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Die Drachenfedern

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Es war einmal vor langer Zeit ein reicher Wirt, der hatte eine wunderschöne Tochter. Neben dem Wirtshaus wohnte in einer gemieteten Hütte ein armer Holzhacker mit seinem Sohn. Dieser war ein lebensfroher, rüstiger Junge, der schönste Bursche im ganzen Dorf und dazu noch recht brav und arbeitsam. Immer war er guter Dinge und zur Arbeit aufgelegt, nur wenn er die Liese, die Wirtstochter, sah, dann stand ihm der Gedanke still, und sein Blick verlor die frühere Fröhlichkeit.
Auch Liese war dem Jungen herzlich gut; nur schade, daß er so blutarm war, und ihr Vater, wenn sie ihn um seinen Segen gebeten hätten, ganz gewiß nicht ja gesagt hätte. Aber versuchen konnten sie’s ja doch, und sie taten es auch.
Der Vater hieß die Tochter ein dummes Ding und wies ihr die Tür, dem Freier aber gab er lachend zur Antwort, wenn er sich seine Tochter verdienen wolle, müßte er dem Drachen im großen Wald, der einige Stunden vom Dorf entfernt lag, drei goldene Federn ausreißen und sie ihm herbringen, sonst sollte er sich gleich fortmachen.
Der Junge war ganz zufrieden mit dieser Bedingung, denn obwohl er wußte, wie grimmig der Drache über jeden herfiel und wie schreckenhaft er aussah, so hoffte er doch, durch List dem Ungetüm beikommen zu können. Er machte sich sogleich auf den Weg zum Schloß des Drachen, das in einem dunklen Wald lag.
Unterwegs kam er an einem Haus vorbei, vor dessen Tür ein alter Mann saß, der den Kopf in beide Hände stützte und sehr traurig schien. »Was bist du denn so traurig?« redete der Vorübergehende ihn an.
»Ja, meine Tochter ist schon viele Jahre krank, und nur der Drache könnte ihr helfen – aber …«
Da unterbrach ihn der Holzhacker: »Ich gehe jetzt eben zu ihm, vielleicht erfrage ich ein Mittel von ihm, und wenn ich wiederkomme, will ich’s dir dann sagen.«
Der Holzhackersohn ging weiter und sah in einem grünen Anger eine große Menge Menschen um einen Apfelbaum versammelt. »Gefällt euch denn der Baum so gut, ihr Leute, daß ihr so hinaufschaut?« fragte er im Vorbeigehen.
»Ja, der Baum«, redete da einer von ihnen den Fragenden an, »der Baum gefiele mir freilich, wenn er wie früher goldene Äpfel trüge; aber leider treibt er jetzt nur schlechte Blätter. Wenn du aber zum Drachen gehen und ihn fragen willst, warum dies geschieht, so sollst du es mir nicht umsonst tun.«
»Ja, ja«, sagte der Holzhackersohn, »das will ich auch«, und ging weiter.
Schon sah er den dunklen Wald vor sich, über den sich eine Nebeldecke ausbreitete, und beschleunigte seine Schritte. Da gelangte er an einen Fluß, wo ein alter Fischer ihn in einem kleinen Kahn hinüberführte und ihm klagte, daß er schon so lange dieses langweilige Geschäft versehe und nie abgelöst werden könne, wenn ihm nicht der Walddrache einen gute Rat gebe. Der dienstfertige Holzknecht versprach ihm, auch sein Anliegen dem Drachen vorzutragen, nachdem er ihm erzählt hatte, warum er in den gefährlichen Wald gehe. Der gute Fischer fing fast zu weinen an, weil er sehr um das junge Leben des Burschen besorgt war. Aber er war doch froh in der Hoffnung, daß auch er noch erlöst werden könnte, und versprach ihm viel Geld zur Belohnung.
