Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne: zwei kluge und einen dummen. Eines Tages säte der Bauer Erbsen, aber irgendein Unbekannter kam und vernichtete immer das Gesäte. Als der Vater sah, daß alles niedergeschlagen, umgeworfen und zerstampft war, sagte er zu seinen Söhnen: »Meine lieben Kinder, wir müssen Wache halten und herausbekommen, wer uns die Erbsen zerstampft.« Sogleich ging der älteste Bruder auf die Wacht. Mitternacht kam heran, der Schlaf überfiel ihn – und wieder waren die Erbsen zertreten, er aber hatte nichts gesehen. Dann kam die Reihe zu wachen an den mittleren Bruder; aber auch der hatte nichts erblickt. »Nun will ich hingehen«, sprach der Dümmling, »ich werd es schon nicht übersehen!« – »Du bist der Rechte!« antworteten die Brüder, »was wirst denn du ausrichten?« Der Dümmling aber ging auf die Wacht und nahm ein Fuder Bast und ein Pfund Tabak mit sich. Als ihn der Schlaf überfallen wollte, schnupfte er um so mehr Tabak. Da kam der Recke Nikanor über die Erbsen geritten, ließ sein Roß weiden, legte sich selbst zum Heldenschlaf nieder und schlief ein. Der Dümmling machte sich sofort über ihn her und fing an, den Schläfer mit dem Bast zu fesseln. Er band ihn und ging dann zum Vater. »Nun hab ich den Dieb gefangen!« rief er. Der Vater ging hin und sah sich’s an. »Wie hast du, Dummkopf, einen solch starken Recken besiegt?« fragte er.
Man berichtete dem Zaren, daß ein mächtiger Held gefangen sei. Sofort schickte der Zar hin und ließ fragen: »Wer hat ihn gefangen?« Man antwortete ihm, jener Dümmling habe es vollbracht. Da befahl der Zar sofort: »Bringt mir den Dummkopf her!« Sie taten’s, und der Zar fragte: »Was meinst du, Dummkopf, wie könnte man den Recken hierherschaffen?« Der Dümmling antwortete: »Das muß man so machen: zwölf Pferde und sechzig Mann und einen langen, eisernen Wagen brauchen wir; dann kann man den Recken Nikanor auf den Wagen legen und hierherfahren.« Und man brachte den Recken auf solche Art zum Zaren. »Was meinst du, Dummkopf?« fragte der Zar, »wo soll man ihn einsperren, und wie ihn fesseln, damit er nicht auf und davon geht?« Der Dümmling antwortete: »Auf zwanzig Ellen Tiefe laß die Erde ausgraben und mit der Erde eiserne Wände zuschütten, und dann wälze Querbalken darüber, so wird es halten!« Sie richteten die eisernen Wände auf, wälzten die Querbalken darüber, setzten den Recken Nikanor hinein und stellten ein Regiment Soldaten als Wache auf. Der Dümmling packte mit einem Haken die Bastschnüre, zerriß sie und band den Recken los. Der Zar beschenkte darauf den Dümmling und ließ ihn heimziehen.
Und es geschah einmal, daß die Zarenkinder im Garten spazierengingen und mit goldenen Pfeilen schossen, und der Pfeil des jüngsten Bruders, Iwan- Zarewitsch, flog durch das Fensterchen zum Recken Nikanor hinein. Da rief Iwan-Zarewitsch: »Ach, Recke Nikanor, gib mir meinen Pfeil!« – »Hilf mir«, antwortete Nikanor, »und befiehl, auch nur einen einzigen Querbalken abzuwälzen, so will ich dir deinen Pfeil zurückgeben und dir vielleicht noch drei von meinen schenken!« Iwan-Zarewitsch nahm alle Kraft zusammen und machte einen Querbalken los. Nikanor gab ihm den goldenen Pfeil wieder und sagte: »Hör zu, Iwan-Zarewitsch! du wirst ein Lakai werden, ein Hirte und ein Koch, danach aber wieder Iwan-Zarewitsch sein.« Und alsbald zerbrach der Recke Nikanor sein Gefängnis, stieg heraus und schlug das ganze Regiment zusammen. Der Zar kam hinzu, sah, was geschehen war, entsetzte sich und fragte: »Wer hat den Recken freigelassen?« Dort wälzten sich aber die Geschlagenen und Verwundeten: dem einen Soldaten war der Arm abgerissen, dem andern das Bein zerbrochen; und sie sagten dem Zaren: »So und so geschah es, Iwan-Zarewitsch hat ihn freigelassen.« Der Zar geriet in gewaltigen Zorn und schickte in alle Länder, die Könige und Prinzen zu rufen. Sie versammelten sich und wurden vom Zaren bewirtet, und er hielt lange mit ihnen Rat. »Was soll ich mit Iwan-Zarewitsch, meinem Sohn, beginnen?« sagte er. »Weder köpft man Zarenkinder, noch hängt man sie.« Da rieten sie ihm, dem Zarewitsch einen Diener mitzugeben und ihn ziehen zu lassen, wohin er wolle!
