„Tu dies“ und „tu das“ ohne „bitte“ und „danke“, befahl sie den ganzen Tag. Für sie war es selbstverständlich, dass alle immer das taten, was sie verlangte, ohne Widerrede.
Einmal war die Kammerzofe vor lauter Sorge um ihren kleinen todkranken Sohn so in Gedanken versunken, dass sie das Bett nicht mit der üblichen Sorgfalt machte. Darüber ärgerte sich die Königstochter so sehr, dass sie die arme Frau erbarmungslos aus dem Schloss jagte. Mitleid kannte sie nicht.
Ein Wind trug die Unfreundlichkeit und den Zorn der Prinzessin hoch bis zu einer Höhle, in der die Fee Windeshöh‘ zu Hause war. Solch ein Benehmen war für sie nicht zu ertragen. Die Fee schritt sofort zur Tat, nahm ihren Zauberstab und eilte hinab zur Prinzessin.
Als sie in das Gemach der Prinzessin eintrat, würdigte die Prinzessin den Gast keines Blickes, sondern schrie mit verärgerter Stimme: „Wer wagt es, meinen Schönheitsschlaf zu stören!“
„Ich bin es, die Fee Windeshöh‘!“, erklang die Antwort mit kristallklarer, fester Stimme. Die Fee erhob ihren Zauberstab und sprach: „Da du keinerlei Mitleid kennst, jedem mit frostiger und kalter Abneigung begegnest sollen Frost und Kälte von nun an deine ständigen Begleiter sein. Nur ein heißes Herz und das Feuer der Liebe kann dich aus diesem Zauber erlösen.“
Ein eisiger Luftzug wehte durch den Raum, und die Fee flog wieder zum Fenster hinaus.
Die Prinzessin zuckte missbilligend mit den Schultern und zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch. Plötzlich wurde ihr furchtbar kalt. Sie begann am ganzen Leib zu zittern, was ihre ohnehin schon üble Laune noch verschlechterte.
Mit jedem Tag wurde es rings um die Prinzessin herum kälter und kälter. Den ganzen Tag über musste das Feuer im Kamin brennen, das trotzdem nicht zu wärmen vermochte.
So kam es, dass die Bediensteten lieber das Schloss verließen, als an der Kälte zugrunde zu gehen. Schließlich waren nur noch das Königspaar und die Prinzessin übrig geblieben. Alle drei saßen vor dem Feuer. Langsam ging das Holz zur Neige. Da wurde die Prinzessin bitterböse. „Hol sofort Holz, bevor das Feuer ausgeht!“, schrie sie ihren Vater an.
„Aber, wir haben kein Holz mehr!“, antwortete der König.
„Was soll das heißen, wir haben kein Holz mehr!“, fragte die Prinzessin empört. „Dann sorge dafür, dass deine Untertanen ihr gesamtes Holz an uns abliefern!“
„Aber, es gibt niemanden mehr, der diesen Befehl überbringen könnte!“, so der König.
„Dann geh doch selbst und sammle das Holz ein!“, höhnte sie.
Was blieb dem König anderes übrig, als sich selbst um das Holz zu kümmern. Schließlich ging es um das Wohl seiner Tochter. Er liebte sie, obwohl er mit ihrem Gebaren nicht einverstanden war.
Nach vielen Tagen kehrte er zurück und war froh darüber, dass seine Untertanen gehorsam das Holz zum Schloss brachten.
Mittlerweile war die Prinzessin ganz starr geworden. Überall war sie mit Eis bedeckt. Wie der König seine Tochter so erblickte, erschrak er zutiefst und entfachte schnell das Feuer im Kamin. Doch auch das Holz seines Volkes hielt nicht lange an.
Wieder schrie die Eisprinzessin: „Hol sofort Holz, bevor das Feuer ausgeht!“
„Aber, wir haben kein Holz mehr!“, antwortete ihr Vater. „Und auch die Menschen in unserem Land besitzen keines mehr.“
„Dann sorge dafür, dass alle Bäume im ganzen Land gefällt werden.
