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Die drei Raben

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Einmal lag ein reicher König, dem viele Lande und Leute botmäßig waren, auf dem Todbette. Da ließ er seinen einzigen Sohn zu sich kommen und sprach zu ihm: »Lieber Prinz, ich werde bald sterben und du wirst dann keinen Vater mehr haben. Doch sei unbesorgt, denn ich hinterlasse dir einen klugen Berater, der dir in allen Nöten und Gefahren mit Rat und Tat beistehen wird. Solange du dem Bedienten Ratgeb folgen wirst, kann dir kein Unfall begegnen. Halte dich an ihn!« Als der König dies gesprochen hatte, verschied er. Da erbte nun der Prinz die Burgen und Städte seines Vaters und sollte über Land und Leute gebieten. Dies sah aber seine Mutter, die eine stolze, herrschsüchtige Frau war, nicht gerne, denn sie wollte selbst das Zepter führen. Deshalb sagte sie einmal zu ihrem Sohne: »Du bist noch jung und zu wenig erfahren, darum sollst du in die weite Welt ziehen und Menschen und Städte kennen lernen. Ich will indes anstatt deiner regieren und sorgen, daß deinem Reich kein Leid und Schaden widerfahre.« Der junge König teilte diesen Vorschlag dem klugen Ratgeb mit. Dieser meinte, eine Reise wäre nicht ungelegen, und alsbald wurde gepackt und geschnürt und alles zum Abschiede vorbereitet. Die Königin dachte aber gar Arges und wollte die Rückkehr ihres Sohnes auf immer verhindern. Deshalb kochte sie tödliches Gift, tat es in eine kristallene Flasche und gab sie ihrem Sohne mit den Worten: »Man weiß nie, was einem auf einer Reise zustoßen kann, darum nimm diese Flasche mit dem Lebenstranke. Wenn du matt und fahrtmüde bist, so trink daraus und du wirst alsogleich frisch und kräftig werden.« Der Prinz ahnte nichts Böses, nahm die Flasche und dankte seiner Mutter. Dann nahm er Abschied von ihr und seinen Räten und fuhr mit Ratgeb auf und davon. Sie waren nicht lange gereist, als sie in einen kühlen Wald kamen, der weit und breit sich ausdehnte. Sie fuhren zwei Tage und zwei Nächte und kamen noch nicht ins Freie. Da waren sie müde und hungerig, denn im Walde fand sich keine Herberge und kein Wirtshaus lud zur Rast. Jetzt dachte der Prinz an den Lebenstrank, nahm die Flasche und wollte trinken. Das sah der kluge Ratgeb und sprach: »Lieber Herr, die Rosse sind auch matt und hungerig und schleppen den Wagen kaum mehr weiter. Darum wollen wir zuerst ihnen vom Safte geben und erst dann wir trinken. Sie verdienen es, denn sie ziehen und wir sitzen bequem im Wagen.« Diese Rede gefiel dem Prinzen und er gab dem treuen Diener die Flasche. Ratgeb stieg nun aus dem Wagen und gab einem Pferde einige Tropfen vom Tranke. Doch siehe, kaum war der höllische Saft auf die Zunge des armen Tieres gekommen, als es maustot zu Boden fiel. Nun war die Arglist der stolzen Königin offenbar. Ratgeb spannte das tote Pferd aus und man fuhr mit den drei übrigen von dannen. Als sie ein Stücklein Weges gefahren waren, schaute Ratgeb zurück und sah, wie drei Raben zum toten Pferde flogen, um vom Aase zu fressen. Kaum hatten sie aber vom Pferdefleische gepickt, als sie tot niederstürzten. Da dachte sich der kluge Ratgeb, vielleicht können die toten Raben uns nützen, hielt den Wagen an und holte die toten Vögel. Dann ging die Fahrt wieder langsam weiter. Jetzt wurde der Wald immer dichter und dichter, uralte Bäume streckten ihre bemoosten Äste aus, auf denen wildes Gevögel kreischte. Da zeigte sich in dieser schaurigen Einöde bald ein Haus, auf das der Prinz und Ratgeb zufuhren. Als sie dabei ankamen, war nur eine alte Frau zu Hause. Sie schlug, als sie die zwei Fremden sah, die Hände über dem Kopfe zusammen und sprach: »Mein lieber Gott, ihr seid in eine Räuberhöhle geraten, woraus euch niemand retten kann, denn bald werden die zwölf Schelme kommen und dann ist’s um euch geschehen.