Lassen wir den Pascha und sehen, was die Frauen machen. Die älteste sagte: »Dieser Knabe wird nicht lange leben, er wird bald sterben.« Darauf antwortete die zweite: »Dieser Knabe wird viele Jahre leben, dann wird er durch seinen Vater umkommen.« Die dritte aber sagte: »Na, Freundinnen, was redet ihr da für Worte? Dieser Knabe wird sehr lange leben; den Pascha, der hier ist, wird er töten, sein Paschatum bekommen und seine Tochter zur Frau.« So wie die dritte gesagt hatte, musste es sich erfüllen. Die Frauen blieben noch ein wenig sitzen und gingen dann fort.
Als der Pascha die Worte hörte, erschrak er sehr und konnte die Nacht nicht mehr schlafen, sondern überlegte, wie er den Sohn des Alten töten könnte. Als er nun am Morgen aufgestanden war, sagte er: »Höre, Alter, ich habe keine Kinder, willst du mir nicht deinen Sohn geben; ich bezahle dir, was du verlangst.« Der Alte antwortete: »Wie kann das sein? Unsere Augen haben den Knaben kaum erblickt, und du willst ihn uns nehmen? Daraus wird nichts.« – »Nein, nein, du musst mir ihn geben«, sagte der Pascha, nahm aus seinem Quersack dreitausend Piaster und wollte sie dem Alten geben, aber der ging nicht darauf ein. Darauf nahm der Pascha noch dreitausend, denn er hatte die feste Absicht, den Knaben zu töten. Als der Alte die sechstausend Piaster sah, wurde er geneigt, seinen Sohn herzugeben, aber seine Frau wollte nicht. Darauf nahm der Pascha noch weitere dreitausend heraus, aber die Alte ging wieder nicht darauf ein. Da sprach der Alte zu seiner Frau: »Höre Frau, wir wissen nicht, ob uns der Knabe am Leben bleibt oder nicht, lass uns ihn dem Pascha geben und nehmen wir das viele Geld. Nimm an, wir hätten gar kein Kind bekommen, und überdies weißt du sehr wohl, dass man besser für den Knaben sorgen wird als du es kannst, also soll er ihn nehmen; wir gehen dann von Zeit zu Zeit und sehen ihn uns an.« Mit diesen Worten überredete er die Frau, sie nahmen die neuntausend Piaster und setzten die Wiege, in der der Knabe lag, vorn aufs Pferd. Dann fingen sie an zu weinen, der Pascha aber sagte: »Weint nicht, ihr könnt jederzeit in mein Haus kommen, um den Knaben zu sehen.« Damit ging er fort.
Unterwegs überlegte er, wie er das Kind töten sollte; sein Messer ziehen und ihm den Kopf abschneiden mochte er nicht. Was tat er also? Als er an einen Fluss kam, nahm er die Wiege und warf sie hinein, ging aber gleich weiter, denn er mochte das Weinen des Kindes nicht hören. Bei sich dachte er, es sei ertrunken, aber es war davongekommen, denn als er es hineingeworfen hatte, sank zwar der Körper ganz unter, aber der Kopf blieb draußen, gerade genug, dass das Kind Atem schöpfen konnte. Die Wiege trieb weiter und blieb hängen in einem Dickicht am Waldrand. Dort hütete ein Hirt einige Ziegen; der trieb zur Mittagszeit die Ziegen an den Fluss zur Tränke; eine von ihnen trennte sich von den andern und ging an die Stelle, wo das Kind lag, denn sie hatte es weinen hören. Dort tat sie die Beine auseinander und steckte die Zitze dem Kinde in den Mund, so dass es trinken konnte. Es trank tüchtig, und die Ziege gesellte sich wieder zu den andern. Als nun die Melkzeit kam, sahen sie, dass diese Ziege keine Milch hatte und sagten zu dem Hirten: »Was melkst du uns heimlich die Ziegen? Kommst du nicht aus mit dem, was du hier zu essen kriegst, dass du noch heimlich die Ziegen melken musst?« Der arme Hirt schwor, dass er von nichts wisse, und er wusste in der Tat nichts. Darauf sagte der Besitzer der Ziegen: »Bleib du hier und arbeite hier, ich will heute nacht selbst die Ziegen hüten.« So führte er die Ziegen in den Wald auf die Weide und brachte sie am Abend an den Fluss zur Tränke. Da beobachtete er die Ziege, die keine Milch gehabt hatte, sie trennte sich von den andern, ging wieder an die frühere Stelle, tat die Beine auseinander und reichte dem Kinde die Zitze. Der Mann war der Ziege nachgegangen und wunderte sich, als er ein Kind in der Wiege sah; da erkannte er auch, dass der Hirt unschuldig war und nahm das Kind mit nach Hause.
