Vor langer, langer Zeit lebte in einem fernen Land ein glückliches und zufriedenes Volk. Dies verdankte es seinem König Pacho, da er stets auf das Wohl seiner Untertanen bedacht war. Obwohl auch seine Minister nicht klagen konnten, wollten sie ihren Herrscher dennoch alsbald vermählt sehen. Deshalb begannen sie die Suche nach der rechten Gemahlin. Leider stellte sich bald heraus, dass keine der in Frage kommenden Jungfrauen den Wünschen entsprach. Da sandte man Boten in alle Herrenländer aus, um die liebreizendste Maid zu finden.
Im Schloss arbeitete ein junger Diener, dem eine gewisse Einfältigkeit nachgesagt wurde. Dieser bat seinen Herrn, sich ebenfalls an der Suche beteiligen zu dürfen. Minister und der gesamte Hofstaat lachten über den Dummling. Sie tuschelten: „Was denn, dieser Hohlkopf? Nimmer! Der bringt uns noch eine Bäuerin oder Diebin statt einer Prinzessin ins Schloss!“
Enttäuscht wollte sich der Diener gerade mit hängendem Kopf abwenden, als er die Stimme des Königs vernahm: „Seid still! Wie könnt ihr nur so anmaßend und grausam sein! Aber du, mein treuer Diener, willst für deinen Herrn eine Braut suchen? Also gut, dann geh! Bringe mir das liebwerteste Wesen, welches du finden kannst, selbst wenn es eine Bettlerin sein sollte.“
Der junge Diener lächelte den König dankbar an und sprach: „Oh, Majestät, es wird das warmherzigste und schönste Mädchen sein, was man je gesehen hat.“ Kurz darauf machte sich der Jüngling auf die Reise. In jeder Stadt fagte er nach der hübschesten und freundlichsten Maid. Doch so sehr er auch suchte, es war keine passende Jungfrau zu finden.
Nach einiger Zeit kam er in ein fremdes Land, in dem ihm nur betrübte Menschen begegneten. Weder Bäume noch Blumen blühten, keine Vögel sangen mehr, selbst das Kinderlachen war verstummt.
„Was ist denn hier geschehen? Könnt Ihr mir das sagen?“, fragte der Diener einen Mann.
„Oh je, oh je“, jammerte dieser, „das ist eine lange Geschichte. Wisst Ihr, vor einigen Jahren ist unser alter Herr Graf gestorben. Er hinterließ einen Sohn und eine sehr schöne, liebreizende Tochter. Eines Tages ritt der junge Graf durch den Wald und verirrte sich. Erst nach drei Tagen und Nächten kam er völlig verändert zurück. Seitdem herrschen im ganzen Land Traurigkeit und Kälte. Freude und Fröhlichkeit wurden verboten. Dort, wo der Graf erschien, verdorrte alles, sogar die Vögel flogen auf und davon. Keiner weiß, was geschehen ist. Aber es wird gemunkelt, dass jetzt an Stelle des jungen Grafen ein böser Dämon in der Burg haust. Die Schwester unseres Herrn wird tagsüber eingesperrt und streng bewacht. Man sieht sie nur nachts, wenn sie im großen See badet.“
„Wo ist dieser See?“, fragte der Diener.
„Oh, mein Herr, Ihr habt doch nicht die Absicht dorthin zu gehen! Ich rate Euch ab, es ist viel zu gefährlich. Wisset, ein jeder, der mit unserer jungen Gräfin spricht, muss sterben, sobald der dämonische Graf davon erfährt. Durch seine Bosheit beherrscht er die Jungfrau mit teuflischer Magie“, gab der Mann zur Antwort.
„Dann will ich sie freien“, sprach der Diener.
„Das ist unmöglich, weil der Böse es nicht zulässt. Er verlangt von Euch drei Rätsel zu lösen. Könnt Ihr dies nicht, ereilt Euch der Tod. Bis jetzt hat es noch keiner geschafft. Deshalb haben wir das Lachen verloren und die Traurigkeit hat Einzug gehalten.“
„Ich muss die schöne Gräfin sehen, koste es, was es wolle! Könnt Ihr mir nicht die Stelle zeigen, an der sie ihr Bad nimmt?“, bat der Diener.
