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Märchenbasar

Der Zimmermann und die Prinzessin

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Irgendwann und irgendwo lebte einmal ein König, der durch Prunksucht alle anderen Herrscher übertraf. Eines Tages fuhr es ihm in den Sinn. dass der alte königliche Palast viel zu erbärmlich für ihn sei. Er wünschte sich ein richtiges Traumschloss, dass auf der weiten Welt nicht seinesgleichen hätte. Berühmte und talentierte Handwerker des ganzen Landes erhielten den Auftrag, ihre Entwürfe vorzulegen. Die König schaute sich die Zeichnungen Blatt für Blatt an, schüttelte jedoch nur sein Haupt und runzelte die Stirn. Nicht ein einziger der zahllosen Pläne entsprach seinen Vorstellungen. Verärgert sann der König darüber nach, wie sein Ziel dennoch zu erreichen sei. Schließlich ließ er durch seine Minister im ganzen Land bekannt geben, dass sich der erfolgreichste Baumeister als Belohnung für den gelungenen Palastbau, drei Juwelen aus der Schatzkammer des Königs aussuchen dürfe. Diese Kunde kam auch einem jungen Zimmermann zu Ohren.
In drei Tagen und drei Nächten entwarf er den Plan eines prächtigen Palastes, den er bei Hof vorlegte. Selbst dem König verschlug es vor Staunen die Sprache, als er den Entwurf sah.
Der junge Zimmermann wurde zur Audienz geladen, und man zollte ihm höchstes Lob. Der Befehl des Königs lautete, sofort mit dem Bau des Palastes zu beginnen. Nachdem Tausende von Menschen drei Monate lang Ströme von Schweiß auf dem Bauplatz vergossen hatten, war der zauberhaft schöne Palast fertig. Beim Einzug in seine Gemächer schmunzelte der König vor Vergnügen. Darüber vergaß er durchaus nicht den tüchtigen Baumeister. „Noch nie habe ich einen solch wunderschönen Palast gesehen!“ sagte er zu dem jungen Zimmermann. „Nun sollst du reichen Lohn empfangen. Was du auch immer aus meiner Schatzkammer begehrst, soll dein sein! Darauf gebe ich dir mein königliches Wort!“ Der Wunsch des Zimmermanns stand schon lange fest. „Königliche Hoheit! Von all deinen Schätzen will ich nichts haben. Da ich noch nicht verheiratet bin, bitte ich dich nur darum mir eine Frau zu geben!“…“Gut“ ,sagte der König, „an meinem Hof sind Mädchen genug! welches du dir auch immer aussuchst, es soll dein sein!“ Der Zimmermann zeigte auf eine schöne Prinzessin, die neben dem König stand. „Ich bitte, mir dieses Mädchen zur Frau zu geben!“ Mit einem Schlag verfinsterte sich die Miene des Königs. Unwirsch schüttelte er den Kopf. „Das kommt gar nicht in Frage!“ Das verwunderte den Zimmermann allerdings sehr. „Sagten Eure Majestät nicht, dass ich mir nach Belieben ein Mädchen aussuchen könnte?“ Ob dieser dreisten Entgegnung platzte dem König fast die Zornesader: „Nimm dir eines der anderen Mädchen! Aber dieses hier ist meine leibliche Tochter, die man nicht einem Zimmermann zur Frau geben kann!“ Solche Worte forderten nur den Widerspruch des jungen Mannes heraus: „Auch gut! Wenn das Versprechen des Königs nicht als bare Münze anzusehen ist, braucht auch der Palast nicht länger zu stehen!“ Er griff zur Säge, und mit einem Ritsch – Ratsch fraßen sich ihre Stahlzähne in den nächsten lacküberzogenen und prachtvoll bemalten Pfeiler. Dieser Anblick trieb dem entsetzten König den Angstschweiß aus den Poren. „Leg die Säge weg! Ich will dir ja die Prinzessin zur Frau geben!“ Da der König unter gar keinen Umständen auf den funkelnagelneuen Palast verzichten wollte, trennte er sich schweren Herzens von seiner Tochter und traute sie dem Zimmermann an. Der Zimmermann und die Prinzessin wurden ein glückliches Paar. Gemeinsam gingen sie hinaus, den Acker zu bestellen, gemeinsam kehrten sie abends heim. Die Liebe der beiden wuchs immer mehr, und keines wollte den anderen jemals verlassen. Als die Prinzessin eines Tages ihrem Manne beim Pflügen zuschaute, entdeckte sie, dass die Furchen ganz unregelmäßig ausgefallen waren: Auf der eine tiefe Furche folgte immer eine flache. Scherzend meinte sie: „Ist das aber eigenartig! Wie kommt es vor, dass du einmal tief und einmal flach pflügst?“…“Weißt du“, sagte der Zimmermann, die Prinzessin verliebt anschauend, „wenn du vor mir stehst und ich dich nicht ansehen kann, wachsen meine Kräfte, und dann kann ich eine tiefe Furche pflügen. Nach dem Wenden kann ich dich nicht mehr anblicken, denn du stehst in meinem Rücken. Dann schwinden meine Kräfte, und der Pflug gleitet nur ganz flach über den Acker.“ Da wusste die Prinzessin, wie stark die Liebe ihres Mannes zu ihr war. Sie holte einen großen Bogen Papier und zeichnete ein Selbstbildnis darauf. Dieses Bildnis stellte sie auf die gegenüberliegende Seite des Ackers. Nun hatte der Zimmermann seine Frau immer vor Augen, und er zog gleichmäßig tiefe Furchen.