« Da wurde der Prinz blaß vor Schrecken, aber der Ratgeb verzog seine Miene nicht und flüsterte dem jungen Könige zu: »Seid unbesorgt und tut alles, was ich tue.« Ratgeb nahm die drei toten Raben, gab sie der alten Frau und sprach: »Koch uns mit diesen Vögeln ein Eingemachtes, denn wir sind hungrig.« Indes die Alte in die Küche ging, um den Auftrag zu vollziehen, traten der Prinz und Ratgeb in die Stube, wo sie sich setzten. Sie waren noch nicht lange dort, als die zwölf Räuber kamen und sich bei Fraß und Trank gütlich zu tun anfingen. Ratgeb spielte den Lustigen und sang und lärmte mit den Räubern, als ob Kirchweih wäre. Der Prinz folgte seinem treuen Diener und lachte auch mit. Als das eine Zeitlang so gegangen war, brachte die alte Frau das Eingemachte und setzte es auf den Tisch. Die Brühe duftete gar süß und stieg allen Räubern in die Nase. Wie Ratgeb dies bemerkte, war er froh und lud die Räuber zum edeln Essen ein. Die zwölf Kerle ließen sich das nicht zweimal sagen und fielen heißhungrig wie Drescher über Brühe und Vögel her. Da taumelte einer nach dem andern unter den Tisch hinein und keiner stand wieder auf. So waren der Prinz und Ratgeb durch die vergifteten Raben aus den Händen der Räuber befreit worden und setzten, nachdem sie sich mit Wein und Brot gestärkt hatten, ihre Reise fort. Der Wald wurde lichter, und eher als sie meinten, waren sie im Freien. Da lag eine große wunderschöne Stadt vor ihren Augen, auf die sie freudig losfuhren. Bald hatten sie den Ort erreicht und machten beim ersten besten Wirtshaus Halt. Sie gingen, nachdem ausgespannt und abgeladen war, in die Zechstube und setzten sich zu anderen Gästen. Ratgeb machte allsogleich mit einigen Trinkern Bekanntschaft und fragte: »Was gibt es hierzulande Neues?« »Ach mein Gott,« sprach ein Gast, »bei uns bleibt alles im alten und auch die Prinzessin, der dies Land gehört, treibt ihre alten Torheiten fort.« »Wieso?« forschte Ratgeb weiter. »Ja, das weiß ja die ganze Welt. Sie hat vor Jahr und Tag schon kundtun lassen, daß sie jenem, der imstande ist, ihre Rätsel zu lösen, ihre Hand und ihr Reich geben werde. Seitdem kommen nun Freier aus allen Weltgegenden und wollen die Rätsel der Königin lösen. Doch bisher glückte es keinem. Darum weiß aber auch die stolze Frau nicht mehr vor Stolz, was sie mit den armen Teufeln anfangen soll. Errät ein Werber ihre Rätsel nicht, so läßt sie ihn als Narren ankleiden und durch die Stadt peitschen oder er muß auf einem Esel durch alle Gassen und Straßen reiten und den Buben zu argem Gespötte dienen. Das hat schon manch edler Herr verkostet und schlich sich dann geschändet für weltewige Zeiten von dannen. Das tut einem ehrlichen Kerl, wie unsereiner ist, weh, denn Stolz geht voran und Schande hintennach.« Da dachte sich Ratgeb, die muß ich zu Paaren treiben, und ging mit dem Prinzen in die königliche Burg. Hier angekommen, wurden sie als Werber zur Königin geführt, die ihnen Rätsel aufgeben wollte. Dem kam aber der kluge Ratgeb zuvor und sprach: »Frau Königin! mit eurer Huld und Gnade will ich die Sache umkehren und eurer Gnaden ein Rätsel vorlegen, denn eure Weisheit, die so harte Nüsse andern zu knacken gibt, versteht sonder Zweifel fremde Rätsel leicht zu lösen. Darum wollen euer Gnaden geruhen, ein Rätsel von mir anzunehmen und, falls dasselbe nicht gelöst werden sollte, meinen Begleiter als Ehegemahl zu erklären.« Die Königin konnte gegen diesen Antrag nichts Stichhaltiges entgegnen und mußte sich das böse Spiel gefallen lassen – doch nahm sie sich drei Tage Bedenkzeit und hoffte, binnen dieser Frist mit Hilfe ihrer Bücher jedes Rätsel lösen zu können. Ratgeb gab nun folgendes Rätsel: »Eins tötet drei, drei töten zwölf. Was ist das?