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Die aus dem Ei entsprossene Königstochter

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Einmal lebte ein König, dessen Gemahlin keine Kinder hatte, was Beide sehr bekümmerte, besonders wenn sie sahen, wie niedriger stehende Menschen in dieser Hinsicht viel reicher waren als sie selber. Trauriger als gewöhnlich war die Königin immer, wenn der König einmal nicht zu Hause war; dann saß sie fast immer im Garten unter einer breiten Linde, senkte den Kopf und hatte die Augen voll Thränen. Da saß sie auch wieder eines Tages, als der König auf einige Wochen verreist war, um die Kriegsmacht zu besichtigen, welche an der Grenze des Reiches stand, einen drohenden feindlichen Einbruch abzuwehren. Der Königin war das Herz so beklommen, als stehe ihr ein unerwartetes Unglück bevor, und ihre Augen füllten sich mit bitteren Thränen. Als sie das Antlitz emporhob, sah sie ein altes Mütterchen, welches auf Krücken einher hinkte, sich an der Quelle bückte, um zu trinken, und nachdem sie ihren Durst gestillt hatte, gerade auf die Linde zu humpelte, wo die Königin weilte. Das Mütterchen neigte ihr Haupt und sagte: »Nehmt es nicht übel, geehrtes hohes Frauchen, daß ich es wage, vor euch zu erscheinen, und fürchtet euch nicht vor mir, denn es wäre leicht möglich, daß ich zur guten Stunde gekommen bin und euch Glück bringe.« Die Königin betrachtete sie zweifelhaft und antwortete: »Du selber scheinst mir an Glück keinen Ueberfluß zu haben, was kannst du Andern davon gewähren?« Die Alte ließ sich aber nicht irre machen, sondern sagte: »Unter rauher Schale steckt oft glattes Holz und süßer Kern. Zeiget mir eure Hand, damit ich erfahre, wie es mit euch werden wird.« Die Königin streckte ihr die Hand hin, damit die Alte darin lesen könne. Als diese die Linien und Striche eine Weile genau betrachtet hatte, ließ sie sich folgendermaßen vernehmen: »Euer Herz ist jetzt mit zwei Sorgen beladen, einer alten und einer neuen. Die neue Sorge, die euch quält, ist die um euren Gemahl, der jetzt weit von euch ist; – aber glaubet meinem Worte, er ist gesund und munter und wird binnen zwei Wochen zurück kommen und euch frohe Zeitung bringen. Eure alte Sorge aber, welche eurer Hand tiefere Striche eingedrückt hat, rührt daher, daß Gott euch keine Leibesfrucht geschenkt hat!« Die Königin erröthete und wollte ihre Hand aus der Hand der Alten losmachen, aber die Alte bat: »Habt noch ein wenig Geduld, so bringen wir Alles auf einmal in’s Reine.« Die Königin fragte: »Sage mir, Mütterchen, wer du bist, daß du mir aus der Handfläche meine Herzensgedanken kund thun kannst?« Die Alte erwiederte: »Um meinen Namen ist es hier nicht zu thun, und ebenso wenig darum, welche Kraft mir eures Herzens geheime Wünsche kund macht; ich freue mich nur, daß es mir vergönnt ist, euch auf die rechte Bahn zu bringen, und eures Herzens Kummer zu mindern. Durch Zaubermacht ist euer Leib verschlossen, so daß ihr nicht eher Kinder zur Welt bringen könnt, bis die Bänder des Verschlusses gelöst sind, und die natürliche Beschaffenheit wieder hergestellt ist. Ich kann dies bewirken, jedoch nur dann, wenn ihr Alles befolgt, was ich euch sagen werde.« »Alles will ich ja gern thun, und dich auch für deine Mühe königlich belohnen, wenn du deine Versprechungen wahr machst,« sagte die Königin. – Die Alte stand eine Zeitlang in Gedanken und fuhr dann fort: »Heute über’s Jahr sollt ihr sehen, daß meine Prophezeiungen eintreffen.