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Die geraubten Töchter

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Ein König hatte drei Söhne. Von denen war der älteste ein Dümmling. Dem König verschwand eine Tochter, einem General verschwand eine Tochter, und einem vornehmen Herrn verschwand eine Tochter. Und der König befahl seinen Söhnen, die Mädchen zu suchen. Er sagte: »Wenn ihr sie findet, dürft ihr sie heiraten.« Da gingen die drei Brüder fort, sie zu suchen, und jeder von ihnen hatte ein Schwert. Das Schwert des Dümmlings war sieben Pud1 schwer. Sie wanderten eine ganze Woche, da kamen sie an einen großen Felsen, und in dem Felsen war ein Spalt, der bis tief auf den Grund der Erde führte. Und sie ließen den Dümmling in einem Korb an einem Strick hinunter und mit ihm das sieben Pud schwere Schwert. Die Brüder aber wollten drei Wochen oben auf ihn warten.
Den Strick und den Korb ließ der Dümmling in dem Spalt. Dann wanderte er ungefähr zehn Werst, als er vor einen kupfernen Palast kam, dort war die Tochter des vornehmen Mannes. Sie fragte ihn: »Wie bist du hierhergekommen?« – »Wie du auch hierhergekommen bist, aber habe keine Angst, ich führe dich hier fort.« Da sagte das Mädchen: »Mein Herr ist so böse, daß er dich totschlägt, wenn er dich sieht. Er hat sieben Köpfe und zehn Hörner.« – »Wo schläft er denn?« fragte der Dümmling. Sie sprach: »Er schläft unter meinem Bett.« Da kam das siebenköpfige Ungeheuer nach Hause. Und der Böse fragte sogleich: »Wo ist das Menschenkind hergekommen?« Da antwortete die Herrentochter: »Es ist mein Gast, er kam, um mich zu besuchen. Womit sollen wir ihn bewirten?« – »Mit Feuer und Pech«, sagte der Böse. Er forderte den Dümmling auf, einen Becher zu trinken. Der aber sagte: »Erst der Wirt und dann der Gast.« Da trank der Böse zuerst. Der Königssohn aber goß seinen Trank unter den Tisch, ohne daß es der Böse merkte. Und dieser bat ihn wieder zu trinken, und der Königssohn goß wieder alles unter den Tisch. Er selbst trank mehrere Becher nacheinander, dann bat er den Königssohn, mit ihm zu ringen. Dieser aber sprach: »Ist es dir noch nicht genug, mit mir zu trinken? Schon steigt dir ja der Wein zu Kopf.« Und der Böse trank, bis er sich schlafen legte, und dachte gar nicht mehr ans Ringen. Da schlug ihm der Königssohn die sieben Köpfe ab, und der Palast verwandelte sich in ein kupfernes Ei. Das Ei steckte er in die Tasche. Dann ging das Mädchen mit ihm fort, die andern zu suchen.
Sie gingen wohl einen halben Tag, als ein silberner Palast sichtbar wurde, wo die Generalstochter gefangensaß. Und sie gingen in den Palast. Dort war der Herr zu Hause. Auch er fragte sogleich: »Woher sind denn die Menschenkinder gekommen?« Die Generalstochter antwortete: »Sie kommen, um mich zu besuchen.« Und sie wurden zu Tisch gebeten und wieder bewirtet. Da sagte der böse Mann: »Mir entführst du die Generalstochter nicht, wie du die Herrentochter entfuhrt hast!« Darauf nötigte er den Königssohn zum Trinken, und auch hier gab es wieder Feuer und Pech. Der Königssohn sprach wieder: »Du mußt selbst zuerst trinken, danach der Gast.« Der Böse trank, aber der Jüngling goß alles unter den Tisch. Dann forderte er ihn zum Ringen auf. »Erst trink ich noch einen Humpen«, sagte der Böse, »eher geh ich nicht.« Der Königssohn sprach: »Trink nicht mehr, wenn du trinkst, besieg ich dich.« Darüber wurde der Teufel ärgerlich. Er trank die ganze Kanne aus und rief: »Jetzt bin ich stark!« Da stürzte er zu Boden. Der Königssohn schlug ihm alle acht Köpfe und zehn Hörner ab – denn er hatte acht Köpfe. Da verwandelte sich der Palast in ein silbernes Ei. Er nahm das Ei, steckte es in die Tasche, und sie machten sich zu dreien auf den Weg, die Generalstochter, die Herrentochter und der Königssohn.
