen waren. Endlich aber kam der Rechte: es war ein Prinz aus Ostenland, ein gar schöner und stattlicher Herr. Diesem verlobte sie sich mit Einwilligung des Königs und ihrer Stiefmutter. Und schon war der Hochzeitkranz gewunden und die Spieler zum Tanze bestellt, und alles Land war in Freude ob der Vermählung der schönen Prinzessin Aurora. Aber die Stiefmutter dachte ganz anders in ihrem Sinn, als sie sich gebärdete, und sprach: Ich will Spielleute bestellen, die sollen zu einem andern Tanze aufspielen, und die Füße sollen anderswohin tanzen als ins Brautbett. Denn sie sprach bei sich: Diese verdunkelt mich ganz und wird mich noch mehr verdunkeln, und vor dieser Aurora muss meine Sonne untergehen, zumal wenn sie einen so stattlichen Mann zum Gemahl bekommt und dem Könige ihrem Vater Enkel bringt; denn ich bin unfruchtbar und kinderlos. Auch hängt das Volk ihr an und schreit ihr nach, mich aber kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen; und doch bin ich die Königin: ja ich bin die Königin! und bald sollen sie es alle wissen, dass ich es bin und nicht Aurora. Und sie sann nun auf viele arge Listen Tag und Nacht hin und her, wie sie die Prinzessin und ihren Bruder verderben wollte; aber es wollte ihr keine einzige gelingen: denn sie waren zu gut bewacht und behütet von den Dienern und Dienerinnen, die sie hatten. Diese sahen auf sie wie auf ihren Augapfel und wichen Tag und Nacht nicht von ihnen wegen der Liebe, die sie zu ihrer Mutter, der seligen Königin, trugen. Als nun keine Zeit mehr übrig und der Hochzeittag schon da war und sie sich nicht mehr zu helfen wusste, gedachte sie der allerbösesten Kunst, die sie wusste, und kam zu den Kindern mit der leidigsten Freundlichkeit und bat sie, einen Augenblick mit ihr in ihren Rosengarten zu kommen, sie wolle ihnen eine wunderschöne Blume zeigen, die eben aufgebrochen sei. Und sie gingen gern mit ihr, denn der Garten war hart hinter dem Schlosse; auch konnte niemand an etwas Arges denken, denn es war der helle Mittag, und der König und die Prinzen und Prinzessinnen des Landes waren alle in dem großen Schlosssaal versammelt, da gleich die Vermählung geschehen sollte. Und sie führte die Kinder in die hinterste Ecke des Gartens, wo ihre Blumen standen, unter einen dunkeln Taxusbaum, als wollte sie ihnen da etwas Besonderes zeigen. Sie aber murmelte einige leise Worte für sich hin, brach dann einen Zweig von dem Baum, und gab dem Prinzen und der Prinzessin einige Streiche damit auf den Rücken. Und alsbald wurden sie in Tiere verwandelt. der Prinz sprang als ein reißender Wolf über die Mauer und lief in den Wald, und die Prinzessin flog als ein kleiner grauer Vogel, der Nachtigall heißt, auf den Baum, und sang ein trauriges Lied.
Die Königin spielte ihr Spiel so gut, dass auch kein Mensch etwas merkte. Sie lief laut schreiend dem Schlosse zu und sank mit zerrissenen Kleidern und zerzausten Haaren an den Stufen des Saales hin, als sei ihr ein großes Leid geschehen, und der König hieß sie von den Kammerfrauen wegtragen. Es verging wohl eine gute Viertelstunde, ehe sie wieder zu sich kam. Da gebärdete sie sich sehr traurig und weinte und schrie: Ach! du arme Aurora, welchen Brauttag hast du erlebt! ach du unglücklicher Prinz! So schrie sie einmal über das andere, und erzählte dann, ein Schwarm Räuber sei plötzlich hinten in den Garten gedrungen und habe die beiden Königskinder mit Gewalt von ihrer Seite gerissen und entführt; sie aber haben sie zu Boden geschlagen und halbtot liegen lassen; und sie zeigte eine Beule an der Stirn, die sie sich absichtlich an einem Baum gestoßen hatte. Und alle glaubten ihren Worten, und der König hieß alle seine Herren und Grafen und Ritter und Knappen aufsitzen und den Räubern nachjagen. Diese durchritten nach allen Seiten den Wald und alle Schluchten und Klippen und Berge rings um das Schloss wohl zwei drei Meilen weit, aber von den Räubern und von dem Prinzen und von der Prinzessin fanden sie auch nicht die geringste Spur. Und der König ruhte nicht und ließ weiter suchen und forschen viele Wochen und Monate, und sandte Boten und Kundschafter aus in alle Länder; aber sie kamen immer vergebens zurück, und mit dem Prinzen und der Prinzessin war es, als ob sie nie gelebt hätten: so ganz waren sie verschollen. Der alte König aber glaubte, die Räuber hätten sie wegen der kostbaren Juwelen und Edelsteine entführt, die sie am Hochzeitstage trugen, und hätten sie beraubt und dann tot geschlagen und irgendwo eingescharrt, damit man ihnen nie auf die Spur kommen könnte; und er grämte sich so sehr, dass er bald starb. Bei seinem Sterben übergab er, weil er keine Kinder hatte, der Königin das Reich, und bat seine Untertanen, dass sie ihr treu und gehorsam sein mochten, wie sie ihm gewesen waren. Sie taten es auch und erkannten sie als ihre Königin, mehr aus Liebe zu ihm als aus Liebe zu ihr.
So waren vier Jahre verschienen und der König schon das andere Jahr tot, und die Königin fing an mit großer Gewalt über die Länder zu herrschen, und kaufte sich für die Schätze, die der alte König ihr hinterlassen hatte, viele fremde Soldaten, die sie über das Meer kommen ließ und die ihre Krone und ihr Schloss bewachten. Denn sie wusste, dass sie von den Untertanen nicht geliebt war, und sprach: Nun mögen sie aus Furcht tun, was sie aus Liebe nicht tun würden. So geschah es, dass sie von Tage zu Tage bei jedermann mehr verhasst ward, aber keiner durfte es sich merken lassen, denn auf das leiseste Geflüster gegen die Königin war der Tod gesetzt. Aber die Leute lassen das Wispern und Flüstern darum doch nicht, und weil das Sprichwort wahr ist: Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen, so hatte es von Anfang an gemunkelt, als die Königskinder verschwunden waren: kein Mensch könne wissen, was der Spaziergang der Königin bedeutet habe. Denn es waren Leute genug, die ihr wegen ihrer scharfen Augen und ihrer unnatürlichen Freundlichkeit böse Künste zutrauten. Diese Munkelung unter dem Volke dauerte nun immer fort und nahm noch zu; sie aber kümmerte sich darum nicht, und dachte: die werden schon Tiere bleiben, was sie sind, und mir wird keiner die Königskrone nehmen. Aber es begab sich alles ganz anders, als sie gedacht hatte.
Den armen Königskindern ging es indessen doch recht schlecht.
Der Prinz war als ein brauner Wolf in den Wald gelaufen, und er musste sich gebärden wie ein Wolf und heulen wie ein Wolf und durch die öden und wüsten Orte laufen bei Tage und bei Nacht, und wie ein Dieb einhergehen; denn auch die wölfische Furcht war in ihn gefahren. Und er musste sich nähren wie die andern Wölfe von allerlei Raub von Wild und Vögeln, auch musste er in der traurigen Winterzeit zuweilen wohl mit einem Mäuschen vorlieb nehmen und den Bauch einziehen und zähneklappen und zwischen den harten und kalten Steinen sein Lager nehmen. Und dies war gewiss keine prinzliche Lebensart, wie er sie vorher geführt hatte, ehe er aus der königlichen Pracht und Herrlichkeit in dieses wilde Elend verstoßen war. Das war aber das Besondere an ihm, dass er allein Tiere angriff und zerriss und nie nach Menschenblut gelüstete. Doch nach einer hätte ihn wohl gelüstet, nach der bösen Frau, die ihn verwandelt hatte; aber diese hütete sich wohl, dahin zu kommen, wo sie den Zähnen dieses Wolfes begegnen konnte. Man soll aber nicht glauben, dass der Prinz, der nun ein Wolf war, noch menschliche Vernunft hatte; nein es war sehr finster in ihm geworden, und mit dem Bilde des Tieres, in welchem er durch die Wälder laufen musste, hatte er auch nicht viel mehr als tierischen Verstand. Das ist wahr, ein dunkler Trieb trieb ihn oft gegen das Schloss und den Schlossgarten hin, als hätte er dort einen Fang zu holen; doch hatte er keine deutliche Erinnerung der Vergangenheit: wie hätte er es dann auch in der Wolfshaut aushalten sollen? In den Augenblicken, wo er diesen Trieb fühlte, war er mit einem besondern Grimm behaftet; aber immer, wie er ihnen auf tausend Schritt nahe kam, fuhr ein kalter Schauder in ihn und jagte ihn zurück. Und die Königin hatte dies mit ihrer Hexerei verschuldet, dass sie ihn bis so weit gebannt hatte; denn weiter hatte sie nicht gedurft. Sie aber stellte dem Wolfsprinzen nach dem Leben und ließ viel jagen in dem Forst, der sich um das Schloss herumzog, weil sie dachte, dass er wohl darin sein mochte. Deswegen ward fast alle Woche zweimal eine große Schalljagd und Klapperjagd auf Wölfe und Füchse angestellt; und damit sie einen fleißigeren Vorwand dazu hätte, hatte die Königin viele niedliche Dammhirsche in diesen Forst ausgesetzt, von welchen unser königlicher Wolf allerdings manchen verzehrte. Aber er rettete sich immer aus aller Gefahr, wie oft die Hunde ihm mit ihren Rachen auch das Haar auf dem Rücken schon zerbliesen und wie oft die Jäger auf ihn schossen. Er wich dann für den Augenblick abseits, und wann der Schall sich gesänftet hatte und die Jagdhörner verstummt waren, kam er in das Dickicht zurück, welches dem Schlosse nahe war, und sonnte sich häufig auf Plätzen, wo er als Knabe und Jüngling zuweilen gespielt hatte. Er wusste aber nichts mehr von der Vergangenheit, sondern es war eine verborgene Liebe, die ihn dahin lockte.