« Mit diesen Worten zog sie ein in viele Lappen gewickeltes Bündel aus dem Busen, und als die Lappen abgenommen waren, kam ein kleines Körbchen von Birkenrinde zum Vorschein; sie gab es der Königin und sagte: »In dem Körbchen findet ihr ein Vogelei;1 dieses brütet drei Monate in eurem Schooße aus, bis ein lebendiges Püppchen herauskommt, das einem menschlichen Kinde gleicht. Das Püppchen legt in einen Wollkorb, und lasset es so lange wachsen, bis es die Größe eines neugeborenen Kindes hat; Speise oder Trank braucht es nicht, das Körbchen aber muß immer an einem warmen Orte stehen. Neun Monate nach der Geburt des Püppchens werdet ihr einen Sohn zur Welt bringen. An demselben Tage hat auch das Püppchen die Größe eines neugeborenen Kindes erreicht, nehmet es dann heraus, leget es neben den neugeborenen Sohn in’s Bette und lasset dem Könige melden, daß Gott euch Zwillinge geschenkt habe, einen Sohn und eine Tochter. Den Sohn säuget an eurer Brust, für die Tochter aber müßt ihr eine Amme nehmen. An dem Tage, wo beide Kinder zur Taufe gebracht werden, bittet mich, bei der Tochter Pathenstelle zu vertreten. Das macht ihr so: Auf dem Boden des Körbchens findet ihr unter der Wolle einen Flederwisch, den blaset zum Fenster hinaus, dann erhalte ich augenblicklich die Botschaft und komme, bei eurem Töchterchen Gevatter zu stehen. Von dem, was euch jetzt begegnet ist, dürft ihr Niemanden etwas sagen.« Ehe noch die Königin ein Wort erwiedern konnte, eilte die hinkende Alte davon, und nachdem sie zehn Schritte gemacht hatte, war von einer Alten keine Spur mehr, sondern statt derselben schritt ein junges Weib in aufrechter Haltung so rasch dahin, daß sie mehr zu fliegen als zu gehen schien. Die Königin aber konnte sich von ihrer Verwunderung noch nicht erholen, und würde Alles für einen Traum gehalten haben, wenn nicht das Körbchen in ihrer Hand bezeugt hätte, daß die Sache wirklich vorgefallen war. Sie fühlte ihr Herz mit einem Male wunderbar erleichtert. Sie trat in ihr Gemach, wickelte das Körbchen, in welchem ein kleines Ei in feiner Wolle lag, in seidene Tücher und steckte es in ihren Busen, wie das Mütterchen vorgeschrieben hatte. Auch alles Uebrige gelobte sie sich zu erfüllen und das Geheimniß zu bewahren.
Gerade als der letzte Tag der zweiten Woche nach dem Besuche der Alten zu Ende ging, kehrte der König zurück und rief schon von fern der Frau die frohe Nachricht zu: »Mein Heer hat einen vollständigen Sieg davon getragen und den Feind mit blutigen Köpfen heimgeschickt, so daß unsere Unterthanen für’s erste Ruhe haben werden.« So war die erste Prophezeiung der Alten vollständig eingetroffen, und dadurch befestigte sich im Herzen der Königin die Hoffnung, daß auch die übrigen Prophezeiungen in Erfüllung gehen würden. Sie hütete das Körbchen mit dem Ei in ihrem Busen wie ein Kleinod, und ließ ein goldenes Kästchen machen, in welches sie das Körbchen legte, damit das Eichen nicht etwa beschädigt würde. Nach drei Monaten schlüpfte aus dem Ei ein lebendiges Püppchen von halber Fingerlänge, welches der Vorschrift gemäß in den Wollkorb gelegt wurde, um zu wachsen. So war auch die zweite Prophezeiung wahr geworden, und die Königin harrte nun mit Spannung der Zeit, wo ihr Herz zum ersten Male Mutterfreuden schmecken sollte. Und in der That brachte sie nach Jahresfrist ein Söhnlein zur Welt, wie das alte Mütterchen vorhergesagt hatte. Da nahm sie das Mägdlein aus dem Wollkasten, legte es neben den Sohn in die Wiege, und ließ dem Könige sagen, daß sie Zwillinge geboren habe, einen Sohn und eine Tochter. Die Freude des Königs und seiner Unterthanen kannte keine Grenzen. – Alle glaubten fest daran, daß die Königin mit Zwillingen niedergekommen sei. An dem Tage, wo die Kinder getauft werden sollten, öffnete die Königin ein wenig das Fenster