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(8)
Es geschah einmal, es geschah auch nicht, aber es geschah in alten Zeiten, als mein Vater noch mein Vater war, und ich meines Vaters Tochter war, damals war auf der anderen Seite der Welt, in der Nähe des Teufelreiches eine grosse Stadt. In dieser Stadt wohnten drei arme Mädchen, die Kinder eines armen Holzhackers waren. Von der Frühe bis zum Abend, vom Abend bis zum Morgen stickten, nähten und webten sie in einem fort; in der Frühe ging die eine auf den Markt, verkaufte die Arbeiten und also lebten sie schlecht und recht.
Einmal, warum und warum nicht, kurz der Padischah der Stadt erzürnte über die Bewohner und befahl zur Strafe, dass drei Tage und drei Nächte lang niemand in der Stadt ein Licht anzünden dürfe. Was sollten nun die drei Schwestern machen? Im Dunkeln konnten sie ja nicht arbeiten. Sie deckten also mit dicken Teppichen die Fenster zu, zündeten ein Lämpchen an und sahen nach ihrer Arbeit, damit sie sich das tägliche Brot verdienen.
Am dritten Abende des Verbotes ging der Padischah aus, um nachzusehen, ob nicht jemand gegen das Verbot handle. Zufällig kam er vor das Haus der drei Mädchen und da der eine Zipfel des Teppichs im Fensterrahmen hängen geblieben war, bemerkte der Padischah das Licht. Die Mädchen hatten keine Ahnung davon, nähten, stickten und sprachen von ihrer Armut.
Die Älteste sprach: »Oh, wenn mich der Padischah seinem Obermundschenken zur Frau geben würde, welch gute Speisen würde ich dann jeden Tag essen. Ich würde ihm dafür einen solchen Teppich weben, auf dem alle seine Soldaten Platz hätten.«
»Wenn er mich,« sprach die Mittlere, »seinem Obergarderobemeister zur Frau gäbe, dann hätte ich viele Kleider! Ich würde ihm dafür ein so grosses Zelt machen, dass alle seine Soldaten darin Platz hätten.«
»Wenn aber mich,« sprach die Jüngste, »der Padischah zur Frau nehmen würde, so würde ich ihm zwei Kinder zur Welt bringen, die goldene Haare hätten. Das eine wäre ein Knabe, das andere ein Mädchen; dem Knaben würde auf der Stirne ein Halbmond, dem Mädchen aber ein Stern glänzen.«
Der Padischah hörte die Rede der drei Mädchen und kaum dämmerte der nächste Tag, so liess er sie zu sich in den Palast rufen. Die Älteste gab er dem Obermundschenken, die Mittlere dem Garderobemeister und die Jüngste nahm er sich zur Frau. Nun waren die drei Mädchen wohl aufgehoben. Die Älteste veranstaltete solch‘ reichliche Mahlzeiten, dass ihr das Teppichweben, wegen des stets vollen Magens nicht mehr behagte. Am andern Tage schickte man sie zurück in ihre Hütte. Die Mittlere kleidete sich in Silber und Gold und als sie an die Verfertigung des Zeltes gehen sollte, wollte sie sich damit nicht beschmutzen. Man schickte sie hin zu ihrer älteren Schwester.
Nun aber die Jüngste. Die neun Monate und zehn Tage vergingen und Schmerzen kamen über sie. Die beiden andern Mädchen besprachen sich nun, dass es eine grosse Schande für sie sei, wenn die beiden Wunderkinder auf die Welt kämen. Sie versprachen also der Palasthebamme viel Geld, damit sie der Sache ein wenig zu Hilfe komme. Diese verfluchte Hebamme war eine Hexe und zu jeder bösen Tat bereit. Sie verschaffte sich zwei junge Hunde und begab sich mit diesen zum Bette der Kranken.
Und wahrlich, die Gattin des Padischah gebar solche zwei Kinder, die glänzenden Sternen glichen. Das eine war ein Knabe, das andere ein Mädchen; auf des Knaben Stirne glänzte ein Halbmond, auf der des Mädchens ein Stern, so dass davon selbst die Nacht hell wurde. Die böse Hebamme aber nahm die beiden jungen Hunde, legte sie an Stelle der Kinder hin und liess dem Padischah sagen, dass die Sultansfrau Hunde geboren habe. Der Padischah ergrimmte darüber so sehr, dass ihm das Herz beinahe in den Kopf fuhr. Er liess seine arme Gattin bis zu den Lenden in die Erde eingraben und überall den Befehl ausrufen, das jeder Vorübergehende sie anspeien und einen Stein auf sie werfen solle. Die Hexe aber nahm die beiden Kinder, trug sie ans Stadtende, legte sie am Flussufer nieder und kehrte vergnügt in den Palast zurück, als ob sie ein gutes Werk vollbracht hätte.