Die Prinzessin Aurora hatte als ein kleines Vögelein auf den Baum fliegen müssen und war in eine Nachtigall verwandelt worden. Ihr aber war in ihrem leichten und dünnen Federkleide die Seele nicht so verdunkelt, als dem Prinzen in der Wolfshaut, sondern sie wusste viel mehr von sich und von den Menschen und Dingen; nur sprechen konnte sie nicht. Dafür aber sang sie desto schöner in ihrer Einsamkeit, und oft so wunderschön, dass die Tiere vor Freuden hüpften und sprangen und die Vögel sich alle um sie versammelten und die Bäume dazu rauschten und die Blumen nickten. Ich glaube, auch die Steine hätten vor Lust getanzt, wenn sie so viel Liebe in sich hätten; aber deren Herz ist zu kalt. Auch die Menschen hätten wohl bald auf den kleinen Vogel gemerkt als auf einen besonderen Vogel und wäre wohl ein Gerede und Gemunkel davon unter den Leuten entstanden, wenn nicht etwas sie abgehalten hätte von dem Walde, dass sie die Nachtigall nie singen hörten. Es verhielt sich damit folgendergestalt:
Wie die Königin dem armen verwandelten Prinzen mit den vielen Schall- und Klapperjagden gern das letzte wölfische Lebenslicht ausgeblasen hätte und wie er dadurch über die ganze Wolfsfamilie großes Unglück brachte, habe ich schon erzählt. Aber auch über die kleinen Vögel ging es schlimm her, und in diesen Tagen der Tyrannei war es ein Unglück, in der Gegend des Schlosses als Amsel, Grasmücke und Nachtigall geboren zu sein. Die Königin nämlich, nachdem der alte Herr gestorben war und sie die Gewalt allein hatte, gebärdete sich plötzlich, als habe die Krankheit sie befallen, dass sie nicht allein das Geschrei und Gekrächze und Geschnatter unleidlicher Vögel nicht ertragen könne, sondern dass selbst das lieblichste Geklingel und Gezwitscher der lustigen kleinen Singvögelein sie unangenehm bewege. Und damit sie das allen Menschen glaublich machte, war sie bei solchen Gesängen, deren sich sonst alle Welt zu freuen pflegt, ein paar Mal in Ohnmacht gefallen. Das war aber nur ein Schein, sie wollte eine böse Tat, sie wollte den Tod der kleinen Nachtigall, wenn sie etwa in diesen Hainen und Gärten herumflatterte. Das wusste sie aber wohl, dass das Vögelchen dem Schlosse auf tausend Schritt nicht nahen durfte, denn sie hatte es unter denselben Hexenbann gelegt, als seinen Bruder. Unter dem Titel dieser Unleidlichkeit und Empfindlichkeit gegen zarte und feine Klänge und Schalle ward denn freilich nicht bloß der kleinen liebenswürdigen Nachtigallprinzessin sondern allen andern Vögeln nach der Kehle gegriffen; sie waren alle in die Acht und Aberacht getan, sie waren alle für vogelfrei erklärt, und die Förster und Jäger der Königin erhielten den strengsten und gemessensten Befehl, auf alles, was Federn trägt, Jagd zu machen, und auch das Rotkehlchen ja nicht einmal den Zaunkönig zu verschonen, auf welchen ein guter Jäger sonst nie einen Schuss verliert. Dieser schreckliche Zorn der Königin ward ein Unglück für das ganze befiederte Volk, nicht bloß für die, welche im Freien flogen oder in Forsten und Hainen lebten, sondern auch für die, welche auf Höfen und in Zimmern gehalten werden. In der Hauptstadt und in der Umgegend des königlichen Schlosses blieb auch nichts Gefiedertes leben; denn die Leute meinten sich bei der Königin sehr einzuschmeicheln und ihre Gunst zu gewinnen, wenn sie es ihr nachmachten. Es war ein Schlachten und Morden der Unschuldigen wie der bethlehemitische Kindermord des Königs Herodes weiland. Wie vielen tausend Kanarienvögeln und Zeisigen und Nachtigallen und Distelfinken, ja selbst wie manchen ostindischen und westindischen Papageien und Kakadus wurden da die Hälse umgedreht! Schreihälsen und Liederkehlen, Schwätzern und Verschwiegenen drohte ein Schicksal, und das sogar war ein Verbrechen, als Gans oder Puter oder Hahn geboren zu sein, und die gemeinen Haushühner fingen an so selten zu werden als chinesische Goldfasane. Und hätte die Königin noch einige Jahrzehnte so gewütet gegen das Federvölkchen, so wäre es allmählich ausgestorben in dem Königreiche. Das war die Ursache, warum die Vögel nicht allein gemordet wurden sondern auch fast kein Mensch mehr in den Wald spazieren ging, weil es so hätte gedeutet werden können, als wollten sie da Vogelgesang hören. So kam es denn, dass niemand die Wundertöne der kleinen Nachtigall belauschen konnte, als etwa hie und da ein einsamer Jäger. Der ließ sich aber nichts merken, damit er von der Königin nicht gestraft würde, dass er den Vogel nicht geschossen. Denn das muss man zur Ehre der Weidmänner sagen, dass sie doch meistens ihrer wackern Natur folgten und selten einen der kleinen Vögel schossen; aber platzen durch den Wald mussten sie, dass es knallte. Und dadurch schon ward es still von Gesängen und auch viele Vöglein zogen weg aus dem unaufhörlichen Getümmel und kamen nimmer wieder. Die kleine Nachtigall aber, welche Gott behütete, dass sie sich von allen diesen Nachstellungen rettete, konnte den grünen Wald hinter dem Schlosse nicht lassen, wo sie in ihrer Kindheit so viel gespielt und gesprungen hatte, sondern wenn sie auch wegflog, so bald die Jagdhörner anbliesen und es mit Hurra und Wo Wo durch die Büsche toste, kam sie doch immer bald wieder. Und obgleich ihre Liedlein, als aus einem traurigen Herzen klingend, meistens traurig und kläglich waren, deuchte es ihr doch recht anmutig, so unter den grünen Bäumen und bunten Blumen zu leben und dem Mond und den Sternen etwas Süßes vorzuklingen; und nur wenige Monate war sie unglücklich. Dies war die Zeit, wo der Herbst kam und wo sie mit den andern Nachtigallen in fremde Länder ziehen musste, bis es wieder Frühling ward.
Das kleine Prinzessinvögelein hielt sich nun meist zu den Bäumen, Angern und Auen, wo sie als Kind gespielt oder als Jungfrau mit Gespielen ihres Alters Kränze gewunden und Reigen aufgeführt hatte, oder wo sie gar in den glücklichsten Tagen ihres Lebens mit dem Geliebten die Einsamkeit gesucht hatte. Am liebsten und am meisten wohnte sie in einer dichten grünen Eiche, die sich über einen rieselnden Bach beugte und oft das süße Geflüster der Liebe in ihren Schatten geborgen hatte. An dieser Stelle sah sie denn auch oft den Wolf, den ein dunkles Gefühl der Vergangenheit dahin führte; aber sie wusste nicht, dass es ihr armer Bruder war. Doch gewann sie ihn lieb, weil er sich so oft unter ihren Gesängen hinstreckte und lauschte, als verstände er etwas davon; und sie beklagte ihn wohl zuweilen, dass er ein zorniger und harter Wolf sein musste und nicht flattern konnte und fliegen von Zweigen zu Zweigen, wie sie und andere Vögelein. Und nun muss ich auch noch von einem Manne erzählen, der in dem einsamen Walde zuweilen der Zuhörer der kleinen Nachtigall war. Dieser Mann war der Prinz aus Ostenland, ihr Bräutigam, als sie noch Prinzessin war.