und ließ den Flederwisch fliegen, um die Taufmutter für die Tochter herbeizuschaffen, denn sie war überzeugt, die Gevatterin würde zur rechten Zeit da sein. Als die eingeladenen Taufgäste schon alle beisammen waren, fuhr eine prächtige Kutsche mit sechs dotterfarbigen Rossen vor, und aus der Kutsche stieg eine junge Frau in rosenrothen goldgestickten seidenen Gewändern, die einen Glanz verbreiteten, der mit dem Glanze der Sonne wetteiferte; das Antlitz hatte sie mit einem feinen Schleier verhüllt. Als sie eintrat, nahm sie den Schleier ab, und Alle mußten staunend bekennen, daß sie in ihrem Leben noch keine schönere Jungfrau gesehen hätten. Die schöne Jungfrau nahm nun das Töchterchen auf ihre Arme und trug es zur Taufe, in welcher dem Kinde der Name Dotterine beigelegt wurde, was freilich Niemanden verständlich war, als der Königin, da ja das Kind wie ein Vogeljunges aus einem Eidotter geboren war. Taufvater des Sohnes war ein vornehmer Herr, und das Knäblein erhielt den Namen Willem. Nach vollzogener Taufe ließ sich die Taufmutter von der Königin das Körbchen mit den Eierschalen geben, legte das Kind in die Wiege und sagte heimlich zur Königin: »So lange die Kleine in der Wiege schläft, muß das Körbchen neben ihr liegen, damit ihr nichts Uebles zustoßen kann, denn in dem Körbchen ruht ihr Glück. Darum hütet diesen Schatz wie euren Augapfel, und schärfet auch eurem Töchterchen, wenn es anfängt zu begreifen, ein, daß es dieses unscheinbare Ding sorgfältig in Acht nehmen muß.« Sie sprach dann noch Manches mit der Mutter über die Erziehung ihrer Pathe, küßte diese drei Mal, nahm Abschied, stieg in die Kutsche und fuhr davon. Niemand wußte, woher sie gekommen war und wohin sie ging; auch die Königin gab auf Befragen keinen weiteren Bescheid als: es ist eine mir bekannte Königstochter aus fernem Lande.
Die Kinder gediehen fröhlich, Willem bei der Muttermilch und Dotterine an der Brust der Amme. Diese liebte das Mägdlein so zärtlich, als wäre es ihr leibliches Kind gewesen, und die Königin behielt sie deßhalb nach der Entwöhnung als Kinderwärterin. Die kleine Dotterine wurde von Tage zu Tage hübscher, so daß die älteren Leute meinten, sie würde einmal ihrer Taufmutter ähnlich werden. Die Amme hatte zuweilen bemerkt, daß in der Nacht, wenn Alles schlief, eine fremde schöne Frau erschien, um den Säugling zu betrachten; als sie dies der Königin entdeckte, schärfte ihr diese ein, gegen Niemanden von dem nächtlichen Gaste etwas verlauten zu lassen. Als die Zwillinge zwei Jahr alt waren, wurde die Königin plötzlich schwer krank; zwar wurden Aerzte von nah und fern herbeigerufen, aber sie konnten nicht helfen, denn für den Tod ist kein Kraut gewachsen. Die Königin fühlte selbst, daß sie von Stunde zu Stunde dem Grabe immer näher kam, und ließ deßhalb die Wärterin und vormalige Amme der Dotterine rufen. Ihr, als der treuesten ihrer Dienerinnen, übergab sie das Glückskörbchen mit den Eierschalen und schärfte ihr ein, das verwunderliche Ding sorgfältig in Acht zu nehmen. »Wenn mein Töchterchen,« so sagte die Königin, »zehn Jahr alt ist, dann händige ihr das Kleinod ein, und ermahne sie, es zu hüten, weil es das Glück ihrer Zukunft birgt. Um meinen Sohn sorge ich nicht, ihn, als des Reiches Erben, wird der König unter seine Obhut nehmen.« Die Wärterin mußte ihr dann eidlich versprechen, das Geheimniß vor Jedermann zu bewahren. Darauf ließ sie den König an ihr Bett rufen und bat ihn, er möge die gewesene Amme Dotterinen’s ihr als Wärterin und Dienerin lassen, so lange als Dotterine es wünschen würde. Der König versprach es; noch denselben Abend gab seine Gemahlin ihren Geist auf.
