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Märchenbasar

Die arme alte Frau und der Fisch auf dem Trocknen

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Es war einmal eine alte, bedürftige Frau, die lebte in großer Not, und ihre Kleider waren so zerrissen und zerlumpt, daß sie kaum ihre Blöße deckten. Nur einmal konnte sie am Tage essen und trinken. Und häufig genug geschah es, daß sie nichts mehr übrig behielt. So mußte sie oft ein und zwei Tage lang hungern und konnte nur Wasser trinken. Sie war schon längst nicht mehr imstande, sich an der Reisernte zu beteiligen. Außerdem sah man es nicht gern, denn sie war alt und konnte nicht mehr so geschwind arbeiten.
So lebte sie allein von dem, was sie auf den Feldern oder in den Bambusgärten sammeln konnte. Und was sie so bekam, tauschte sie bei ihren Nachbarn gegen rohen und gekochten und in der Sonne getrockneten Reis um.
Ihr Haus war nur ein dürftiger Windschirm, der gegen das Haus ihres Nachbarn gelehnt war. Durch das Dach und die Wände sickerte das Wasser hindurch, denn niemand wollte ihr beim Ausbessern helfen, und sie hatte niemand, der ihr helfen konnte, keine Familie, keine Kinder, keine Enkel. Sie lebte ganz einsam und verlassen für sich allein.
Obschon die Frau nun schon so alt und grau geworden war, wußte sie noch immer nichts von Allah, sie tat nicht nach seinen Gesetzen, verehrte ihn nicht, und meinte, Himmel und Erde wären von selber entstanden.
Einst hatte sie wieder einmal zwei Tage nichts zu essen gehabt, hatte auch nichts, was sie gegen Reis umtauschen konnte. Da saß sie traurig unter ihrem Windschirm und seufzte: »O, wie unglücklich ist doch mein Geschick! Jetzt werde ich vor Hunger sterben.« Noch einmal wollte sie es versuchen, sich ins Freie zu schleppen, um etliche Blätter und Kräuter zu finden, mit denen sie ihren Heißhunger befriedigen konnte. Sie begab sich nach einem Grasfeld, das vor kurzem abgebrannt worden war und welches unweit des Meeres lag. Auf der einen Seite war ein schroffer Bergabhang, auf der andern eine tiefe Schlucht.
Wie sie da ankam, bemerkte die Alte eine Menge Fische, welche aus dem Gießbach in der Schlucht nach dem Meere schwimmen wollten. Die starke Sommerhitze hatte den Bach ziemlich ausgetrocknet; die Fische blieben daher z.T. im Schlamme stecken und konnten nicht weiter. Wenn sie aufs Trockne gerieten, mußten sie unbedingt sterben.
Als die Alte dies sah, wurde sie fröhlich und guten Mutes und sagte: »O, wie freue ich mich, wie freue ich mich! Ist das aber ein Fund! Die vielen Fische kann ich ja selber essen und z.T. gegen Reis eintauschen.« Sie erstaunte aber noch mehr, als sie einen Fisch sah, der größer als alle andern war und diesen voranschwamm. Das mußte der König sein. Reden konnte er auch, denn er sagte: »Allah, o Allah! Wir flehen dich um Regen an, bitte, sende uns Regen!« Dabei sah er gen Himmel. Die Alte wurde neugierig, als sie den Fisch so reden hörte; sie wollte wissen, was wohl geschehen würde. Und nach einer halben Stunde setzte auch richtig ein gewaltiger Platzregen ein, der in wenigen Augenblicken den Bach in der Schlucht mit Wasser füllte. Nun konnten die Fische fortschwimmen. Sie taten dies möglichst schnell. Der Alten fror aber im kalten Wasser; sie mußte mit leeren Händen nach Hause heimgehen. Da dachte sie über das sonderbare Ereignis nach und sagte sich: »Ich möchte es auch einmal versuchen und zu dem flehen, der Allah heißt, vielleicht gewährt er mir meine Bitte. Ich muß jedoch wohl etwas anders sprechen als der Fisch, denn ich möchte Geld haben.«
Gesagt, getan. Sie kniete nieder, hob die Augen gen Himmel und sagte, den Fisch nachahmend: »Allah, o Allah! Ich flehe dich um Geld an, bitte, sende mir Geld!«
Das tat sie täglich, sie glaubte, damit ihr Gebet an Allah zu stärken. Und auf andere Dinge achtete sie nicht mehr.
Der Mann, gegen dessen Haus ihr Windschirm gelehnt war, erboste sich darüber. Es verdroß ihn ungemein und langweilte ihn in hohem Maße, alle Tage fortwährend, ohne Unterlaß, dieselben Worte murmeln zu hören. So fuhr er sie grob an und sagte wütend: »Höre doch endlich damit auf, es ist mir im höchsten Maße zuwider, schau, daß du etwas anderes tust. Allah wird schwerlich zu dir kommen und dir Geld schenken. Du tätest besser und gingest in den Wald, holtest dir Brennholz, Blätter und Kräuter, davon hast du mehr Vorteil. Willst du jedoch nicht auf meine Mahnung hören, dann packe dich fort und kleistere deinen elenden Schirm an eine andere Behausung.«
Die Alte nahm sich diese Reden nicht zu Herzen; sie blieb dabei, Allah um Geld zu bitten.
Nach fünf Tagen wurde ihr Nachbar über ihren Starrsinn und Ungehorsam dermaßen böse, daß er ihr nun einen derben Schabernack spielen wollte.
Er sammelte Topfscherben, Abfall, Dreck, Schmutz usw., stampfte es fein zusammen und tat alles in einen Sack. Den wollte er dann auf die Alte herabfallen lassen. Sie mochte wohl glauben, daß Allah ihr Geld sende. Der Sack würde ihr auf den Rücken fallen und dann würde ihr das Vergnügen, weiter zu beten, wohl gründlich verdorben werden.