In der Nähe des Flusses, an dessen Ufer die beiden Kinder lagen, besass ein altes Ehepaar eine Hütte. Die Alten hatten eine Ziege, die morgens auf die Weide ging, abends heimkehrte und die Alten mit Milch versah. Da bemerkte die alte Frau, dass die Ziege keine Milch mehr von sich gebe. Sie klagt dies ihrem Gatten, trägt ihm auf nachzusehen, wer doch die Milch der Ziege stehle. Am nächsten Tage ging also der Alte der Ziege nach, er folgte ihr bis an den Fluss, wo er sich hinter einen Baum versteckt. Nun was erblicken seine Augen; wahrlich ihr werdet euch darüber freuen, wenn ihr es hört. Die beiden goldhaarigen Kinder lagen im Grase, die Ziege trat an dieselben heran und säugte sie. Dann meckerte sie, verliess die Kinder und ging grasen. Der Alte freute sich dieser beiden Wunderdingerchen so sehr, dass er beinahe seinen Verstand verlor. Er hob die kleinen Wesen auf und da ihn Allah mit Kindern nicht gesegnet hatte, trug er sie in seine Hütte und übergab sie seiner Frau. Die Gattin hatte noch mehr Freude an den Kindern; Allah hatte sie ihnen geschenkt, daher pflegten und hegten sie dieselben. Bald kam die Ziege traurig meckernd heran und als man ihr die Kinder zeigte, so säugte sie dieselben und ging dann wieder grasen.
Zeit kommt, Zeit vergeht und die beiden Wunderkinder wuchsen heran, liefen über Berg und Tal und selbst der dunkle Wald erglänzte von ihrem Goldhaar. Sie trieben Jagd, hüteten Rinder und halfen den Alten in der Wirtschaft. Die Zeit flog dahin und die Kinder wurden gross, die beiden Alten aber schwach; die beiden Goldhaarigen erstärkten, die Alten aber nahmen an Kraft so sehr ab, das sie eines Morgens starben. Die beiden Geschwister blieben allein zurück. Die Armen weinten und jammerten genug, aber an der Sache konnte einmal nichts geändert werden. Sie beerdigten also ihre alten Eltern und von nun an blieb das Mägdlein zu Hause bei der Ziege, während der Jüngling auf die Jagd zog. Eines Tages als er im Walde jagte, erblickte ihn sein Padischah-Vater. Weder der Vater wusste, dass dies sein Sohn, noch der Sohn, dass dies sein Vater sei. Aber kaum hatte er das Wunderkind erblickt, so war’s ihm, als müsste er es an sein Herz drücken, und er trug seinen Leuten auf, nachzuforschen, wer der Knabe sei. Einer der Hofleute trat auch an den Jüngling heran und sprach: »Du hast heute viel Wild erlegt mein Bej!« »Viel Wild hat Allah erschaffen,« antwortete der Jüngling, »für dich und auch für mich!« Mit diesen Worten entfernte er sich.
