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Märchenbasar

Die geraubte Schwester

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Einst lebten ein Bruder und eine Schwester zusammen in einer Hütte. Er hieß Wagatscharaibu und sie Mweru. Er war sehr schön, und jedermann bewunderte seine langen Haare. Wenn er fortging, um seine Freunde zu besuchen, dann war Mweru allein. Da sagte sie ihm einmal, er möchte sie nicht soviel allein lassen, denn in der Nacht wären drei Männer gekommen mit Speeren und Keulen, und sie fürchtete, die drei Männer würden wiederkommen und sie rauben. Aber Wagatscharaibu lachte darüber und ging doch wieder aus. Und in der Nacht erschienen wirklich die drei Männer wieder, ergriffen das Mädchen und entführten sie. Als der Bruder nach Hause kam, fand er die Hütte leer. Aus weiter Ferne hörte er noch die Stimme der Geraubten, die um Hilfe schrie. Er erwiderte ihren Ruf und stürzte sich in das hohe Gras, um seiner Schwester zu folgen. Er hörte auch immer ihr Rufen, aber er konnte sie nicht erreichen. Als er lange gegangen war, wurde er hungrig. Er trug aber einen großen Hut aus einem Stück Leder und fing an, den Hut aufzuessen. So ging er monatelang hinter der Schwester her. Und als sein Hut aufgegessen war, aß er seine Kleider, die auch aus Leder waren. Nach einem Jahr und vier Monaten waren auch diese aufgegessen, aber seine Schwester hatte er immer noch nicht gefunden.

Endlich kam Wagatscharaibu zu einem großen Gehöft, auf dem eine junge Frau das Essen kochte. Er bat sie um eine Speise, und sie gab ihm etwas in einem alten Scherben. Am anderen Morgen ging er mit dem kleinen Sohn aus, um die Vögel von den Getreidefeldern zu verscheuchen, denn das Korn war fast reif. Und er nahm Steine und warf sie nach den Vögeln. Jedesmal, wenn er einen Stein warf, sagte er: „Fliege weg, fliege weg, kleiner Vogel, wie Mweru geflogen ist, die ich nicht mehr sehen soll!“ Der Knabe hörte zu und erzählte daheim der Mutter, was der Fremde gesagt hatte. Aber sie achtete nicht darauf. Am folgenden Tag geschah es ebenso, am dritten Tag ging die Mutter selbst mit und hörte, was Wagatscharaibu sagte. Die Frau aber hieß Mweru. Daher fragte sie ihn, warum er diese Worte sage und was das für eine Mweru sei. Und er antwortete: „Ich bin dort und dort und hatte eine Schwester, die hieß Mweru. Sie wurde geraubt, und ich bin ihr viele Monate nachgezogen, aber ich habe sie niemals wieder gesehen.“ Da legte die Frau ihre Hand an die Augen und weinte, denn sie war seine Schwester.
„Bist du denn wirklich mein Bruder?“ fragte sie; denn sie hatte ihn nicht erkannt, so hatten die Irrfahrten und Entbehrungen ihn verändert. Und sie fügte hinzu: „Dein Haar ist ungepflegt und deine Kleider sind nicht, wie sie waren, darum habe ich dich nicht gekannt. Aber du sollst gekleidet sein wie einstmals. Dann erst werde ich sehen, ob du wirklich mein Bruder Wagatscharaibu bist.“

Und sie ging zu ihrem Mann, demselben, der sie früher geraubt hatte, und sie erhielt vier Schafe und drei Ziegen. Die Schafe wurden geschlachtet, und Wagatscharaibu aß das Fleisch und wurde wieder stark und groß. Seine Schwester nahm das Fett und pflegte sein langes Haar und legte es ihm auf die Schultern. Aus den Ziegenfellen machte sie ihm einen Rock, sie gab ihm auch einen Speer, den ihr Mann getragen hatte, als er sie raubte. Sie gab ihm ferner Armbänder von Messing und Eisen, Beinschmuck und Halsringe. Dann sprach sie: „Nun sehe ich, daß du wirklich mein Bruder Wagatscharaibu bist.“
Ihr Mann aber liebte ihren Bruder herzlich und gab ihm zwanzig Ziegen und drei Ochsen. Das war viel mehr, als der Kaufpreis für Mweru betragen hätte. Aber er gab es ihm aus Liebe und baute ihm überdies eine Hütte neben der seinen und schenkte ihm schließlich noch dreißig Ziegen, damit er sich eine Frau kaufen und selbst seine Wirtschaft führen konnte. So kehrte denn Wagatscharaibu nicht mehr in seine alte alte Heimat zurück, sondern blieb bei seiner Schwester und ihrem Mann.

 
Afrikanisches Märchen

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