Der König, dieweil er noch lebte, hatte diesen Prinzen wegen seiner Tugend und Tapferkeit vor allen Männern geliebt und ihn auf seinem Todbette der Königin empfohlen als einen Rat und Helfer in allen schlimmen und gefährlichen Dingen, besonders als einen frommen und trefflichen Kriegsmann. Auch war er nach des Königs Tode bei der Königin geblieben bloß aus Liebe zu dem seligen Herrn. Doch ward er bald inne, dass die Königin ihn hasste, ja dass sie ihm nach dem Leben trachtete, und entwich daher plötzlich von ihrem Hofe und aus ihrem Lande. Sie aber ließ ihm nachsetzen als einem Verräter und Flüchtling und ließ einen Bann ausgehen, wodurch sie ihn für vogelfrei erklärte, dass jeder, wem es beliebte, ihn erschlagen und ihr seinen Kopf bringen mochte, worauf sie einen hohen Preis gesetzt hatte. Er entwich wieder in das Land seines Vaters, das viele hundert Meilen gegen Osten von dem Schlosse der Königin lag, und wohnte bei ihm. Aber im Herzen hatte er keine Ruhe noch Rast und die Trauer um die verschwundene Prinzessin wollte ihn nie verlassen. Ja das Wunder begab sich mit ihm, dass er alle Jahre einmal heimlich verschwand, ohne dass ein Mensch wusste, wohin. Er sattelte aber dann sein Ross und rüstete sich in unscheinbarer Rüstung, und ritt plötzlich davon, so dass niemand seinen Pfad kannte. Er musste aber in das Land der Königin reiten, die ihn vogelfrei gemacht hatte, und jenen Wald besuchen, worin die Prinzessin verschwunden war. Dieser gewaltige Trieb kam ihm jedes Jahr kurz vor der Zeit, in welcher die Prinzessin verschwunden war, wo er durch wilde wüste und verborgene Orte traben musste, bis er zu wohlbekannten Stätten gelangte, wo er einst mit seiner Braut gewandelt hatte. Und da war auch ihm die grüne dunkle Eiche am Bache die Lieblingsstelle. Da brachte er dann vierzehn Nächte in Tränen und Gebeten und Klagen um die Geliebte zu; die Tage aber verbarg er sich in dem entlegeneren Dickicht. Da hat er die kleine Nachtigall oft gesehen und gehört und sich ihres wundersamen und wunderlieblichen und fast übervögelischen Gesanges erquickt. Sie haben aber nichts weiter von einander gewusst. Doch hatte das Vögelchen immer eine große Sehnsucht im Herzen, wann der Ritter wieder geritten war, sie wusste aber nicht, warum; und auch ihm klang ihr tiefes und schmachtendes Tiu! Tiut! lange nach, wann er wieder in das Land seines Vaters ritt. Es ging ihm aber wie den meisten Menschen, die etwas Geheimes tun oder haben, worüber andere Leute sich viel die Köpfe zerbrechen, dass er um sein eignes Geheimnis nicht wusste. Denn dass er jedes Jahr einmal heimlich weg ritt, das wusste er wohl; warum er aber reiten musste, das wusste er nicht.
Und es waren manche Tage vergangen seit dem Tode des alten Königs und es ging in das sechste Jahr seit dem Verschwinden der Kinder, und die Königin lebte herrlich und in Freuden, und ließ die Tiere jagen und auf alle Vögel schießen, und war auch gegen ihre Untertanen nicht weniger hart, als gegen das Wild und Gefieder des Waldes. Sie deuchte sich fast allmächtig und meinte, ihr Glück und ihre Herrschaft könne kein Ende nehmen. Doch hatte sie seit jenem Tage den Wald nicht betreten um das Schloss und den Schlossgarten, sondern eine heimliche Furcht hatte sie davon zurückgehalten. Sie ließ sich aber nicht merken, was es war, und dass eine Hexenangst dahinter steckte. Nun begab es sich, dass sie einmal ein großes Fest und Gastmahl angestellt hatte, wozu alle Fürsten und Fürstinnen des Reichs und alle Großen des Landes und alle vornehmsten Diener und Dienerinnen geladen waren, und es war den Nachmittag eine große Wolfsjagd beschlossen in dem Forst, und die Fürsten baten sie, dass sie mitgehen möchte. Sie weigerte sich lange unter allerlei Vorwänden, endlich aber ließ sie sich bereden. Sie setzte sich aber auf einen hohen Wagen und hieß drei ihrer tapfersten Kriegsmänner sich wohl bewaffnet neben sich setzen; zugleich hieß sie viele hundert gewaffnete und gerüstete Reisige vor, neben und hinter dem Wagen reiten, und eine lange Reihe Wagen voll Herren und Frauen folgten ihr nach. Und ihr war der Wolf immer im Herzen, doch dachte sie bei sich: lass den Wolf nur kommen, ja lass hundert Wölfe zugleich kommen, diese tapfere Schar wird ihnen wohl das Garaus machen. So verblendet Gott auch die Klügsten und Feinsten, wann sie zur Strafe reif sind; denn ihr war geweissagt worden von andern Meistern ihrer losen Kunst, sie solle sich vor dem sechsten Jahre in Acht nehmen. Daran hatte sie heute nicht gedacht.
Und es war ein schöner heiterer Frühlingstag, und sie fuhren mit Trompeten und Posaunen in den Forst, und die Rosse wieherten und die Rüstungen klirrten und die gezückten Speere und Degen funkelten in der Sonne; die Königin aber funkelte am hellsten, mit ihren prächtigsten Kleidern und all ihrem Juwelenschmuck hoch im Wagen thronend. Und schon schallte ihnen die Jagd entgegen mit Hussa und Hurra und den schmetternden Hörnern der Jäger und den gellenden Stimmen der Hunde. Und es lief ein Löwe vorüber und ein Eber fuhr durch die Reihen; und sie erschraken nicht sondern hielten und standen ein jeglicher fest auf seinem Stand, und machten die Ungeheuer nieder. Aber nicht lange, und es ergab sich ein Schrecken, das ihnen zu mächtig war. Ein fürchterlicher Wolf fuhr aus dem Dickicht hervor auf einen grünen Anger, und heulte so grässlich, dass Jäger, Hunde und Reiter vor ihm ausrissen. Der Wolf lief, wie man einen Pfeil vom Bogen schießt, nein er lief nicht sondern flog durch die Männer und Rosse dahin, und keiner dachte daran, dass er Bogen, Spieß und Eisen trug, so schrecklich war des Untiers Ansehen und so wütig bleckte er den funkelnden Rachen auf. Die Königin, die ihn auf ihren Wagen zuspringen sah, schrie Hülfe! Hülfe! die Weiber schrieen und fielen in Ohnmacht, viele Männer schrieen auch wie die Memmen: Keiner wehrte dem Wolf, er sprang mit Einem langen weiten Sprung auf den hohen Wagen, riss das stolze Weib herunter, und wusch sich Zähne und Rachen in ihrem Blute. Die andern waren alle geflohen oder standen und hielten von ferne.
Und o Wunder! als sie sich ermannen wollten und das Tier anfallen, sahen sie es nicht mehr, sondern, wo es eben noch gestanden hatte, erhob sich die Gestalt eines schönen und riesigen Jünglings. Die Männer staunten ob dem Zauber, doch zuckten einige die Waffen, als wenn sie ihn als ein zweites Ungetüm jagen und fällen wollten. Da sprang plötzlich ein Greis vor, der mit im Zuge war, der Kanzler des Reichs, und verbot es ihnen, und rief überlaut: bei meinem grauen Haar, Männer, haltet ein! ihr wisset nicht, auf wen ihr stoßen wollet – und, ehe sie sich besinnen konnten, lag er schon vor dem Jünglinge auf der Erde, und küsste ihm Knie und Hände und rief: Sei uns gegrüßt, du edle Blume eines edlen Vaters, die du wieder aufgegangen bist in deiner Schöne! und freue dich, o Volk, dein rechter Königssohn ist wieder gekommen, und dies ist jetzt dein König. Und auf diese Worte liefen viele herzu und erkannten den Prinzen wieder und huldigten ihm als ihrem Herrn, und die übrigen taten desgleichen. Und alle waren zugleich voll Schrecken und Staunen und Freude, und dachten nicht mehr an die zerrissene Königin noch an den Wolf; denn dass er der Wolf gewesen, das wussten sie nicht.
Der junge König aber gebot allen, dass sie ihm nachfolgten und mit ihm in das Schloss seines Vaters zögen; er hieß auch sogleich die Jagd stillen und die Hörner und Trompeten, welche eben noch den Wald und das Wild aufgeschreckt hatten, seinem fröhlichen Einzuge voranblasen. Und als er daheim war und von den Zinnen seiner Väter schaute, da traten ihm die Tränen in die Augen und er weinte beides schmerzlich und fröhlich; denn er gedachte nun alles Jammers wieder und der zu schweren Vergangenheit, wo es wie ein dumpfer und tierischer Traum auf ihm gelegen hatte. Und nun ward es ihm plötzlich hell, und er konnte es dem Kanzler und den Vornehmsten melden, wie es mit ihm geschehen war und dass er nur durch das Herzblut der alten gräulichen Hexe, die seine Stiefmutter und ihre Königin geheißen, wieder hatte verwandelt werden können. Und das Gerücht von diesem erstaunlichen Wunder ging alsbald in die ganze Stadt und unter alles Volk aus; und sie freuten sich, dass der geliebte Königssohn wiedergekommen und dass die Königin, welche alle hassten, von Wolfszähnen, die sie selbst geschaffen, zerrissen war.
