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Märchenbasar

Der Zwerg Otto und die Zwergenhexe

3.3
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Mitten im Wald, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagten, lag ein hohler Baumstumpf. In ihm wohnte der Zwerg Otto. Neben seinem Zuhause hatte er sich ein Nebengelass aus dicken Ästen gebaut, in dem sein wohlbehüteter Schatz vor fremden Augen verborgen stand.
Die Zwergenhexe Spitzhut flog eines Tages mit ihrem Besen und ihrem Kater Kasimir in diese Gegend, fand sie geeignet und richtete ihr Hexenhaus neben Ottos Zuhause in einem uralten und ebenfalls hohlen Fliegenpilz ein.
Dort kamen die beiden einige Jahre gut miteinander aus. Doch eines Tages geschah etwas Grauenvolles: Als Otto wie immer zur Arbeit in die Bergminen gehen wollte, hörte er die Hexe ein eigenartiges Lied singen. Vorsichtig schaute er in ihr Fenster. Da sah er seine Nachbarin, wie sie um einen Kessel herumsprang, in dem es blubberte und dampfte. Kleine Funken sprühten unter dem Kessel hervor und die Hexe klatschte bei ihrer schaurigen Melodie in die Hände:

„Heute koch ich einen Brei,
gebe Winzlingskraut dabei.
Stell mich morgen auf den Markt,
Menschen kaufen’s ohne Arg.
Mach aus Menschen Winzigkleinchen.
Kasimir mit flinken Beinchen,
wird sie fangen, ja und dann,
brat ich sie in meiner Pfann.
Das wird einen Festschmaus geben
und mir geben neues Leben.

Was Otto hörte und sah, konnte er kaum glauben und es machte ihm Angst. Er vergaß, dass er eigentlich zur Arbeit hätte gehen sollen. Aber das, was Spitzhut mit den Menschen vorhatte, musste er verhindern. Menschen sind zwar keine Zwerge, doch sie hatten ihm nie Böses angetan.
Sein nächster Gedanke galt seinem Freund, dem Waldgeist und Zauberer Pille. Er machte Kranke wieder gesund und verschenkte Glück. Wenn er besonders gute Laune hatte, rieselten nämlich kleine Glückskleeblätter aus seinem Haar. Fand man eines, so hatte man an diesem Tage Glück.
Otto machte sich gleich auf den Weg, um ihm vom Plan der Hexe zu erzählen. Er brauchte nicht lange suchen und fand Pille im Tannenwald beim Pilze sammeln. Nach einer kurzen, aber herzlichen Begrüßung erzählte Otto seinem Freund, was er gerade erlebt hatte.
Der Waldgeist überlegte angestrengt und erzählte auf einmal lächelnd: „Ich kenne das Winzlingskraut. Es wächst in unseren Wäldern und es gibt auch ein Gegenkraut. Schließlich ist gegen alles ein Kraut gewachsen, sagt der Volksmund. Es heißt Grünlauchblatt.“
„In welchem unserer Wälder wächst das Grünlauchblatt?“, fragte Otto staunend.
„Es wächst im dunklen Eichenwald, wo der Bär mit seiner Familie wohnt. Die Bären fressen das Kraut jeden Tag. Darum können sie auch alle Giftpilze fressen“, antwortete Pille.
„Wir werden gleich losgehen, um das Kraut zu suchen“, ordnete Otto an.

Und so machten sich der Waldgeist und der Zwerg auf den Weg in den dunklen Eichenwald. Die Sonne stand hoch, als sie dort ankamen. Am Rande des Eichenwaldes lag der Bär und schlief.
Otto rüttelte den Bär und fragte, wo denn hier das Grünlauchblatt wächst. Der Bär knurrte verdrießlich und wollte wissen, wofür er das Kraut denn überhaupt benötigte. Da erzählte Otto von der Zwergenhexe und was sie beabsichtigte.
„Hm!“, meinte der Bär und war nun hellwach. „Da müssen wir meine Frau fragen, sie besorgt das Kraut einmal in der Woche.“ Er rappelte sich auf, stapfte voran und die beiden Freunde hinter ihm her. Sie fanden die Bärenmutter mit ihren beiden Kindern unter der uralten Krüppeleiche, die ihr Zuhause war. Vater Bär erklärte, was die Besucher begehrten und auch warum.
Die Bärin hörte geduldig zu und sagte: „Das Kraut wächst neben der Höhle des bösen Wolfes. Zwerge dürfen nicht in seine Nähe kommen, die riecht er gleich und frisst sie nur allzu gern.“
„Könntest du uns vielleicht helfen?“, fragte Otto und Pille sah die Bärenmutter an, als entscheide sie mit ihrer Antwort über Leben oder Tod, was ja auch der Fall war.
„Das kann ich wohl tun. Aber wer passt inzwischen auf meine Kleinen auf?“
„Da mach dir mal keine Sorgen“, lachte Pille erleichtert, „schließlich werden wir drei mit den Rackern schon fertig werden!“
Vater Bär schaute recht verdutzt drein. Mit den kleinen Wilden spielen, das war doch eher Frauenarbeit. Er hatte vielmehr die Aufgabe über alles mögliche nachzudenken. Und dabei schlief er gewöhnlich ein – ist ja auch eine sehr anstrengende und wichtige Tätigkeit – dachte er bisher.
Grinsend sah die Bärin ihrem Gatten ins Gesicht. Schon nach ein paar Schritten hörte sie ihren Mann, die Kinder und die Besucher herzlich lachen. So konnte sie beruhigt ihren Weg fortsetzen.