Iwan-Zarewitsch verließ seinen Vater; und als er ein Stück Wegs gegangen war, bekam er Durst. Er kam zu einem Brunnen, schaute hinein und sah, daß das Wasser tief stand und er nicht hinunterreichen könne. Da sprach er zu seinem Diener: »Ach, Wanjka, was soll nun werden?« – »Nun, Iwan-Zarewitsch!« antwortete Wanjka, »halt mich an den Beinen, dann kann ich mich satt trinken, und nachher werd ich dich trinken lassen; anders reichst du nicht bis zum Wasser, es steht zu tief.« Wanjka trank sich satt, und dann hielt er den Zarensohn. Iwan-Zarewitsch trank und sagte dann: »Jetzt, Wanjka, zieh mich wieder hinauf!« Der antwortete aber: »Nein, sei du nun Wanjka, und ich will Iwan-Zarewitsch sein!« – »Was schwatzt du für sinnloses Zeug, Dummkopf?« – »Selbst schwatzt du Unsinn! Willst du nicht, so ertränk ich dich im Brunnen!« – »Nein, lieber ertränke mich nicht! Sei du Iwan-Zarewitsch, und ich will Wanjka sein.« So einigten sie sich; und dann kamen sie in eine große Hauptstadt und gingen geradewegs in die Gemächer des Zaren. Der falsche Zarensohn ging voran, schlug das Kreuz nicht, wie es vorgeschrieben ist, verbeugte sich nicht, wie es Brauch ist, der wahre Zarensohn aber ging hinterher, bekreuzigte sich, wie es vorgeschrieben ist, verbeugte sich, wie es Brauch ist. Der Zar nahm sie mit Freuden auf und sprach: »Wohnet bei mir.« Sogleich fing Wanjka, der Betrüger, an, sich seines Dieners zu rühmen: »Ach, was hab ich für einen Diener! wie gut versteht er das Vieh zu hüten! Treibt er die Pferde aus, so bekommen sie alle goldene Schwänze und goldene Mähnen, und an den Seiten schimmern viele Sterne; treibt er die Kühe aus, so bekommen sie goldene Hörner und goldene Schwänze, und an den Seiten schimmern viele Sterne!« Da trug ihm der Zar auf, die Pferde zu hüten. Iwan-Zarewitsch trieb die Herde ins freie Feld, aber alle Pferde liefen ihm davon. Er setzte sich nieder und weinte bitterlich: »Ach, Recke Nikanor, was hast du mir angetan! Was soll jetzt aus mir werden?« Auf einmal, hast du nicht gesehen? stand der Recke Nikanor vor ihm und sprach: »Was willst du von mir, Iwan-Zarewitsch?« Nun erzählte ihm der seinen Kummer. »Das macht nichts! Komm, wir wollen fortreiten, die Pferde sammeln und sie zu meiner jüngsten Schwester treiben. Sie wird alles für dich machen, was der Zar dir aufgetragen hat.« Sie trieben die Herde zur jüngsten Schwester, und die führte wirklich alles aus; dann gab sie ihren Gästen zu essen und zu trinken und geleitete sie heim. Iwan- Zarewitsch brachte die Pferde auf den Zarenhof: an jedem Tier war die Mähne golden, der Schwanz golden, und an den Seiten schimmerten die Sterne. Wanjka, der Betrüger, saß am Fenster und sagte: »Ach, der Schuft! So hat er’s doch vollbracht! Schlau ist er und klug!«
Darauf befahl jedoch der Zar, die Kühe zu hüten: »Alles soll ebenso werden, tust du es nicht, so laß ich dich am Tor erschießen!« Iwan-Zarewitsch fing bitterlich an zu weinen und trieb die Kühe aus. Den ganzen Tag hütete er sie. »Ach, mein Freund Nikanor! Erscheine vor mir!« Der Recke Nikanor erschien, und sie trieben die Herde zur zweiten Schwester; sie machte allen Kühen goldene Hörner und goldene Schwänze und Sterne an den Seiten. Dann gab sie den Gästen zu essen und zu trinken und geleitete sie heim.