Auch der Padischah kehrte in seinen Seraj zurück, aber er war ganz krank vom Anblick dieses Wunderkindes, und als man ihn zu Hause nach der Ursache seines Übels fragte, meinte er, dass er im Walde ein solch‘ Wunderkind gesehen habe, von dessen Anblick er krank sei, so sehr hätte ersieh in dieses Wesen verliebt. Das Kind sei goldhaarig, besitze auf der Stirn einen Halbmond; ein solches Kind habe ihm einst seine Gattin versprochen. Die Hebamme erschrak darüber. Sie eilte hin zum Flusse, erblickte dort die Hütte und tritt in dieselbe ein. O Wunder! dort sass das goldhaarige Mädchen. Sie empfing die Hebamme freundlich und bietet ihr einen Sitzplatz an. Die Hebamme liess sich dies nicht zweimal sagen und forscht in honigsüssen Worten ob die Maid allein hier wohne? »Nein Mütterchen,« sprach das Mägdlein, »ich habe auch einen Bruder. Am Tage geht er auf die Jagd, abends kehrt er heim.« »Hast du nicht Langeweile hier allein?« fragt die Hexe. »Wenn ich mich auch langweile, was soll ich machen?« antwortete das Mägdlein, »ich bringe die Zeit zu, so wie ich eben kann!« »Sag‘, mein Diamant, liebt dich dein Bruder sehr?« forschte die Hexe, »Wie sollte er seine Schwester nicht lieben?« sprach die Maid. »Nun möchte ich dir etwas sagen, meine Tochter,« begann die Alte, »aber du darfst es niemandem mitteilen. Wenn abends dein Bruder heimkehrt, beginne zu weinen und zu jammern, so wie du es nur imstande bist zu tun. Er wird dich fragen, was dir fehle, du aber gib ihm keine Antwort. Fragt er dich zum drittenmale, so sage ihm, dass du dich zu Hause furchtbar langeweilst; und wenn er dich liebe, so solle er in den Garten der Feenkönigin gehen und von dort dir einen Zweig bringen. Einen solch‘ schönen Zweig hast du nie in deinem Leben gesehen,« Die Maid versprach, dies zu tun und die Alte entfernte sich. Abends brach nun die Maid in Jammern und Weinen aus, so dass ihre Augen ganz rot waren. Ihr Bruder kehrte von der Jagd heim und konnte kaum ihr Leid erfahren. Alles mögliche versprach ihr der Jüngling und damit er den Wunsch seiner Schwester erfülle, so machte er sich denn am nächsten Tage auf den Weg.
Er schritt also vorwärts, rauchte Tabak, trank Kaffee, bis er die Grenze des Feenreiches erreichte. Er gelangte an eine Ebene, wo keine Karavane wandern kann; er kam zwischen Berge, wo kein Vogel fliegen kann; er gelangte in Täler, wo keine Schlange kriechen kann. Er setzte sein Vertrauen in Allah und schritt immer vorwärts, bis er endlich auf eine endlose Ebene gelangte. In der Mitte derselben befand sich ein wunderschöner Palast, am Wegrand aber sass die Teufelsmutter. Aus der rechten Brust floss über ihre linke Schulter Blut, aus der linken Brust über ihre rechte Schulter Eiter und ihr Mund schäumte; so sass sie da am Wegrand und spann. Als der Jüngling sie erblickte, sog er ein Bisschen aus ihrer rechten, dann aus ihrer linken Brust und sprach: »Guten Tag, Mütterchen! bis zu meinem Tode soll ich dein Sohn sein!« Hierauf küsst er ihre Hand. »Auch dir einen guten Tag, mein Söhnchen!« versetzte die Dew-Mutter, »wenn du aus meiner Brust nicht getrunken, mir die Hände nicht geküsst hättest, so hätte ich dich sogleich gefressen, Sprich, mein Söhnchen, wohin gehst du?« Der Jüngling erzählte ihr nun, dass er einen Zweig aus dem Garten der Feenkönigin haben wolle. »Wer hat dich dazu beredet, mein Kind?« fragte erstaunt die Alte. »Hundert und hundert Talismane beschützen diesen Garten; viele hundert Seelen gingen darob zu Grunde.« Doch der Jüngling – ob Tod, ob Leben – blieb bei seinem Vorsatze. »Dank es deiner in die Erde eingegrabenen unschuldigen Mutter,« sprach die Dew-Mutter. Sie hiess den Jüngling setzen und gab ihm Unterweisungen. »In der Morgendämmerung machst du dich auf den Weg und bleibst so lange nicht stehen, bis du nicht einen Brunnen und einen Wald erreichst. In diesem Walde nimm deine Pfeile hervor, fange lebendig fünf bis zehn Vögel ab und spiesse sie an den Brunnen; sprich vorher zwei Gebete und wirf dann die Vögel in den Brunnen, indem du dabei die Schlüssel begehrst. Hierauf wird man dir aus dem Brunnen einen Schlüssel hinaufwerfen, den steck’zu dir und gehe weiter. Du wirst nun zu einer grossen Höhle gelangen, öffne ihre Türe mit dem Schlüssel und sobald du eintrittest, strecke im Finstern deine rechte Hand aus, ergreife das, was dir in die Hand fällt, worauf du rasch umkehren und den Schlüssel in den Brunnen zurückzuwerfen hast. Aber blicke nicht hinter dich, sonst mag nur Allah deiner Seele sich erbarmen.«
Am nächsten Tage früh morgens machte sich der Jüngling auf den Weg, fing fünf bis zehn Vögel ab, verschaffte sich den Schlüssel, öffnete die Türe der Höhle und streckte seine rechte Hand aus; er ergriff nun etwas und ohne nach rückwärts zu sehen, bestieg er sein Ross und kehrte heim zu seiner Schwester. Erst dort betrachtete er das, was sich in seiner Hand befand. Es war nicht mehr und nicht weniger, als ein Zweig aus dem Garten der Feenkönigin. Aber was für ein Zweig war das! Er war voll kleiner Zweiglein, jedes Zweiglein voll Blätter; auf jedem Blatt ein Vogel und jeder Vogel hatte eine andere Stimme. Das war nun ein Singen, ein Zwitschern, dass wer es hörte, davon ganz hingerissen ward. Freilich herrschte darüber grosse Freude im Hause.
