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Märchenbasar

Die Freundschaft des Fischotters

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Im Monat des Langen Schlafes schneite es in dichten Flocken, Tag und Nacht, Tag und Nacht. Der Schneesturm jagte über das Land und verwehte die Fährten des Wildes, das sich in sein, e windgeschützten Höhlen geflüchtet hatte. In das Indianerdorf zog ein ungebetener Gast ein – der Hunger. Er trieb die Jäger hinaus in ihre Jagdgründe, aber sie kamen jedesmal ohne Beute zurück, entkräftet und todmüde von dem vergeblichen Suchen der im tiefen Schnee verlorenen Spuren. In das Pfeifen des Sturmes drang von Zeit zu Zeit das weithin hörbare Heulen eines hungrigen Wolfsrudels, Laute, die den Jägern das Blut in den Adern erstarren ließen, aber weit mehr noch ängstigte sie das Jammern ihrer hungrigen Kinder daheim. Da griff der Zauberer des Stammes, der mächtige Dadahwat, zu seinem Zaubersack. „Es ist eine große Wunderkraft darin verborgen“, erklärte er den versammelten Jägern. „Wenn ihr ihn berührt, seid ihr, noch bevor die Nacht vergeht, im Besitz der Beute, die ihr euch auserkoren habt. Aber hütet euch, dem toten Tier das Herz herauszunehmen und es zu essen, dann wäre der Zauber unwirksam.“ Zuerst berührte der Häuptling den Sack. Dabei wünschte er sich, am nächsten Tag einen Bären zu erledigen. Dann kamen alle übrigen an die Reihe, zuallerletzt Skagedi, der sich einen Luchs als Beute wünschte. Eiskalt sank die Nacht auf das Dorf. Der Sturm stemmte sich gegen die Wände der Wigwams, als wollte er sie umreißen, und fahle, Gespenstern ähnelnde Schneewirbel tollten im wilden Reigen durch die Gegend. Skagedi konnte keinen Schlaf finden. Noch im Finsternis erhob er sich von seinem Lager und ging den vertrauten Weg durch den Wald, denn er hoffte, noch vor Tagesanbruch auf die frische, unverwehte Spur eines Luchses zu stoßen.
Wie groß aber war die Überraschung, als ihm das Glück noch im Dunkeln hold war! Die Raubkatze drückte gerade mit ihren Vorderpfoten zwei junge, noch lebende Fischotter zu Boden. Als die Otter die leisen Schritte Skagedis hörten, hoben sie die Köpfe und sahen den jungen Jäger so flehentlich an, dass ihm ihr Blick ins Herz drang. Er tötete den Luchs mit einem einzigen Schlag, und als er sah, mit welcher Freude die jungen Otter in die Freiheit liefen, vergaß er sogar seinen Hunger. Aber nicht für lange. Als die beiden Ottern seinen Blicken entschwunden waren, meldete sich sein Magen von neuem, und diesmal so übermächtig, dass er dem Luchs das Herz herausnahm und es an Ort und Stelle aufaß. Niemand wird es gewahr werden, dass ich das Gebot des Zauberers übertreten habe, dachte er auf dem Heimweg und auch zu Hause, als er sich schon zur Ruhe legte. Er schlummerte sofort ein und schlief tief und fest wie ein Murmeltier. Inzwischen hatten sich die Männer des Dorfes auf die Jagd begeben, aber die Wunderkraft des Zaubersackes wirkte nicht mehr. Dem Häuptling trabte ein Bär vor der Nase davon, und ebenso wenig Glück hatten die anderen. Da stimmt etwas nicht, dachten sie und liefen ins Dorf zurück, um dem Zauberer Meldung zu erstatten. Der wusste sofort, dass jemand sein Verbot missachtet hatte. Sie brauchten nicht lange zu suchen: Vor Skagedis Wigwam lag, noch nicht abgezogen, der Luchs, und als der Zauberer ihn umdrehte, sah er dass in seinem Eingeweide das Herz fehlte. Skagedi hatte es gegessen. „Der Unglückselige muss bestraft werden. Er hat die Zauberkraft eines Sackes gebrochen, um den mich die Schamanen des ganzen Indianerlandes beneideten. Manitou selbst war es, der dem Sack eine solche Wundermacht verliehen hat.“ So klagte der erzürnte Dadahwat inmitten der schweigenden Männer und fällte dann selbst das Urteil: „wir müssen von hier wegziehen – in Gegenden, wo es reichere Jagdgründe gibt.