Nach einigen Jahren freite der verwittwete König wieder, und brachte eine junge Frau in’s Haus, die sich aus dem gealterten Gemahl nichts machte, sondern ihn nur aus Ehrgeiz genommen hatte. Die Kinder der ersten Frau konnte sie nicht vor Augen sehen, weßhalb der König sie an einem abgesonderten Orte aufziehen ließ, wo Dotterinen’s frühere Amme mütterlich für sie sorgte. Kamen die Kinder einmal zufällig der Stiefmutter zu Gesicht, so stieß sie dieselben wie junge Hunde mit dem Fuße fort, so daß die Kinder sie scheuten wie das Feuer. Als Dotterine das Alter von zehn Jahren erreicht hatte, händigte ihr die Amme das Pathengeschenk ein, und ermahnte sie, dasselbe wohl in Acht zu nehmen. Da das Geschenk aber dem Kinde so gar unansehnlich vorkam, so gab es nicht viel darauf, legte es zu den übrigen von der Mutter geerbten Sachen in den Kasten, und dachte nicht weiter daran. Darüber waren wieder ein Paar Jahre hingegangen, als eines Tages, da der König sich entfernt hatte, die Stiefmutter Dotterine im Garten unter einer Linde sitzen fand: wie ein Habicht fuhr sie auf das Kind los, riß es an den Ohren und schlug es, daß Blut aus Mund und Nase floß. Weinend lief das Mädchen in ihr Gemach, und als sie die Amme dort nicht fand, fiel ihr mit einem Male das Pathengeschenk ein. Sie nahm es aus dem Kasten und wollte nun zu ihrer Zerstreuung sehen, was denn wohl darin wäre. Aber sie fand im Körbchen keinen größeren Schatz als eine Handvoll feine Schafwolle und ein paar leere Eierschalen. Unter der Wolle auf dem Grunde des Körbchens lag ein Flederwisch. Als nun das Mädchen am geöffneten Fenster die werthlosen Sachen betrachtete, verursachte es einen Luftzug, der den Flederwisch fort blies. Augenblicklich stand eine fremde schöne Frau neben Dotterinen, streichelte ihr Kopf und Wangen und sagte freundlich: »Fürchte dich nicht, liebes Kind, ich bin deine Taufmutter, und bin hergekommen, dich zu sehen. Deine vom Weinen angeschwollenen Augen sagen mir, daß du traurig bist. Ich weiß, daß das Leben, welches du unter dem Joche deiner Stiefmutter führst, nicht leicht ist, allein halte aus und bleibe brav in allen Anfechtungen, dann werden einst bessere Tage für dich anbrechen. Wenn du erwachsen bist, hat deine Stiefmutter keine Gewalt mehr über dich, und eben so wenig können andere böse Menschen dir schaden, wenn du dein Körbchen nicht verloren gehen lässest; auch die Eierschalen darfst du nicht abhanden kommen lassen, zu rechter Zeit werden sie sich wieder zu einem Eichen zusammenfügen, und dann wird dein Glück erblühen. Nähe dir ein seidenes Säckchen, stecke das Körbchen hinein und verwahre es Tag und Nacht im Busen, so können dir weder deine Stiefmutter noch andere Menschen etwas Böses anhaben. Sollte dir aber irgend etwas zustoßen, wobei du ohne meinen Rath nicht durchkommen zu können glaubst, so nimm den Flederwisch aus dem Körbchen und blase ihn in’s Freie; dann werde ich augenblicklich da sein, dir zu helfen. Komm jetzt in den Garten, da können wir uns unter der Linde weiter unterhalten, ohne daß ein Anderer es hört.