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O Herr! Wenn es Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines meiner Freunde vortragen.
Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen Unglücklichen auf dem Schiff waren entweder rohe Menschen, mit denen ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand. Darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten, gern bei dem jungen Mann ein. Er nannte sich Almansor und war seiner Aussprache nach ein Ägypter. Wir unterhielten uns recht angenehm miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte zu erzählen, wobei dann die meines Freundes allerdings weit merkwürdiger war, als die meinige.
Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt, deren Namen er mir nicht nannte. Er verlebte die Tage seiner Kindheit vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und aller Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig gebildet. Denn sein Vater war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies hatte er zum Lehrer einen berühmten Gelehrten, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muss. Almansor war etwa zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer in das Land kamen und Krieg mit seinem Volk führten.
Der Vater des Knaben musste aber den Franken nicht sehr sicher erschienen sein, denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner treuen Gesinnung gegenüber dem Frankenvolk, und als er sie nicht geben wollte, schleppten sie seine Frau mit Gewalt ins Lager.
Der Junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es erging ihm dort im ganzen gut, denn einer der Feldherren ließ ihn in sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, die ihm ein Dragoman übersetzen musste. Er sorgte für ihn, dass ihm an Speise und Kleidung nichts abginge, aber die Sehnsucht nach Vater und Mutter machte den Knaben dennoch höchst unglücklich. Er weinte viele Tage lang, aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager wurde abgebrochen, und Almansor glaubte, jetzt wieder zurückkehren zu dürfen. Aber es war nicht so, das Heer zog hin und her, führte Krieg mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es ihm und sagten, er müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue bleiben. So war er viele Tage auf dem Marsch.
Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heer, die dem Knaben nicht entging. Man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen, und Almansor war außer sich vor Freude, denn jetzt, wenn die Franken in ihr Land zurückkehrten, jetzt musste er ja frei werden! Man zog mit Ross und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so weit, dass man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten schifften sich ein, aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil an Bord war. So gern Almansor gewacht hätte, weil er jede Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken hätten ihm etwas ins Wasser gemischt, um ihn einzuschläfern. Denn als er erwachte, schien der helle Tag in seine kleine Kammer, worin er nicht gewesen war, als er einschlief. Er sprang von seinem kleinen Lager auf, aber als er auf den Boden kam, fiel er um, denn der Boden schwankte hin und her, und alles schien sich zu bewegen und im Kreis um ihn her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Wänden fest, um aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand.
Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her. Er wusste nicht, ob er träume oder wache, denn er hatte nie Ähnliches gesehen oder gehört. Endlich erreichte er eine kleine Treppe. Mit Mühe klomm er hinauf, und welch ein Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiff. Da fing er kläglich an zu weinen. Er wollte zurückgebracht werden, er wollte sich ins Meer stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat. Aber die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald wieder in seine Heimat kommen, und stellte ihm vor, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre, ihm vom Land aus nach Hause zu bringen. Dort aber hätte er, wenn man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen müssen.
Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken, denn das Schiff segelte viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an Ägyptens Küste, sondern in Frankistan! Almansor hatte während der langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam. Er wurde viele Tage lang durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das Volk zusammen, um ihn zu sehen. Denn seine Begleiter sagten, er wäre der Sohn des Königs von Ägypten, der ihn zu seiner Ausbildung nach Frankistan schicke.
So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie hätten Ägypten besiegt und wären im tiefsten Frieden mit diesem Land. Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und Gebräuchen von Frankistan unterwies.
Er musste vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr eng und knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen. Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so musste er mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz, die alle Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom Kopf reißen, mit der anderen Hand musste er an die Seite fahren und mit dem rechten Fuß auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit übergeschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im Morgenland, sondern musste sich auf hochbeinige Stühle setzen und die Füße herabhängen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch nicht geringe Schwierigkeiten, denn alles, was er zum Mund bringen wollte, musste er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken.
Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte. Denn wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: „Salem aleikum!“, so schlug er ihn mit dem Stock, denn er sollte sagen: „Votre Serviteur“. Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken oder sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen. Und er hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein Mann in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war.
Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele morgenländische Sprachen verstand, Arabisch, Persisch, Koptisch, sogar Chinesisch – von jedem etwas. Er galt in jenem Lande als ein Wunder an Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, dass er diese Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann ließ nun den jungen Almansor alle Wochen einige Male zu sich kommen, bewirtete ihn mit seltenen Früchten und dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als wäre er zu Hause. Denn der alte Herr war ein gar sonderbarer Mann. Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in Ägypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit einem Bedienten in jenes Zimmer und ließ ihn ganz nach seiner Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach „Klein-Arabien“ – so nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten.
Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, wie Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen und mit Blumen ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends aber ein fränkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster saß der alte Professor. Er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich. Um den Kopf hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden, er hatte einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte und aussah, wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatenen Schlafrock hatte machen lassen, weite, türkische Beinkleider, gelbe Pantoffeln und – so friedlich er sonst war – an diesen Tagen hatte er einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein Dolch, mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls persisch gekleidet waren, und wovon die Hälfte Gesicht und Hände schwarz gefärbt hatte.
Von Anfang an wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich dünken, aber bald sah er ein, dass solche Stunden, wenn er sich in die Gedanken des Alten fügte, sehr nützlich für ihn waren. Durfte er beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die fränkische Sprache verboten. Almansor musste beim Eintreten den Friedensgruß sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte. Dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen durcheinander zu sprechen und nannte dies eine gelehrte, morgenländische Unterhaltung. Neben ihm stand ein Bedienter, oder, was sie an diesem Tage darstellten, ein Sklave, der ein großes Buch hielt. Das Buch aber war ein Wörterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte und fuhr dann zu sprechen fort.
Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbet und dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen machen, so musste er sagen, es sei bei ihm alles angeordnet wie im Morgenland. Almansor las sehr schön Persisch, und das war der Hauptvorteil für den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte, aus diesen ließ er sich von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache.
Das waren die Freudentage des armen Almansor. Denn nie entließ ihn der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben an Geld oder Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm der Doktor nicht geben wollte. – So lebte Almansor einige Jahre in der Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der Heimat geringer. Als er aber fünfzehn Jahre alt war, begab sich ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluss hatte.
Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn – denselben, mit welchem Almansor so oft in Ägypten gesprochen hatte – zu ihrem König und Beherrscher. Almansor wusste zwar und erkannte es an den großen Festlichkeiten, dass etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe, doch konnte er sich nicht denken, dass der König derselbe sei, den er in Ägypten gesehen hatte. Denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über den breiten Fluss führen, der die Stadt durchströmt. Da gewahrte er in der einfachen Uniform eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer lehnte und in die Wellen sah. Die Züge dieses Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das Verständnis, dass dieser Mann jener Feldherr der Franken war, mit welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn gesorgt hatte. Er wusste seinen rechten Namen nicht genau, er fasste sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten und sprach, indem er nach seiner Landessitte die Arme über der Brust kreuzte: „Salem aleikum, Petit-Caporal!“
Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: „Himmel, ist es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Ägypten? Was führt dich hierher zu uns?“
Da konnte sich Almansor nicht länger halten, er fing bitterlich an zu weinen und sagte zu dem Mann: „So weißt du also nicht, was die Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weißt nicht, dass ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe seit vielen Jahren?“
„Ich will nicht hoffen“, sagte der Mann, und seine Stirn wurde finster, „ich will nicht hoffen, dass man dich mit hinwegschleppte!“
„Ach, freilich“, antwortete Almansor, „an jenem Tag, wo eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letzten Mal. Sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, der mich schlägt und halb Hungers sterben lässt. Aber höre, Petit-Caporal“, fuhr er ganz treuherzig fort, „es ist gut, dass ich dich hier traf, du musst mir helfen!“
Der Mann, zu welchem er sprach, lächelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen solle.
„Sieh“, sagte Almansor, „es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas verlangen. Du warst von jeher so gütig gegen mich. Aber ich weiß, du bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst du nie so schön gekleidet wie die anderen. Auch jetzt musst du, nach deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein. Aber da haben die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Kapudan-Pascha, nicht?“
„Nun ja“, antwortete der Mann, „aber wie weiter?“
„Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Petit-Caporal, dass sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich freilassen. Dann brauche ich auch etwas Geld für die Reise übers Meer. Vor allem aber musst du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem arabischen Professor etwas davon zu sagen.“
„Wer ist denn der arabische Professor?“ fragte jener.