Bald fand der junge Brautwerber, weil eben jetzt die rechte Zeit war, das Schloß des Drachen. Er ging hinein und war ganz erstaunt über die große Pracht, die ihm überall entgegenstrahlte; den gefürchteten Herrn aber wurde er nicht gewahr, denn zum Glück war er eben nicht zu Hause. Der Drache hatte jedoch eine Frau, die keinem Menschen ein Leid, sondern nur Gutes tat. Als diese den Holzknecht sah, ging sie ihm entgegen, war sehr freundlich mit ihm, und als er ihr sein Anliegen klagte und ihm vom traurigen Mann, vom Apfelbaum und vom Fischer erzählte, versprach sie ihm sogar, selbst seine Sache zu übernehmen, und versteckte ihn unter der Bettstelle.
Spät in der Nacht erst kam der Hausherr zurück und war heute recht wild, noch viel wilder als sonst, und sobald er ins Gemach eintrat, rief er, voll Zorn um sich blickend: »Ich schmeck‘, ich schmeck‘ einen Christen!«
»O nein«, entgegnete darauf die Frau, sich verstellend und schmeichelnd, »es ist ja niemand hiergewesen.«
Der Drache ließ es so gelten, und als die Frau ihm recht schöntat und ihn streichelte, wurde er viel zufriedener und war nicht mehr so wild und zornig. Nach einer Weile gingen sie zu Bett, und der Drache schnarchte bald und fiel in einen tiefen Schlaf. Schnell riß ihm die Frau nun eine goldene Feder aus und gab sie dem Holzhacker unter der Bettstelle.
Da wachte aber der Drache auf und schrie zornig: »Wer hat ein Recht, mich zu zupfen und zu rupfen?«
»Sei nur nicht böse«, rief die Frau im Schrecken. »Ich habe es im Schlaf getan. Mir träumte, ein alter Mann habe eine kranke Tochter. Was soll sie etwa versuchen, damit sie wieder gesund wird?«
»Die muß die Hostie, die man unter ihrem Bett versteckt hat, wegschaffen, wenn sie noch gesund werden will«, antwortete der Drache und schlief wieder ein. Nun riß sie ihm die zweite Feder aus und gab sie schnell dem lauschenden Holzhacker.
»Wer hat ein Recht, mich zu zupfen und zu rupfen?« schnaubte wieder zornig der Drache.
»Sei nur still«, sagte die Frau leise. »Ich habe einen Traum gehabt von einem Apfelbaum, der früher goldene Äpfel trug; jetzt aber trägt er keine mehr. Wenn ich doch wüßte, wie er wieder fruchtbar wird.«
»Die Schlange muß ausgegraben werden, die unter dem Baum liegt und die Wurzeln benagt«, murmelte der Drache schon halb schlafend.
Jetzt ging’s aufs Letzte, und die Frau riß ihm auch die dritte Feder aus und machte es wie früher.
Aber da war die Wut des Untiers aufs höchste gestiegen: »Wer rupft und zupft mich?« schrie der Schreckliche und wollte aus dem Bett springen.
Die Frau aber hielt ihn und bat: »Sei doch nicht böse, ich habe geträumt von einem alten Fischer, der immer die Leute über den Fluß führen muß und nie frei wird.«
»Er soll dem ersten, der zu ihm kommt, dieses Geschäft übergeben und davonlaufen, der dumme Alte«, schnarchte der Drache. »Jetzt aber laß mich in Ruh‘, sonst zerreiß‘ ich dich!«
Darauf schlief er wieder ein, und der Holzhacker schlich sich ganz sachte fort und sagte auf dem Heimweg jedem den Rat, den ihm der Drache gegeben hatte, dem Fischer aber sagte er ihn erst, als er ausgestiegen war aus seinem durchlöcherten Fahrzeug. Alle gaben ihm Gold und Silber in Menge, denn sie waren voll Freude, daß er ihnen geholfen hatte.
Am meisten aber freute sich daheim die Liese, als sie den lieben Holzhacker wiedersah. Sie konnte kein Auge von ihm abwenden und hielt ihn immer bei der Hand, bis der Vater kam und nun recht gerne ja sagte, weil der arme Nachbar jetzt viel reicher war als er selbst. Die jungen Brautleute luden alle Verwandten und Freunde zur Hochzeit. Da waren alle voll Fröhlichkeit, sie selbst aber die Fröhlichsten und Glücklichsten von allen.

(mündlich aus dem Zillertal)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]

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