Aber, wie es das Unglück wollte, kam plötzlich ein großer Sturm auf, Staubwolken verdüsterten den Himmel, so dass man nicht einmal mehr die Hand vor den Augen sehen konnte. Nachdem sich der Sturm gelegt hatte, gewahrte der Zimmermann und die Prinzessin, dass das Bild vom anderen Ende des Ackers verschwunden war. Ein Windstoß hatte das Bildnis der Prinzessin erfasst und weit weggetragen. Schließlich kam es dem König eines anderen Reiches in die Hände, der seinen Anblick von dem reizenden Bildnis nicht mehr abwenden wollte. Tag und Nacht starrte der König nur noch auf dieses Bild. Er befürchtete das Mädchen könne verschwinden, wenn er es auch nur einen Moment aus den Augen ließe.
Ein unbezähmbare Liebe zu der Unbekannten hatte ihn erfasst. „Wenn ich nur wüsste, wo sie zu finden ist. Und wie glücklich würde ich erst sein, wenn sie meine Frau wäre!“ Der König sandte seine Beamten aus, in allen vier Winden, nach dem Mädchen zu suchen. Sie sollten auskundschaften, welcher Sippe dieses Mädchen entstamme und ob es schon verheiratet sei. Nach etlicher Zeit kehrten die Beamten zurück. Sie wussten ihrem König zu berichten, dass es sich lediglich um die Frau eines Zimmermanns handele. Der König frohlockte schon insgeheim. Sofort entsandte er seine Leute, die die Frau des Zimmermanns entführten und an seinen Hof schleppen sollten. Der Zimmermann und die Prinzessin lebten zufrieden miteinander, bis auf einmal eine Schar Männer wie hungrige Wölfe in ihr Haus einbrach. Der Anführer schlug den Zimmermann zu Boden und ließ ihn binden. Indessen packten die anderen seine Frau und zerrten sie zur Tür hinaus. Als sich der Zimmermann endlich von seinen Fesseln befreit hatte, waren die Räuber freilich längst über alle Berge. Verzweifelt fragte er sich, wo er seine Prinzessin wohl wiederfinden könnte. Er warf sich sein Schaffell über und machte sich auf die Suche. Beim Umherirren stieß er unvermittelt auf eine feine Spur von weißem Gerstenmehl. Er folgte der Spur weit in die Ferne, in der Zuversicht, dass es ein Fingerzeig seiner klugen Frau sei. Bei dem Überfall war es nämlich der Prinzessin gelungen, geistesgegenwärtig noch ein Säckchen Mehl zu fassen. Unterwegs öffnete sie es heimlich und lenkte auf diese Weise ihren Retter in die richtige Richtung. Die Spur von Gerstenmehl führte den Zimmermann in das Nachbarreich. Dort allerdings verlor sie sich, noch bevor das Ziel erreicht war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als geduldig zu forschen, welchen Weg die Räuber genommen hatten. Indessen wurde die geraubte Prinzessin dem König vorgeführt. Aber der hatte keine Freude an ihr. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie lächelte nicht; starr wie ein Stein blieb ihr Gesicht. Dem König wollte es gar nicht in den Kopf, dass ihm dieses unvergleichlich schöne Mädchen nur Verachtung zeigte. Alle Versuche, das Mädchen zu erheitern und wenigstens zum Lächeln zu reizen waren gescheitert. Selbst als sich der König so weit herabließ, wie ein Affe umherzutollen, verzog sie keine Miene. Ihr Mund schien geradezu mit einem Schloss versiegelt zu sein. Der König war über seinen Misserfolg der Verzweiflung nahe. Schließlich sandte er eine alte Dienerin, welche versuchen sollte, die Prinzessin allmählich zum Sprechen zu bewegen. Nach drei Monaten gab es eine große Überraschung. Die Dienerin wusste dem König zu berichten, dass sich der Sinn der Prinzessin gewandelt hatte. Diese erklärte sich einverstanden, innerhalb von drei Tagen die Hochzeit statt finden zu lassen, wobei ein Freudenfest für das Volk des gesamten Landes zu veranstalten sei.