„Aber Kind, das ist unmöglich!“, entgegnete der König entrüstet.
„Nichts ist unmöglich! Du bist der König. Also kannst du entscheiden, was mit deinen Bäumen geschieht! Oder willst du, dass ich erfriere?“, quiekte die Eisprinzessin vor Wut.
Die Kälte im Schloss war kaum mehr auszuhalten. Die Königin litt bereits an Erfrierungen. Also machte sich der König abermals auf den Weg, um Männer zu beauftragen, alle Bäume im ganzen Königreich zu fällen. Diese wiederum mussten zu Brennholz verarbeitet und zum Schloss gebracht werden. Viele Tage, Wochen und Monate vergingen.
In der Zwischenzeit war auch das Schloss mit einer Eiskruste überzogen. Von weitem sah es aus, als bestünde es aus lauter Diamanten und Edelsteinen. Eiskristalle und Eisblumen schmückten die Wände. Die Prinzessin jedoch hatte sich mittlerweile nicht nur dem Namen nach in eine Eisprinzessin verwandelt. Die Haare fielen ihr wie Eiszapfen vom Kopf. Auch Arme und Beine waren zu riesigen Eiszapfen erstarrt. Sie glänzte im Sonnenlicht, aber die Sonnenstrahlen hatten keine Kraft. Die Kälte breitete sich von Tag zu Tag mehr aus. Im ganzen Land war es bitterkalt für diese Jahreszeit, sodass viele beschlossen, in ein wärmeres Land auszuwandern.
Das Eisschloss mit seiner Eisprinzessin war in aller Munde. Niemand wagte sich in deren Nähe.
Im Schloss hingegen wurde ein Holzscheit nach dem anderen in den Kamin geworfen. Der König und die Königin standen ihrer Tochter bei. Eines Tages war auch der letzte Holzscheit aufgebraucht.
„Hol sofort Holz, bevor das Feuer ausgeht!“, ertönte es hartherzig aus dem Mund der Prinzessin.
„Aber, wir haben kein Holz mehr, das Volk auch nicht. Es gibt keinen einzigen Baum mehr im Land!“, sagte der König mit trauriger Stimme. „Ich kann nichts mehr tun.“ Das Leid der Tochter ging dem Königspaar so sehr zu Herzen, dass sie beschlossen, die Fee aufzusuchen. Nur sie konnte ihre Tochter von diesem schrecklichen Zauber erlösen.
So machten sich die beiden auf den mühsamen Weg weit hinauf in die Berge. Nach sieben Sonnenaufgängen erreichten sie endlich die Höhle, in der die Fee Windeshöh‘ Zuhause war. Der Eingang war mit Gold verziert. Weithin glitzerten wertvolle Steine und schimmerten wundervoll im hellen Sonnenschein.
Ehrfürchtig betraten sie die Höhle, verbeugten sich vor der luftigen Frau und baten: „Liebe Fee! Unsere Prinzessin bereut ihr unmögliches, garstiges Benehmen! Bitte hilf ihr, wieder ein normales Leben führen zu können! Wir ersuchen dich inniglich, das Eis zum Schmelzen zu bringen!“
„Das steht nicht in meiner Macht! Vermag sie es aber, Mitleid zu zeigen oder in sich und einem anderen Menschen das Feuer der Liebe zu entfachen, wird das Eis schmelzen.“
Das Königspaar kehrte traurig ins Eisschloss zurück.
Die Eisprinzessin langweilte sich inzwischen schrecklich. Niemand war mehr da, den sie anschreien oder an dem sie ihre Launen auslassen konnte und fühlte sich von Tag zu Tag einsamer. Und Einsamkeit macht traurig. Die Prinzessin begann nachzudenken. „Soll ich so mein Leben fristen? Eigentlich will ich doch gar nicht so böse sein. Warum bin ich so geworden? Ich war doch ein so fröhliches Kind.“
„Du bist so geworden, da dir alles gegeben wurde, nachdem du verlangt hast. Irgendwann war es dir egal, wie man deine Wünsche zu erfüllen vermochte. So bist du immer unleidlicher und unfreundlicher gegenüber anderen geworden. Hauptsache, du hattest deinen Willen!“, ertönte die kristallklare, feste Stimme der Fee über ihr.