„Das vermag ich wohl. Doch es wird Euch nicht gelingen, in Ihre Nähe zu kommen. Eine unsichtbare Mauer hält alle Menschen von ihr fern.“
Gemeinsam mit dem Fremden wartete der Jüngling nachts am See, bis die junge Gräfin erschien. Sobald der Diener die Maid erblickte, wusste er, dass sie die richtige Gemahlin für seinen König war. Daraufhin wollte er gehen, doch der freundliche Mann bot ihm eine Mahlzeit und ein Nachtlager an.
Am nächsten Tag ritt er in Windeseile zurück zu seinem Herrn. Während der Herrscher dem Diener zuhörte, begannen seine Augen zu strahlen. Die Minister riefen jedoch aufgebracht: „Das geht nicht, Majestät! Ihr dürft nicht wagen, Euch in Gefahr zu bringen.“
Doch seine Hoheit erwiderte: „Meine Herren Minister, ich bin gerührt von eurer Sorge um mich, aber für die Liebe muss man Wagnisse eingehen. Ich versichere euch, achtzugeben. Verwaltet das Reich nur gut und weise bis zu meiner Rückkehr.“
Schon bald brach der Monarch in Begleitung seines Dieners auf. Dieser führte seinen Herrn in jenes Land, aus dem man schon von weitem Wehklagen hörte. König Pacho ging zu dem Grafen auf die Burg und hielt um die Hand dessen Schwester an. Der dämonische Graf lachte und fragte höhnisch: „Wisst Ihr, was Euch blüht, wenn Ihr die drei Rätsel nicht löst?“ König Pacho nickte.
„Habt Ihr es Euch auch gut überlegt? Denn der Tod wird Euch grausam ereilen. Darauf freue ich mich jetzt schon“, sagte der Graf gehässig und lachte so teuflisch, dass einem Schauer über den Rücken liefen. Kurz darauf schickte man nach der Gräfin. Schon bald stand sie vor dem Fremden. Der Graf spottete: „Sieh nur her, wieder so ein Narr und diesmal sogar eine Hoheit, die sein Leben für dich wegwirft.“ Pacho trat freundlich lächelnd näher und schaute der Schönen in die Augen. Als diese die Sanftheit in des fremden Königs Augen sah, erwiderte sie erleichtert dessen Blick. Die junge Gräfin schöpfte Hoffnung, sagte aber dennoch: „Lieber Fremder, Ihr begebt Euch in große Gefahr, denn der Graf ist nicht mein Bruder, sondern das Böse. Niemand wusste, was während des Ausrittes im Wald geschehen war. Das Böse muss seine Gestalt angenommen haben. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Die Rätsel, welche der Dämon stellt, sind unlösbar. Nur ein reines, gütiges Herz kann die richtigen Antworten finden.“
In diesen Augenblick gebot der falsche Graf Einhalt. König Pacho verabschiedete sich. Der Graf rief ihm nach: „Ich lasse bald zum Rätsellösen nach Euch schicken. Nicht mehr lange, dann gehört Ihr mir und werdet sterben, wie all die anderen vor euch.“ Bitterböses Lachen hallte in dem alten Gemäuer wider.
Voller Mitleid sahen die Burgbewohner den fremden Herrscher davonreiten. Aber insgeheim hofften alle, dass er sie von dem Unheil befreien werde.
Erst spät in der Nacht legte sich der Monarch zur Ruhe. Sein treuer Diener aber wachte an seiner Seite. Es betrübte den Burschen sehr, dass der König sein Leben scheinbar bereits verwirkt hatte. Tief in Gedanken versunken, glitt er in einen unruhigen Schlaf: Er befand sich an einem seltsamen Ort. Dieser erstrahlte hell und eine freundliche Stimme sprach zu ihm: „Ich bin der Herr über Himmel und Erde und weiß, was dich bedrückt. Glaube fest an deinen König, denn er ist ein guter Herrscher. Er wird nicht in Gefahr sein, solange du an seiner Seite weilst.“
König Pacho rüttelte seinen Diener so heftig, dass dieser unsaft erwachte und einen Moment nicht wusste, wo und wer er war. Doch als er seinen erstaunten Herrn sah, fiel es ihm wieder ein. Dieser drängte: „Komm flugs auf die Beine, man hat uns in die Burg befohlen.“ Noch ganz benommen, folgte er ihm.