Du aber bleibst als einziger hier im Dorf zurück, ohne Nahrung und Kleidung, wenn du dich gegen deine Freunde aufs Schwerste vergangen hast.“ So lautete Dadahwats strenger Urteilsspruch. Kein einziger von den Jägern legte ein gutes Wort für Skagedi ein. Die Frauen ließen zwar ihre Blicke voller Mitleid auf ihm ruhen, aber nur der kleine Wie traten Tränen in die Augen und kullerten ihr in große Tropfen über die Wangen. Skagedi hatte den Richtspruch mit männlicher Fassung über sich ergehen lassen. Dann zogen alle fort und Skagedi war allein. Lange saß er, von Kälte geschüttelt, in seiner Hütte, da ihn das Feuer allein nicht wärmen konnte. Wie er so in das Toben des Schneesturms hineinlauschte, war ihm, als hörte er Schritte. Nein, er irrte sich nicht, jemand musste sich der Hütte nähern! Er schaute hinaus, aber niemand war zu sehen. Da drang zwischen den Windstößen eine flüsternde Stimme zu ihm: „Skagedi, Skagedi…Wenige Schritte von hier hält sich in einer Felsenhöhle ein Bär verborgen. Geh und töte ihn, dann bist du gerettet…“ Die Stimme schwieg, Skagedi wusste, was er zu tun hatte:
Am Morgen, als der Sturm sich etwas gelegt hatte, verließ er die Hütte und stand bald darauf vor der Höhle, wo der Bär in kurzem, aber tiefem Winterschlaf lag. Skagedi tötete ihn mit einem Pfeil und schleppte ihn heim. Aus dem dicken Pelz nähte er sich warme Kleidung und weiche Mokassins. Das Fleisch schnitt er in Stücke und machte es zum Räuchern zurecht. Am Abend war er todmüde, aber trotzdem konnte er lange nicht einschlafen. Er musste fortwährend an den geheimnisvollen Wohltäter denken, der ihm mit seinem Rat das Leben gerettet hatte.
Um Mitternacht, als er eben im Begriffe war, in das Reich des Traumes hinüberzugeleiten, kam die Stimme wieder: „Skagedi, Skagedi….
Morgen kommt dich Wie besuchen. Sag ihr, sie möge die Indianer zur Rückkehr bewegen. Und Dadahwat lass ausrichten, er solle dir verzeihen, du könntest deinen Sack mit der Wundertkraft zurückgeben.“ Skagedi lief in die dunkle Nacht hinaus und spähte nach dem unbekannten Freund, aber vergebens. Nichts war zu sehen, nur die Sterne funkelten still in der eiskalten Nacht.
Wie kam wirklich. Sie hatte gefürchtet, Skagedi nicht mehr unter den Lebenden zu finden, und wie sie ihn nun wohlbehalten vor sich sah, kannte ihre Freude keine Grenzen. Aber wie groß war erst ihr Glück, als der Jüngling ihr verriet, dass er dem Sack Daahwats seine Zauberkraft zurückgeben könne! Seinen unbekannten Retter aber hatte Skagedi mit keinem Worte erwähnt. Gleich nachdem Wie weggegangen war, machte er sich wieder an die Arbeit, die er am Tag vorher begonnen hatte. Abends legte er sich neben das Feuer und sehnte die Nacht herbei, brennend vor Ungeduld, wieder die freundliche Stimme zu hören. Die ließ lange aus sich warten. …..“Skagedi, Skagedi…Wenn der Dadahwat kommt, nimmst du seinen Sack in beide Hände. Dann fragst du die Jäger einen nach dem anderen, was sie erjagen möchten.