« Dann kehrte er mit dem Prinzen in das Gasthaus zurück, wo sie bis zum Ablaufe des dritten Tages blieben. Die Königin aber sann und sann, schlug in ihren alten Büchern nach und ließ alle Minister, Räte und Weisen zusammenkommen. Doch alles war vergebens. Für dies Rätsel war kein Kräutlein gewachsen, und ehe man sich dessen versah, waren die drei Tage verflossen und die zwei Fremden begehrten Vorlaß. Da half der stolzen Königin all ihre Weisheit nichts und sie mußte ihrem Versprechen gemäß dem Prinzen, den sie für einen Landstreicher hielt, ihre Hand geben. Da ward nun getrommelt und gepfiffen, daß die ganze Stadt widerhallte, und die Hochzeit dauerte drei ganze Tage. Der treue Ratgeb wurde Minister und blieb bei Tag und bei Nacht in der Nähe des Königs. Dieser hatte aber wenig Freude an seiner Gemahlin, denn sie war stolz und herrisch und verachtete ihren Mann. Das mißfiel dem treuen Ratgeb sehr und er beschloß diesem Treiben ein Ende zu machen. Er nahm deshalb seinen Herrn oft zu sich und ritt mit ihm auf ein einsames Waldschloß, wo sie sich tagelang aufhielten. Wenn der schöne junge König dann wieder zurückkam, freute sich die Königin und fragte, warum er so lange ferne geblieben sei, und was er getan habe. Dann erhielt sie zur Antwort: »Wir spielten auf dem Waldschlosse mit andern Herren und heute habe ich wieder hunderttausend Gulden verloren.« Das war der Königin zu toll, sie zürnte und war grämlich, bis der junge König wieder mit dem Minister Ratgeb von dannen ritt, um sich beim Spiele die üble Laune zu vertreiben. So ging es lange Zeit, bis eines Abends der König leichenblaß in das Zimmer der Königin stürzte und rief: »Mein liebes Gemahl, ich habe alles verspielt. Das Königreich samt Land und Leuten ist verloren. Wir müssen augenblicklich fort, wenn wir der Schande und dem Betteln entrinnen wollen.« Ehe die Königin sich faßte, stand ein Wagen mit sechs Pferden bespannt in Bereitschaft, den die Königin, ihr Gemahl und der Minister Ratgeb bestiegen. Alsbald ging’s so schnell von dannen, als ob der Wind sie forttrüge. So ward gefahren, bis sie zur Heimat des Prinzen kamen. Als sie sich der Residenz näherten, wurde angehalten und Ratgeb eilte nun zu Fuß voraus. Langsam fuhren der König und die Königin weiter. Bald kamen sie zu einer kleinen armen Hütte, die in einer verrufenen und schmutzigen Gasse stand. Hier wurde Halt gemacht und ein altes gebeugtes Mütterlein humpelte heraus und zeigte die größte Freude über die Ankunft ihres lange vermißten Sohnes. Der Prinz stieg nun aus dem Wagen und beide begaben sich in die niedrige dumpfe Stube. Darauf sprach der Königssohn zu seiner Frau: »Liebes Gemahl, wir sind nun in meiner Heimat. Laß es dir hier gefallen und arbeite, damit wir nicht Hunger leiden müssen. Ich werde wieder als Maurergeselle ins Tagwerk gehen und mit der Arbeit meiner Hände unser Brot verdienen.« Die Königin blieb nun im niedrigen Häuslein, während ihr Gemahl täglich in die Stadt ging, um, wie sie meinte, dort zu mauern. In der Tat begab er sich aber in das königliche Schloß, wo er mit seinen Räten und Ministern Regierungsgeschäften oblag, denn seine stolze Mutter war indes gestorben. Wenn er abends ins kleine Häuschen zurückkam, bot er seiner Frau den Tagelohn, um das Nötige damit zu bestreiten. Die Frau wollte durch Sticken und Häkeln sich manchen Kreuzer verdienen; doch all Bemühen war vergebens, denn so oft sie ein Stück Arbeit in die Stadt geschickt hatte, wurde es ihr zurückgesandt mit den Worten: »Eine so grobe und schlechte Arbeit kauft man nirgends.« Darüber war die arme Frau gar beschämt und betrübt und klagte das Leid ihrem Manne. Dieser sprach zu ihr: »Mein liebes Weib, da mußt du auf andere Weise dir einen Kreuzer zu gewinnen suchen. Ich will irgendwo Geld zu leihen suchen. Damit kannst du Geschirr kaufen und das auf dem Platze feilbieten. Einiges kannst du dir damit verdienen; denn regnet es nicht, so tröpfelt’s doch.