Am nächsten Tage ging der Jüngling wieder auf die Jagd und als er eben das Wild jagte, erblickte ihn der Padischah. Er wechselte einige Worte mit ihm, ging dann in seinen Palast und ward noch kranker. Die Hebamme eilte nun wieder in’s Haus des Mägdlein und erblickte dort den Zweig in der Hand der Maid. »Na, meine Tochter,« begann die Hebamme, »habe ich es dir nicht gesagt? Aber dies ist noch nichts. Wenn er dir den Spiegel der Feenkönigin holen würde, dann bei Gott! nähmest du den Zweig nicht mehr in die Hand. Weine also, bis du es um den Zweig getan hast« Die Hexe war kaum weggegangen, als die Maid zu weinen begann, so dass ihr Bruder sie kaum zu trösten vermochte. Er ging also fort und zwar schnurstracks zur Mutter der Teufel und jammerte so sehr wegen des Spiegels, dass ihm die Dew-Frau nicht widerstehen konnte.
»Danke es deiner in die Erde eingegrabenen unschuldigen Mutter,« sagte das Mütterchen, »sonst wären alle deine Seelen, besässest du auch deren tausend, dort zu Grunde gegangen.« Sie unterrichtete nun ihren Sohn, was er machen solle und entliess ihn dann. Er nahm seinen Eisenstab in die Hand, zog Eisenschuhe an und wie es ihm die Dew-Frau vorausgesagt hatte, gelangte er zu den beiden Toren Das eine war offen, das andere abgesperrt. Er schloss das geöffnete ab, sperrte das geschlossene auf und trat ein. Dort befand sich noch ein Tor, vor demselben ein Löwe und ein Schaf; vor dem Schafe lag Fleisch, vor dem Löwen Gras. Er legte Fleisch vor den Löwen hin, das Gras aber vor das Schaf und ging ungehindert weiter. Aber da stand ein drittes Tor, vor demselben zwei Öfen; in dem einen brannte Feuer, im andern war die Glut erloschen. Das Feuer des einen löschte er aus und entfachte die Glut des anderen und ging nun durch’s Tor durch in den Feengarten, aus dem Garten in den Feenpalast. Er nahm den Zauberspiegel und als er davoneilte, schrie man ihm so laut nach, dass Himmel und Erde davon erzitterte. »Brennender Öfen ergreif‘ ihn!« rief man aus dem Palaste, als er am Öfen vorbeilief. »Ich nicht,« antwortete der Öfen, »wenn er mich nicht auslöscht, so brenne ich auch jetzt noch.« Der andere Öfen wollte ihn auch nicht ergreifen, weil er sein Feuer dem Jüngling zu verdanken hatte.
»Löwe, zerreiss‘ ihn!« rief man aus dem Palaste, als er an den Tieren vorüberschritt. »Ich nicht,« antwortete der Löwe, »durch ihn gelangte ich zu Fleisch.« Auch das Schaf wollte ihn nicht ergreifen, denn er hatte ihm zu Gras verholfen. »Offenes Tor, nicht lass ihn hinaus!« rief man nun. »Wie sollte ich ihn nicht hinauslassen!« sprach das Tor, »wenn er mich nicht absperrt, so stehe ich noch immer geöffnet.« Das gesperrte Tor öffnete sich vor ihm und bald war er daheim bei seiner goldhaarigen Schwester. Sie blickten nun in den Spiegel und sahen darin die ganze Welt. Der Maid fiel nun der Feenzweig gar nicht ein, sie blickte nur in den Spiegel hinein.
