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Märchenbasar

Der Zauberbrunnen

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Ein König hatte drei Töchter, die er zärtlich liebte. Er war daran gewöhnt, einen großen Teil des Tages bei seinen Büchern zu verbringen, und eines Tages fiel ihm ein Buch in die Hand, in dem er folgendes las: «O König, habe ein Auge auf deine Töchter, und laß sie sich niemals dem Brunnen in deinem Garten nähern, denn sonst würdest du sie für immer verlieren.»

Beim Lesen dieser Mahnung erschrak der gute Vater sehr. Nun gab es an seinem Hofe drei Brüder, die in die drei Prinzessinnen ganz und gar verliebt waren, aber es natürlich nicht wagten, um deren Hand anzuhalten. Der König ließ nun die drei Burschen rufen und gab ihnen den Auftrag, sie sollten auf seine drei Töchter aufpassen und verhindern, daß sie sich je dem Brunnen im Garten näherten. Die Burschen waren nur zu gern bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.

Aber eines Tages, als sie mit den Mädchen im Garten spazierengingen und hierhin und dorthin kamen, sahen sie mit einem Male die Prinzessinnen nicht mehr. Sie suchten sie hier – sie suchten sie dort, aber alles war vergeblich, sie fanden sie nicht. Was sollten sie jetzt tun? Was konnten sie schon dem König sagen? Der Jüngste von ihnen, der – wie wir sehen werden – auch der Gescheiteste war, sagte: «Verliert nicht den Mut, liebe Brüder! Wir werden es so machen: wir werden dem König erklären, daß wir bereit sind, einer nach dem anderen in die Welt zu ziehen, um die Mädchen zu suchen. Wenn nach einem Jahr der erste nicht heimkehrt, dann soll das heißen, daß er tot ist oder an der Heimkehr verhindert; und dann soll der zweite losziehen und nach einem Jahr der dritte.» – «Uns gefällt dein Plan», sagten die Brüder und nahmen ihn an.

Als der König von dem Verschwinden seiner drei Töchter gehört hatte, glaubte er, vor Schmerz sterben zu müssen. Und als er den Plan der drei Brüder hörte, nahm er ihren Vorschlag gerne an.

So reiste denn der Älteste ab, und nachdem er lange durch Wälder und Gebirge geritten war, kam er endlich zu einem Wirtshaus, das einsam in der Wildnis lag. Er stieg ab, klopfte an die Türe, und es erschien eine Alte am Fenster und fragte: «Was willst du?» – «Was ich will? Mich und dieses Pferd hier unter Dach bringen, denn das Pferd ist halb tot vor Hunger und Müdigkeit.» – «Höre einmal, für dich – glaube ich – wird sich ein Platz finden lassen, aber für das Pferd nicht, denn hier gibt es keinen Stall.» – «Sei es, wie es wolle, mach mir nur gleich auf!»

Da wurde ihm aufgesperrt und er ging hinein. Er fragte die Alte, ob er ein Zimmer haben könne, um sich auszuruhen. Sie führte ihn in eine Kammer, wo drei Männer beim Kartenspiel saßen. Der Bursche war so unvorsichtig, sich von ihnen zum Spielen verleiten zu lassen. Und da er beim Spiel kein Glück hatte, verspielte er erst sein Geld, dann seine Kleider, sein Pferd und schließlich sich selbst. Dann nahmen ihn die drei Männer, banden ihn und sperrten ihn in einen Stall.

Unterdessen verging ein Jahr, und als der Älteste nicht zurückkehrte, sagte der Mittlere zum Jüngsten: «Jetzt versuche ich mein Glück.» Er nahm Geld und ein gutes Pferd und machte sich auf den Weg. Er ritt durch Wälder und Gebirge, und schließlich führte ihn sein Schicksal dorthin, wo sein Bruder gefangenlag. Auch er ließ sich zum Kartenspielen verführen, auch er verlor Geld, Kleider, Pferd und Freiheit.

Als wiederum ein Jahr vorüber war und auch der Mittlere nicht heimkehrte, reiste der Jüngste ab. Und nach einiger Zeit gelangte er zu der gleichen Wirtschaft, wo seine beiden Brüder gefangen waren. Auch er ließ sich zwar zum Kartenspielen verleiten, aber das Glück war ihm freundlicher gesinnt als seinen beiden Brüdern. Er gewann den Spielern alles ab und tötete sie schließlich zusammen mit der häßlichen Alten. Dann befreite er seine beiden Brüder.

Am nächsten Tag sagte der Jüngste zum Ältesten: «Du wirst hierbleiben und das Essen kochen, während wir zwei auf die Jagd gehen. Schau, daß alles fertig ist, bis wir heimkommen.»

Der Älteste, der in der Wirtschaft geblieben war, machte sich also sogleich daran, das Essen zu kochen, damit alles fertig sei, wenn die Brüder heimkämen. Aber nach kurzer Zeit, als es im Kochtopf schon brutzelte, hörte er einen Lärm im Kamin, und als er hinaufschaute, erblickte er ein scheußliches Vieh, das durch den Kamin herunterstieg. Der Schreck ließ ihn so sehr erstarren, daß er weder daran dachte, sich zu verteidigen noch um Hilfe zu rufen, sondern wie verhext einschlief.