Aber als der Prinz sich nun allmählich wieder gefunden und über sich besonnen hatte, da fiel es ihm schwer auf das Herz, wo die königliche Prinzessin Aurora seine geliebte Schwester wohl sein möchte und ob sie auch noch wohl unter irgendeiner Tierhaut oder Federdecke steckte; denn nun fiel ihm ihr trauriger Hochzeittag ein. Und er fragte und ließ fragen; aber alle schwiegen und keiner konnte von ihr etwas melden. Da ward der Prinz wieder sehr traurig und sorglich, aber Gott wandelte diese Traurigkeit auch bald in Freude.
Denn als dieser Jagd- und Wolfslärm im Walde toste, steckte auch der arme trauernde Prinz aus Ostenland grade in seinem Dickicht, und das kleine liebliche Nachtigallvögelchen hielt sich schweigend unter den grünen Blättern seiner Eiche verborgen. Es fuhr aber ein wunderbares Gefühl durch sein Herzchen, sobald der durstige Wolfszahn seines Bruders das Herzblut der alten Königin geschlürft hatte. Als nun die Jagd verschollen und der Wald still geworden und die Sonne niedergegangen war, da kam der Prinz aus seiner dunkeln Waldschlucht unter seine grüne Eiche und lehnte sich gar traurig an den Stamm und netzte das Gras mit seinen stummen Tränen, wie er alle Nächte pflag; und ihm deuchte viel wehmütiger um sein Herz zu sein als gewöhnlich. Das Vögelein in den Zweigen über ihm fing eben an zu singen nach seiner Gewohnheit; und es deuchte ihm auch, dass es gar anders sang als sonst, und viel bedeutsamer und rätselhafter und fast wie mit menschlicher Stimme. Und dem Manne kam ein Grausen an, und fast voll Angst rief er in die Zweige hinauf: Vögelein, Vögelein, sage mir, kannst du sprechen? Und das Nachtigallvögelein antwortete ihm mit Ja, wie Menschen zu antworten pflegen, und es verwunderte sich selbst, dass es sprechen konnte, und fing an vor Freuden darüber zu weinen, und schwieg lange. Darauf tat es sein Schnäbelchen wieder auf und erzählte dem Manne mit vernehmlicher menschlicher Stimme die ganze Geschichte von seiner Verwandelung und von seines Bruders Verwandelung, und durch welches Wunder er wieder ein Mensch geworden. Denn es war ihr nun alles in Einem Augenblicke klar geworden, als hätte ein Geist es ihr zugeflüstert. Der Mann aber jauchzte in seiner Seele, als er ihre Rede hörte, und er sann viel in sich hin und her; und das Vögelchen spielte und flog zutraulich um ihn herum; doch wiewohl sie sich und alle Dinge so hell wieder erkannte und wusste, von ihm wusste sie nicht, wer er war. Und er lockte das Vögelchen und schmeichelte und koste ihm schön, und bat, es solle mit ihm kommen, er wolle es in einen Garten setzen, wo ein ewiger Frühling blühe und nie ein Falke rausche noch ein Jäger tose; das sei doch viel lustiger, als so in wilden Hainen umzufliegen und vor dem Winter und vor Jägern und Raubvögeln und Schlingen zu zittern. Das Vögelein aber wollte davon nichts hören und lobte seine grüne Freiheit und seine grüne Eiche hier und schwätzte und flötete und spielte und flatterte um den Mann herum und hatte sein wenig Acht, denn er gebärdete sich, als sei er in andern Gedanken.
Aber siehe, welche Gedanken er gehabt hat! Denn ehe das Vögelchen sich dessen versah, hatte der Mann es bei den Füßchen erfasst und lief eilends davon, schwang sich auf sein Ross und flog im sausenden Galopp, als sei ein Sturmwind hinter ihm, einer Herberge zu, die er in der Stadt unweit des Schlosses kannte, und bestellte sich ein einsames Zimmer, worin er sich mit dem Vögelein einsperrte. Das Vögelein, als es sah, wie er die Schlüssel herauszog und andere Zeichen eines Gefängnisses machte, fing an jämmerlich zu weinen und zu flehen, dass er es fliegen ließe; denn es deuchte ihm gar beklommen und angstvoll in dem verschlossenen Zimmer und es musste an seine grünen Bäume und an die liebliche Freiheit denken. Aber der Mann machte sich aus dem Weinen und Flehen des Vögelchens nichts und wollte es nicht lassen. Da ward das Vögelein böse und fing an sich zu verwandeln, damit es den Mann erschreckte, dass er Türen und Fenster öffnete und froh wäre, wenn das Vögelein davon flöge. So machte es sich zu Tigern und Löwen, zu Ottern und Schlangen, zu Skorpionen und Taranteln, zuletzt zu einem scheußlichen Lindwurm, der sich um den Mann flocht und mit giftiger Zunge auf ihn fuhr. Aber das alles schreckte ihn nicht sondern er blieb fest auf seinem Sinn, und das Vögelein musste alle seine Arbeit verlieren und wieder ein Vögelein werden. Und der Mann stand in tiefen Gedanken, denn es fiel ihm etwas ein aus alten Mährchen. Und er zog ein Messer aus der Tasche und schnitt sich ein Loch in den kleinen Finger der linken Hand, der immer das lebendigste Herzblut hat. Und es tröpfelte Blut heraus, und er nahm das Blut und bestrich des Vögeleins Köpfchen und Leib damit. Und kaum hatte er das getan, so stand auch das Wunder fertig da. Das Vögelein ward in der Minute zu der allerschönsten Jungfrau, und der Prinz lag alsbald zu ihren Füßen und küsste ihr züchtig und ehrerbietig die Hände. Die Nachtigall war nun wieder Prinzessin Aurora geworden und erkannte in dem Manne ihren Bräutigam wieder, den Prinzen aus Ostenland. Sie war noch eben so jung und schön, als sie vor sechs Jahren zur Zeit der Verwandelung gewesen. Denn das ist den Verwandlungen eigen, dass die Jahre, die einer darin bleibt, ihn nicht älter machen sondern tausend Jahre gelten da nicht mehr als eine Sekunde.
Man kann denken, wie diese beiden sich gefreut haben; denn wenn zwei verliebte Herzen, die einander treu geblieben, nach langer Zeit wieder zusammenkommen, das ist wohl die größte Freude auf Erden. Doch säumten sie nicht lange sondern ließen dem Könige ansagen, es seien zwei fremde Prinzen aus fernen Landen an seinen Hof gekommen und begehrten fürstliche Herberge. Und der König trat heraus, dass er sie bewillkommnte, und erkannte seine liebe Schwester Aurora und seinen teuren Freund den Prinzen aus Ostenland, und freute sich über die Maßen; und alles Volk freute sich mit ihm, dass so alles wiedergekommen und das Reich nicht bei Fremden bleibe.
Und nach wenigen Tagen setzte er sich die königliche Krone auf und fing an zu regieren an seines Vaters Statt, seiner Schwester aber gab er eine überaus prächtige Hochzeit mit Tänzen und Festen und Ritterspielen; auch erhielt sie nebst ihrem Prinzen an Land und Leuten eine gar stattliche Abfindung, wovon sie fast wie Könige leben mochten. Die Prinzessin Aurora aber hatte ihren Bruder um den Wald gebeten, in welchem sie als Vögelein so manchen fröhlichen und auch so manchen traurigen Tag umhergezogen war, und er hatte ihn ihr gern geschenkt. Sie baute sich daselbst ein stolzes königliches Schloss an dem Bache, wo sie so oft gesessen und gesungen hatte, und die grüne und dichte Eiche kam mitten in ihrem Schlossgarten zu stehen und hat noch manches Jahr nach ihr gegrünt, so dass ihre Urenkel noch darunter gespielt und sich beschattet haben. Sie aber ließ das Gebot ausgehen, es solle der Wald für ewige Zeiten stehen bleiben in seiner natürlichen Herrlichkeit; auch gab sie den kleinen Singvögelein den Frieden und verbot auf das allerstrengste, in diesem heiligen Bezirke Schlingen und Fallen zu stellen und die Kleinen mit irgend einem Gewehr anzugreifen. Und ihr Bruder hat als ein großer und frommer König regiert, sie aber hat mit ihrem tapferen Gemahl bis in ein schneeweißes Alter in glücklicher Liebe gelebt und viele Kinder und Kindeskinder gesehen, bis sie endlich im Segen Gottes und der Menschen sanft entschlafen ist. Das hat auch gegolten seit ihrer Zeit unter ihren Kindern und Nachkommen, dass der älteste Prinz ihres Hauses immer Rossignol und die älteste Prinzessin immer Philomela getauft wurde. Sie wollte nämlich eine fromme Erinnerung stiften für alle Zeiten von dem wundersamen Unglück, das ihr widerfahren war, da sie in eine Nachtigall verwandelt worden. Denn diese Worte bedeuten in der Sprache ihres Landes, was zu Deutsch Nachtigall genannt wird, und Rossignol heißt eigentlich Rosenvogel – denn die Nachtigallen singen meist zur Zeit der Rosen – und Philomela Liederfreundin; der deutsche Name Nachtigall heißt aber so viel als Nachtsängerin, und ist wohl der allerfeinste.