Wieder ging nun der Jüngling auf die Jagd und kam dem Padischah zu Gesicht. Und beim dritten Mal erkrankte er so sehr in Liebe zum Jüngling, dass man ihn halbtot in den Palast trug. Wieder erfährt es die Hexe. Schnell läuft sie zum Mägdlein und spricht ihr zu, dass sie so lange ihrem Bruder keine Ruhe geben solle, bis dieser die Feenkönigin ihr nicht bringe. »Hiebei wird er sich doch das Genick brechen,« dachte sich die Hexe. Die Maid freute sich schon im vorhinein der schönen Fee und konnte kaum die Ankunft ihres Bruders erwarten. Tränen entströmten ihren Augen, als endlich ihr Bruder heimkehrte, als ob Regen den Wolken entgleiten würde. Vergebens sagt ihr der Jüngling, dass der Weg weit und gefahrvoll sei; vergebens, das Mädchen will die Feenkönigin haben.
Er machte sich also wieder auf den Weg, suchte die Teufelsfrau auf, drückte ihr die Hand, küsste ihre Füsse, drückte ihren Fuss und ihre Hand, damit sie noch einmal in der Not helfe. Die Frau bewunderte seine Kühnheit und sucht ihn von seinem Vorhaben abzuwenden, denn er habe ja nicht so viele Seelen, als dort zu Grunde gehen könnten. »Nein, mein Mütterchen,« sprach der Jüngling, »wenn ich sterben muss, so sterbe ich, aber ohne sie kehre ich nicht zurück!«
Was sollte nun die Dew-Frau machen; sie beschrieb ihm also wieder den Weg. »Auf dem Wege gehe vorwärts, auf dem du den Zweig gefunden hast, und auch auf dem, auf welchem du zu dem Spiegel gelangt bist. Dann kommst du auf eine grosse Ebene, aber blicke weder nach rechts, noch nach links, sondern schreite stets nur vorwärts in der Dunkelheit. Wenn es dann bald hell wird, so wirst du einen Cypressenwald erblicken, im Walde einen grossen Friedhof, wo alle in Steine verwandelt liegen, die sich nach der Feenkönigin gesehnt haben. Auch hier sollst du nicht stehen bleiben, sondern gehe zum Palaste der Königin und rufe, so kräftig du nur imstande bist, ihren Namen. Was nun mit dir dann geschehen wird, das weiss ich selber nicht!«
Am nächsten Tage machte sich der Jüngling auf den Weg, betete beim Brunnen, trat durch die Tore ein, und weder rechts, noch nach links blickend, schritt er vorwärts. Auf einmal ward es ganz hell um ihn, ein grosser Cypressenwald breitete sich vor ihm aus, dessen Stämme bis zum Himmel reichten und deren Wipfel auf Grabsteine sich niedersenkten. Es war kein Friedhof, sondern nur in Steine verwandelte Menschen ohne Zahl. Weder ein Ton ward vernehmbar, noch ein Geist oder ein Mensch zu sehen, so dass den Jüngling Gruseln befiel; aber er nahm seinen Mut zusammen und setzte seinen Weg fort.
Als er nun vorwärts blickte, so flimmerte es vor seinen Augen, denn Sonnenlicht strahlte ihm aus einem Palast entgegen. Er nahm den Rest seiner Kraft zusammen und als er den Namen der Feenkönigin rief, erstarb der Ton auf seinen Lippen und bis zu den Knien ward sein Leib zu Stein. Er rief noch ein Mal und ward nun bis zum Nabel Stein; er rief nun noch zum letzten Mal und ward dann zu Stein vom Nabel bis zur Kehle, von da bis zum Kopfe, gleich den übrigen Grabsteinen.