Im Saal saß der böse Graf mit teuflischem Grinsen. Die Menschen der Grafschaft füllten den Saal bis zum letzten Platz. Angstvoll harrten sie der Dinge.
„So vernehmt das erste Rätsel, Fremder“, sprach der Graf. „Was ist das Wertvollste, was ein Mensch besitzen kann? Sputet Euch! Ihr habt nur wenig Zeit zum Überlegen.“
Dem König schlug das Herz bis zum Hals, doch als sein Blick auf die Gräfin fiel, antwortete er: „Es ist weder Geld noch Gold, weder Edelstein noch Diamant, es ist das Leben.“
„Nun gut“, knurrte der Böse und sah ihn giftig an. „Ihr habt zwar das erste Rätsel gelöst, aber glaubt nicht, das zweite wäre ebenso leicht. Es lautet: „Es ist wertvoll und zerbrechlich, es strahlt wie Licht und öffnet jede verschlossene Tür.“
Dem Monarch stand Schweiß auf der Stirn. Sein Herz raste wie zuvor. Den Anwesenden im Saal sah man an, dass sie mit ihm litten. Nach einigem Überlegen fand er die passende Antwort und erwiderte: „Weder Glas noch Kerzenlicht, auch ist es kein Schlüssel aus Gold, sondern ein gutes Herz und liebes Lächeln allein.“
Der dämonische Graf wurde abwechselnd bleich und grün. Im Saal spürte man bereits ein wenig Erleichterung, obwohl das Zittern und Hoffen noch anhielten und die Gräfin um den Fremden bangte. Sie wagte sich kaum zu rühren. Ihre Augen ruhten hoffnungsvoll auf Pacho. Dies blieb dem kaltherzigen Grafen nicht verborgen. Scheinbar gelangweilt nannte er das letzte Rätsel: „Wer ist überall anwesend und doch nicht sichtbar?“
Dem König wurde auf einmal bang.
„Wisst Ihr es etwa nicht? Dann ist Euer Leben verwirkt“, grunzte der Graf zufrieden. König Pacho war anzusehen, dass er auf einmal nicht mehr weiter wusste. Tränen liefen der schönen Gräfin über die bleichen Wangen. Währenddessen drängte der Böse seinen vermeintlichen Todeskandidaten zu einer Antwort: „Nun sagt es schon! Na? Aha … Ihr wisst es nicht!“ Gehässig lachend zückte er sein Schwert.
Plötzlich erfüllte den Saal ein gleißendes Licht. Sogleich fiel dem Diener sein nächtliches Erlebnis wieder ein. Wie vom Herrn über Himmel und Erde selbst erleuchtet, flüsterte der Bursche seiner Majestät etwas zu. Erleichtert lächelte König Pacho seinen Diener dankbar an und sprach: „Nicht Ihr, Graf, seid es, auch ich bin es nicht. Kein Mensch auf Erden ist es. Es ist allein der Allmächtige Gott.“
In diesem Augenblick erfasste ein Lichtstrahl den Grafen und das Böse entwich, wie abziehende Gewitterwolken am Himmel. Die junge Gräfin küsste den Monarch und weinte vor Glück. Plötzlich kam der Turmwächter in den Saal gestürzt und rief lauthals, dass es nur ja jeder hören musste: „Der junge Graf, unser Herr Graf kehrt zurück, ich habe ihn vom Turm aus gesehen.“
Wie durch ein Wunder erblühten die Blumen und Bäume. Vogelgezwitscher und Kinderlachen erfüllten wieder das Land. Der junge Graf dankte König Pacho von ganzem Herzen und führte ihm seine Schwester zu mit den Worten: „Werdet glücklich miteinander und vergesst mich nicht.“
Der treue Diener sah die glückliche Wendung und ritt erleichtert zum heimatlichen Schloss, um die frohe Botschaft zu überbringen.
Als der König und die Gräfin eintrafen, ließen die Untertanen das junge Paar hochleben. Bald darauf feierte das ganze Land die Vermählung seines verehrten Herrschers. Der junge, von allen bisher verhöhnte Diener erfuhr plötzlich von allen Seiten Anerkennung. Als ihn sein Brotherr dann auch noch für seine Treue zum ersten Palastdiener ernannte, war er nach dem jungen Paar der glücklichste Mensch unter der Sonne.
Quelle: Jutta E. Schröder