Die Eisprinzessin schaute sich mit tränenerfüllten Augen im Raum um, doch die Fee zeigte sich ihr nicht. Traurig stellte sich die Eisprinzessin ans Fenster und wartete auf ihre Eltern, setzen konnte sie sich nicht mehr, so sehr war sie von Eis umgeben. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, es war das einzige, was sie noch in der Lage war zu tun.
Wie freute sich die Eisprinzessin, als sie ihre Eltern eines Tages kommen sah. Sie war so gerührt, dass sie ihretwegen den beschwerlichen Weg zur Fee auf sich genommen hatten, dass sie weinte.
Die Königin wollte ihre Tochter umarmen, unterließ es aber. Die klirrende Kälte machte ihr zu schaffen.
„Nicht weinen, mein Liebes!“, sagte sie statt dessen. „Sonst gefrieren deine Tränen zu weiteren Eiszapfen in deinem Gesicht.“
Doch das geschah nicht – im Gegenteil: die Tränen liefen ihr über die Wangen und tauten sogar etwas von dem Eis auf.
„Ich bin so glücklich, dass ihr wieder da seid!“, gestand die Prinzessin. „Ich hatte solche Angst, euch für immer verlorenzu haben!“
Der König nahm verwundert wahr, dass ein wenig Farbe ins Gesicht seiner Tochter zurückkehrte. Auch bildete er sich ein, dass es schon etwas wärmer geworden sei. Doch der Zustand seiner Gemahlin verschlechterte sich mit jedem Tag. Also suchte der König verzweifelt nach einer Lösung. Dabei fielen ihm die Worte der Fee ein und er wollte einen Mann für seine Tochter suchen. Er wollte denjenigen reich belohnen, der die Eisprinzessin heiratete. Dann, so war er überzeugt, würde auch all die Kälte und der Frost von ihrem Schloss weichen.
Die Botschaft des Königs verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land und auch in den Nachbarsländern. Doch nur drei Freier warben um die Eisprinzessin. Einer von ihnen gefiel der Königstochter ausnehmend gut. Er blickte sie mit warmen, liebevollen Augen an, obwohl ihm die Gestalt der Eisprinzessin nicht gerade den schönsten Anblick bot. Doch er sah durch das Eis hindurch. All seine Zuneigung lag in dem tiefen Blick und die Prinzessin versank in seinen Augen. Zwei Augenpaare ließen die Welt um sich herum versinken und in beiden Herzen entfachte ein Feuer – das Feuer der Liebe. Plötzlich fiel all das Eis von der Prinzessin ab, klirrte am Boden wie berstendes Glas, und wohltuende Wärme erfüllte ihren Körper. Sie lächelte den Prinzen an und willigte voller Freude in die Heirat ein.
Das Eis schmolz augenblicklich im ganzen Lande nur so dahin. Die Sonne wärmte wieder, Vögel zwitscherten fröhlich, die Menschen kehrten ins Land und die Dienerschaft ins Schloss zurück.
Die Königin hatte sich zur Freude des Königs bis zur Hochzeit der Prinzessin vollends erholt.
Die Prinzessin lebte fortan mit ihrem Gemahl im Schlosse ihres Vaters. Seitdem war die Königsfamilie weithin bekannt für ihre Herzenswärme und Freundlichkeit, und hatte stets ein offenes Ohr für jeden, der in Not war. Auch die Kammerzofe wurde wieder ins Schloss geholt und durfte sogar ihren kleinen Sohn mitbringen, der Dank der guten Kost zu einem fröhlichen Jungen heranwuchs und Spielgefährte der kleinen Prinzen und Prinzessinnen wurde.
Quelle: Carmen Kofler