« Gesagt, getan. Der vermeinte Maurergeselle ging fort und kam mit Geld nach Hause. Nun wurden bayerische Häfen und Teller, Schüsseln und Krüge gekauft und am folgenden Tage saß die Frau in einem ärmlichen Kittel auf dem Platze und bot Geschirr feil. Das tat sie längere Zeit hindurch und mancher Kreuzer flog ihr so in die Schürze. Wie sie eines Tages wieder auf dem Platze bei ihren Töpfen und Tiegeln saß, da kam ein stolzer schöner Herr, der ihrem Manne ähnlich sah, auf einem weißen Pferde herangeritten und sprengte, ohne daß er es zu bemerken schien, über das Geschirr der armen Händlerin hin, daß die Scherben links und rechts hinausflogen. Da weinte das arme Weib bittere Tränen, denn all ihre Habe und ihre Hoffnung war zertrümmert. Traurig kehrte sie in die dumpfe Hütte zurück und klagte dem Maurer, als er heimkam, ihr Unglück. Da zankte er sie aus und machte ihr bittere Vorwürfe über ihre Unachtsamkeit. Sie ertrug seine beißenden Worte ohne Gegenrede. Endlich schien ihr Mann besänftigt und sprach zu ihr: »Nun lassen wir das Verlorne fahren, denn dies Geschirr macht niemand mehr ganz. Aber höre, morgen muß ich den vollen Tag in der königlichen Burg arbeiten und darf keinen Schritt wegmachen. Drum bring mir morgen das Mittagessen aufs Schloß. Du darfst nur bei der Pforte nach mir fragen und dann wirst du mich schon finden.« Am folgenden Tage ging der Maurer in aller Frühe in die Stadt. Als die Mittagstunde nahe war, trug das arme Weib einen Hafen mit Suppe und Knödeln in die Burg. Weil sie sich aber schämte, den schwarzen Hafen öffentlich über die Gasse zu tragen, hatte sie ihn unter die Schürze gebunden und ging so zur Pforte. Als sie dort nach dem Maurergesellen fragte, hieß es: »Geh nur über die Stiege hinauf in die Küche. Dort wird man dir den Weg weisen.« Geduldig stieg sie über die blanke Marmortreppe hinauf und trat in die Küche. Da sagte der Koch: »Ganz gut, daß jemand kommt. Nimm gleich diesen Auflauf und trag ihn zum Saale hinauf. Du brauchst nicht hineinzugehen. Ein Bedienter wird dir den Teller schon abnehmen, und dann komm und ich werde dich schon zum Maurer weisen.« Sie willfuhr, nahm den Teller und trug ihn zum Saal hinauf, wo Pauken und Trompeten lärmten. Als sie bei der Türe stand und keinen Bedienten sah, spähte sie in den Saal. Kaum hatte sie aber einen Blick hineingeworfen, kam ein schöner, reicher Herr und führte sie in den Saal, wo sie trotz alles Sträubens mit ihm tanzen mußte. Wie sie so walzten, flogen Suppe und Knödel rechts und links, daß sie vor Scham feuerrot wurde. Kaum hatte dies der prächtige Herr, mit dem sie tanzte, bemerkt, als er mit seiner Rechten winkte. Augenblicks schwiegen Trompeten und Hörner. Er führte nun die arme Frau zum Throne und sprach: »Meine Treuen, in dieser Frau stelle ich meine Gemahlin und euere Königin vor.« Auf dieses fielen schmetternd Trompeten und Pauken ein. Ein Tusch folgte dem andern. Indessen führte der junge König seine Gemahlin in ein Nebengemach, wo für sie ein goldenes Kleid bereit lag und der König ihr erklärte, wie er sie geprüft habe. Als sich die Königin umgekleidet hatte, kehrten sie in den festlich geschmückten Saal zurück und feierten eine glänzende Hochzeit. Seitdem herrschten König und Königin über zwei Reiche und lebten vergnügt und glücklich. Die Königin waltete gar milde und ward wegen ihrer Bescheidenheit ohne Maß geliebt. Ratgeb blieb Minister und der treue Ratgeber des edeln Königs bis zu seinem späten Tode.

(Schwaz)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]

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