In einem fernen warmen Land lebte am Ufer eines tiefen Sees ein verwaister Junge. Er hiefi Umar und wohnte in einem alten Lehmhaus mit flachem Dach ganz am Rand eines Dorfes. Am frühen Morgen ging Umar in die Steppe und grub in der sengenden Sonne aus dem glühenden Sand Wurzeln des Saksaul- Strauchs aus, mit denen die Tadshiken ihre Öfen und Herde heizen. Jeden Tag brachte er zwei Bündel zusammen und trug sie auf den Basar zu dem dicken Besitzer einer Teestube. Der Teestubenbesitzer zahlte Umar drei Groschen für die Saksaulwurzeln. Für dieses Geld kaufte sich der Junge eine Schale Plow und einen Fladen. So verlief sein Leben.
Eines Tages hatte Umar seine beiden Bündel verkauft und ging, das Geld in der geballten Faust, über den Basar. Da kam ihm der böse schieläugige Faisi entgegen, der ein junges Hündchen an einer Schnur hinter sich herzog. Das Hündchen winselte kläglich und stemmte sich mit allen vieren gegen den Boden. „Wohin schleppst du ihn?“ faqte Umar. — „Will ihm gleich einen Stein um den Hals binden und in den See werfen“, antwortete Faisi lachend. Umar tat der kleine Hund leid. „Gib ihn mir“, bat er. „Was du für Einfälle hast! Gib mir zwei Groschen, dann sollst du ihn haben.“ Umar gab Faisi die zwei Groschen und steckte den kleinen Hund unters Hemd. Nachdem der müde Junge für den letzten Groschen einen Fladen erworben hatte, trottete er nach Hause. Daheim zerbrach er den Fladen in zwei gleiche Teile, und dann aßen die beiden.
Am nächsten Tag brachte Umar, von dem Hündchen begleitet, dem Teestubenbesitzer zwei Bündel Saksaulwurzeln und erhielt seine drei Groschen. Für zwei Groschen kaufte er sogleich eine Schale warmen Plow. In der Ecke zerschnitt der dicke Teestubenbesitzer Hammelfleisch in kleine Stücke, daneben leckte sich eine magere Katze das Maul und hielt die hungrigen Augen aufs Fleisch gerichtet. Als die verzweifelte Katze sah, daß gar keine Hoffnung mehr blieb, auch nur ein Stückchen zu bekommen, streckte sie die Pfote nach einem winzigen Krümel Hammelfleisch aus. Da schlug der Dicke die Katze mit aller Wucht auf den Bauch. Kläglich miauend, flog sie in die Ecke. Umar hob die Katze auf, setzte sie auf seinen Schoß, streichelte sie und teilte den Plow in drei Teile; je einen für sich, für das Hündchen und für die Katze. Nachdem Umar den Plow gegessen hatte, streckte er das Hündchen unters Hemd und ging nach Hause. Als Umar am nächsten Morgen erwachte, sah er, daß die Katze zusammengerollt zu seinen Füßen schlief. Da fühlte er Mitleid mit dem Tier, und sie lebten zu dritt weifer.
Eines Tages ging Umar über den Basar und traf die Tochter des Teestubenbesitzers, die rothaarige Subaida. In der Hand hielt sie einen Stock mit gespaltenem Ende, in dem sich eine kleine Schlange mit rubinroten Augen wand. „Was möchtest du mit ihr machen?“ fragte Umar. „Ich will sie gleich über einem Feuer rösten, das wird sicher lustig!“ Umar tat die kleine Schlange leid, und er bat Subaida, sie ihm zu überlassen. „Wenn du mir zwei Groschen zahlst, dann kriegst du sie.“ Umar überlegte eine Weile, zahlte dann die zwei Groschen und bekam die kleine Schlange. Er setzte sie ins Gras und ging nach Hause. Die Katze und der Hund erwarteten Umar an der Schwelle.
Gegen Morgen, der Junge war gerade aufgewacht, kroch die kleine Schlange ins Haus. Im Maul hielt sie einen blitzenden Ring. „Nimm diesen Ring zum Lohn für dein gutes Herz. Du brauchst ihn nur dreimal um den Finger zu drehen, und jeder Wunsch geht dir in Erfüllung!“ Umar traute seinen Augen nicht. „Ich möchte, daß ein Kessel mit fettem Plow und knusprige Fladen hereinfliegen.“ Im selben Augenblick kam ein riesiger Kessel mit dampfendem Plow ins Zimmer geflogen, ihm hinterdrein knusprige Fladen. Zum erstenmal in seinem Leben ab sich Umar satt, ließ auch Hund und Katze nach Herzenslust fressen und rannte außer sich vor Freude auf die Straße. Hund und Katze liefen hinterher. Der glückliche Umar wäre fast mit der herausgeputzten Subaida, der Tochter des Teestubenbesilzers, zusammengestoßen. „Du bist wohl von Sinnen!“ schrie ihn Subaida an, und ihr Gesicht wurde noch widerwärtiger, „wage dich nicht mehr in unsere Teestube, hol dir deine Fladen woanders.“ — „Von deinen harten Fladen will ich gar nichts wissen! Jetzt werde ich alles bekommen, was ich mir wünsche!“ — „Wenn du alles kannst, warum wohnst du, barfüßiger Prahler, in einer alten Kate und nicht in einem Palast?“ — „Ich möchte einen Palast haben!“ rief Umar sofort, und die armselige Hütte verwandelte sich in einen marmornen Palast.