Dann fand man heraus, wem es gehörte – denn der Alte wohnte in demselben Dorfe – man übergab ihm das Kind zur Pflege, und wenn es erwachsen wäre, sollte er es dem geben, der es gefunden hatte.
Kurz, als das Kind erwachsen war, brachte der Alte es seinem Finder. Der Bursche war sehr schön und klug, so dass er alle Diener übertraf, die der Mann hatte, und er machte ihn zu ihrem Oberhaupt. Zufällig kam der Pascha in das Dorf, denn es gehörte zu seinen Besitzungen, und nahm Quartier in dem Hause des Mannes, wo der Bursche war. Nach einigen Tagen wurde er dem Pascha sehr lieb, denn er war schön und klug und hatte alle guten Eigenschaften. Eines Tages sprach der Pascha mit dem Bauern über den Burschen, wie klug er sei. Der Bauer antwortete: »Wenn du wüsstest, was mit ihm ist, würdest du dich wundern«, und erzählte alles, was sich mit dem Kinde ereignet hatte. Als der Pascha das hörte, erschrak er sehr, es war ja dasselbe Kind, das er in den Fluss geworfen hatte. Was nun? Er fasste wieder den Plan, den Burschen zu töten, und schrieb einen Brief an seine Frau: »Den Mann, der Dir diesen Brief bringt, sollst Du töten, und zu der Zeit, wo ihr ihn tötet, lasst viele Kanonenschüsse los, damit auch ich mich freue; und wie ich Dir schreibe, so sollst Du tun.« Darauf sagte er zu dem Bauern: »Ich brauche einen zuverlässigen Menschen, um ihn zu meiner Frau zu schicken.« Der Bauer antwortete: »Eure Herrlichkeit weiß sehr wohl, dass ich keinen bessern habe als den Burschen, den Ihr kennt.« – »Den will ich gerade,« sagte der Pascha, »lass ihn ein Pferd nehmen und den Brief hinbringen.« Der Bursche nahm den Brief, stieg zu Pferde und machte sich auf nach dem Hause des Paschas. Unterwegs wurde er durstig, fand in der Nähe eine Quelle, stieg ab und trank und legte sich hin, ein wenig zu schlafen. Während er schlief, kam ein Schwarzer, nahm ihm den Brief aus dem Busen und schrieb einen andern: »Dem Manne, der zu Dir kommt, erweise große Ehre, bereite ihm ein großes Gastmahl und gib ihm unsere Tochter zur Frau; zu der Zeit, wo sie getraut werden, lass viele Kanonenschüsse los, damit ich es höre und mich freue.« Darauf faltete der Schwarze den Brief, wie der Pascha seinen gefaltet hatte, siegelte ihn und steckte ihn dem Burschen wieder in den Busen. Der Bursche wusste beim Erwachen nichts von dem, was geschehen war, machte sich wieder auf den Weg, kam zum Hause des Paschas und übergab der Frau Pascha den Brief. Die tat, wie ihr in dem Briefe befohlen war, gab dem Burschen die Tochter zur Frau und ließ dann mit Kanonen schießen.
