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Märchenbasar

Die drei Brüder und der Hüne

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In der alten Zeit lebte einmal ein Schäfer, der hatte drei Söhne und eine große Herde Schafe. Jeder von den Söhnen musste einen Tag die Herde hüten. Die andern blieben daheim und arbeiteten da mit ihrem Vater. Als der Alte sterben sollte, ermahnte er seine Söhne, sie sollten nur ja immer zusammenhalten und die Herde nie teilen. Das versprachen sie und hielten es auch getreulich. Es geschah aber, dass in einem dürren Jahre die große Herde nicht hinlänglich Weide fand. Da sprach der jüngste der Brüder – er war zwar klein und schwächlich, aber der pfiffigste unter ihnen – : „Lasset uns hinziehen jenseits des großen Waldes, da soll eine ungeheure Wiese sein, immer grün und unbeweidet.“ Die anderen billigten das, und so zogen sie sieben ganze Wochen durch den Wald und kamen endlich an dessen Ende, von dem aus die schöne Wiese nach allen Seiten sich ausdehnte. In weiter, weiter Ferne aber sahen sie ein Schloss. Hier wohnte ein mächtiger Hüne, der hielt sich für den Herrn der ganzen Gegend, so weit man sie übersehen konnte. Einige Tage blieben sie ungestört und freuten sich über die fette Nahrung. Zwei der Brüder bauten in der Nähe des Waldes an einer Hütte. Indes ging der eine immer mit den Schafen, molk sie und machte Käse, und den folgenden Tag verrichtete dies Geschäft einer der beiden andern, so wie sie es daheim gehalten hatten. Eines Tages, als der Älteste wieder die Schafe hütete, sah er nur einmal zu seinem Schrecken aus der Gegend des Schlosses eine große Gestalt sich bewegen. Es schien, als ob ein Berg herbeikäme, es war aber nichts anders denn der mächtige Hüne. Dieser hatte schon seit einigen Tagen aus seinem Fenster bemerkt, wie wenn sich auf seiner Wiese kleine Tierchen wie Milben regten, allein er hatte seinen Augen nicht recht getraut. Da er aber dasselbe immer wieder sah, wollte er sich überzeugen. Er machte nur ein paar Schritte so stand er schon vor dem armen Schäfer, der bebte wie Zittergras und hatte kein Leben. „Ha, du kleiner Wicht!“ fuhr der Hüne ihn an, „bist du der Verwüster meiner Felder? Warte, das sollst du mir bezahlen!“ Der Schäfer fiel vor der gewaltigen Stimme zu Boden, denn es war, als wenn ein Sturmwind einherbrauste. Endlich sprach er mit Zittern: „Herr, wir sind drei Brüder und sind erst vor einigen Tagen hierher gekommen, wir wussten nicht, dass dieses Land jemandem gehöre!“ – „So? Drei Brüder? Ihr wusstet es nicht? Hm. Nun, ich will’s gelten lassen. Gut, dass ich euch kenne, wir wollen Freundschaft schließen. Mache aber jetzt gleich ein Frühstück!“ Der arme Hirte musste sieben Schafe schlachten, die verschlang der Hüne auch sogleich, als ihnen die Haut abgezogen war, ganz, als seien es sieben Bissen. Dann trank er alle Milch, die in sieben Schäffern dastand, und aß zuletzt zum Niederdrücken noch sieben Käse. Als er satt war, sprach er zum Hirten: „Es hat mir wohlgeschmeckt, dafür komme morgen zu mir ins Schloss zum Frühstück. Aber wehe dir, wenn du nicht kommst!“ Damit wandte er sich um, und mit ein paar Schritten war er in seinem Schlosse verschwunden.