Subaida war höchst verwundert. „Wo hast du den Ring her, Umar? Hast du ihn gestohlen?“ — „Ich bin kein Dieb“, antwortete Umar stolz. „Erinnerst du dich an die kleine gestreifte Schlange, die du verbrennen wolltest? Ich habe sie freigelassen, und sie hat mir den Ring geschenkt.“ — „Wie glücklich du bist, Umar! Laß mich doch wenigstens den Zauberring aus der Nähe betrachten“, sagte Subaida seufzend. Vertrauensvoll gab Umar ihr den Ring. Sie griff danach, streifte ihn über den Finger und drehte ihn dreimal herum. „Ich wünsche, daß Umar in einen unterirdischen Kerker kommt und daß der Palast mir gehört!“ rief sie. Umar war, als packten ihn unsichtbare Geister und trugen ihn davon. Der Hund winselte kläglich und rannte weg, die Katze folgte ihm.
Bald darauf gelangten die beiden Tiere beim Gefängnis an. Am Tor stand eine Wache. „Du lenke die Soldaten ab, und ich will versuchen, Umar zu finden“, sagte der Hund. Die Katze hob einen Zweig vom Boden auf, stellte sich auf die Hinterbeine und präsentierte den Zweig wie ein Gewehr. Die Wachen rissen den Mund auf. Derweil schlüpfte der Hund durchs Tor. Umar sah mit gekreuzten Beinen auf fauligem Stroh in der Ecke und vergoß bittere Tränen. „Ich werde wohl bis ans Ende meiner Tage hier sitzen müssen“, rief Umar traurig, als er seinen vierbeinigen Freund erblickte. „Weine nicht, Umar, wir holen den Zauberring zurück. Warte auf uns und gräme dich nicht.“ Die Katze schoß Kobolz, die Wachen sahen lachend zu und übersahen den Hund, der durchs Tor kam. Die Tiere liefen nun zum Seeufer und sahen einen gewaltigen Hecht im Sand liegen. „Stoßt mich ins Wasser“, flehte der Hecht. „Ich werde euch in der Stunde der Not beistehen.“ Die Tiere hatten Mitleid mit dem Fisch und stießen ihn ins Wasser.
Am andern Ufer erblickten die Freunde einen sonderbaren Hochzeitszug: In der Straßenmitte marschierten Mäuse in Reih und Glied, vorneweg Braut und Bräutigam in Prunkgewändern. Die Katze konnte dem Anblick nicht widerstehen, machte einen langen Satz und bemächtigte sich der Braut. „Oh, grimmiges Tier! Nenne mir deinen Namen und sage, was du mit meiner Braut vorhast“, flehte der Bräutigam. „Ich heiße Katze! Und werde sogleich deine Braut fressen.“ — „Friß meine Braut nicht, o Herrin! Ich bin der König der Mäuse, du siehst mich bereit, ein beliebig hohes Lösegeld für sie zu zahlen.“ Die Katze dachte nach und sagte dann: „In diesem Palast wohnt die böse Subaida. Sie hat einen Zauberring. Wenn du ihn mir bringst, will ich deine Braut freilassen.“ Der Mäusekönig versprach sogleich seinen Untertanen, er wolle denjenigen zu seinem Ersten Minister machen, der ihm den Ring brächte.
Subaida schlief auf seidenen Kissen, den Ring hatte sie wie immer in den Mund geschoben, damit ihn keiner stahl. Ein kleines Mäuschen schlich sich in Subaidas Schlafgemach, sprang auf die Kissen und kitzelte Subaida mit der Schwanzspitze an der Nase. Subaida nieste, und der Ring sprang ihr aus dem Mund. Nun schnappte das Mäuschen den Ring und lief davon.
Nachdem Hund und Katze den Ring erhalten hatten, brachen sie eilig auf. Sie überschwammen den See, aber da sprang ein Wind auf, und bald brach ein Sturm los. Vor Schreck schluckte die Katze Wasser und ließ den Ring fallen. Der Hund packte die Katze am Schwanz und zog sie ans Ufer. Die Tiere saßen am Ufer und weinten bitterlich. Doch da rauschte der blaue See gewaltig, der große Hecht kam ans Ufer geschwommen und hielt den Zauberring im Maul.
Der Hund nahm den Ring und rannte zu Umar. „Fangt ihn!“ riefen die Wachen, aber der Hund hatte vier Beine, so daß er schneller bei Umar war und ihm den Ring zuwerfen konnte. Umar drehte den Ring dreimal um den Finger. „Ich möchte, daß der Kerker schleunigst in Schutt und Asche zerfällt!“ Im selben Augenblick verwandelte sich das Gefängnis in einen Haufen Schutt. Die Häftlinge schritten in die Freiheit hinaus, segneten den gütigen Umar und gingen nach Hause.
Umar stieg die marmorne Freitreppe zum Palast hinauf und betrat ihn. Ihm kam Subaida entgegen. Als sie Umar erblickte, begann sie zu jammern: „Verzeihe mir, guter Umar! Es sollte nur ein Scherz sein!“ — „Glaube ihr nicht, glaube ihr nicht!“ schrien da die Diener. „Sie ist der schlechteste Mensch auf der ganzen Erde. Niemand kann etwas Gutes von ihr sagen!“ Umar drehte den Zauberring dreimal um den Finger. „Verwandle dich in eine Kröte, Subaida!“ Und Subaida verwandelte sich in eine Kröte.
Der gute Umar aber lebte mit seinen treuen Freunden und erwies den Menschen so viel Gutes, daß die Erinnerung an ihn bis zum heutigen Tag lebt.
Quelle:
(tadshikisches Märchen)