Aber siehe da! die Feenkönigin lief in ihren silbernen Schuhen herbei und hatte einen goldenen Napf in der Hand, mit dem sie in den Garten des Palastes eilte, dort aus einem diamantenen Behälter Wasser schöpfte und den Jüngling damit besprengend, ihn zum Leben erweckte. »Na, du junger Geselle,« sprach die Feenkönigin, »war es nicht genug, dass du meinen Feenzweig, dann meinen Spiegel weggetragen hast; du kommst gar zum dritten Male her? Danke es deiner in die Erde eingegrabenen unschuldigen Mutter, sonst wärst du in Stein verwandelt hier geblieben. Sprich, was suchst du hier?« »Ich bin gekommen, dich wegzuführen,« sprach mutig der Jüngling. »Weil du soviel wegen mir gelitten hast,« sprach die Fee, »so gehen wir denn.«
Der Jüngling wünschte nun, dass sie alle die in Steine verwandelten Menschen wieder ins Leben zurückrufe. Die Fee ging also in ihren Palast, packte ihre leichten, aber kostbaren Schätze zusammen, sattelte zwei Rosse, schöpfte in den goldenen Napf Wasser und kaum dass sie damit die Steine besprengte, so erwachten alle zu neuem Leben.
Sie setzten sich nun auf die Rosse und als sie das Feenland verliessen, so erzitterte unter ihnen die Erde so sehr, der Himmel erdröhnte so laut, dass der siebente Himmel zur ersten Erde, die siebente Erde zum ersten Himmel ward und wenn die Fee nicht neben dem Jüngling gewesen wäre, so wäre er vor Schreck gestorben. Sie blickten nicht nach vorwärts, sondern eilten ins Haus der Schwester. Nun hatte der Jüngling nicht so bald Lust zur Jagd, sondern »ich bin dein, du bist mein!« er tauschte Herz für Herz mit der schönen Fee ein.
Die Fee wusste die Geschichte der Kinder und ihrer Mutter; sie bedauerte das Schicksal der Mutter und sprach eines Tages zum Jüngling: »Geh in den Wald auf die Jagd und wenn du den Padischah antriffst, und er dich in seinen Palast einladet, so nimm die Einladung an!« So geschah es denn auch; kaum dass er den Wald erreichte, so stand der Padischah schon vor ihm und lud ihn zu sich in den Palast.
Am nächsten Tage weckte die Fee die Kinder auf, klatschte in ihre Hände und rief ihren Lala herbei. Es erschien ein Araber, dessen eine Lippe den Himmel, die andere die Erde fegte, und frug: »Was befiehlst du, Herrin?« »Bring das Ross meines Vaters her,« befahl die Fee. Der Araber verschwand windschnell und nach einem Augenblick erschien ein Ross, dem keines auf der Welt glich. Der Jüngling sprang auf das Ross und sieh da! am Wege harrte schon seiner das Geleite des Padischah.
Aber Efendim, verzeihe meine Sünde, beinahe hätte ich das Beste vergessen! Die Fee trug auch das dem Jüngling auf, dass sobald er sich im Palaste befinde und sein Ross wiehere, er schleunigst zurückkehre und den Padischah auf den drittfolgenden Tag zu sich einlade.
Der Jüngling sprengte also auf dem Prachtrosse dahin, gefolgt vom prächtigen Geleite und gelangte rechts und links grüssend in den von Pracht strahlenden Palast. Sie assen und tranken und unterhielten sich; der Padischah war ausser sich vor Freude, als aber dass Ross wieherte, erhob sich der Jüngling und wie man ihn auch zum Bleiben nötigte, er gab nicht nach, sprang auf das Ross und kehrte heim zu seiner Schwester.
Inzwischen hatte die Fee die Mutter der Kinder ausgraben lassen und mit ihren Zaubermitteln so hergestellt, dass sie so aussah wie in ihren Mädchenjahren. Aber sie erwähnte weder die Kinder der Mutter, noch die Mutter den Kindern. Am Tage des Gastempfangs standen sie zeitig auf, blickten hinaus und sahen nun an der Stelle der Hütte einen prachtvollen Palast stehen, wie solchen noch kein Auge gesehen, kein Ohr von einem solchen je gehört hatte; was das Land an Edelsteinen besass, alle waren dort am Palaste. Und erst der Garten des Palastes, die wundervollen Blumen mit den wunderbar singenden Vögeln, die alle ein anderes Gefieder hatten, und ach, erst die vielen Lauben. Und dann die vielen Palastleute, die schwarzen Diener des Harems, die weissen Sklavinnen der Männer, die Schauspieler, Musikanten und Sänger, zähl‘ sie alle her, wenn du es imstande bist. Und noch das Feengeleite, das den Padischah zu empfangen auszog, wer könnte das Alles herzählen.