Die Prinzessin, des Königs Tochter, welche Aurora hieß, war nun fünfzehn Jahre alt geworden und blühte wie eine Rose und war die schönste Prinzessin weit und breit. Und es zogen viele Königssöhne und Fürsten und Grafen her und buhlten um sie und begehrten sie zum Gemahl; sie aber sprach zu ihnen: mir gefällt die fröhliche und ledige Jungfrauschaft besser, als alle Freier, und damit mussten sie wieder hinreisen wo sie hergekommen waren. Endlich aber kam der Rechte: es war ein Prinz aus Ostenland, ein gar schöner und stattlicher Herr. Diesem verlobte sie sich mit Einwilligung des Königs und ihrer Stiefmutter. Und schon war der Hochzeitkranz gewunden und die Spieler zum Tanze bestellt, und alles Land war in Freude ob der Vermählung der schönen Prinzessin Aurora. Aber die Stiefmutter dachte ganz anders in ihrem Sinn, als sie sich gebärdete, und sprach: Ich will Spielleute bestellen, die sollen zu einem andern Tanze aufspielen, und die Füße sollen anderswohin tanzen als ins Brautbett. Denn sie sprach bei sich: Diese verdunkelt mich ganz und wird mich noch mehr verdunkeln, und vor dieser Aurora muss meine Sonne untergehen, zumal wenn sie einen so stattlichen Mann zum Gemahl bekommt und dem Könige ihrem Vater Enkel bringt; denn ich bin unfruchtbar und kinderlos. Auch hängt das Volk ihr an und schreit ihr nach, mich aber kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen; und doch bin ich die Königin: ja ich bin die Königin! und bald sollen sie es alle wissen, dass ich es bin und nicht Aurora. Und sie sann nun auf viele arge Listen Tag und Nacht hin und her, wie sie die Prinzessin und ihren Bruder verderben wollte; aber es wollte ihr keine einzige gelingen: denn sie waren zu gut bewacht und behütet von den Dienern und Dienerinnen, die sie hatten. Diese sahen auf sie wie auf ihren Augapfel und wichen Tag und Nacht nicht von ihnen wegen der Liebe, die sie zu ihrer Mutter, der seligen Königin, trugen. Als nun keine Zeit mehr übrig und der Hochzeittag schon da war und sie sich nicht mehr zu helfen wusste, gedachte sie der allerbösesten Kunst, die sie wusste, und kam zu den Kindern mit der leidigsten Freundlichkeit und bat sie, einen Augenblick mit ihr in ihren Rosengarten zu kommen, sie wolle ihnen eine wunderschöne Blume zeigen, die eben aufgebrochen sei. Und sie gingen gern mit ihr, denn der Garten war hart hinter dem Schlosse; auch konnte niemand an etwas Arges denken, denn es war der helle Mittag, und der König und die Prinzen und Prinzessinnen des Landes waren alle in dem großen Schlosssaal versammelt, da gleich die Vermählung geschehen sollte. Und sie führte die Kinder in die hinterste Ecke des Gartens, wo ihre Blumen standen, unter einen dunkeln Taxusbaum, als wollte sie ihnen da etwas Besonderes zeigen. Sie aber murmelte einige leise Worte für sich hin, brach dann einen Zweig von dem Baum, und gab dem Prinzen und der Prinzessin einige Streiche damit auf den Rücken. Und alsbald wurden sie in Tiere verwandelt. der Prinz sprang als ein reißender Wolf über die Mauer und lief in den Wald, und die Prinzessin flog als ein kleiner grauer Vogel, der Nachtigall heißt, auf den Baum, und sang ein trauriges Lied.
Die Königin spielte ihr Spiel so gut, dass auch kein Mensch etwas merkte. Sie lief laut schreiend dem Schlosse zu und sank mit zerrissenen Kleidern und zerzausten Haaren an den Stufen des Saales hin, als sei ihr ein großes Leid geschehen, und der König hieß sie von den Kammerfrauen wegtragen. Es verging wohl eine gute Viertelstunde, ehe sie wieder zu sich kam. Da gebärdete sie sich sehr traurig und weinte und schrie: Ach! du arme Aurora, welchen Brauttag hast du erlebt! ach du unglücklicher Prinz! So schrie sie einmal über das andere, und erzählte dann, ein Schwarm Räuber sei plötzlich hinten in den Garten gedrungen und habe die beiden Königskinder mit Gewalt von ihrer Seite gerissen und entführt; sie aber haben sie zu Boden geschlagen und halbtot liegen lassen; und sie zeigte eine Beule an der Stirn, die sie sich absichtlich an einem Baum gestoßen hatte. Und alle glaubten ihren Worten, und der König hieß alle seine Herren und Grafen und Ritter und Knappen aufsitzen und den Räubern nachjagen. Diese durchritten nach allen Seiten den Wald und alle Schluchten und Klippen und Berge rings um das Schloss wohl zwei drei Meilen weit, aber von den Räubern und von dem Prinzen und von der Prinzessin fanden sie auch nicht die geringste Spur. Und der König ruhte nicht und ließ weiter suchen und forschen viele Wochen und Monate, und sandte Boten und Kundschafter aus in alle Länder; aber sie kamen immer vergebens zurück, und mit dem Prinzen und der Prinzessin war es, als ob sie nie gelebt hätten: so ganz waren sie verschollen. Der alte König aber glaubte, die Räuber hätten sie wegen der kostbaren Juwelen und Edelsteine entführt, die sie am Hochzeitstage trugen, und hätten sie beraubt und dann tot geschlagen und irgendwo eingescharrt, damit man ihnen nie auf die Spur kommen könnte; und er grämte sich so sehr, dass er bald starb. Bei seinem Sterben übergab er, weil er keine Kinder hatte, der Königin das Reich, und bat seine Untertanen, dass sie ihr treu und gehorsam sein mochten, wie sie ihm gewesen waren. Sie taten es auch und erkannten sie als ihre Königin, mehr aus Liebe zu ihm als aus Liebe zu ihr.
So waren vier Jahre verschienen und der König schon das andere Jahr tot, und die Königin fing an mit großer Gewalt über die Länder zu herrschen, und kaufte sich für die Schätze, die der alte König ihr hinterlassen hatte, viele fremde Soldaten, die sie über das Meer kommen ließ und die ihre Krone und ihr Schloss bewachten. Denn sie wusste, dass sie von den Untertanen nicht geliebt war, und sprach: Nun mögen sie aus Furcht tun, was sie aus Liebe nicht tun würden. So geschah es, dass sie von Tage zu Tage bei jedermann mehr verhasst ward, aber keiner durfte es sich merken lassen, denn auf das leiseste Geflüster gegen die Königin war der Tod gesetzt. Aber die Leute lassen das Wispern und Flüstern darum doch nicht, und weil das Sprichwort wahr ist: Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen, so hatte es von Anfang an gemunkelt, als die Königskinder verschwunden waren: kein Mensch könne wissen, was der Spaziergang der Königin bedeutet habe. Denn es waren Leute genug, die ihr wegen ihrer scharfen Augen und ihrer unnatürlichen Freundlichkeit böse Künste zutrauten. Diese Munkelung unter dem Volke dauerte nun immer fort und nahm noch zu; sie aber kümmerte sich darum nicht, und dachte: die werden schon Tiere bleiben, was sie sind, und mir wird keiner die Königskrone nehmen. Aber es begab sich alles ganz anders, als sie gedacht hatte.
Den armen Königskindern ging es indessen doch recht schlecht.
Der Prinz war als ein brauner Wolf in den Wald gelaufen, und er musste sich gebärden wie ein Wolf und heulen wie ein Wolf und durch die öden und wüsten Orte laufen bei Tage und bei Nacht, und wie ein Dieb einhergehen; denn auch die wölfische Furcht war in ihn gefahren. Und er musste sich nähren wie die andern Wölfe von allerlei Raub von Wild und Vögeln, auch musste er in der traurigen Winterzeit zuweilen wohl mit einem Mäuschen vorlieb nehmen und den Bauch einziehen und zähneklappen und zwischen den harten und kalten Steinen sein Lager nehmen. Und dies war gewiss keine prinzliche Lebensart, wie er sie vorher geführt hatte, ehe er aus der königlichen Pracht und Herrlichkeit in dieses wilde Elend verstoßen war. Das war aber das Besondere an ihm, dass er allein Tiere angriff und zerriss und nie nach Menschenblut gelüstete. Doch nach einer hätte ihn wohl gelüstet, nach der bösen Frau, die ihn verwandelt hatte; aber diese hütete sich wohl, dahin zu kommen, wo sie den Zähnen dieses Wolfes begegnen konnte. Man soll aber nicht glauben, dass der Prinz, der nun ein Wolf war, noch menschliche Vernunft hatte; nein es war sehr finster in ihm geworden, und mit dem Bilde des Tieres, in welchem er durch die Wälder laufen musste, hatte er auch nicht viel mehr als tierischen Verstand. Das ist wahr, ein dunkler Trieb trieb ihn oft gegen das Schloss und den Schlossgarten hin, als hätte er dort einen Fang zu holen; doch hatte er keine deutliche Erinnerung der Vergangenheit: wie hätte er es dann auch in der Wolfshaut aushalten sollen? In den Augenblicken, wo er diesen Trieb fühlte, war er mit einem besondern Grimm behaftet; aber immer, wie er ihnen auf tausend Schritt nahe kam, fuhr ein kalter Schauder in ihn und jagte ihn zurück. Und die Königin hatte dies mit ihrer Hexerei verschuldet, dass sie ihn bis so weit gebannt hatte; denn weiter hatte sie nicht gedurft. Sie aber stellte dem Wolfsprinzen nach dem Leben und ließ viel jagen in dem Forst, der sich um das Schloss herumzog, weil sie dachte, dass er wohl darin sein mochte. Deswegen ward fast alle Woche zweimal eine große Schalljagd und Klapperjagd auf Wölfe und Füchse angestellt; und damit sie einen fleißigeren Vorwand dazu hätte, hatte die Königin viele niedliche Dammhirsche in diesen Forst ausgesetzt, von welchen unser königlicher Wolf allerdings manchen verzehrte. Aber er rettete sich immer aus aller Gefahr, wie oft die Hunde ihm mit ihren Rachen auch das Haar auf dem Rücken schon zerbliesen und wie oft die Jäger auf ihn schossen. Er wich dann für den Augenblick abseits, und wann der Schall sich gesänftet hatte und die Jagdhörner verstummt waren, kam er in das Dickicht zurück, welches dem Schlosse nahe war, und sonnte sich häufig auf Plätzen, wo er als Knabe und Jüngling zuweilen gespielt hatte. Er wusste aber nichts mehr von der Vergangenheit, sondern es war eine verborgene Liebe, die ihn dahin lockte.