„Ach, das ist ein sonderbarer Mann! Doch von diesem erzähle ich dir ein anderes Mal. Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es mir aufrichtig!“
„Komm mit“, sagte der Mann, „vielleicht kann ich dir gleich nützlich sein.“
„Jetzt?“ rief der Jüngling mit Schrecken, „jetzt um keinen Preis, da würde mich der Doktor prügeln! ich muss eilen, dass ich nach Hause komme.“
„Was trägst du denn in diesem Korb?“ fragte jener, indem er ihn zurückhielt. Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen. Endlich aber sagte er: „Sieh, Petit-Caporal, ich muss hier Dienste tun wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und schickt mich alle Tage von unserem Haus eine Stunde weit auf den Gemüse- und Fischmarkt. Da muss ich dann unter den schmutzigen Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen billiger ist als in unserem Stadtteil. Sieh, wegen dieses schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses Stückchens Butter muss ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es mein Vater wüsste!“
Der Mann, zu welchem Almansor dies sagte, war gerührt über die Not des Knaben und antwortete: „Komm nur mit mir und sei getrost. Der Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder Hering noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!“ Er nahm bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag doch soviel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, dag er sich entschloss, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, neben dem Soldaten durch viele Straßen, und wunderbar wollte es ihn bedünken, dass alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und stehen blieben und ihnen nachschauten. Er äußerte dies auch gegen seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darüber.
Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloss, auf welches der Mann zuging. „Wohnst du hier, Petit-Caporal?“ fragte Almansor. „Hier ist meine Wohnung“, entgegnete jener, „und ich will dich zu meiner Frau führen.“
„Ei, da wohnst du schön!“ fuhr Almansor fort. „Gewiss hat dir der Sultan hier freie Wohnung gegeben?“
„Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht“, antwortete sein Begleiter und führte ihn in das Schloss. Dort stiegen sie eine breite Treppe hinauf, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine Dame auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Ägypten. Endlich sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: „Weißt du, was das beste ist? Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich sprechen.“
Almansor erschrak sehr, aber er dachte an sein Elend und seine Heimat. „Dem Unglücklichen“, sprach er zu den beiden, „dem Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not. Er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen, ich will es tun, ich will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muss ich vor ihm niederfallen? Muss ich mit der Stirn den Boden berühren? Was muss ich tun?“
Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht nötig.
„Sieht er schrecklich majestätisch aus, der Sultan?“ fragte er weiter, „hat er eine langen Bart? Macht er feurige Augen? Sag, wie sieht er aus?“
Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: „Ich will ihn dir lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du sollst selbst erraten, welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle im Saal des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig abnehmen, der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der Kaiser.“ Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm zum Saal des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der Tür näherten. Ein Bedienter öffnete die Tür, und da standen in einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet und mit Gold und Sternen übersät, wie es Sitte ist im Lande der Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige. Und Almansor dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse einer der Geringsten unter ihnen sein. Sie hatten alle das Haupt entblößt, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut auf dem Kopf hatte, denn dieser musste der Kaiser sein. Aber sein Suchen war vergebens. Alle hatten den Hut in der Hand, und der Kaiser musste also nicht unter ihnen sein. Da fiel sein Blick zufällig auf seinen Begleiter, und siehe – dieser hatte den Hut auf dem Kopf sitzen!
Der Jüngling war erstaunt und betroffen. Er sah seinen Begleiter lange an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: „Salem aleikum, Petit-Caporal! So viel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken. Doch du bist der, der den Hut trägt – Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?“
„Du hast es erraten“, antwortete jener, „und überdies bin ich dein Freund! Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen Verwirrung der Umstände zu, und sei versichert, dass du mit dem ersten Schiff in dein Vaterland zurücksegelst. Geh jetzt wieder hinein zu meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor und was du weißt. Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken, du aber bleibst in meinem Palast.“
So sprach der Mann, der Kaiser war. Almansor aber fiel vor ihm nieder, küsste seine Hand und bat ihn um Verzeihung, dass er ihn nicht erkannt hatte. Er habe es ihm gewiss nicht angesehen, dass er Kaiser sei.