»Das ist kein menschgeborenes Kind« sagten die Leute des Padischah, als sie diese Wunderdinge sahen; »wenn es aber ein Wunderkind ist, so hat es eine Feenschaar in seinen Diensten.« In das schönste Gemach des Palastes führte man den Padischah; brachte Kaffee, Scherbet herbei; dann begann die Musik zu spielen und die zahllosen Vögel zu singen. Darauf holt man die unzähligen Speisen herbei, die teueren Süssigkeiten; nun erscholl abermals Musik; Schauspieler und Gaukler traten auf und bis spät abends gab es immer etwas Neues.
Abends kam man um den Padischah damit er in den Harem gehe. Er trat ein und erblickte den goldhaarigen Jüngling mit dem Halbmond auf der Stirne, dann dessen Braut die Feenkönigin; und seine in die Erde eingegrabene Gattin mit ihrer goldhaarigen Tochter, auf deren Stirne ein Stern glänzte. Sie liefen zum Padischah, der wie versteinert da stand, küssten den Saum seines Gewandes und die Fee begann hierauf die ganze Geschichte von Anfang bis Ende zu erzählen.
Wahrlich es fehlte nicht viel dazu, dass der Padischah vor Freude starb. Er traute kaum seinen Augen, druckte alle an sein Herz, seine Kinder, seine Gattin, die Feenkönigin. Den beiden Schwestern der Sultansfrau verzieh er, aber die Hexe liess er schonungslos umbringen. Er und seine Gattin, sein Sohn und die Feenkönigin hielten zugleich ihre Hochzeit ab. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte dieselbe mit Allah’s Erlaubnis.
Einmal, warum und warum nicht, kurz der Padischah der Stadt erzürnte über die Bewohner und befahl zur Strafe, dass drei Tage und drei Nächte lang niemand in der Stadt ein Licht anzünden dürfe. Was sollten nun die drei Schwestern machen? Im Dunkeln konnten sie ja nicht arbeiten. Sie deckten also mit dicken Teppichen die Fenster zu, zündeten ein Lämpchen an und sahen nach ihrer Arbeit, damit sie sich das tägliche Brot verdienen.
Am dritten Abende des Verbotes ging der Padischah aus, um nachzusehen, ob nicht jemand gegen das Verbot handle. Zufällig kam er vor das Haus der drei Mädchen und da der eine Zipfel des Teppichs im Fensterrahmen hängen geblieben war, bemerkte der Padischah das Licht. Die Mädchen hatten keine Ahnung davon, nähten, stickten und sprachen von ihrer Armut.
Die Älteste sprach: »Oh, wenn mich der Padischah seinem Obermundschenken zur Frau geben würde, welch gute Speisen würde ich dann jeden Tag essen. Ich würde ihm dafür einen solchen Teppich weben, auf dem alle seine Soldaten Platz hätten.«
»Wenn er mich,« sprach die Mittlere, »seinem Obergarderobemeister zur Frau gäbe, dann hätte ich viele Kleider! Ich würde ihm dafür ein so grosses Zelt machen, dass alle seine Soldaten darin Platz hätten.«
»Wenn aber mich,« sprach die Jüngste, »der Padischah zur Frau nehmen würde, so würde ich ihm zwei Kinder zur Welt bringen, die goldene Haare hätten. Das eine wäre ein Knabe, das andere ein Mädchen; dem Knaben würde auf der Stirne ein Halbmond, dem Mädchen aber ein Stern glänzen.«
Der Padischah hörte die Rede der drei Mädchen und kaum dämmerte der nächste Tag, so liess er sie zu sich in den Palast rufen. Die Älteste gab er dem Obermundschenken, die Mittlere dem Garderobemeister und die Jüngste nahm er sich zur Frau. Nun waren die drei Mädchen wohl aufgehoben. Die Älteste veranstaltete solch‘ reichliche Mahlzeiten, dass ihr das Teppichweben, wegen des stets vollen Magens nicht mehr behagte. Am andern Tage schickte man sie zurück in ihre Hütte. Die Mittlere kleidete sich in Silber und Gold und als sie an die Verfertigung des Zeltes gehen sollte, wollte sie sich damit nicht beschmutzen. Man schickte sie hin zu ihrer älteren Schwester.