« Unter der Linde setzten sie sich auf eine Rasenbank und die Taufmutter wußte der Kleinen durch anmuthiges Gespräch die Zeit so gut zu verkürzen, daß sie nicht merkte, wie die Sonne schon längst untergegangen war und die Nacht hereinbrach. Da sagte die Taufmutter: »Reiche mir das Körbchen, ich will etwas Abendbrot besorgen, damit du nicht mit leerem Magen schlafen zu gehen brauchst.« Sie sprach dann heimliche Worte über das Körbchen, worauf ein Tisch mit wohlschmeckenden Speisen aus dem Boden stieg. Beide aßen sich satt, dann begleitete die Taufmutter Dotterinen wieder zum Hause des Königs, und lehrte ihr während dieses Ganges die geheimen Worte, welche sie dem Körbchen zuflüstern müsse, wenn sie etwas zu begehren hätte. Seltsam war es, daß von da an die Stiefmutter ihrer Stieftochter kein böses Wort mehr gab, sondern fast immer freundlich gegen sie war.
Nach einigen Jahren war Dotterine zur reifen Jungfrau herangewachsen, und ihre Schönheit und Wohlgestalt war so blendend, daß man glaubte, es gebe ihres Gleichen nicht auf der Welt. Da brach ein schwerer Krieg aus, der von Tag zu Tage schlimmer wurde, bis zuletzt der Feind vor die Königsstadt zog und sie mit Heeresmacht einschloß, so daß keine Seele heraus noch herein kommen konnte. Der Hunger begann die Einwohner zu quälen, und auch in des Königs Hause drohte binnen wenigen Tagen der Mundvorrath auszugehen. – Da ließ Dotterine eines Tages ihren Flederwisch fliegen, und siehe da! augenblicklich war die Taufmutter bei ihr. Als die Königstochter ihr die Noth und das Elend geklagt hatte, sagte die Taufmutter: »Dich, liebes Kind, kann ich wohl aus dieser Gefahr erretten, für die Andern aber reicht meine Hülfe nicht aus, sie müssen selber sehen, wie sie durchkommen.« Darauf nahm sie Dotterinen bei der Hand und führte sie aus der Stadt mitten durch das Heer der Feinde, deren Augen sie so verblendet hatte, daß Niemand die Flüchtlinge sehen konnte. Am folgenden Tage fiel die Stadt in die Hand der Feinde, und der König mit seinem ganzen Hause wurde gefangen genommen, sein Sohn Willem aber war glücklich entronnen. Die Königin hatte durch einen feindlichen Speer den Tod gefunden. Für Dotterine hatte die Taufmutter Bauernkleider besorgt, und ihr Antlitz so verändert, daß Niemand sie erkennen konnte. »Wenn einst wieder eine bessere Zeit kommt,« sagte die Taufmutter, »und du dich sehnst, in deiner früheren Gestalt vor die Leute zu treten, dann flüstere dem Körbchen die geheimen Worte zu und gebiete ihm, dich in deine eigene Gestalt zurück zu verwandeln; und es wird so geschehen. Jetzt ertrage eine Zeitlang geduldig schwere Tage, bis die Lage sich bessert.