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Die goldene Säule

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Es war einmal ein König und eine Königin, und sie hatten eine Tochter. Eines Tages erscheint am Hofe ein Herr, sieht das schöne Mädchen und fängt an, mit ihr zu sprechen. Er sagt ihr, er sei ein Prinz, Sohn eines Königs, und sie gefalle ihm so, daß er, wenn sie wolle, sie heiraten möchte. Er war ein schöner Jüngling von gutem Betragen und gefiel ihr. Sie sprach davon mit ihren Eltern, und auch die, da sie sahen, daß der Herr eine Person von so einnehmendem Wesen war, hatten nichts dagegen, und so wurde die Hochzeit mit großer Befriedigung von beiden Seiten gefeiert.
Nach einem Monat sagte der junge Ehemann, er wolle seine Frau in sein Haus führen, und sie reisten ab. Der König und die Königin begleiteten das Paar eine Strecke, dann, an einem gewissen Punkt angelangt, umarmten sie sie und kehrten zurück. Als die Neuvermählten allein waren, sagte der Gatte zu seiner Frau: »Verzeihe mir, aber du mußt wissen, daß ich dich getäuscht habe. Ich bin kein Prinz, ich bin der Hauptmann von zwölf Mördern. Wir wohnen alle in einem unterirdischen Bau in einem Walde hier in der Nähe.« – Die Frau erschrak, er führte sie aber in den Wald zu einer Grotte, die hinter Gebüsch versteckt war, und beide stiegen unter die Erde hinunter. Da fanden sie viele Schätze und alle Bequemlichkeiten. Er zeigte ihr alles und sagte ihr: »Du bist hier Herrin von allem, und es wird dir an nichts fehlen.« – Sie blieb stumm, aber innerlich bebte sie. Die zwölf Mörder blieben den ganzen Tag fort, samt ihrem Hauptmann. Früh am Morgen gingen sie fort und kehrten am Abend zurück. Ihr Mann aber zeigte ihr zwei Büchschen mit Salben, die Wunden heilten, und wies sie an, was sie zu tun hätte, wenn er oder seine Gefährten verwundet heimkehrten.
Jeden Abend brachten sie eine Menge Geld und Gold nach Hause und in Säcken Getötete, die trugen sie in ein Zimmer und verschlossen es. Die Königstochter befand sich dort wie in einer Hölle und sann, wie sie fliehen könnte. Am Tage zu gehen, wenn sie allein war, war unmöglich, weil sich die Mörder in dem der Grotte benachbarten Walde aufhielten, und wehe ihr, wenn sie ihr begegneten. Da kam ihr der Gedanke, einen Abend aufzupassen, um zu sehen, wo sie den Schlüssel zu dem Zimmer der Toten hinlegten, und richtig gelang es ihr. Am anderen Tage, als sie allein war, öffnet sie das Zimmer und fand es ganz voller Toten. Aber auf einmal hört sie ein Wimmern und sieht, daß einer dieser Körper sich bewegte. Sie tritt näher und sieht, daß es ein Jüngling ist, gekleidet wie ein Königssohn. Er war im Sterben und stöhnte. Geschwind läuft sie nach der Salbe und bemüht sich um ihn, und es gelingt ihr, ihn zu heilen. Sie fand einen Versteck an einer Stelle in dem unterirdischen Bau, wohin nie jemand kam, und hielt ihn dort verborgen, und alle beide überlegten, wie sie fliehen könnten.
Sie denkt und denkt, und eines Tages sagt die Königstochter zum Hauptmann der Mörder: »Höre, du mußt mir einen Mann schicken, der Steine verkauft, denn ich habe Steine nötig.« – »Gut!« sagte ihr Gatte, »ich werde ihn dir schicken.« Und er tat es. Als der Mann mit seiner Fuhre Steinchen im unterirdischen Bau war und sie alle drei sich allein sahen, sagte die Königstochter zu dem Mann mit den Steinchen: »Höre, man hält uns hier mit Gewalt. Wenn du es möglich machen kannst, uns entwischen zu lassen, hast du dein Glück gemacht.« – »Gern,« sagte der Mann, »aber heute ist’s nicht möglich. Morgen will ich wiederkommen und euch zu retten suchen.«
Auf dem Rückweg fand er im Walde die Mörder. »Nun? hast du meiner Frau die Steine gebracht?« fragte ihn der Hauptmann. »Ja, aber sie waren nicht, wie sie wünschte. Morgen bring‘ ich ihr andere.« – Am anderen Tage kehrte der Mann zurück mit einem Lastwagen auf dem zwei große Körbe standen, die hatte er so hergerichtet, daß es aussah als wären sie ganz voll Steine. Im unterirdischen Bau versteckt er in den Körben die Königstochter und den Prinzen, bedeckt sie mit Stroh und kleinen Steinen, stellt sie auf den Wagen und fährt fort. Er begegnet den Mördern außerhalb der Grotte, und der Hauptmann fragt wieder: »Nun, hast du meiner Frau die Steinchen gebracht?« – »Ja, Herr. Ich habe ihr viele gebracht, sie hat die ausgesucht, die sie gewünscht hat, diese hier nehme ich wieder mit.« – Und so ging er frei durch.