Die Prinzessin Aurora hatte als ein kleines Vögelein auf den Baum fliegen müssen und war in eine Nachtigall verwandelt worden. Ihr aber war in ihrem leichten und dünnen Federkleide die Seele nicht so verdunkelt, als dem Prinzen in der Wolfshaut, sondern sie wusste viel mehr von sich und von den Menschen und Dingen; nur sprechen konnte sie nicht. Dafür aber sang sie desto schöner in ihrer Einsamkeit, und oft so wunderschön, dass die Tiere vor Freuden hüpften und sprangen und die Vögel sich alle um sie versammelten und die Bäume dazu rauschten und die Blumen nickten. Ich glaube, auch die Steine hätten vor Lust getanzt, wenn sie so viel Liebe in sich hätten; aber deren Herz ist zu kalt. Auch die Menschen hätten wohl bald auf den kleinen Vogel gemerkt als auf einen besonderen Vogel und wäre wohl ein Gerede und Gemunkel davon unter den Leuten entstanden, wenn nicht etwas sie abgehalten hätte von dem Walde, dass sie die Nachtigall nie singen hörten. Es verhielt sich damit folgendergestalt:
Wie die Königin dem armen verwandelten Prinzen mit den vielen Schall- und Klapperjagden gern das letzte wölfische Lebenslicht ausgeblasen hätte und wie er dadurch über die ganze Wolfsfamilie großes Unglück brachte, habe ich schon erzählt. Aber auch über die kleinen Vögel ging es schlimm her, und in diesen Tagen der Tyrannei war es ein Unglück, in der Gegend des Schlosses als Amsel, Grasmücke und Nachtigall geboren zu sein. Die Königin nämlich, nachdem der alte Herr gestorben war und sie die Gewalt allein hatte, gebärdete sich plötzlich, als habe die Krankheit sie befallen, dass sie nicht allein das Geschrei und Gekrächze und Geschnatter unleidlicher Vögel nicht ertragen könne, sondern dass selbst das lieblichste Geklingel und Gezwitscher der lustigen kleinen Singvögelein sie unangenehm bewege. Und damit sie das allen Menschen glaublich machte, war sie bei solchen Gesängen, deren sich sonst alle Welt zu freuen pflegt, ein paar Mal in Ohnmacht gefallen. Das war aber nur ein Schein, sie wollte eine böse Tat, sie wollte den Tod der kleinen Nachtigall, wenn sie etwa in diesen Hainen und Gärten herumflatterte. Das wusste sie aber wohl, dass das Vögelchen dem Schlosse auf tausend Schritt nicht nahen durfte, denn sie hatte es unter denselben Hexenbann gelegt, als seinen Bruder. Unter dem Titel dieser Unleidlichkeit und Empfindlichkeit gegen zarte und feine Klänge und Schalle ward denn freilich nicht bloß der kleinen liebenswürdigen Nachtigallprinzessin sondern allen andern Vögeln nach der Kehle gegriffen; sie waren alle in die Acht und Aberacht getan, sie waren alle für vogelfrei erklärt, und die Förster und Jäger der Königin erhielten den strengsten und gemessensten Befehl, auf alles, was Federn trägt, Jagd zu machen, und auch das Rotkehlchen ja nicht einmal den Zaunkönig zu verschonen, auf welchen ein guter Jäger sonst nie einen Schuss verliert. Dieser schreckliche Zorn der Königin ward ein Unglück für das ganze befiederte Volk, nicht bloß für die, welche im Freien flogen oder in Forsten und Hainen lebten, sondern auch für die, welche auf Höfen und in Zimmern gehalten werden. In der Hauptstadt und in der Umgegend des königlichen Schlosses blieb auch nichts Gefiedertes leben; denn die Leute meinten sich bei der Königin sehr einzuschmeicheln und ihre Gunst zu gewinnen, wenn sie es ihr nachmachten. Es war ein Schlachten und Morden der Unschuldigen wie der bethlehemitische Kindermord des Königs Herodes weiland. Wie vielen tausend Kanarienvögeln und Zeisigen und Nachtigallen und Distelfinken, ja selbst wie manchen ostindischen und westindischen Papageien und Kakadus wurden da die Hälse umgedreht! Schreihälsen und Liederkehlen, Schwätzern und Verschwiegenen drohte ein Schicksal, und das sogar war ein Verbrechen, als Gans oder Puter oder Hahn geboren zu sein, und die gemeinen Haushühner fingen an so selten zu werden als chinesische Goldfasane. Und hätte die Königin noch einige Jahrzehnte so gewütet gegen das Federvölkchen, so wäre es allmählich ausgestorben in dem Königreiche. Das war die Ursache, warum die Vögel nicht allein gemordet wurden sondern auch fast kein Mensch mehr in den Wald spazieren ging, weil es so hätte gedeutet werden können, als wollten sie da Vogelgesang hören. So kam es denn, dass niemand die Wundertöne der kleinen Nachtigall belauschen konnte, als etwa hie und da ein einsamer Jäger. Der ließ sich aber nichts merken, damit er von der Königin nicht gestraft würde, dass er den Vogel nicht geschossen. Denn das muss man zur Ehre der Weidmänner sagen, dass sie doch meistens ihrer wackern Natur folgten und selten einen der kleinen Vögel schossen; aber platzen durch den Wald mussten sie, dass es knallte. Und dadurch schon ward es still von Gesängen und auch viele Vöglein zogen weg aus dem unaufhörlichen Getümmel und kamen nimmer wieder. Die kleine Nachtigall aber, welche Gott behütete, dass sie sich von allen diesen Nachstellungen rettete, konnte den grünen Wald hinter dem Schlosse nicht lassen, wo sie in ihrer Kindheit so viel gespielt und gesprungen hatte, sondern wenn sie auch wegflog, so bald die Jagdhörner anbliesen und es mit Hurra und Wo Wo durch die Büsche toste, kam sie doch immer bald wieder. Und obgleich ihre Liedlein, als aus einem traurigen Herzen klingend, meistens traurig und kläglich waren, deuchte es ihr doch recht anmutig, so unter den grünen Bäumen und bunten Blumen zu leben und dem Mond und den Sternen etwas Süßes vorzuklingen; und nur wenige Monate war sie unglücklich. Dies war die Zeit, wo der Herbst kam und wo sie mit den andern Nachtigallen in fremde Länder ziehen musste, bis es wieder Frühling ward.
Das kleine Prinzessinvögelein hielt sich nun meist zu den Bäumen, Angern und Auen, wo sie als Kind gespielt oder als Jungfrau mit Gespielen ihres Alters Kränze gewunden und Reigen aufgeführt hatte, oder wo sie gar in den glücklichsten Tagen ihres Lebens mit dem Geliebten die Einsamkeit gesucht hatte. Am liebsten und am meisten wohnte sie in einer dichten grünen Eiche, die sich über einen rieselnden Bach beugte und oft das süße Geflüster der Liebe in ihren Schatten geborgen hatte. An dieser Stelle sah sie denn auch oft den Wolf, den ein dunkles Gefühl der Vergangenheit dahin führte; aber sie wusste nicht, dass es ihr armer Bruder war. Doch gewann sie ihn lieb, weil er sich so oft unter ihren Gesängen hinstreckte und lauschte, als verstände er etwas davon; und sie beklagte ihn wohl zuweilen, dass er ein zorniger und harter Wolf sein musste und nicht flattern konnte und fliegen von Zweigen zu Zweigen, wie sie und andere Vögelein. Und nun muss ich auch noch von einem Manne erzählen, der in dem einsamen Walde zuweilen der Zuhörer der kleinen Nachtigall war. Dieser Mann war der Prinz aus Ostenland, ihr Bräutigam, als sie noch Prinzessin war.
