Vor langer Zeit lebten viele Leute im Nordland, aber es gab keine Frau unter ihnen. Man wußte nur von einem einzigen Weib, das weit im Süden lebte. Schließlich machte sich einer der jungen Männer im Norden auf und reiste gen Süden, bis er zum Haus der Frau kam, wo er blieb und bald ihr Mann wurde. Eines Tages saß er im Haus, dachte an die Heimat und sagte: „Ah, ich hab eine Frau, und der Sohn des Häuptlings im Norden hat keine!“ Und er gefiel sich sehr in Gedanken an sein gutes Schicksal.
Indessen hatte sich der Häuptlingssohn auch daran gemacht, nach dem Süden zu reisen, und während der andere gerade so zu sich sprach, stand der Häuptlingssohn am Hauseingang und belauschte ihn. Er wartete am Eingang, bis drinnen alle eingeschlafen waren, kroch dann ins Haus, packte die Frau bei den Schultern und wollte sie wegschleppen.
Wie er den Ausgang erreichte, bemerkte ihn ihr Mann und erwischte seine Frau noch an den Füßen. Es kam zu einer Rauferei, welche damit endete, daß die Frau auseinandergerissen wurde. Der Dieb trug die obere Körperhälfte nach Hause ins Nordland, während der Gatte mit der unteren Hälfte seiner Frau zurückblieb. Jeder der beiden saß nun und versuchte, die fehlenden Teile aus Holz zu schnitzen. Nachdem sie ergänzt waren, wurde ihnen Leben eingehaucht, und so waren aus den Hälften einer Frau zwei Frauen gemacht.
Die Frau im Süden war allerdings eine schlechte Näherin, was sie der Plumpheit ihrer Holzfinger verdankte; dafür war sie eine gute Tänzerin. Die Frau im Norden war zwar in Näharbeiten gewandt, aber ihre hölzernen Beine machten sie zu einer sehr schwachen Tänzerin. Jede der Frauen vererbte an ihre Töchter diese Merkmale, so daß noch heute dieser Unterschied zwischen den Frauen des Nordens und denen des Südens besteht – was beweist, daß die Geschichte wahr ist.
Quelle:
(Inuit)