Als die beiden andern nach einer guten Jagd heimkamen, fanden sie den Ältesten wie betrunken und – was noch schlimmer war – das Feuer ausgelöscht und das Essen verdorben. Sie fragten den Bruder, was da vorgefallen sei, und der Älteste erzählte ihnen von dem scheußlichen Vieh, das er gesehen habe, und wie ihn gleich der Schlaf überfallen habe.

«Morgen werde ich daheim bleiben», sagte der Mittlere, «und ihr geht auf die Jagd. Laßt mich nur machen!»

Aber ihm erging es ganz genauso und nicht besser und nicht schlechter als dem ältesten Bruder. So kam denn die Reihe an den Jüngsten, daheim zu bleiben und für das Essen zu sorgen. Der nun, der überhaupt der Klügste und Geschickteste war, ließ sich nicht erschrecken, als er das Untier den Kamin herunterklettern hörte. Er stellte sich vielmehr sogleich schlafend, und kaum daß die Bestie herunten war und anfing, das Feuer zu löschen und das Essen zu verwüsten, sprang er auf die Füße, zog sein Schwert und schlug ihr den Kopf ab. Und als die beiden größeren Brüder von der Jagd heimkamen, sahen sie mit Staunen, was der Jüngste mit dem Vieh gemacht hatte.

Aber es gefiel ihnen nun in dieser Spelunke nicht mehr. Sie gingen hinaus, und im Hof sahen sie einen tiefen, tiefen Brunnen. Der Jüngste sagte zu den anderen beiden: «Holt einmal einen Strick, dann wollen wir nachschauen, was in dem Brunnen ist. Laßt mich mit ihm in die Tiefe hinab, und ich werde mich darum kümmern, in welche Abenteuer ich da komme.»

Sie machten es so und ließen den Jüngsten hinunter, und als er auf dem Grund des Brunnens ankam, sah er sich in einem großen Saal, in dem an den Wänden ringsum eine Reihe von Statuen stand, und in einer Ecke des Saales saß ein Alter, der der Wächter zu sein schien.

Der Alte schlief, und da näherte sich ihm der Jüngste, zog sein gutes Schwert und schlug ihm mit einem Streich den Kopf ab. Aber welch ein Wunder: aus dem abgeschlagenen Haupt fiel ein Schlüssel heraus. Der Jüngste hob den Schlüssel auf und öffnete mit ihm einen Schrank, der dort stand. Und als er den Schrank geöffnet hatte, fand er dort ein Schriftzeichen, das besagte: «O du, der du so tapfer warst, hier herunterzusteigen, öffne die letzte Schublade dieses Schrankes! Du wirst darin ein Gefäß mit Öl finden, und damit kannst du von den Statuen salben, wen du willst. Und die Statuen, die du salbst, werden ins Leben zurückkehren, mit Haut und Bein, Männer und Frauen.»

Kaum hatte der Bursche diese Schrift gelesen, da öffnete er die bezeichnete Schublade und fand darin das Gefäß mit dem Öl. Er nahm das Gefäß heraus und ging damit im Saal herum. Und da fand er in einer anderen Ecke die drei Prinzessinnen, in Statuen verwandelt, die sie gesucht hatten. Er salbte mit dem Öl diese drei Statuen, und sofort wurden sie lebendig, sprangen herum und umarmten unter Dank ihren Erlöser. Er gab sich aber damit nicht zufrieden, sondern er fuhr fort, Statuen zu salben, solange ihm das Öl reichte. Und so sah er sich schließlich von einer Menge hübscher junger Mädchen und eleganter junger Burschen umgeben. Er führte sie alle dorthin, wo der Strick hing, und er ließ einen nach dem andern hinaufziehen. Als er selber aber an die Reihe gekommen wäre, merkte er zu seinem Erstaunen, daß seine Brüder den Strick nicht mehr herunterließen. Er schrie laut, aber niemand antwortete ihm. Da er nicht wußte, wo er sich den Kopf einrennen sollte, begann er verzweifelt zu pfeifen in der Hoffnung, daß ihn vielleicht am Ende doch noch jemand hören würde.

In der Tat hatte er noch nicht lange gepfiffen, als ein Schwarm kleiner Teufel erschien und ihn umtanzte. Sie schrien dabei im Chor: «Was willst du, Herr? Was willst du, Herr?»

«Ach, was ich will? Ich will hier heraus und sonst nichts», antwortete der Bursche, der sich durch nichts erschrecken ließ. Er hatte es kaum gesagt, da fand er sich schon aus dem Brunnen befreit.

Nun verlor er keine Zeit, sondern verfolgte die Spuren seiner Brüder, bis er zum Hof des Königs gelangte, von dem er vor einigen Monaten ausgezogen war.

Er fand dort alles auf einem großen Fest zur Feier der Befreiung der drei Prinzessinnen. Die beiden verräterischen Brüder, die allen zu verstehen gegeben hatten, daß sie selbst die Prinzessinnen befreit hätten, fühlten sich nicht recht gut, als sie ihren Bruder kommen sahen. Der zeigte sich dem König und erzählte Punkt für Punkt, was sich zugetragen hatte. Der König war sehr bewegt, umarmte den Burschen und gab ihm eine seiner drei Töchter zur Frau. Dann wandte er sich den beiden Übeltätern zu und wollte sie töten lassen. Aber der Jüngste, der so klug und tapfer gewesen war, war außerdem auch sehr gutherzig und großmütig. Er bat für seine Brüder um Verzeihung, und der König begnadigte sie.

Dann aber feierte man die glänzendste Hochzeit, die es je gegeben hat.

Märchen aus Italien

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