Der Wolf lag in seiner Höhle. Als er jemanden kommen hörte, spitze er seine Ohren und schoss dann wie ein Pfeil auf den vermeintlichen Feind zu. Die Bärin versetzte ihm einen Schlag mit der Tatze, dass er sich vor Schmerz kugelte und mit eingezogenem Schwanz in seiner Höhle ebenso schnell verschwand, wie er rausgekommen war.
Die Bärin pflückte das Grünlauchblatt und brachte es Otto und Pille. Beide bedankten sich herzlich und machten sich sofort auf den Rückweg.
Am Baumstumpfhaus angekommen, hielten sie Ausschau nach Spitzhut, konnten sie aber nirgends entdecken.
„Was machen wir zuerst?“, fragte Otto den Waldgeist.
„Zuerst werden wir einen Sud aus dem Kraut kochen. Dann werden wir warten, bis die Hexe schläft und dann …“
Pille erklärte Otto alles haarklein und sie machten sich sofort an die Arbeit. Als der Sud abgekühlt und klar war, füllten sie ihn in eine Flasche.

Die Hexe war todmüde von der Arbeit, hatte sich früh ins Bett gelegt und träumte von vielen Winzlingen, die sie bald knusprig gebraten fressen würde. Wenn Spitzhut nicht gerade lauthals schnarchte, lachte sie so schaurig, wie es nur Hexen können. Der Vollmond ließ das alles noch schauriger erscheinen.
Wie die Hexe nun so tief und fest schlief, schlichen Otto und Pille lautlos zum Fliegenpilzhaus und öffneten vorsichtig dessen Tür. Kasimir starrte sie mit bösem Blick an. Doch auch daran hatte der Zauberer gedacht und ehe der Kater Radau machen konnte, blies er ihm Traumsand in die Augen. Im nächsten Augenblick schnurrte Kasimir zufrieden vor sich hin und die beiden Freunde sahen sich um.
Auf dem Tisch standen in Reih und Glied die Töpfchen. Flink öffnete Otto eines nach dem anderen, Pille träufelte das gebraute Gegenmittel hinein und Otto verschloss die Töpfchen wieder. Vorsichtig schlichen sie nach getaner Arbeit aus dem Hexenhaus. Spitzhut hatte nichts gemerkt.
Als sie zurück in Ottos Häuschen waren, machte der Zwerg für Pille ein Nachtlager. Er sollte die Nacht bei ihm schlafen, damit sie in aller Frühe auf den Markt konnten.

Der Morgen war angebrochen und Pille wachte als Ester auf. Da sah er die Hexe, die sich bereits als Marktfrau verzaubert hatte. Mit einer Kiepe auf dem Rücken schwang sie sich auf ihren Besen und flog in Richtung Stadt.
Otto war zwischenzeitlich auch wach und zog sich blitzschnell an.
„Wie sollen wir nur schnell zum Markt kommen? Ich möchte doch zu gern den dümmlichen Gesichtsausdruck von Spitzhut miterleben!“, lachte Pille.
„Ich hab da was!“, grinste Otto und holte seinen wohlbehüteten Schatz aus dem Nebengelass. Es war eine Kutsche, die keine Pferde brauchte.
„Eine Zauberkutsche!“, rief Pille begeistert aus und flugs ging es durch die Luft in Richtung Stadtmarkt. Neben der prunkvollen Kirche ließen sie die Kutsche stehen. Welcher Mensch sollte auch eine winzige Kutsche ohne Pferde stehlen?
Auf dem Markt war das Tagesgeschäft schon in vollem Gange. Hans im Glück lief mit einer Gans über den Markt und einige Menschen hinterher. Jeder hätte ihn gern übertölpelt. Er war ja nun einmal wirklich nicht der hellste im Kopf.
Ein alter Bauer verkaufte neben einer Viehtränke seine Kuh und ein anderer Bauer pries Kartoffeln an.
Am Rande des Marktes saß die Hexe in Gestalt einer Marktfrau und verkaufte ihre Töpfchen mit Brei. Viele Besucher des Marktes kauften ihn, setzten sich auf Bänke, die überall umher standen und aßen den Brei als kleine Leckerei nebenbei.
Die Hexe gierte schon im Innern nach Winzlingen und wunderte sich, dass die Menschen sich nicht verwandelten. Nicht weit von ihr beobachteten Otto und Pille Spitzhut und amüsierten sich über sie. Da ahnte die Hexe, was die beiden getan hatten. Vor Wut warf sie ihren Stand um. Es gab einen lauten Knall und die Marktfrau verwandelte sich zurück in die Zwergenhexe. Sie tanzte dreimal im Kreis, ihr Gesicht wurde dabei dunkelgrün vor Ärger, schwang sich auf ihren Besen und verschwand in Windeseile zurück in den Wald.

Als Pille und Otto nach Hause kamen, sahen sie, wie die Hexe ihren Hexenbesen voll mit Sachen bepackt hatte und mit ihrem Kater auf der Schulter, dem Spitzhut auf dem Kopf, auf und davon flog, ohne die Zwerge noch einmal eines Blickes zu würdigen. Seither hat man sie nie wieder im Zwergenwald gesehen.
Der Waldgeist und der Zwerg machten es sich vor dem Baumstumpf gemütlich und tranken voller Genuss und siegesbewusst eine Flasche von Ottos selbstgemachtem Hagebuttenwein.

Quelle: Friedrich Buchmann

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