Der König, dieweil er noch lebte, hatte diesen Prinzen wegen seiner Tugend und Tapferkeit vor allen Männern geliebt und ihn auf seinem Todbette der Königin empfohlen als einen Rat und Helfer in allen schlimmen und gefährlichen Dingen, besonders als einen frommen und trefflichen Kriegsmann. Auch war er nach des Königs Tode bei der Königin geblieben bloß aus Liebe zu dem seligen Herrn. Doch ward er bald inne, dass die Königin ihn hasste, ja dass sie ihm nach dem Leben trachtete, und entwich daher plötzlich von ihrem Hofe und aus ihrem Lande. Sie aber ließ ihm nachsetzen als einem Verräter und Flüchtling und ließ einen Bann ausgehen, wodurch sie ihn für vogelfrei erklärte, dass jeder, wem es beliebte, ihn erschlagen und ihr seinen Kopf bringen mochte, worauf sie einen hohen Preis gesetzt hatte. Er entwich wieder in das Land seines Vaters, das viele hundert Meilen gegen Osten von dem Schlosse der Königin lag, und wohnte bei ihm. Aber im Herzen hatte er keine Ruhe noch Rast und die Trauer um die verschwundene Prinzessin wollte ihn nie verlassen. Ja das Wunder begab sich mit ihm, dass er alle Jahre einmal heimlich verschwand, ohne dass ein Mensch wusste, wohin. Er sattelte aber dann sein Ross und rüstete sich in unscheinbarer Rüstung, und ritt plötzlich davon, so dass niemand seinen Pfad kannte. Er musste aber in das Land der Königin reiten, die ihn vogelfrei gemacht hatte, und jenen Wald besuchen, worin die Prinzessin verschwunden war. Dieser gewaltige Trieb kam ihm jedes Jahr kurz vor der Zeit, in welcher die Prinzessin verschwunden war, wo er durch wilde wüste und verborgene Orte traben musste, bis er zu wohlbekannten Stätten gelangte, wo er einst mit seiner Braut gewandelt hatte. Und da war auch ihm die grüne dunkle Eiche am Bache die Lieblingsstelle. Da brachte er dann vierzehn Nächte in Tränen und Gebeten und Klagen um die Geliebte zu; die Tage aber verbarg er sich in dem entlegeneren Dickicht. Da hat er die kleine Nachtigall oft gesehen und gehört und sich ihres wundersamen und wunderlieblichen und fast übervögelischen Gesanges erquickt. Sie haben aber nichts weiter von einander gewusst. Doch hatte das Vögelchen immer eine große Sehnsucht im Herzen, wann der Ritter wieder geritten war, sie wusste aber nicht, warum; und auch ihm klang ihr tiefes und schmachtendes Tiu! Tiut! lange nach, wann er wieder in das Land seines Vaters ritt. Es ging ihm aber wie den meisten Menschen, die etwas Geheimes tun oder haben, worüber andere Leute sich viel die Köpfe zerbrechen, dass er um sein eignes Geheimnis nicht wusste. Denn dass er jedes Jahr einmal heimlich weg ritt, das wusste er wohl; warum er aber reiten musste, das wusste er nicht.
Und es waren manche Tage vergangen seit dem Tode des alten Königs und es ging in das sechste Jahr seit dem Verschwinden der Kinder, und die Königin lebte herrlich und in Freuden, und ließ die Tiere jagen und auf alle Vögel schießen, und war auch gegen ihre Untertanen nicht weniger hart, als gegen das Wild und Gefieder des Waldes. Sie deuchte sich fast allmächtig und meinte, ihr Glück und ihre Herrschaft könne kein Ende nehmen. Doch hatte sie seit jenem Tage den Wald nicht betreten um das Schloss und den Schlossgarten, sondern eine heimliche Furcht hatte sie davon zurückgehalten. Sie ließ sich aber nicht merken, was es war, und dass eine Hexenangst dahinter steckte. Nun begab es sich, dass sie einmal ein großes Fest und Gastmahl angestellt hatte, wozu alle Fürsten und Fürstinnen des Reichs und alle Großen des Landes und alle vornehmsten Diener und Dienerinnen geladen waren, und es war den Nachmittag eine große Wolfsjagd beschlossen in dem Forst, und die Fürsten baten sie, dass sie mitgehen möchte. Sie weigerte sich lange unter allerlei Vorwänden, endlich aber ließ sie sich bereden. Sie setzte sich aber auf einen hohen Wagen und hieß drei ihrer tapfersten Kriegsmänner sich wohl bewaffnet neben sich setzen; zugleich hieß sie viele hundert gewaffnete und gerüstete Reisige vor, neben und hinter dem Wagen reiten, und eine lange Reihe Wagen voll Herren und Frauen folgten ihr nach. Und ihr war der Wolf immer im Herzen, doch dachte sie bei sich: lass den Wolf nur kommen, ja lass hundert Wölfe zugleich kommen, diese tapfere Schar wird ihnen wohl das Garaus machen. So verblendet Gott auch die Klügsten und Feinsten, wann sie zur Strafe reif sind; denn ihr war geweissagt worden von andern Meistern ihrer losen Kunst, sie solle sich vor dem sechsten Jahre in Acht nehmen. Daran hatte sie heute nicht gedacht.
Und es war ein schöner heiterer Frühlingstag, und sie fuhren mit Trompeten und Posaunen in den Forst, und die Rosse wieherten und die Rüstungen klirrten und die gezückten Speere und Degen funkelten in der Sonne; die Königin aber funkelte am hellsten, mit ihren prächtigsten Kleidern und all ihrem Juwelenschmuck hoch im Wagen thronend. Und schon schallte ihnen die Jagd entgegen mit Hussa und Hurra und den schmetternden Hörnern der Jäger und den gellenden Stimmen der Hunde. Und es lief ein Löwe vorüber und ein Eber fuhr durch die Reihen; und sie erschraken nicht sondern hielten und standen ein jeglicher fest auf seinem Stand, und machten die Ungeheuer nieder. Aber nicht lange, und es ergab sich ein Schrecken, das ihnen zu mächtig war. Ein fürchterlicher Wolf fuhr aus dem Dickicht hervor auf einen grünen Anger, und heulte so grässlich, dass Jäger, Hunde und Reiter vor ihm ausrissen. Der Wolf lief, wie man einen Pfeil vom Bogen schießt, nein er lief nicht sondern flog durch die Männer und Rosse dahin, und keiner dachte daran, dass er Bogen, Spieß und Eisen trug, so schrecklich war des Untiers Ansehen und so wütig bleckte er den funkelnden Rachen auf. Die Königin, die ihn auf ihren Wagen zuspringen sah, schrie Hülfe! Hülfe! die Weiber schrieen und fielen in Ohnmacht, viele Männer schrieen auch wie die Memmen: Keiner wehrte dem Wolf, er sprang mit Einem langen weiten Sprung auf den hohen Wagen, riss das stolze Weib herunter, und wusch sich Zähne und Rachen in ihrem Blute. Die andern waren alle geflohen oder standen und hielten von ferne.
Und o Wunder! als sie sich ermannen wollten und das Tier anfallen, sahen sie es nicht mehr, sondern, wo es eben noch gestanden hatte, erhob sich die Gestalt eines schönen und riesigen Jünglings. Die Männer staunten ob dem Zauber, doch zuckten einige die Waffen, als wenn sie ihn als ein zweites Ungetüm jagen und fällen wollten. Da sprang plötzlich ein Greis vor, der mit im Zuge war, der Kanzler des Reichs, und verbot es ihnen, und rief überlaut: bei meinem grauen Haar, Männer, haltet ein! ihr wisset nicht, auf wen ihr stoßen wollet – und, ehe sie sich besinnen konnten, lag er schon vor dem Jünglinge auf der Erde, und küsste ihm Knie und Hände und rief: Sei uns gegrüßt, du edle Blume eines edlen Vaters, die du wieder aufgegangen bist in deiner Schöne! und freue dich, o Volk, dein rechter Königssohn ist wieder gekommen, und dies ist jetzt dein König. Und auf diese Worte liefen viele herzu und erkannten den Prinzen wieder und huldigten ihm als ihrem Herrn, und die übrigen taten desgleichen. Und alle waren zugleich voll Schrecken und Staunen und Freude, und dachten nicht mehr an die zerrissene Königin noch an den Wolf; denn dass er der Wolf gewesen, das wussten sie nicht.
Der junge König aber gebot allen, dass sie ihm nachfolgten und mit ihm in das Schloss seines Vaters zögen; er hieß auch sogleich die Jagd stillen und die Hörner und Trompeten, welche eben noch den Wald und das Wild aufgeschreckt hatten, seinem fröhlichen Einzuge voranblasen. Und als er daheim war und von den Zinnen seiner Väter schaute, da traten ihm die Tränen in die Augen und er weinte beides schmerzlich und fröhlich; denn er gedachte nun alles Jammers wieder und der zu schweren Vergangenheit, wo es wie ein dumpfer und tierischer Traum auf ihm gelegen hatte. Und nun ward es ihm plötzlich hell, und er konnte es dem Kanzler und den Vornehmsten melden, wie es mit ihm geschehen war und dass er nur durch das Herzblut der alten gräulichen Hexe, die seine Stiefmutter und ihre Königin geheißen, wieder hatte verwandelt werden können. Und das Gerücht von diesem erstaunlichen Wunder ging alsbald in die ganze Stadt und unter alles Volk aus; und sie freuten sich, dass der geliebte Königssohn wiedergekommen und dass die Königin, welche alle hassten, von Wolfszähnen, die sie selbst geschaffen, zerrissen war.
