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Märchenbasar

Die Geiß mit ihren zehn Zicklein und der Bär

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Es war einmal eine alte Geiß, die hatte zehn kleine, kleine Zicklein, die waren wie die Orgelpfeifen: immer eines kleiner wie das andere, und das kleinste war nur so groß wie ein kleiner Finger. Nun traf es sich einmal, daß die alte Geiß sagte: »Meine Kinderchen, hört, was ich euch sage; ich gehe auf den Markt einkaufen Salat und Kraut, und ich bringe euch was mit, Milch im Zitz und weiches, weißes Brot; schließet die Türe nur gleich zu hinter mir und niemanden lasset herein, der nicht eine feine Stimme und weiße Hände hat; das aber bin ich; sonst kommt der garstige Bär und frißt euch alle, wenn ihr ihn hereinlasset.«
» Nein, nein, Mutter, wir wollen gut folgen und niemanden hereinlassen, bis Ihr nicht kommt«, sprachen die Zicklein. Nun nahm die Geißmutter den Quersack und ging. Die Zicklein schlössen zu und tanzten auf dem Fußboden herum und waren gar lustig. Als aber die Geiß durch den Wald ging, sah sie der Bär und dachte gleich: »Aha! nun kannst du die Zicklein leicht bekommen und fressen!« »Wie jene vorbeigegangen war, lief er gleich vor die Stube der Geiß, stieß in die Türe und brummte und murmelte gar erschrecklich: «Macht mir auf, macht mir auf!» Die kleinen armen Zicklein stäubten ganz verblüfft, daß sie kein Leben hatten, auseinander und verkrochen sich, wohin sie konnten, eines unter die große Mulde, eines unter den Waschtrog, eines unter den Milchnapf, eines in die Uhr, eines in die Ofenröhre usw. und das kleinste in die Asche. Wie nun der Bär draußen brummte und lärmte, aber doch nicht hineinkonnte, nahmen sich die neun größten Zicklein ein Herz und sagten: «Unsere Mutter sagte, wir sollen niemanden hereinlassen, der nicht eine feine Stimme und weiße Händchen habe.» Nun fingen sie an auch zu spotten, aber das hätten sie können bleiben lassen
und sagten: «Herr Gevatter Bär, nicht wahr, das Zickleinfleisch schmeckt gut? Nun, kommt doch herein durch das Schlüsselloch; Ihr denkt ja, Ihr wäret der Stärkste und Klügste und könntet alles!» Da wurde der Bär giftig und lief weg und dachte: «Nun wartet, ich will euch schon bekommen!» Die Zicklein aber bekamen Courage; wie sie merkten, daß der Bär nicht vor der Türe war, sprangen sie hervor aus dem Winkel und tanzten wieder und waren lustig. Nur der Aschenputtel jammerte:

«Was habt ihr getan?
Wie wird es uns gehn?
Der Bär ist zornig,
Der Bär ist stark.»

