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Märchenbasar

Die drei Jungfrauen und die drei Reiter

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Ein Bauer kehrte eines Nachmittags vom benachbarten Markt, wo er sein Korn verkauft hatte, zurück, trat in ein Wirtshaus und ließ sich zu trinken geben. Kurz darauf kamen drei prächtig gekleidete Reiter, welche ihre Pferde an der Türe des Wirtshauses festbanden und sich am Tisch des Bauern niederließen. Man plauderte über das schöne Wetter, die Ernte, das Vieh und den Pachtbetrag, und die drei Herren gefielen dem Bauern so sehr, daß er sie einlud, bei ihm zu Abend zu essen. Die drei Reiter nahmen die Einladung an und begleiteten den Pächter, der sie seinen drei Töchtern Katharina, Marie und Antonie vorstellte. Das Abendessen wurde recht lustig und zum Schluß baten die Gäste um die Hand der jungen Bäuerinnen. »Einverstanden, einverstanden!« rief der Pächter hastig. Man verabredete, daß Katharina, die älteste, am folgenden Sonntag im Schloß der drei Reiter speisen solle. Darauf verabschiedeten sich letztere vom Bauern, umarmten die Mädchen und stiegen wieder zu Roß, um in ihr Haus zurückzukehren.
Am nächsten Sonntag zog Katharina ihre besten Kleider an und begab sich wie verabredet aufs Schloß. Kaum hatte sie das Dorf verlassen, so bemerkte sie auf einem Apfelbaum an der Seite der Landstraße eine Eule, welche zu ihr sagte: »Katharina, Katharina, solltest klüger sein, / gehst eilenden Schritts in den Tod hinein!« »Was will doch der Vogel von mir?« dachte Katharina, »warum sagt er mir immer, daß ich eilenden Schritts in den Tod gehe?« Und sie setzte ihren Weg fort. Aber die Eule folgte ihr von Baum zu Baum flatternd und wiederholte immer die gleichen Worte: »Katharina, Katharina, solltest klüger sein, / gehst eilenden Schritts in den Tod hinein!« Das junge Mädchen hielt es bald nicht mehr aus und kehrte schreckensbleich in ihr Dorf zurück. Als sie heimkam, rief man ihr zu: »Schon zurück, Katharina? Du bist wohl gar nicht im Schloß gewesen?« »Nein. Kaum war ich aus dem Dorf, so sah ich eine Eule, die mir folgte und immer wieder schrie: ‚Katharina, Katharina, solltest klüger sein, / gehst eilenden Schritts in den Tod hinein!‘ und so bin ich wieder umgekehrt.« »Du erschrickst vor einem Nichts, Katharina, ich werde an deiner Stelle gehen und wegen der Eule werde ich nicht umkehren.«
Und Marie, die zweite Tochter, kleidete sich in aller Eile an und machte sich nach dem Schloß der drei Reiter auf. Sie verließ das Dorf und sogleich stellte sich dieselbe Eule ein, welche sie verfolgte unter den steten Rufen: »Marie, Marie, solltest klüger sein, / gehst eilenden Schritts in den Tod hinein!« Da die junge Bäuerin sich nicht um die Worte der Eule zu kümmern schien, begann diese »hu! hu!« zu rufen und zwei, dann drei, dann vier, dann zehn Eulen flogen herbei und redeten in allen Tonarten auf die Pächterstochter ein, daß sie unklug handle, wenn sie ihren Weg fortsetze. Schließlich geriet Marie in Furcht und kehrte um. »Ach! Du auch, du kommst auch wieder? Sicher hast du die Eule gesehen und dich erschrocken. Jetzt will ich einmal sehen!« sagte Antonie, und ohne sich die Mühe zu machen, ihr Kleid zu wechseln, verließ sie ihre beiden Schwestern und begab sich ins Schloß.
Die Eulen warteten schon auf sie: »Antonie, Antonie, solltest klüger sein, / gehst eilenden Schritts in den Tod hinein!« Aber umsonst kamen die Vögel zu Hunderten und sagten ihr alle dasselbe, Antonie ließ sich nicht vom Wege abbringen und gelangte zum Schloß.
Niemals hatte die Bauerntochter solche Pracht gesehen. Das Schloß war gedeckt mit Platten aus Gold und Silber, welche in der Sonne glänzten, und rings herum standen unbekannte Bäume und seltene Blumen. Da Antonie weder Herren noch Diener sah, durchschritt sie Garten und Hof und betrat gerade einen Gang, als sie ein verworrenes Geräusch hörte. Sie bekam Furcht, stieg in einen Keller und verbarg sich in einer Tonne ohne Boden. Alsbald vernahm sie Schritte und konnte durch das Spundloch des Fasses bemerken, wie die drei Herren die Leiche eines jungen Mädchens in den Keller herabgleiten ließen. Antonie wagte vor Angst kaum zu atmen. »Uff! Da haben wir sie!« sagte einer der Herrn. »Katharina ist uns ausgekommen, aber wenigstens haben wir diese da und nun wollen wir nach Herzenslust schmausen!« Hierauf nahmen die drei Männer ihre großen Messer, zerschnitten die Leiche und begannen zu essen: der eine das Herz, der andere den Kopf und der dritte einen Arm des jungen Mädchens, das sie ermordet hatten. Als ihr grausiges Mahl beendet war, stiegen die drei Reiter wieder in bester Laune nach oben und vergaßen, die Kellertüre abzusperren. Antonie sah auf dem Boden einen abgeschnittenen Finger, der noch einen goldenen Reif trug; sie hob ihn auf, steckte ihn in ihre Tasche und kletterte so leise sie konnte die Stiege hinauf. Ohne daß man sie bemerkte, verließ sie das Schloß und kehrte eilends in den Hof ihres Vaters zurück. »Nun,« fragten die Schwestern, »was hast du im Schloß der drei Reiter gesehen?« Und Antonie erzählte ihr Abenteuer von Anfang bis zu Ende und zeigte den Finger mit dem Ring des gemordeten jungen Mädchens.
Acht Tage später erklang Pferdegetrappel auf der Straße: die drei Reiter hielten vor dem Bauernhof und stiegen vom Pferd. »Warum seid ihr vorigen Sonntag nicht gekommen, Katharina? Wir haben Euch den ganzen Tag mit Ungeduld erwartet!« »Es war mir den ganzen Tag unmöglich auszugehen, ich hatte so heftige Zahnschmerzen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Beim Essen wollen wir weiter davon reden.« Und man setzte sich zu Tisch. Beim Nachtisch erzählte Antonie, sie habe am vergangenen Sonntag nach einem benachbarten Schloß gehen wollen, da hätten Eulen sie gewarnt und schließlich habe sie drei schmucke Reiter die Leiche einer Frau, die sie gerade getötet hatten, verzehren sehen. Die drei Reiter wurden unruhig und taten, als ob sie lachten. »Eure Geschichte ist recht gut erzählt, aber ist sie auch war? Habt Ihr einen Beweis? Hat Euch nicht etwa geträumt?« »Ich habe nur diesen Beweis!« sagte das junge Mädchen und warf den Finger mit dem Ring auf den Tisch, »und die drei Mörder waren niemand anders als ihr selbst!« Die Reiter wollten fliehen, aber der Bauer stieß in sein Horn, und die Gendarmen, welche im Nebenzimmer versteckt waren, stürzten sich auf die Räuber und fesselten sie. Einige Tage darauf wurden die Reiter abgeurteilt und gehängt. Ihr Schloß wurde dem Pächter und seinen drei jungen Töchtern überantwortet, welche bald darauf heirateten und glücklich bis in ihr hohes Alter lebten.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

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