„Du hast recht“, erwiderte jener lachend, „wenn man erst wenige Tage Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben.“ So sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen. – Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden.
Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählt hatte, durfte er noch einige Mal besuchen, den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach einigen Wochen ließ ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an, dass ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Ägypten senden wolle. Almansor war außer sich vor Freude. Wenige Tage reichten hin, um ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dank und mit Schätzen und Geschenken reich beladen, reiste er ab ans Meer und schiffte sich ein.
Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen, wollte seinen Mut im Unglück noch länger stählen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch nicht sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, dass am sechsten Tag der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von englischen Schiffen umzingelt und beschossen wurde. Es musste sich ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff gebracht, das mit den anderen weitersegelte. Doch auf See ist es nicht weniger unsicher als in der Wüste, wo unversehens die Räuber die Karawanen überfallen, totschlagen und plündern. Ein Kaperschiff von Tunis überfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den größeren getrennt hatte, es wurde genommen und die ganze Mannschaft nach Algier geführt und verkauft.
Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei wie die Christen, weil er ein rechtgläubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort lebte er bei einem reichen Mann fünf Jahre und musste die Blumen begießen und den Garten bebauen. Da starb der reiche Mann ohne Erben, seine Besitzungen wurden geteilt, auch seine Sklaven, und Almansor fiel in die Hände eines Sklavenhändlers. Dieser rüstete gerade ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu verkaufen. Der Zufall wollte, dass ich selbst – der ich diese Geschichte erzähle – ein Sklave dieses Händlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine wunderbaren Schicksale. Doch als wir landeten, war ich Zeuge der wunderbarsten Fügung Allahs – es war die Küste seines Vaterlandes, an welcher wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, wo wir öffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, dass ich es kurz sage – es war sein eigener teurer Vater, der ihn kaufte!
Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen Unglücklichen auf dem Schiff waren entweder rohe Menschen, mit denen ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand. Darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten, gern bei dem jungen Mann ein. Er nannte sich Almansor und war seiner Aussprache nach ein Ägypter. Wir unterhielten uns recht angenehm miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte zu erzählen, wobei dann die meines Freundes allerdings weit merkwürdiger war, als die meinige.
Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt, deren Namen er mir nicht nannte. Er verlebte die Tage seiner Kindheit vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und aller Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig gebildet. Denn sein Vater war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies hatte er zum Lehrer einen berühmten Gelehrten, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muss. Almansor war etwa zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer in das Land kamen und Krieg mit seinem Volk führten.
Der Vater des Knaben musste aber den Franken nicht sehr sicher erschienen sein, denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner treuen Gesinnung gegenüber dem Frankenvolk, und als er sie nicht geben wollte, schleppten sie seine Frau mit Gewalt ins Lager.
Der Junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es erging ihm dort im ganzen gut, denn einer der Feldherren ließ ihn in sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, die ihm ein Dragoman übersetzen musste. Er sorgte für ihn, dass ihm an Speise und Kleidung nichts abginge, aber die Sehnsucht nach Vater und Mutter machte den Knaben dennoch höchst unglücklich. Er weinte viele Tage lang, aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager wurde abgebrochen, und Almansor glaubte, jetzt wieder zurückkehren zu dürfen. Aber es war nicht so, das Heer zog hin und her, führte Krieg mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es ihm und sagten, er müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue bleiben. So war er viele Tage auf dem Marsch.
Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heer, die dem Knaben nicht entging. Man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen, und Almansor war außer sich vor Freude, denn jetzt, wenn die Franken in ihr Land zurückkehrten, jetzt musste er ja frei werden! Man zog mit Ross und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so weit, dass man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten schifften sich ein, aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil an Bord war. So gern Almansor gewacht hätte, weil er jede Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken hätten ihm etwas ins Wasser gemischt, um ihn einzuschläfern. Denn als er erwachte, schien der helle Tag in seine kleine Kammer, worin er nicht gewesen war, als er einschlief. Er sprang von seinem kleinen Lager auf, aber als er auf den Boden kam, fiel er um, denn der Boden schwankte hin und her, und alles schien sich zu bewegen und im Kreis um ihn her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Wänden fest, um aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand.
Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her. Er wusste nicht, ob er träume oder wache, denn er hatte nie Ähnliches gesehen oder gehört. Endlich erreichte er eine kleine Treppe. Mit Mühe klomm er hinauf, und welch ein Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiff. Da fing er kläglich an zu weinen. Er wollte zurückgebracht werden, er wollte sich ins Meer stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat. Aber die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald wieder in seine Heimat kommen, und stellte ihm vor, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre, ihm vom Land aus nach Hause zu bringen. Dort aber hätte er, wenn man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen müssen.
Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken, denn das Schiff segelte viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an Ägyptens Küste, sondern in Frankistan! Almansor hatte während der langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam. Er wurde viele Tage lang durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das Volk zusammen, um ihn zu sehen. Denn seine Begleiter sagten, er wäre der Sohn des Königs von Ägypten, der ihn zu seiner Ausbildung nach Frankistan schicke.
So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie hätten Ägypten besiegt und wären im tiefsten Frieden mit diesem Land. Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und Gebräuchen von Frankistan unterwies.
Er musste vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr eng und knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen. Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so musste er mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz, die alle Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom Kopf reißen, mit der anderen Hand musste er an die Seite fahren und mit dem rechten Fuß auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit übergeschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im Morgenland, sondern musste sich auf hochbeinige Stühle setzen und die Füße herabhängen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch nicht geringe Schwierigkeiten, denn alles, was er zum Mund bringen wollte, musste er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken.
Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte. Denn wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: „Salem aleikum!“, so schlug er ihn mit dem Stock, denn er sollte sagen: „Votre Serviteur“. Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken oder sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen. Und er hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein Mann in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war.
Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele morgenländische Sprachen verstand, Arabisch, Persisch, Koptisch, sogar Chinesisch – von jedem etwas. Er galt in jenem Lande als ein Wunder an Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, dass er diese Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann ließ nun den jungen Almansor alle Wochen einige Male zu sich kommen, bewirtete ihn mit seltenen Früchten und dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als wäre er zu Hause. Denn der alte Herr war ein gar sonderbarer Mann. Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in Ägypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit einem Bedienten in jenes Zimmer und ließ ihn ganz nach seiner Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach „Klein-Arabien“ – so nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten.
Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, wie Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen und mit Blumen ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends aber ein fränkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster saß der alte Professor. Er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich. Um den Kopf hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden, er hatte einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte und aussah, wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatenen Schlafrock hatte machen lassen, weite, türkische Beinkleider, gelbe Pantoffeln und – so friedlich er sonst war – an diesen Tagen hatte er einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein Dolch, mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls persisch gekleidet waren, und wovon die Hälfte Gesicht und Hände schwarz gefärbt hatte.
Von Anfang an wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich dünken, aber bald sah er ein, dass solche Stunden, wenn er sich in die Gedanken des Alten fügte, sehr nützlich für ihn waren. Durfte er beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die fränkische Sprache verboten. Almansor musste beim Eintreten den Friedensgruß sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte. Dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen durcheinander zu sprechen und nannte dies eine gelehrte, morgenländische Unterhaltung. Neben ihm stand ein Bedienter, oder, was sie an diesem Tage darstellten, ein Sklave, der ein großes Buch hielt. Das Buch aber war ein Wörterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte und fuhr dann zu sprechen fort.
Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbet und dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen machen, so musste er sagen, es sei bei ihm alles angeordnet wie im Morgenland. Almansor las sehr schön Persisch, und das war der Hauptvorteil für den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte, aus diesen ließ er sich von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache.
Das waren die Freudentage des armen Almansor. Denn nie entließ ihn der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben an Geld oder Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm der Doktor nicht geben wollte. – So lebte Almansor einige Jahre in der Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der Heimat geringer. Als er aber fünfzehn Jahre alt war, begab sich ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluss hatte.
Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn – denselben, mit welchem Almansor so oft in Ägypten gesprochen hatte – zu ihrem König und Beherrscher. Almansor wusste zwar und erkannte es an den großen Festlichkeiten, dass etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe, doch konnte er sich nicht denken, dass der König derselbe sei, den er in Ägypten gesehen hatte. Denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über den breiten Fluss führen, der die Stadt durchströmt. Da gewahrte er in der einfachen Uniform eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer lehnte und in die Wellen sah. Die Züge dieses Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das Verständnis, dass dieser Mann jener Feldherr der Franken war, mit welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn gesorgt hatte. Er wusste seinen rechten Namen nicht genau, er fasste sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten und sprach, indem er nach seiner Landessitte die Arme über der Brust kreuzte: „Salem aleikum, Petit-Caporal!“
Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: „Himmel, ist es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Ägypten? Was führt dich hierher zu uns?“
Da konnte sich Almansor nicht länger halten, er fing bitterlich an zu weinen und sagte zu dem Mann: „So weißt du also nicht, was die Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weißt nicht, dass ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe seit vielen Jahren?“
„Ich will nicht hoffen“, sagte der Mann, und seine Stirn wurde finster, „ich will nicht hoffen, dass man dich mit hinwegschleppte!“
„Ach, freilich“, antwortete Almansor, „an jenem Tag, wo eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letzten Mal. Sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, der mich schlägt und halb Hungers sterben lässt. Aber höre, Petit-Caporal“, fuhr er ganz treuherzig fort, „es ist gut, dass ich dich hier traf, du musst mir helfen!“
Der Mann, zu welchem er sprach, lächelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen solle.
„Sieh“, sagte Almansor, „es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas verlangen. Du warst von jeher so gütig gegen mich. Aber ich weiß, du bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst du nie so schön gekleidet wie die anderen. Auch jetzt musst du, nach deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein. Aber da haben die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Kapudan-Pascha, nicht?“
„Nun ja“, antwortete der Mann, „aber wie weiter?“
„Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Petit-Caporal, dass sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich freilassen. Dann brauche ich auch etwas Geld für die Reise übers Meer. Vor allem aber musst du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem arabischen Professor etwas davon zu sagen.“
„Wer ist denn der arabische Professor?“ fragte jener.
„Ach, das ist ein sonderbarer Mann! Doch von diesem erzähle ich dir ein anderes Mal. Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es mir aufrichtig!“
„Komm mit“, sagte der Mann, „vielleicht kann ich dir gleich nützlich sein.“
„Jetzt?“ rief der Jüngling mit Schrecken, „jetzt um keinen Preis, da würde mich der Doktor prügeln! ich muss eilen, dass ich nach Hause komme.“
„Was trägst du denn in diesem Korb?“ fragte jener, indem er ihn zurückhielt. Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen. Endlich aber sagte er: „Sieh, Petit-Caporal, ich muss hier Dienste tun wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und schickt mich alle Tage von unserem Haus eine Stunde weit auf den Gemüse- und Fischmarkt. Da muss ich dann unter den schmutzigen Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen billiger ist als in unserem Stadtteil. Sieh, wegen dieses schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses Stückchens Butter muss ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es mein Vater wüsste!“
Der Mann, zu welchem Almansor dies sagte, war gerührt über die Not des Knaben und antwortete: „Komm nur mit mir und sei getrost. Der Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder Hering noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!“ Er nahm bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag doch soviel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, dag er sich entschloss, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, neben dem Soldaten durch viele Straßen, und wunderbar wollte es ihn bedünken, dass alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und stehen blieben und ihnen nachschauten. Er äußerte dies auch gegen seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darüber.
Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloss, auf welches der Mann zuging. „Wohnst du hier, Petit-Caporal?“ fragte Almansor. „Hier ist meine Wohnung“, entgegnete jener, „und ich will dich zu meiner Frau führen.“
„Ei, da wohnst du schön!“ fuhr Almansor fort. „Gewiss hat dir der Sultan hier freie Wohnung gegeben?“
„Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht“, antwortete sein Begleiter und führte ihn in das Schloss. Dort stiegen sie eine breite Treppe hinauf, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine Dame auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Ägypten. Endlich sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: „Weißt du, was das beste ist? Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich sprechen.“
Almansor erschrak sehr, aber er dachte an sein Elend und seine Heimat. „Dem Unglücklichen“, sprach er zu den beiden, „dem Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not. Er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen, ich will es tun, ich will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muss ich vor ihm niederfallen? Muss ich mit der Stirn den Boden berühren? Was muss ich tun?“
Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht nötig.
„Sieht er schrecklich majestätisch aus, der Sultan?“ fragte er weiter, „hat er eine langen Bart? Macht er feurige Augen? Sag, wie sieht er aus?“
Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: „Ich will ihn dir lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du sollst selbst erraten, welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle im Saal des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig abnehmen, der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der Kaiser.“ Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm zum Saal des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der Tür näherten. Ein Bedienter öffnete die Tür, und da standen in einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet und mit Gold und Sternen übersät, wie es Sitte ist im Lande der Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige. Und Almansor dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse einer der Geringsten unter ihnen sein. Sie hatten alle das Haupt entblößt, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut auf dem Kopf hatte, denn dieser musste der Kaiser sein. Aber sein Suchen war vergebens. Alle hatten den Hut in der Hand, und der Kaiser musste also nicht unter ihnen sein. Da fiel sein Blick zufällig auf seinen Begleiter, und siehe – dieser hatte den Hut auf dem Kopf sitzen!
Der Jüngling war erstaunt und betroffen. Er sah seinen Begleiter lange an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: „Salem aleikum, Petit-Caporal! So viel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken. Doch du bist der, der den Hut trägt – Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?“
„Du hast es erraten“, antwortete jener, „und überdies bin ich dein Freund! Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen Verwirrung der Umstände zu, und sei versichert, dass du mit dem ersten Schiff in dein Vaterland zurücksegelst. Geh jetzt wieder hinein zu meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor und was du weißt. Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken, du aber bleibst in meinem Palast.“
So sprach der Mann, der Kaiser war. Almansor aber fiel vor ihm nieder, küsste seine Hand und bat ihn um Verzeihung, dass er ihn nicht erkannt hatte. Er habe es ihm gewiss nicht angesehen, dass er Kaiser sei.
„Du hast recht“, erwiderte jener lachend, „wenn man erst wenige Tage Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben.“ So sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen. – Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden.
Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählt hatte, durfte er noch einige Mal besuchen, den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach einigen Wochen ließ ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an, dass ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Ägypten senden wolle. Almansor war außer sich vor Freude. Wenige Tage reichten hin, um ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dank und mit Schätzen und Geschenken reich beladen, reiste er ab ans Meer und schiffte sich ein.
Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen, wollte seinen Mut im Unglück noch länger stählen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch nicht sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, dass am sechsten Tag der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von englischen Schiffen umzingelt und beschossen wurde. Es musste sich ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff gebracht, das mit den anderen weitersegelte. Doch auf See ist es nicht weniger unsicher als in der Wüste, wo unversehens die Räuber die Karawanen überfallen, totschlagen und plündern. Ein Kaperschiff von Tunis überfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den größeren getrennt hatte, es wurde genommen und die ganze Mannschaft nach Algier geführt und verkauft.
Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei wie die Christen, weil er ein rechtgläubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort lebte er bei einem reichen Mann fünf Jahre und musste die Blumen begießen und den Garten bebauen. Da starb der reiche Mann ohne Erben, seine Besitzungen wurden geteilt, auch seine Sklaven, und Almansor fiel in die Hände eines Sklavenhändlers. Dieser rüstete gerade ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu verkaufen. Der Zufall wollte, dass ich selbst – der ich diese Geschichte erzähle – ein Sklave dieses Händlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine wunderbaren Schicksale. Doch als wir landeten, war ich Zeuge der wunderbarsten Fügung Allahs – es war die Küste seines Vaterlandes, an welcher wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, wo wir öffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, dass ich es kurz sage – es war sein eigener teurer Vater, der ihn kaufte!
Quelle: Wilhelm Hauff