Kaum hatte sich der arme Hirt vom Schrecken erholt, so nahm er sich auf und trieb die Herde zur Lagerstätte, wo seine Brüder waren, und erzählte diesen, was ihm begegnet war. Diese entsetzten sich auch nicht wenig, als sie die Geschichte erfuhren. Aber was war zu tun ? Zurück konnten sie nicht. Denn der Hüne hätte sie doch eingeholt. Da sprachen die zwei jungem Brüder am anderen Morgen dem Ältesten Mut ein. Er solle nur getrost zum Hünen gehen. Auch diese hätten ja bisweilen ein menschliches Herz. Vielleicht werde ihm nichts geschehen. Er ging endlich. Allein es war ihm nicht recht. Als er am Schlosse ankam, sah und hörte er vor Angst nichts. Er ging hinauf. Wie er eintrat, lag der Hüne noch im Bett und war eben wach geworden. „Gehe!“ sprach er, „nun hinaus, mache Feuer unter den großen Kessel und sage es mir, wenn das Wasser kocht.“
Der Arme tat, was ihm befohlen worden. Als das Wasser kochte, meldete er’s dem Hünen. Dieser stand auf, ging hinaus, sah, dass es gut kochte. Er hob den Kessel vom Feuer und sprach zum Hirten: „Fühle, ob es heiß genug ist!“ Als er sich bückte, schlug der Hüne ihm den Kopf ab und warf ihn auf den Hausboden, den Rumpf aber gab er in den Kessel. Dann ging er hinein, kleidete sich an und verspeiste hierauf den Hirten. Jetzt nahm er seinen Stab und ging wieder zur Herde. Bei dieser war heute der mittlere Bruder, der jüngste war zu Hause. „Also, du bist ein Bruder von dem, der heute zu mir gekommen?“ – „Ja!“ stammelte der Hirt ängstlich. „Wohlan, schlachte mir sieben Schafe und sorge für sieben Schäffer Milch und sieben Käse, denn ich habe schlecht gefrühstückt.“ Heißhungrig verschlang der Hüne wieder sieben Schafe, sowie ihnen die Haut abgezogen worden, und trank sieben Schäffer Milch und aß darauf sieben große Käse, als seien es Haselnüsse. „Dein Frühstück hat mir geschmeckt. Komme morgen auch zu mir, aber wehe dir, wenn du nicht erscheinst!“ Damit entfernte sich der Lange wieder, und der Hirte trieb schnell die Schafe zur Lagerstätte und jammerte und klagte:
„Wehe, der Hüne hat unsern Bruder gewiss umgebracht, und jetzt ist es an mir!“ Der Jüngste musste ihm am andern Morgen sehr zureden, bis er sich entschloss, zum Hünen zu gehen. Er tat es mit Zittern und Zagen. Es ging ihm aber dort gerade wie seinem ältern Bruder. Der Jüngste war mit den Schafen schon lange auf der Weide, da erschien nur einmal der fürchterliche Hüne und sprach mit seiner Polterstimme: „Du, Winziger, bist du auch ein Bruder von denen, die zu mir gekommen?“ Der kleine Hirt flog davon bis zu einer Dornhecke, als hätte ihn der Wind hingeweht. Daran aber hielt er sich fest und antwortete: „Ja, ich bin der Jüngste, aber nicht so grob, Herr Ronnemann“, rief der Kleine ganz trotzig. Der Hüne war auf eine solche Antwort nicht gefasst. „Auf der Stelle schlachte mir sieben Schafe und versorge mich mit Milch und Käse, denn ich bin verteufelt hungrig!“ – „Muss es denn gar so schnell sein, Herr Fleischturm. Habt Ihr Kohlen im Magen?“ – „Gleich, du kleiner Knirps, sonst zerquetsche ich dich zwischen meinen Fingern und presse dir den Saft aus.“
Der Junge sah, dass der Kerl keinen Spaß hatte, und schlachtete die Schafe, ohne sich aber zu übereilen, und stellte ihm sieben Schäffer Milch und sieben Käse hin. Als der Hüne alles verschlungen hatte, sprach er: „Morgen früh komme zu mir zum Frühstück, und wehe dir, wenn du ausbleibst!“ – „Ich komme“, rief der Junge trotzig, „du brauchst keine Geschichten zu machen.“ – „Warte nur, du einfältiger Hüne“, sprach er bei sich, „deine Stärke soll dir nichts helfen!“ Er hatte sich bald einen Plan ausgedacht.