Aber als der Prinz sich nun allmählich wieder gefunden und über sich besonnen hatte, da fiel es ihm schwer auf das Herz, wo die königliche Prinzessin Aurora seine geliebte Schwester wohl sein möchte und ob sie auch noch wohl unter irgendeiner Tierhaut oder Federdecke steckte; denn nun fiel ihm ihr trauriger Hochzeittag ein. Und er fragte und ließ fragen; aber alle schwiegen und keiner konnte von ihr etwas melden. Da ward der Prinz wieder sehr traurig und sorglich, aber Gott wandelte diese Traurigkeit auch bald in Freude.
Denn als dieser Jagd- und Wolfslärm im Walde toste, steckte auch der arme trauernde Prinz aus Ostenland grade in seinem Dickicht, und das kleine liebliche Nachtigallvögelchen hielt sich schweigend unter den grünen Blättern seiner Eiche verborgen. Es fuhr aber ein wunderbares Gefühl durch sein Herzchen, sobald der durstige Wolfszahn seines Bruders das Herzblut der alten Königin geschlürft hatte. Als nun die Jagd verschollen und der Wald still geworden und die Sonne niedergegangen war, da kam der Prinz aus seiner dunkeln Waldschlucht unter seine grüne Eiche und lehnte sich gar traurig an den Stamm und netzte das Gras mit seinen stummen Tränen, wie er alle Nächte pflag; und ihm deuchte viel wehmütiger um sein Herz zu sein als gewöhnlich. Das Vögelein in den Zweigen über ihm fing eben an zu singen nach seiner Gewohnheit; und es deuchte ihm auch, dass es gar anders sang als sonst, und viel bedeutsamer und rätselhafter und fast wie mit menschlicher Stimme. Und dem Manne kam ein Grausen an, und fast voll Angst rief er in die Zweige hinauf: Vögelein, Vögelein, sage mir, kannst du sprechen? Und das Nachtigallvögelein antwortete ihm mit Ja, wie Menschen zu antworten pflegen, und es verwunderte sich selbst, dass es sprechen konnte, und fing an vor Freuden darüber zu weinen, und schwieg lange. Darauf tat es sein Schnäbelchen wieder auf und erzählte dem Manne mit vernehmlicher menschlicher Stimme die ganze Geschichte von seiner Verwandelung und von seines Bruders Verwandelung, und durch welches Wunder er wieder ein Mensch geworden. Denn es war ihr nun alles in Einem Augenblicke klar geworden, als hätte ein Geist es ihr zugeflüstert. Der Mann aber jauchzte in seiner Seele, als er ihre Rede hörte, und er sann viel in sich hin und her; und das Vögelchen spielte und flog zutraulich um ihn herum; doch wiewohl sie sich und alle Dinge so hell wieder erkannte und wusste, von ihm wusste sie nicht, wer er war. Und er lockte das Vögelchen und schmeichelte und koste ihm schön, und bat, es solle mit ihm kommen, er wolle es in einen Garten setzen, wo ein ewiger Frühling blühe und nie ein Falke rausche noch ein Jäger tose; das sei doch viel lustiger, als so in wilden Hainen umzufliegen und vor dem Winter und vor Jägern und Raubvögeln und Schlingen zu zittern. Das Vögelein aber wollte davon nichts hören und lobte seine grüne Freiheit und seine grüne Eiche hier und schwätzte und flötete und spielte und flatterte um den Mann herum und hatte sein wenig Acht, denn er gebärdete sich, als sei er in andern Gedanken.
Aber siehe, welche Gedanken er gehabt hat! Denn ehe das Vögelchen sich dessen versah, hatte der Mann es bei den Füßchen erfasst und lief eilends davon, schwang sich auf sein Ross und flog im sausenden Galopp, als sei ein Sturmwind hinter ihm, einer Herberge zu, die er in der Stadt unweit des Schlosses kannte, und bestellte sich ein einsames Zimmer, worin er sich mit dem Vögelein einsperrte. Das Vögelein, als es sah, wie er die Schlüssel herauszog und andere Zeichen eines Gefängnisses machte, fing an jämmerlich zu weinen und zu flehen, dass er es fliegen ließe; denn es deuchte ihm gar beklommen und angstvoll in dem verschlossenen Zimmer und es musste an seine grünen Bäume und an die liebliche Freiheit denken. Aber der Mann machte sich aus dem Weinen und Flehen des Vögelchens nichts und wollte es nicht lassen. Da ward das Vögelein böse und fing an sich zu verwandeln, damit es den Mann erschreckte, dass er Türen und Fenster öffnete und froh wäre, wenn das Vögelein davon flöge. So machte es sich zu Tigern und Löwen, zu Ottern und Schlangen, zu Skorpionen und Taranteln, zuletzt zu einem scheußlichen Lindwurm, der sich um den Mann flocht und mit giftiger Zunge auf ihn fuhr. Aber das alles schreckte ihn nicht sondern er blieb fest auf seinem Sinn, und das Vögelein musste alle seine Arbeit verlieren und wieder ein Vögelein werden. Und der Mann stand in tiefen Gedanken, denn es fiel ihm etwas ein aus alten Mährchen. Und er zog ein Messer aus der Tasche und schnitt sich ein Loch in den kleinen Finger der linken Hand, der immer das lebendigste Herzblut hat. Und es tröpfelte Blut heraus, und er nahm das Blut und bestrich des Vögeleins Köpfchen und Leib damit. Und kaum hatte er das getan, so stand auch das Wunder fertig da. Das Vögelein ward in der Minute zu der allerschönsten Jungfrau, und der Prinz lag alsbald zu ihren Füßen und küsste ihr züchtig und ehrerbietig die Hände. Die Nachtigall war nun wieder Prinzessin Aurora geworden und erkannte in dem Manne ihren Bräutigam wieder, den Prinzen aus Ostenland. Sie war noch eben so jung und schön, als sie vor sechs Jahren zur Zeit der Verwandelung gewesen. Denn das ist den Verwandlungen eigen, dass die Jahre, die einer darin bleibt, ihn nicht älter machen sondern tausend Jahre gelten da nicht mehr als eine Sekunde.
Man kann denken, wie diese beiden sich gefreut haben; denn wenn zwei verliebte Herzen, die einander treu geblieben, nach langer Zeit wieder zusammenkommen, das ist wohl die größte Freude auf Erden. Doch säumten sie nicht lange sondern ließen dem Könige ansagen, es seien zwei fremde Prinzen aus fernen Landen an seinen Hof gekommen und begehrten fürstliche Herberge. Und der König trat heraus, dass er sie bewillkommnte, und erkannte seine liebe Schwester Aurora und seinen teuren Freund den Prinzen aus Ostenland, und freute sich über die Maßen; und alles Volk freute sich mit ihm, dass so alles wiedergekommen und das Reich nicht bei Fremden bleibe.
Und nach wenigen Tagen setzte er sich die königliche Krone auf und fing an zu regieren an seines Vaters Statt, seiner Schwester aber gab er eine überaus prächtige Hochzeit mit Tänzen und Festen und Ritterspielen; auch erhielt sie nebst ihrem Prinzen an Land und Leuten eine gar stattliche Abfindung, wovon sie fast wie Könige leben mochten. Die Prinzessin Aurora aber hatte ihren Bruder um den Wald gebeten, in welchem sie als Vögelein so manchen fröhlichen und auch so manchen traurigen Tag umhergezogen war, und er hatte ihn ihr gern geschenkt. Sie baute sich daselbst ein stolzes königliches Schloss an dem Bache, wo sie so oft gesessen und gesungen hatte, und die grüne und dichte Eiche kam mitten in ihrem Schlossgarten zu stehen und hat noch manches Jahr nach ihr gegrünt, so dass ihre Urenkel noch darunter gespielt und sich beschattet haben. Sie aber ließ das Gebot ausgehen, es solle der Wald für ewige Zeiten stehen bleiben in seiner natürlichen Herrlichkeit; auch gab sie den kleinen Singvögelein den Frieden und verbot auf das allerstrengste, in diesem heiligen Bezirke Schlingen und Fallen zu stellen und die Kleinen mit irgend einem Gewehr anzugreifen. Und ihr Bruder hat als ein großer und frommer König regiert, sie aber hat mit ihrem tapferen Gemahl bis in ein schneeweißes Alter in glücklicher Liebe gelebt und viele Kinder und Kindeskinder gesehen, bis sie endlich im Segen Gottes und der Menschen sanft entschlafen ist. Das hat auch gegolten seit ihrer Zeit unter ihren Kindern und Nachkommen, dass der älteste Prinz ihres Hauses immer Rossignol und die älteste Prinzessin immer Philomela getauft wurde. Sie wollte nämlich eine fromme Erinnerung stiften für alle Zeiten von dem wundersamen Unglück, das ihr widerfahren war, da sie in eine Nachtigall verwandelt worden. Denn diese Worte bedeuten in der Sprache ihres Landes, was zu Deutsch Nachtigall genannt wird, und Rossignol heißt eigentlich Rosenvogel – denn die Nachtigallen singen meist zur Zeit der Rosen – und Philomela Liederfreundin; der deutsche Name Nachtigall heißt aber so viel als Nachtsängerin, und ist wohl der allerfeinste.
Quelle:
(Ernst Moritz Arndt)