Dabei machst du den Sack jedesmal auf, und immer wird ein starker Bär, ein leichtfüßiger Hirsch oder ein Schneehase herausspringen, kurz und gut, jedes beliebige Tier, dass sich die Indianer wünschen. Du selber darfst keinen Wunsch aussprechen. Nimm, was in dem Sack zurückbleibt und bringe es mir in meinen Wigwam. Wo der ist, brauche ich dir nicht zu sagen, denn wenn du mir gehorchst, findest du den Weg von selbst.“ Am kommenden Tag kehrten die Indianer ins Dorf zurück, und der Zauberer, dem Wie die Botschaft Skagedis ausgerichtet hatte, reichte dem Jüngling den Sack. „So – jetzt zeig was du kannst“, sagte er dann aufs höchste gespannt. Skagedi nahm den Sack in beide Hände und wandte dich an den Jäger. „Welches Tier möchtest du erledigen?“ fragte er den Häuptling als ersten. „Einen Bär“, lautete die Antwort. Noch im selben Augenblick wälzte sich in brummendes Zotteltier aus dem Sack. „Und du?“ wandte er sich an den Sohn des Häuptlings. „Einen Hirsch“, erwiderte der Gefragte, und noch ehe er den Mund wieder zugetan hatte, kam auch schon ein junger Hirsch gesprungen und legte sich dem jungen Indianer zu Füßen. Und wie es weiterging, das konnte wirklich nur in einem Märchen passieren…Die Indianer riefen, einer nach dem anderen ins Wort fallend, ihre Wünsche, und Skagedi hatte Mühe, den Sack schnell genug auf – und zuzumachen, um die Tiere der Reihe nach herausspringen zu lassen.
Endlich war es soweit, dass Skagedi selbst in den Sack greifen konnte. Ganz unten am Boden lag etwas Weiches, und als er es herauszog, sah er, dass es die Pfote eines Otters war. Rasch versteckte er sie, nahm die Schneereifen an die Füße und machte sich auf den Weg, um die Behausung seines unbekannten Freundes zu suchen. Er wusste nicht, welchen Weg er einschlagen sollte, aber seine Schneeschuhe führten ihn ganz von selbst. Als der Wald zu Ende war, sah er eine kleine, runde Hütte. Die habe ich doch noch nie hier gesehen, dachte er, die muss meinem Freund gehören. Er trat ein. Die Hütte war leer. Überall lagen Fischreste herum, und die Luft roch nach Otter. Er legte die Pfote auf den Fußboden und eilte ins Lager zurück. Als er ein Stück gegangen war, hörte er hinter sich jemand rufen: „Skagedi..“ Der Jüngling drehte sich um und sah zu seiner großen Verwunderung, dass an der Stelle, wo eben noch die Hütte gestanden hatte, jetzt der Spiegel eines großen Sees glänzte. „Skagedi…du hast meine Kinder aus den Krallen des Luchses befreit. Zum Dank dafür wird Dadahwats Sack für immer seine Zauberkraft behalten. Die Pfote, die du mir gebracht hast, gehörte einst mir…“ „Mir, mir“, hallte es aus den Bergen zurück. „Merke dir aber, dass ihr keine Otter fangen dürft, wenn ihr euch meine Gunst erhalten wollt.“ Der Jüngling hörte ein Plätschern und sah, dass sich auf dem Wasser Ringe bildeten, wie wenn ein großer Otter ins Wasser gesprungen wäre. Er wartete noch eine Weile, ob er wieder auftauchen würde, aber das Wasser blieb ruhig. Dafür erblickte er am Waldrand Wie, die ihm ein Stück Weges entgegengeeilt war. „Wie, wie!“ rief er voller Freude und lief auf sie zu. Er erzählte ihr alles. was er gehört und erlebt hatte, und als er ins Lager kam, erfuhren es auch die anderen Indianer. Seitdem kam es nie wieder vor, dass die Dorfbewohner hungerten, denn die Rothäute lebten mit dem Otter in Freundschaft und Frieden, und Dadahwats Zaubersack wurde nie mehr leer.

Quelle: Märchen des Stammes Seneka

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