Der Prinz war schon in die Königstochter verliebt, und auch sie hatte ihn gern, und sie hatten ausgemacht, sie wollten zum Vater des Prinzen gehen, der ein großer König war, und sich heiraten. Der Mann mit den Steinchen, dem sie schon gesagt hatten, wohin er gehen sollte, kam mit dem Wagen zum Schloß des Königs, die Wachen aber wollten ihn nicht einlassen. Er aber wollte um jeden Preis hinein, aber nicht sagen, was er in den Körben hatte. Endlich gingen sie zum König und sagten es ihm, und der König befahl, ihn passieren zu lassen. So kam er hinein, ließ die Körbe abladen und in den Saal zum Könige bringen. Und sachte, sacht nimmt er die Steinchen fort und das Stroh – und herauskommen der Prinz und die Prinzessin.
Der König, der glaubte, sein Sohn sei getötet worden, starb fast vor Freude, als er ihn lebend und gesund vor sich sah. Er umarmte ihn, und der Prinz erklärte ihm, wie alles gegangen war und wer die junge Dame sei und was sie alles für ihn getan hatte, und sie sprachen von der Heirat, die alsbald vonstatten ging. Denn der König konnte kaum glauben, daß er für seinen Sohn eine so schöne und gute Frau gefunden hatte, die seine Lebensretterin geworden. Und sie feierten die Hochzeit, und dem Steinchenhändler gaben sie soviel Geld, daß er die Steinchen aufgab und von nun an sich darauf verlegte, den Herren zu spielen.
Während aber diese entwischt waren, kehrten die Mörder in die Grotte zurück und staunten, da sie niemand mehr antrafen. Sie haben mir einen Streich gespielt, sagte der Hauptmann. Aber jetzt sollen sie’s kriegen. – Er kleidet sich wie ein Herr und geht zu einem Goldschmied und trägt ihm auf, ihm eine goldene Säule zu machen, die man öffnen und von innen schließen könne, und gab ihm an, wie hoch und dick sie sein sollte. Der Goldschmied macht sich an die Arbeit, und in wenig Tagen war die Säule fertig. Die Mörder holten sie ab, gekleidet wie Bediente und der Hauptmann stellte sich in voller Waffenrüstung hinein. Er schloß fest zu und ließ sich dann zum Palast des Königs tragen, ob er die Säule vielleicht kaufen wollte. Kaum sah sie der Sohn des Königs, so gelüstete ihn nach ihr, und er wollte sie kaufen, um sie in sein Schlafgemach zu stellen. Seine Frau wollte nicht. Jene Leute waren verkleidet, und sie erkannte sie nicht gut, aber sie erschienen ihr verdächtig. Er aber setzte es durch, kaufte sie und ließ sie in sein Schlafzimmer bringen.
Der Hauptmann der Mörder hatte dem Prinzen einen falschen Brief schreiben lassen, unterzeichnet von einem benachbarten König, der ihn zu sich einlud, weil er mit ihm zu sprechen habe. Die Gefährten des Hauptmanns besorgten den Brief, und der Prinz sagte sofort zu seiner Frau, er müsse zu jenem König und sie für eine kurze Zeit verlassen. Die Frau sagte: »Höre, wenn du fortgehst, mußt du die Wachen verdoppeln, denn ich gestehe dir, diese Säule macht mir Furcht, und ich will, daß sie, sobald ich klingle, an mein Bett kommen.« – Das befahl der Prinz und reiste ab.
Als die Stunde kam, zu Bett zu gehen, war die junge Frau sehr aufgeregt, legte sich nieder, konnte aber nicht einschlafen. Sie lauschte gespannt, und plötzlich hörte sie einen Knall. Sie bekam eine solche Angst, daß sie kaum die Kraft hatte, zu klingeln, und ohnmächtig wurde. Indessen war der Prinz zu jenem König gekommen und hatte erfahren, daß der Brief erdichtet war, und war ganz bestürzt zurückgekehrt. Er findet seine Frau in Ohnmacht und im Palast alles drunter und drüber. Nach einer Weile kommt die Frau wieder zu sich und erzählt dem Prinzen, was sie gehört hatte und daß jener Knall von der Säule hergekommen sei. Geschwind läßt der Prinz den Goldschmied kommen, und befiehlt ihm, die Säule durchzusägen. So wurde der Mörder zersägt. Man erkannte ihn und machte Jagd auf seine Gefährten, die nach der Flucht jener beiden ihren Aufenthalt gewechselt hatten; endlich aber fand man ihren neuen Versteck und alle wurden hingerichtet. So lebte die Prinzessin mit ihrem Gemahl und brauchte sich nicht mehr zu fürchten.

(Pisa)
[Italien: Paul Heyse: Italienische Volksmärchen]

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