Der Pascha hörte in dem Dorfe die Schüsse, meinte, dass man den Burschen getötet habe und dachte bei sich: »Jetzt habe ich keine Angst mehr vor ihm.« Nach einigen Tagen machte er sich auf den Heimweg und erschrak sehr, als er den Burschen erblickte, noch mehr, als er erfuhr, dass der seine Tochter zur Frau bekommen hatte.
Wiederum gedachte der Pascha ihn zu töten, wusste aber nicht wie. Doch eines Tages sprach er zu einem Schmied: »Morgen schicke ich einen Burschen zu dir mit einer Bestellung, zu dem sagst du: warte, bis ich es gemacht habe, nimmst leise den großen Hammer und schlägst ihn damit einige Male auf den Kopf, bis er tot ist; dann schneidest du ihm den Kopf ab und bindest den in ein Tuch; sobald ich dir dann einen anderen Burschen schicke um zu holen, was ich bei dir bestellt habe, gibst du ihm den Kopf.« Darauf kehrte der Pascha in sein Haus zurück. Am Abend rief er seinen Schwiegersohn und sagte zu ihm: »Steh morgen in aller Frühe auf und geh zu dem und dem Schmied und fordere von ihm die Sache, die ich bestellt habe.« Der antwortete ja und ging schlafen. Bei Tagesanbruch stand er auf und wollte zu dem Schmied gehen, seine Frau aber sagte: »Es ist noch sehr früh, schlaf nur noch.« Als nun der Pascha aufwachte, rief er seinen Sohn und fragte ihn, ob der Schwiegersohn wohl zu dem Schmied gegangen sei. Der Sohn antwortete: »Ich will gehen und ihn fragen«, und ging zum Hause seines Schwagers, weckte ihn und fragte, ob er zu dem Schmied gegangen sei. Der antwortete: »Nein, aber ich gehe jetzt.« Da dachte der Sohn des Paschas bei sich: »Ehe ich warte, bis der aufgestanden ist und sich gewaschen hat, gehe ich lieber selbst und hole die Sache«, und damit ging er. Der Schmied nahm leise den großen Hammer, tötete den Paschasohn, schnitt ihm den Kopf ab und band ihn in ein Tuch. Bald darauf kam der Schwiegersohn, um zu holen, was der Pascha bestellt habe, bekam das Tuch und brachte es dem Pascha. Als der seinen Schwiegersohn lebendig sah, erschrak er wieder sehr, aber noch trauriger wurde er, als er das Tuch aufmachte und den Kopf seines Sohnes erblickte, sagte aber nichts. Darauf gab er dem Stallknecht den Befehl: »Wenn in der Nacht die Pferde in Streit geraten, geh du nicht selbst sie zu beruhigen, sondern mein Schwiegersohn soll gehen, du stellst dich hinter die Tür und schlägst ihn mit einer Keule ein paar Mal auf den Kopf, bis er tot ist.« – »Wie du befiehlst«, antwortete der Stallknecht. In der Nacht gerieten die Pferde miteinander in Kampf, der Pascha rief seinen Schwiegersohn, er solle sie beruhigen, aber die Frau ließ ihn nicht gehen. Nach kurzer Zeit hatten sich die Pferde von selbst beruhigt, der Pascha meinte, sein Schwiegersohn sei jetzt erschlagen, stand selbst vom Bette auf und ging ganz leise in den Stall. Der Stallknecht glaubte, es sei der Schwiegersohn, schlug ihn mit der Keule auf den Kopf und tötete ihn. Der Schwiegersohn bekam an seiner Stelle die Paschawürde, und so erfüllte sich das Wort der dritten Frau, die bei seiner Geburt verkündet hatte, dass er das Amt des Paschas bekommen würde.
Unsere Erzählung ist zu Ende; ihm ging es gut, möge es uns noch besser gehen als ihm.
Quelle:
(August Leskien: Balkanmärchen aus Albanien)