Bei der Herde waren drei sehr starke Hunde, die es mit jedem Wolfe bisher aufgenommen hatten, der eine hieß Siehegut, der andere Höregut, der dritte Packegut, die waren so abgerichtet, dass sie genau jeden Wink befolgten. Diese sollten auch mit. Er nahm sieben Schafsfelle, befreite sie von der Wolle und nähte sie eines auf das andere und bildete einen Trichter mit zwei Löchern. Als er fertig war, rief er seinen Hunden und ging ganz früh ins Schloss. Der Hüne schlief noch ganz fest und schnarchte so gewaltig, dass zwei Pappeln, die vor dem Fenster standen, davon wie von einem Sturmwind hin- und herbewegt wurden. Die Hunde ließ der Junge draußen vor dem Schloss. Er selbst ging leise hinein. Wie er die Türe öffnete, schöpfte der Hüne eben Atem und zog damit den Kleinen wie eine Flaumfeder an. Er stieß wieder den Atem aus und schleuderte ihn bis zur Türe zurück. Da fasste sich der Junge an der Türpfoste und schrie aus allen Kräften: „Herr Faulpelz, ist das Frühstück fertig? Ich bin schon da!“ Der Hüne rieb sich die Augen und wusste nicht, was ihm so spitztönig in die Ohren geklungen, denn er war heute sehr verschlafen. Endlich erblickte er den Kleinen, der hing wie eine Hausgrille an dem Türpfosten. „Hast du mich geweckt, du kleiner Mäusekönig?“
„Ja, Herr Klumpenmann!“ – „So mache Feuer unter dem großen Kessel, und wenn das Wasser kocht, so rufe mich!“ – „Schon gut!“ sprach der Junge und ging hinaus. Der Hüne schlief gleich wieder ein. Schnell machte der Kleine das Wasser kochen. Dann nahm er seinen Felltrichter und einen großen Topf mit siedendem Wasser, schlich leise und ganz gebückt, damit ihn der Hüne nicht zurückschnaufen könne, allmählich bis zum Bett. Dann hielt er rasch den Trichter über die beiden Augensterne des Hünen und goss das siedende Wasser aus dem Topf auf einmal hinein. Hui, wie der Hüne gleich aufsprang und entsetzlich raste. Beide Augen waren ihm zerstört.
Der Junge war schnell an der Türe und hielt sich fest und sah eine Zeitlang, wie der Hüne herumschlug, dann rief er: „Wie schmeckt das Frühstück, Herr Klumpenmann, nicht wahr, etwas heiß?“ Der Hüne grapschte gleich nach der Richtung, woher die Stimme kam, allein der Kleine war schon hinaus und die Treppe hinunter. Der Lange trampelte ihm blindlings nach und plumpste an der Treppe hinunter, dass es krachte wie bei einem Bergsturz, unten im Schloss war ein großes Zimmer, darin waren viele Nüsse aufgehäuft. Der Junge ging hinein und wühlte in den Nüssen und warf fort und fort hierher und dorthin an die Wand. Der Hüne griff auf jedes Gepolter mit seinen langen Armen hin und dachte den Kleinen so zu fangen. Allein der wusste sich zu hüten und lachte nur über den Hünen, wie der umsonst sich so abmühte. Endlich ging er hinaus ins Freie und lockte den Hünen nach. Nun ärgerte ihn der Junge fast zu Tode. Er sprang wie ein Grashüpfer von einer Stelle zur andern und schrie: „Hier bin ich! Hier bin ich!“ und der Hüne haschte jedes Mal nach der Stimme. Dem Hünen fiel bald auch eine List ein. „Siehe“, sprach er, „ich habe hier einen kleinen goldenen Ring, der ist mir ohnehin nichts mehr nütze, den schenke ich dir!“ und warf ihn damit von sich. Der Junge sah den Ring im Gras liegen, und weil er gerade so schön wer, nahm er ihn gleich und steckte ihn an seinen Finger. Kaum hatte er das getan, so konnte er sich nicht von der Stelle rühren und rief nur „Ach!“ Der Hüne hörte das und tastete nun schnell im Kreise herum, um den Kleinen zu finden.