Iwan-Zarewitsch trieb die Herde auf den Zarenhof, doch Wanjka, der Betrüger, saß am Fenster und sagte: »Ach, verderben wollt ich ihn, aber nein: auch das hat er vollbracht!« Der Zar aber sagte: »Das ist mir doch ein Hirte! Schau, was für Pferde und Kühe er heimbringt – schön und prächtig sind sie anzusehen!« Wanjka aber sprach zu ihm: »Er bereitet mir auch Speisen wundervoll zu!« Der Zar schickte ihn darauf sofort in die Küche. Da ging Iwan-Zarewitsch unter die Köche und weinte bitterlich: »Ach, Herr, mein Gott! Ich versteh ja nichts davon; das alles sagen sie ja ganz ohne Grund von mir.«
Und der Zar gedachte seine Tochter dem Betrüger zur Frau zu geben. Da schrieb ihm aber der dreiköpfige Drache: »Gibst du mir deine Tochter nicht zur Frau, so zerschlag ich dein ganzes Heer und nehme dich selbst gefangen.« Sprach der Zar zu seinem erwählten Schwiegersohn: »Was soll ich tun?« Wanjka antwortete: »Väterchen, laß uns ein Heer aufstellen! Vielleicht siegen wir!« Sie rüsteten ein Heer aus und fingen an, Krieg zu führen. Iwan-Zarewitsch aber bat die Köche: »Laßt mich, Onkelchen, die Schlacht anschauen, dergleichen hab ich mein Lebtag nicht gesehen.« Die Köche sagten: »Geh hin, schau dir’s an!« Er ging sofort aufs freie Feld und sprach: »Freund Nikanor! Erscheine vor mir!« Der Recke Nikanor erschien und fragte: »Was du auch willst, Iwan-Zarewitsch, alles werd ich für dich tun.« – »Wie sollen wir die Schlacht gewinnen und die Feinde schlagen? Tu für mich diese Tat!« – »Das ist ein Kinderspiel und keine Tat!« Der Recke Nikanor ritt hin und zerstreute die ganze feindliche Macht, alle erschlug er und hieb sie zusammen.
»Jetzt wollen wir die Hochzeit feiern!« sagte der Zar. Da schrieb ihm aber der sechsköpfige Drache: »Gibst du mir deine Tochter nicht zur Frau, so erschlag ich dein ganzes Heer und nehme dich selbst gefangen!« – »Ach, was soll aus uns werden?« fragte der Zar. Wanjka antwortete: »Es ist nichts zu machen, wir müssen ein Heer rüsten; vielleicht hilft uns Gott!« Sie stellten eine Armee auf wider das Heer der Drachen. Iwan-Zarewitsch aber bat die Köche: »Onkelchen, laßt mich zuschauen gehn!« – »Geh nur, aber komm bald wieder zurück.« Er ging aufs freie Feld und rief: »Ach, Freund Nikanor! Erscheine vor mir!« Der Recke Nikanor erschien und sagte: »Was du auch willst, alles werd ich für dich tun.« – »Wie sollen wir dieses Heer besiegen?« Der Recke Nikanor antwortete: »Ich will hinreiten und für dich die Arbeit tun.« Er sprengte auf die Macht des Drachen ein und erschlug sie bis auf den letzten Mann.