Als nun die Alte schlief, schleppte der Mann den Sack auf das Dach seines Hauses und warf ihn von dort herunter, genau auf ihren Rücken. Vor Schmerz und Schrecken fiel das arme, alte Mütterchen in Ohnmacht.
Als sie sich wieder erholt hatte und den Sack da liegen sah, freute sie sich herzlich und dachte, Allah hätte ihn ihr gesandt und mit Geld gefüllt. Der Hausherr belauschte sie und lachte, als er merkte, wie sie vor Freude unter ihrem Schirme hin und her torkelte. Er freute sich schon im voraus, was für ein enttäuschtes Gesicht sie machen, wie sie sich schämen würde, wenn sie erst wußte, daß im Sacke nur Scherben, Schmutz und Dreck war.
Die Frau betete aber den Sack wie eine rechte Gabe Allahs an und sprach: »Allah, ich danke dir! O, welch eine Menge Geld hast du mir geschenkt! Hast du denn selber noch etwas behalten?«
Sie öffnete darauf den Sack, und sieh‘ da! Allah der Erhabene, sein Name sei gelobt!, hatte alle Scherben und das andere durch seinen Willen in Geld verwandelt! In Gold und Silber! Und alles in gemünztem Gelde!
Am andern Tage besuchten sie die Nachbarn und Nachbarinnen. Sie waren baß erstaunt, daß die Alte über Nacht so reich geworden war, und nur durch einen Schabernack! Sogar ein Abgesandter des Fürsten suchte sie auf, ließ sich ihre wundersame Geschichte erzählen und berichtete sie dann wieder in der Hauptstadt, von Anfang bis zu Ende.
Nun hielt man es für ratsam, daß die Alte nicht mehr in dem Dorfe wohnen blieb, denn wie leicht hätte jemand ihr das Geld stehlen können! So kaufte man ein Haus für sie und richtete es mit allem ein, was darein gehörte.
Mit einem Male war die über Nacht so reich gewordene Alte bei allen beliebt und von allen geliebt, blieb sie doch bescheiden und war stets freundlich gegen jedermann. Sie bekam viele Freunde, denn sie half den Armen und Bedrängten. Gedachte sie doch stets der Zeit, wo sie selber arm und bedürftig gewesen war, und niemand sie haben wollte.
Ihr Nachbar aber, der den Sack mit Scherben auf sie hatte herunterfallen lassen, wurde von einer gewaltigen Begierde nach dem Gelde ergriffen, nachdem er gesehen hatte, wie die Alte reich geworden war. Er wollte es ebenso machen. Er begab sich also zur Alten und wollte sie überreden, sie möchte ihm doch einen solchen Sack mit Scherben füllen und auf ihn herabfallen lassen. Er sagte: »Mütterchen, eigentlich ist ja all‘ das viele Geld aus den Scherben entstanden, die ich in den Sack tat, um dich zu foppen, denn ich ärgerte mich, daß du alltäglich Allah, sein Name sei gepriesen!, um Geld anflehtest. Die Scherben sind ja aus reinem Zufall zu Geld geworden. Fülle daher bitte einen Sack mit solchen Scherben und wirf ihn auf mich. Die verwandeln sich dann gewiß auch in Geld. Du mußt mich aber mit zwei Säcken werfen, damit ich noch reicher werde als du!«
Die Alte antwortete: »Sehr gut, sehr schön! Gehe nur heim und bete, wie ich es früher getan habe.«
Der Mann ging nach Hause und betete, genau so, wie die Frau es ihm gesagt hatte: »Allah, o Allah! Ich flehe dich um Geld an, bitte, sende mir Geld!«
Dabei dachte er nur, wie reich, wie vornehm er werden würde, welch‘ hohen Rang er bekommen könnte, wenn er von Allah nun die zwei Säcke mit Geld erhielte.
Nach fünf Tagen besuchte ihn die Alte und fand ihn noch beim Beten. Sie hatte zwei Säcke mit fein zerstoßenen Topfscherben bei sich, die ließ er aufs Dach bringen, und sie warf dieselben dann von dort aus dem Manne auf den Rücken.
Er fiel hin in Ohnmacht, und als er erwachte, fühlte er, daß ihm eine Rippe gebrochen war. Da ließ er schnell seine Frau herbeirufen und Weihrauch bringen. Dann wurde der Sack beräuchert, und als das geschehen war, beteten sie ihn an: »Allah, o Allah, ich danke dir! Welch‘ Menge Geld hast du mir nun geschenkt! Hast du denn selber noch etwas übrig behalten?«
Darauf öffnete er den Sack, aber …… darin lagen noch die feingestampften Topfscherben und hatten sich nicht in Geld verwandelt.
Vor Wut und Ärger geriet der Mann ganz außer sich; er heulte und jammerte ob dieser Enttäuschung. Zuletzt schalt er auf Allah: »Also, Allah, so erwählst du dir deine Lieblinge? So schenkst du ihnen Geld? Warum gehöre ich denn nicht dazu? Oder gibt’s heute einen anderen Allah? Ist der alte Allah nicht mehr? Der verstand aus Scherben Geld zu machen, aber du kannst es nicht.«
Da wurde der Lästerer schwer krank und litt viel Schmerz und Pein. Viele Ärzte behandelten ihn; als er durch Allahs Gnade endlich genas, blieb er doch ein Krüppel. Sein Rücken blieb krumm, so daß er nicht mehr wie früher arbeiten und seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Er wurde arm und ärmer, ganz wie früher die alte Frau. Ihr Elend war bei ihm eingezogen.

[Paul Hambruch, Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde, Märchen der Welt]

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