« Scheidend ermahnte sie noch das Mädchen, das Körbchen gut in Acht zu nehmen, und entfernte sich dann. Dotterine wanderte mehrere Tage von einem Orte zum andern umher, da aber der Feind die ganze Umgegend verwüstet hatte, so fand sie anfangs weder Obdach noch Dienst. Zwar bot ihr das Körbchen ihre tägliche Nahrung, aber sie wollte doch nicht so auf eigene Hand weiter leben, und nahm deßhalb mit Freuden einen Dienst als Magd in einem Bauerhofe an, wo sie so lange zu bleiben gedachte, bis die Dinge sich wenden würden. Anfangs wurde die ungewohnte grobe Arbeit Dotterinen sehr schwer, weil sie sich eben noch niemals damit abgegeben hatte. Aber war es nun, daß ihre Gliedmaßen sich wirklich so schnell abhärteten, oder daß das Wunderkörbchen ihr heimlich half – nach drei Tagen ging ihr Alles so gut von der Hand, als wäre sie von Kindesbeinen an dabei aufgewachsen. An ihr wurde das alte Wort zu Schanden, welches sagt: »Man kann wohl aus einem Bauern eine Herrschaft, aber aus einer Herrschaft keinen Bauern machen.« Da traf es sich, daß eines Tages eine Edelfrau durch’s Dorf fuhr, als Dotterine gerade auf dem Hofe Holzgefäße scheuerte. Des Mädchens flinkes Thun und anmuthiges Wesen fesselte die Frau; sie ließ halten, rief das Mädchen heran und fragte: »Hast du nicht Lust bei mir auf dem Gute in Dienst zu tresen?« »Gern,« antwortete die Königstochter, »wenn meine jetzige Brotherrschaft mir Erlaubniß giebt.« Die Frau versprach die Sache mit dem Wirthe in Ordnung zu bringen, ließ das Mädchen den Sitz hinter der Kutsche einnehmen und fuhr mit ihr auf’s Gut. Hier hatte es Dotterine wieder leichter, denn ihre ganze Arbeit bestand darin, die Zimmer aufzuräumen und der Frau und den Fräulein beim Ankleiden behülflich zu sein. Nach einem halben Jahre kam die fröhliche Kunde, daß des alten Königs Sohn, der den Feinden glücklich entkommen war, in der Fremde ein Heer gesammelt, mit welchem er sein Königreich dem Feinde wieder abgenommen habe, und daß er nun selber zum Könige erhoben worden sei. Die Freudenbotschaft war aber zugleich von einer Todesbotschaft begleitet: der alte König war im Gefängniß gestorben. Da nun Dotterine Anderen ihren Kummer nicht zeigen durfte, so weinte sie heimlich bittere Thränen über ihres Vaters Tod, denn ein anderer als ihr Vater konnte ja doch der verstorbene König nicht sein.