»Jetzt wollen wir die Hochzeit feiern«, sagte danach der Zar, »nun wird uns nichts mehr hindern!« Doch kaum sollte die Feier beginnen, als der zwölfköpfige Drache schrieb: »Wenn du mir deine Tochter nicht gibst, so werd ich dein ganzes Heer erschlagen, dich selbst gefangennehmen und dein ganzes Reich niederbrennen!« Wieder mußte man ein Heer rüsten. Der Zar aber dachte bei sich: »Wenn sich der Sieg dem Drachen zuneigt, will ich ihm sofort meine Tochter gutwillig geben, damit er nur mein Land ungeschoren läßt.« Iwan-Zarewitsch bat die Köche: »Onkelchen, erlaubt mir zuzuschauen!« – »Geh nur, aber komm bald wieder heim!« Er ging aufs freie Feld, pfiff und rief mit lauter Stimme: »Freund Nikanor! Erscheine vor mir!« Der Recke Nikanor erschien und sagte: »Nun, Bruder Iwan! Jetzt ist für uns die Zeit zur Tat gekommen! Setz auch du dich aufs Roß und laß uns reiten: ich voraus – auf den zwölfköpfigen Drachen, und du hinterher – auf alle seine Helden!« Dieser Drache hatte nämlich zwölf Helden als Bedeckung. Iwan-Zarewitsch saß auf und ritt hinter dem Recken Nikanor wider den Feind; sie fingen an, sich zu schlagen und das Heer des Drachen zu vernichten. Im Kampf aber wurde Iwan-Zarewitsch an der Hand verwundet. Er wendete sein Roß und hielt gerade auf den Wagen des Zaren zu. Die Zarentochter nahm ein Tuch von ihren Schultern, zerriß es und verband ihm mit der einen Hälfte die Hand. Dann stürzte sich Iwan-Zarewitsch wieder auf den Feind und besiegte das ganze Heer. Doch als die Schlacht zu Ende war, kehrte er wieder auf seinen Platz zurück, legte sich nieder und fiel in tiefen Heldenschlaf.
Im Palast aber bereitete man die Hochzeit vor. Die Köche vermißten den Gehilfen und sprachen: »Wo ist unser junger Koch geblieben?« Sie liefen auf die Suche und fanden ihn schlafend; sie wollten ihn wecken, aber es gelang ihnen nicht; dann stießen sie ihn, aber es war vergebens. Ein Koch nahm einen Schlägel und sagte: »Ich will ihn damit schlagen, mag er doch umkommen!« Er schlug ihn einmal und noch einmal. Da erwachte Iwan-Zarewitsch und sagte: »Ach, Brüder, ich hab verschlafen!« Und er bat sie: »Onkelchen, plaudert nicht aus, daß ich so lang geschlafen hab!« Die Köche aber antworteten: »Komm schnell, Dummkopf, damit wir nicht deinetwegen Schimpfe kriegen!« Sie führten ihn in die Küche und ließen ihn die Kasserollen säubern. Iwan-Zarewitsch streifte die Ärmel auf und machte sich an die Arbeit. Da erblickte die Zarentochter die Hälfte ihres Tuches und sprach: »Zeig mal her, Wanjka! Woher nahmst du dies Tuch?« Da gestand er und sagte: »Nicht dieser Betrüger ist der Zarensohn, sondern ich!«, und er erzählte ihr alles, was sich ereignet hatte.
Sogleich nahm ihn die Zarentochter bei der Hand und führte ihn zu ihrem Vater: »Das ist mein erwählter Bräutigam und nicht jener Diener!« Der Zar fragte ihn: »Was ist denn zwischen euch geschehen?« – »So und so,« antwortete der Zarensohn. Da vermählte ihm der Zar seine Tochter, den Betrüger aber ließ er hinrichten.
Dort war auch ich zu Gast,
Trank Met und Wein in Hast,
Über den Schnurrbart floß es,
Doch kam nichts in den Mund;
Man reichte Hausenfleisch,
Doch blieb ich ungespeist.
[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]