Falls ihrem Wunsch nicht entsprochen werden sollte, würde sie aus dem Leben scheiden. Der König war vor Freude ganz außer sich. Er hatte fast die Hoffnung aufgegeben, jemals ein Wort aus dem Munde der Prinzessin zu hören. Umso mehr lobte er die alte Dienerin, der es gelungen war, die Prinzessin anderen Sinnes werden zu lassen. „Teile deiner Herrin sofort mit“, sagte er zu der alten Dienerin, „dass alles nach ihrem Wunsche geschieht!“ Am Tage der Hochzeit wurde vor dem Palast ein großes Zelt aufgeschlagen. König und Prinzessin nahmen auf der mit Fahnen und glückverheißenden Symbolen geschmückten Tribünen die Ehrenplätze ein, um die Huldigung des gesamten Volkes entgegenzunehmen. Zu Tausenden waren die Menschen erschienen und führten vor dem hohen Paar ihre Tänze auf. Durch die wogende Menschenmenge schob sich der Zimmermann vorsichtig an die königliche Galerie. Er hatte bereits entdeckt, dass seine geliebte Prinzessin ihre Blicke suchend umherschweifen ließ. Aber es war geradezu eine Unmöglichkeit, einen einzelnen Menschen aus diesem Gewirr herauszufinden. Und wie sollte er sich seiner Frau zu erkennen geben, wo neben ihr der König saß und ringsum Bewaffnete standen? Doch da kam ihm ein Gedanke, er wandte seinen Schafpelz um, zog ihn verkehrt an und sprang mit einem gewaltigen Satz in den Kreis der Reigentänzer, wo er durch seine Ausgelassenheit die Zuschauer zu großem Gelächter brachte. Die Prinzessin hatte ganz richtig angenommen, dass auch der Zimmermann zum großen Volksfest kommen würde, jedoch entdeckte sie ihn erst, als er sein ausgelassenes Spiel im Ring der Reigentänzer trieb. Sie lachte bei diesem Anblick hell auf. Dem König missfiel der seltsame Kerl, der seinen Schafpelz verkehrt trug. Er wollte gerade einen Wink geben, diesen Narren zu entfernen, als er das Lachen der Prinzessin hörte. Endlich, endlich wusste er, womit er ihr eine Freude machen konnte. Sogleich sprang er ebenfalls in den Ring der Reigentänzer, und zerrte dem Zimmermann den Schafpelz vom Leib, um sich das grobe Kleidungsstück selber verkehrt überzuwerfen und zu versuchen, sich so ungebärdig wie möglich zu benehmen. Auf diesen günstigen Augenblick hatte die Prinzessin nicht vergebens gewartet. Sie befahl den Bewaffneten: „Packt diesen Schwachkopf und schafft ihn mir aus den Augen!“ Keiner wagte, sich dem Befehl der jungen Königin zu widersetzen. So geschah es dem König, dass er von seinen eigenen Leuten kurzerhand gefesselt und kopfüber in den nahen See gestoßen wurde. Die Prinzessin und der Zimmermann nützten das Drunter und Drüber aus und verschwanden vom Festplatz. Sie kehrten in die alte Heimat zurück, wo es für sie wieder ein Leben in Glück und Frieden gab.

Quelle: Märchen aus Taiwan

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