In dieser Not wollte der Junge den Ring schnell vom Finger streifen, allein das ging nicht mehr. Da nahm er schnell sein Messer und schnitt den Finger samt dem Ring ab und warf ihn in einen großen See, der in der Nähe war. Dann lief er weithin um den Teich herum und rief: „Hier bin ich! Hier bin ich!“ Der Hüne hörte die Stimme in der Ferne und wollte geradeaus darauf los. Da schritt er geradezu in den See und ging immer mehr hinein. Endlich kam ihm das Wasser bis an den Mund. Da blieb er auch stecken und konnte nicht weiter. „Jetzt habe ich dich!“ rief der Junge vom Ufer, „wenn du mir nicht gleich meine Brüder schaffst, so bleibst du hier stecken bis auf den Jüngsten Tag!“ Das schien dem Hünen denn doch zu lang. Er sprach: „Deine Brüder habe ich gefrühstückt, ihre Häupter aber liegen auf dem Hausboden. Nimm das Ei, das daneben liegt, und die Rute und streiche das Haupt am Halse dreimal und schlage mit der Rute darüber, so werden sie wieder lebendig!“ – „Ich werde gleich sehen, ob du die Wahrheit gesprochen!“ Damit ging der Junge zum Schlosse. „Auf, Siehegut, such!“ Der Hund lief gleich voran, durchstöberte alle Winkel auf dem Schlossboden und kam endlich zu den Häuptern, und daneben lag auch das Ei und die Rute. Der Junge tat, wie ihm der Hüne gesagt, und alsbald standen seine Brüder verwundert vor ihm und wussten nicht, wie ihnen geschehen war. Sie fühlten nur einen kleinen Schmerz im Nacken, sonst waren sie gesund. „Freuet euch“, sprach der Jüngste „ihr seid erlöst. Kommt jetzt nur mit mir!“ Da gingen sie hinaus, und er zeigte ihnen den Hünen, wie er im Sumpfe stak, und erzählte ihnen, wie er ihn dahin gebracht. „Du hast für diesmal wahr gesprochen, allein jetzt sage mir aufrichtig: Lebt keine Seele weiter im Schlosse?“ Nun log aber der Hüne nach seiner Natur, denn alle sind sehr lügenhaft, und sprach:
„Nein!“ Er hatte nämlich im tiefen Keller eine Menge seiner Gesellen, die er unter Schloss und Riegel hielt, weil sie unbändig waren. Da dachte er: „Wenn du nur einmal heraus bist aus dem Sumpf, so wirst du die Tür schon finden und erbrechen, dass jene herauskommen und diese kleinen Dinger erschlagen.“ Aber sein Lügen half ihm nichts, denn der Kleine sprach: „Erst will ich mich überzeugen. Auf, Siehegut, Höregut, Packegut!“ Siehegut lief in allen Winkeln des Schlosses herum, fand aber nichts. Nur einmal sahen sie, wie Höregut an einer kleinen Fensteröffnung horchte.
Die Brüder eilten hin und legten sich aufs Ohr und vernahmen ein dumpfes Toben und Fluchen. Nun zündeten sie Fackeln an und stiegen an einer Treppe hinab. Die Hunde liefen voran. Nur einmal kamen sie an eine mächtige Türe, an der ein gewaltiges Schloss angelegt war. Vom Aufmachen konnte keine Rede sein. Da dachte der Jüngste an die Rute, mit der er seine Brüder lebendig gemacht, ob sie wohl nicht auch hier wirksam sein würde. Siehegut musste gleich hinlaufen und sie bringen. Sowie der Junge damit das Schloss berührte, sprang die Türe gleich auf. Aber wie entsetzten sie sich, als sie die grässlichsten Hünengestalten erblickten! Diese lagen eben miteinander im Kampfe und zankten darüber, wen sie von ihnen umbringen sollten, da sie den Hunger lange nicht mehr ertragen konnten. Als sie nun die drei Menschen erblickten, sprangen alle der Türe zu: „Ha, ihr kommt gerade gut, euch wollen wir fressen!“ Da rief der Junge: „Packegut, an!“ Der Hund fiel alsbald die ersten an, die andern zogen sich gleich zurück und stutzten. Der Junge rief wieder: „Packegut, zurück!“ Der Hund sprang hinaus. Die drei Brüder erfassten die mächtige Türe und zogen sie wieder zu und legten das Schloss an. Nun aber gingen sie zu dem Hünen im See. „O du schändlicher Lügner!“ rief der Junge, „wir wissen wohl, dass deine Gesellen im Schlosskeller sind, da sollen sie auch bleiben für alle Zeit! Wenn du aber dein Leben noch retten willst, so sage, wo der Schatz im Schloss zu finden ist!“ Als der Hüne einsah, dass er nicht mehr zu seiner vorigen Macht gelangen und sich rächen könne, sprach er: „Nie und nimmermehr sollt ihr erfahren, wo der Schatz ist. Meinetwegen mag nun was immer mit mir geschehen!“ – „So bleibe denn im Sumpfe stecken in alle Ewigkeit!“
Die kleinen Menschen waren nun Herren von dem großen Schlosse des gewaltigen Hünen. Sie zogen jetzt da ein und wohnten zusammen in Eintracht, und ihre Herden mehrten sich immer mehr, und ihr Reichtum und ihre Macht wurde bald so groß, dass auch ferne Kaiser und Könige ihre Freunde wurden. Den verborgenen Schatz im Schloss fanden sie nicht und brauchten ihn auch nicht. Die drei Brüder leben noch, wenn sie nicht gestorben sind. Ob aber der Hüne im Sumpfe und seine verhungerten Gesellen im Schlosskeller leben, ist eine andere Frage, und darauf weiß ich nicht zu antworten.

Quelle: (Josef Haltrich)

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