Am folgenden Tage ging er wieder hin und fing einen großen Fisch, welcher zu ihm sprach: »Du hast mich zu deinem Glücke gefangen; schneid mich in acht Stücke, zwei davon stecke bei deiner Tür in die Erde, zwei wirf deiner Stute vor, zwei deiner Hündin, und zwei gib deiner Frau«. Als er nach Hause gekommen war, teilte er den Fisch wirklich so, wie dieser ihn geheißen hatte. Und ohne dass er etwas wusste, sprossten bei der Tür zwei Cypressen hervor, die Stute warf zwei unvergleichlich schöne Zuchthengste, die Hündin zwei wunderbare Löwen, und die Frau gebar zwei starke und sehr schöne Knaben.
In einem Orte dort in der Nähe wohnte die schöne der Erde. Als der ältere Sohn des Fischers dies erfuhr, verlangte er so sehr nach ihr, dass er das Gelübde tat, hinzugehen und sie zur Frau zu nehmen. Der Vater des Jünglings und die Mutter bemühten sich auf alle Weise ihn davon abzubringen, sie stellten ihm alles vor, auch die Gefahr für seinen Kopf, den er sicher verlieren würde, wenn er hinginge, aber er ließ sich nicht überreden. Endlich sagte ihnen der Jüngling, wenn seine Cypresse zu verwelken und sich abwärts zu neigen begönne, dann sei er verloren. Und er machte sich auf und zog fort.
Als er in die Stadt der schönen der Erde gekommen war, ging er mitsammt seinem Löwen grade auf das Haus derselben zu. Dort kam ihm eine alte Frau entgegen und fragte ihn: »Was willst du?« Und als er gesagt hatte: »Ich will die schöne der Erde,« machte ihn die alte mit ihrem Blicke zu Stein. Sofort verwelkte auch seine Cypresse bei seinem Vater und ließ ihre Spitze sinken, und die armen Eltern fingen an zu weinen, denn sie schlossen daraus, dass ihr Sohn verloren sei. Als dies der jüngere Bruder sah, rief er aus: »Ich will selbst hingehen, den Bruder zu retten und die schöne der Erde zu rauben«. Da begannen Vater und Mutter zu weinen und baten ihn immerfort, er solle sich nicht verleiten lassen hinzugehen, denn es würde ihn dasselbe Schicksal treffen wie seinen Bruder. Aber trotz allem ihrem klagen wollte er ihren Bitten nicht gehorchen und machte sich auf und zog aus sammt seinem Löwen. Dem Löwen befahl er, wenn sie beim Hause der schönen der Welt angekommen wären und wenn die alte herauskäme (denn der Jüngling hatte alles erfahren, was die alte den Jünglingen antat), solle er sie fassen, dass sie nicht Atem schöpfen könne, und sie stark würgen, bis sie entweder den Bruder lebendig machte und ihm die schöne der Erde gäbe, oder getötet würde.
Sie kamen an der Tür derselben an, und als sie den Bruder mitsammt dem Löwen erstarrt und zu Stein geworden sahen, flossen die Tränen stromweis aus ihren Augen. Der Löwe packte, wie ihm befohlen war, die alte so fest und würgte sie so stark, dass sie sich nicht rühren konnte. Als sie sich nun in Bedrängnis sah, sagte sie dem Jüngling, er solle einen Wandschrank öffnen, der dort in der Nähe stand, und zwei Gläser herausnehmen, von denen das eine eine weiße, das andere eine rote Flüssigkeit enthielte; und sie erklärte ihm, mit der weißen Flüssigkeit mache sie die Männer zu Stein und mit der roten wieder lebendig. Sie gossen sogleich die rohe Flüssigkeit auf den Bruder und den Löwen, und sie wurden alsbald lebendig. Der Bruder wischte seine Augen aus und sagte: »Ach, wie lange habe ich geschlafen«. »Du hast nicht geschlafen,« antwortete jener, »lieber Bruder, sondern so und so –«. Gleichzeitig richtete sich auch die Cypresse zu Hause wieder auf, und die Eltern freuten sich, da sie daraus schlossen, dass ihr Sohn wieder lebendig geworden sei.
Quelle:
(Gustav Meyer: Albanische Märchen)