Nach Ablauf des Trauerjahres ließ der junge König verkünden, daß er entschlossen sei, sich zu vermählen. Es wurden deßwegen von nah und fern alle Jungfrauen vornehmer Herkunft zu einem Feste in das Haus des Königs geladen, damit derselbe sich aus ihrer Mitte eine junge Frau wählen könne, wie Auge und Herz sie begehrten. Auch die Töchter der Dame, bei welcher Dotterine diente, und die alle drei jung und blühend waren, rüsteten sich zum Feste. Dotterine hatte jetzt einige Wochen vom Morgen bis zum Abend vollauf mit dem Putze der Fräulein zu thun. In dieser Zeit träumte ihr jede Nacht, ihre Taufmutter käme an ihr Bett und sagte: »Schmücke erst deine Fräulein zum Feste, und dann folge selber nach. Keine kann dort so schmuck und so schön sein wie du!« Je näher der Tag des Festes heranrückte, desto unruhiger wurde Dotterinen zu Muthe, und als die Frau mit ihren Töchtern davon gefahren war, warf sie sich mit dem Gesicht auf’s Bett und vergoß bittere Thränen. Da war’s, als ob ihr eine Stimme zurief: »Nimm dein Körbchen zur Hand, dann wirst du Alles finden, was du brauchst.« Dotterine sprang auf, nahm das Körbchen aus dem Busen, sprach darüber die geheimen Worte, welche sie gelernt hatte, und siehe das Wunder! augenblicklich lagen prachtvolle goldgewirkte Gewänder auf dem Bette. Als sie sich dann das Gesicht wusch, erhielt sie ihr früheres Ansehen wieder, und als sie die prächtigen Kleider angelegt hatte, und dann vor den Spiegel trat, erschrack sie selber über ihre Schönheit. Als sie die Treppe hinunter kam, fand sie vor der Thür eine stattliche Kutsche mit vier dotterfarbigen Pferden bespannt. Sie setzte sich ein und fuhr mit Windesschnelle fort, so daß sie in weniger als einer Stunde vor der Pforte des Königshauses angelangt war. Als sie eben aussteigen wollte, fand sie zu ihrem Schrecken, daß sie beim raschen Ankleiden das Glückskörbchen zu Hause vergessen hatte. Was jetzt beginnen? Schon entschloß sie sich zurückzufahren, als eine kleine Schwalbe mit dem Körbchen im Schnabel an’s Kutschfenster geflogen kam. Erfreut nahm ihr Dotterine das Körbchen aus dem Schnabel, steckte es in den Busen und hüpfte leicht wie ein Eichhörnchen die Treppe hinauf.
Im Festgemach funkelte Alles von Pracht und Schönheit, die vornehmen Fräulein hatten ihren kostbarsten Schmuck angelegt, jede in der Hoffnung, daß des jungen Königs Auge auf sie fallen würde. Als aber plötzlich die Thür sich öffnete und Dotterine eintrat, da erbleichte der Andern Glanz wie der der Sterne beim Aufgang der Sonne, so daß der Königssohn nur noch diese Jungfrau sah. Einige ältere Personen, die sich noch dessen erinnerten, was vorgefallen war, als der König mit seiner später verschwundenen Schwester die Taufe erhielt, sprachen zu einander: »Diese Jungfrau kann gar wohl die Tochter jener unbekannten Dame sein, welche bei unseres alten Königs Tochter Gevatter stand.« Der König kam Dotterinen nicht mehr von der Seite, und kümmerte sich nicht um die übrigen Gäste. Um Mitternacht geschah etwas Wunderbares: das Gemach war plötzlich wie in Wolken gehüllt, so daß man weder den Glanz der Lichter noch die Menschen sah. Nach einer kleinen Weile entwickelte sich aus dem Nebel wieder Helligkeit und es erschien eine Frau, die keine andere war, als Dotterinens Taufmutter. Sie sprach zum jungen Könige: »Das Mädchen, welches neben dir steht, ist deine vermeintliche Schwester, welche mit dir zusammen getauft wurde, und an dem Tage verschwand, wo die Stadt in die Hände der Feinde fiel. Die Jungfrau ist aber nicht deine Schwester, sondern eines weit entfernten Königs Tochter, welche ich aus der Verzauberung erlöste, und deiner verstorbenen Mutter zur Pflege übergab.« Dann krachte es, daß die Wände zitterten, und in demselben Augenblick war die Taufmutter verschwunden, ohne daß jemand sah, wo sie hingekommen war. Der junge König ließ sich am folgenden Tage mit Dotterinen trauen, worauf eine prächtige Hochzeitsfeier folgte. Der König lebte mit seiner Gemahlin sehr glücklich bis an sein Ende, aber Niemand hat je gehört, wohin das Glückskörbchen gekommen ist. Man meint, die Taufmutter habe es heimlich mitgenommen, als sie ihre Pathe das letzte Mal gesehen.

[Estland: Friedrich Reinhold Kreutzwald: Ehstnische Märchen]

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