Der Bär lief stracks zu einem Schleifer und sprach: «Gleich schleife mir meine Zunge, daß ich auch so fein reden kann wie die alte Geiß.» Der Schleifer mußte es tun, denn der Bär wollte ihn sonst fressen. Dann ging der Bär wettergallig auf die Zickleinstube los; wie er ganz nahe war, ging er leise und brummte nicht mehr wie ein Bär und kam vor das Schlüsselloch und schrie ganz fein wie die alte Geiß: «Macht mir auf!» Die Zicklein schreckten zusammen, hörten auf vom Tanzen, blieben aber in der Stelle stehn; nur der Aschenputtel war gleich in der Asche. Nach einer Weile, wie der Bär wieder rief, fragte eines: «Bist du unsere Mutter?»
«Ja, ja!» sagte der Bär. «Nun, lasse sehen deine Hände!» Der Bär aber hatte vergessen, seine schwarzen, garstigen Pratzen weiß zu machen. Wie er sie nun zeigte, sahen die Zicklein, daß es der Bär war, und fingen wieder wie früherhin an zu spotten. Der Bär kochte vor Zorn und brummte bei sich im Weglaufen: «Nun wartet, ihr sollt mir dieses bezahlen!» Die Zicklein tanzten und sprangen wieder herum und waren lustig. Der Bär aber lief geradezu in die Mühle und rief dem Müller: «Mache du mir meine Pratzen so weiß als die der alten Geiß!» Der Müller mußte es tun, denn sonst wollte ihn der Bär fressen. Als es geschehen war, eilte der Bär wieder zu den Zicklein und ging ganz leise, wie er in der Nähe war, und rief dann vor dem Schlüsselloch ganz fein wie die alte Geiß: »Ihr meine Kinderchen, Kinderchen, macht mir auf!« Die Zicklein wurden wieder ganz stutzig, hörten auf vom Tanzen, blieben aber in der Stelle stehn, nur der kleine Aschenputtel war gleich in der Asche. »Bist du unsere Mutter?« fragten die anderen: »Ja, ja!« sagte der Bär. »Nun weiset die Hände!« Da zeigte der Bär seine weißgemachten Pratzen, und nun glaubten sie er wäre ihre Mutter, und waren froh und sprangen und wollten gerne sehn, was sie ihnen gebracht hätte, und schlossen die Türe auf. O Schrecken, da sahen sie den garstigen Bären. Nun hättet ihr sehen sollen, wie sie durcheinanderliefen! Allein das half alles nichts; der Bär sah, wohin sie alle liefen, fing eines nach dem andern und schluckte sie alle ein. Der Aschenputtel aber zitterte in der Asche und fürchtete sich, der Bär werde ihn auch finden; allein er hatte es nicht gesehen, und so dachte er, er wäre fertig, und ging weg und war froh.
Wie er an den Berg und den Wald kam, so sah er die Geiß; die kam eben vom Markte heim und brachte allerhand Einkäufnis auf dem Rücken. Er fragte sie ganz lustig: »Nun, woher kommt Ihr, Gevatterin?«
»Nun, vom Markt!« antwortete sie höflich
denn sie dachte, es ist immer besser, man tut freundlich, »man muß ja zuweilen etwas einkaufen!« Aber es war ihr gar nicht recht, daß der Schreckliche so spaßhaft war. »Nun, ich komme von der Hochzeit und habe gar gut gelebt«, sagte der Bär. Die Geiß ging schnell weiter und lief heim und wollte sehn, ob ihre Kinder vor dem Garstigen ruhig geblieben wären. Aber wie wurde es ihr, als sie die Türe angelweit offen und in der Stube alles umgedreht sah und alles mäuschenstill war! »Meine Kinderchen, meine Kinderchen, wo seid ihr, kommt doch hervor!« Aber es ließ sich lange nichts hören. Der Aschenputtel zitterte und fürchtete, es wäre wieder der Bär und er hätte sich nur verstellt. Endlich guckte er ein wenig aus der Asche heraus und sah nun, daß es seine leibhaftige Mutter war, und sprang heraus und erzählte nun alles, wie es gekommen war. Da wurde die alte Geißmutter zornig über den Bären und sagte: »Nun warte, ich will ihm’s gleich bezahlen! Bleibe du, mein Aschenputtelchen, nur hübsch zu Hause, bis ich dich rufe.« Sie wollte gerade zu dem Bären aufs Gebäude; aber als sie an den Wald kam, war er noch da, wo sie miteinander geredet hatten, und lag an einem Rain und sonnte sich. Nun kam die Geiß zu ihm und sagte: »Wie habt Ihr es doch, lieber Gevatter, auf der Hochzeit so gut gehabt; wie gut werdet Ihr nun schlafen; soll ich Euch nicht ein wenig lausen?«
»Wie gut wird das sein; ei wahrlich, tut das, Gevatterin.« Nun fing sie an ihn zu lausen, und er schlief darunter bald ein.
Schnell lief sie nun nach Hause und rief ihrem Jüngsten: »Komme mit, bringe die Nadel, den Zwirn und auch die Schere; ich soll den Mühlstein tragen.« So eilten sie zum Bären, der aber schleppte Klötze (schnarchte), daß es eine Freude war. Die Geiß nahm die Schere und schlitzte dem Bären den Bauch auf. Sogleich sprangen die neun Zicklein alle heraus und waren froh, wie sie ihre Mutter sahen und daß sie wieder im Lichten waren; denn im Bären ist es, wie im Ochsen, ganz dunkel. Ihre Mutter aber klopfte sich auf den Mund und winkte ihnen, sie sollten ganz still sein und nach Hause gehen; nur der Aschenputtel blieb da und war zur Hand. Nun nahm sie den Mühlstein und tat ihn dem Bären in den Bauch und nähte ihn wieder zu; er aber schlief noch fest und merkte nichts. Als er bald darauf erwachte, reckte er sich und rieb sich die Augen. Der Aschenputtel verkroch sich hinter einen Strauch. »Weh!« seufzte der Bär, »es liegt mir wie ein Stein im Magen.«
»So geht es, wenn man zu gut lebt!« sprach die Geiß; »allein, nicht lasset Euch, seid frisch, seht, wie munter ich bin!« Und die Geiß sprang und war lustig. Aber der Bär sah garstig und war verdrießlich und konnte sich mit Mühe von der Stelle rühren. »Nun, Ihr seid ein elender Kerl!« sagte die Geiß, »Ihr könnt nicht einmal über diesen Brunnen springen; sehet mir einmal zu!« Im Nu war die Geiß drüben. Der Bär wollte nicht recht, aber er schämte sich zu sagen: »Nein, das kann ich nicht!«, denn er dachte, er wäre der Größte und könnte alles. Er ging einigemal um den Brunnen herum und wollte und wollte auch nicht; endlich nahm er sich einen Anlauf und sprang, aber der Mühlstein zog ihn in den Brunnen. Die Geiß aber rief Ihm fröhlich nach:

»Rumple, rumple, Mühlenstein,
Meine zehn Zicklein sind alle daheim!«

Der Aschenputtel lief nach Hause und rief auch die andern. Nun kamen sie alle und sprangen um den Brunnen und sangen:

»Gevatter Bär, Gevatter Bär,
So seht doch nur ein wenig her;
Ihr denkt, Ihr hättet Zicklein im Bauch,
Es ist Knochigers noch, Ihr alter Gauch;
Nun sauft gut auf den Mühlenstein
Und bleibt ein andermal hübsch daheim!«

So mußte der Bär elendig ertrinken, und das war ihm recht.

[Josef Haltrich: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen]

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