Wie sie einen ganzen Tag gewandert waren, kamen sie zu einem goldenen Palast. Hier saß die Königstochter, seine Schwester. Die wollte sie gar nicht hineinlassen. Doch der Königssohn bat bis zum Mittag: »Laß uns ein!« Da wurden sie eingelassen, und sie wurden wieder mit Feuer und Pech bewirtet. »Bei uns zu Lande kommt erst der Wirt und dann der Gast«, sprach der Königssohn. Und der Wirt trank zuerst einen Becher, dann reichte er ihn dem Königssohn, der wieder alles unter den Tisch goß. Wieder forderte der Königssohn das Ungeheuer zum Ringen auf. Und der böse Mann sprach: »Ich gehe nicht eher, als bis ich tüchtig getrunken habe«, und er trank so lange, bis er umfiel. Da schlug ihm der Königssohn seine zehn Köpfe und fünfzehn Hörner ab, so groß war der Böse, und der Palast verwandelte sich in ein goldenes Ei. Das steckte er auch in die Tasche, und sie machten sich zu vieren dahin auf, wo der Korb und der Strick lagen.
Als sie dort angelangt waren, zog der Königssohn an dem Strick. Das merkten die Brüder, die oben auf ihn warteten. Dann setzte er die Herrentochter in den Korb, die zogen die Königssöhne nach oben. Und er sah die Generalstochter an und sprach: »Ich heirate dich, wenn wir wieder auf unserer Erde sind«, denn das Mädchen hatte ihn gern. Dann setzte er sie in den Korb, und sie zogen ihn nach oben. Danach kam die Königstochter in den Korb, und sie wurde auch hinaufgezogen. Nun war die Reihe an ihm, aber es kam ihm in den Sinn, die Brüder möchten ihn mit dem Korbe herunterstürzen lassen, um ihn zu töten, und er setzte sich nicht in den Korb, sondern warf einen Stein hinein. Sie zogen den Korb auch in halbe Höhe, aber dann ließen sie ihn mitsamt dem Strick hinunter in die Tiefe fallen. Da überlegte der Königssohn: »Wie gelange ich jetzt wieder in die andere Welt?«
Er ging ein Stückchen vorwärts und fand ein Adlernest, darin waren kleine, nackte Junge. Er warf seinen Mantel wie ein Dach über sie hinweg und legte sich daneben schlafen. Nachdem er eine Weile geruht hatte, kam der Adler angeflogen. Der Adler fragte: »Warum hast du meinen Jungen die Decke übergeworfen?« Und der Königssohn antwortete: »Ich habe sie zugedeckt, weil sie so nackt waren.« Da fragte ihn der Adler: »Was willst du zum Lohn, daß du meine Kleinen zugedeckt hast?« – »Ich bitte um nichts weiter, als daß du mich wieder auf die Erde bringst«, sagte der Königssohn. Der Adler willigte ein und brachte ihn nach oben. Drei Wochen verstrichen, dann kam er ins Schloß, doch dem König selbst zeigte er sich nicht. Er verkleidete sich als Spielmann. Der jüngste Sohn wollte die Generalstochter heiraten, und sie feierten Hochzeit. Da ließen sie den Spielmann herbeikommen, daß er ihnen zur Hochzeit aufspiele. Aber die Generalstochter erkannte in dem Spielmann den Königssohn. »Diesem habe ich ein Zeichen gegeben, das ist der älteste Königssohn!« rief sie aus. Der König hatte seinen Sohn nicht erkannt, weil er wie ein Spielmann gekleidet war. Da sprach die Generalstochter zu ihm: »Hier ist mein Verlobter, dein ältester Sohn, der uns aus dem Innern der Erde gerettet hat. Die jüngsten Brüder sagten, daß sie uns befreit hätten, aber der älteste war es.« Die beiden argen Söhne hatten ihren Vater belogen. Da gab der König den Befehl, sie zu hängen. Der älteste Sohn aber hielt Hochzeit mit der Generalstochter, und sie leben zusammen bis auf den heutigen Tag. Es ist eine wahre Geschichte, doch zu glauben braucht ihr sie nicht. Einer, der sie erlebt hat, hat sie erzählt.

[Finnland: August von Löwis of Menar: Finnische und estnische Märchen]

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