Nun aber die Jüngste. Die neun Monate und zehn Tage vergingen und Schmerzen kamen über sie. Die beiden andern Mädchen besprachen sich nun, dass es eine grosse Schande für sie sei, wenn die beiden Wunderkinder auf die Welt kämen. Sie versprachen also der Palasthebamme viel Geld, damit sie der Sache ein wenig zu Hilfe komme. Diese verfluchte Hebamme war eine Hexe und zu jeder bösen Tat bereit. Sie verschaffte sich zwei junge Hunde und begab sich mit diesen zum Bette der Kranken.
Und wahrlich, die Gattin des Padischah gebar solche zwei Kinder, die glänzenden Sternen glichen. Das eine war ein Knabe, das andere ein Mädchen; auf des Knaben Stirne glänzte ein Halbmond, auf der des Mädchens ein Stern, so dass davon selbst die Nacht hell wurde. Die böse Hebamme aber nahm die beiden jungen Hunde, legte sie an Stelle der Kinder hin und liess dem Padischah sagen, dass die Sultansfrau Hunde geboren habe. Der Padischah ergrimmte darüber so sehr, dass ihm das Herz beinahe in den Kopf fuhr. Er liess seine arme Gattin bis zu den Lenden in die Erde eingraben und überall den Befehl ausrufen, das jeder Vorübergehende sie anspeien und einen Stein auf sie werfen solle. Die Hexe aber nahm die beiden Kinder, trug sie ans Stadtende, legte sie am Flussufer nieder und kehrte vergnügt in den Palast zurück, als ob sie ein gutes Werk vollbracht hätte.
In der Nähe des Flusses, an dessen Ufer die beiden Kinder lagen, besass ein altes Ehepaar eine Hütte. Die Alten hatten eine Ziege, die morgens auf die Weide ging, abends heimkehrte und die Alten mit Milch versah. Da bemerkte die alte Frau, dass die Ziege keine Milch mehr von sich gebe. Sie klagt dies ihrem Gatten, trägt ihm auf nachzusehen, wer doch die Milch der Ziege stehle. Am nächsten Tage ging also der Alte der Ziege nach, er folgte ihr bis an den Fluss, wo er sich hinter einen Baum versteckt. Nun was erblicken seine Augen; wahrlich ihr werdet euch darüber freuen, wenn ihr es hört. Die beiden goldhaarigen Kinder lagen im Grase, die Ziege trat an dieselben heran und säugte sie. Dann meckerte sie, verliess die Kinder und ging grasen. Der Alte freute sich dieser beiden Wunderdingerchen so sehr, dass er beinahe seinen Verstand verlor. Er hob die kleinen Wesen auf und da ihn Allah mit Kindern nicht gesegnet hatte, trug er sie in seine Hütte und übergab sie seiner Frau. Die Gattin hatte noch mehr Freude an den Kindern; Allah hatte sie ihnen geschenkt, daher pflegten und hegten sie dieselben. Bald kam die Ziege traurig meckernd heran und als man ihr die Kinder zeigte, so säugte sie dieselben und ging dann wieder grasen.
Zeit kommt, Zeit vergeht und die beiden Wunderkinder wuchsen heran, liefen über Berg und Tal und selbst der dunkle Wald erglänzte von ihrem Goldhaar. Sie trieben Jagd, hüteten Rinder und halfen den Alten in der Wirtschaft. Die Zeit flog dahin und die Kinder wurden gross, die beiden Alten aber schwach; die beiden Goldhaarigen erstärkten, die Alten aber nahmen an Kraft so sehr ab, das sie eines Morgens starben. Die beiden Geschwister blieben allein zurück. Die Armen weinten und jammerten genug, aber an der Sache konnte einmal nichts geändert werden. Sie beerdigten also ihre alten Eltern und von nun an blieb das Mägdlein zu Hause bei der Ziege, während der Jüngling auf die Jagd zog. Eines Tages als er im Walde jagte, erblickte ihn sein Padischah-Vater. Weder der Vater wusste, dass dies sein Sohn, noch der Sohn, dass dies sein Vater sei. Aber kaum hatte er das Wunderkind erblickt, so war’s ihm, als müsste er es an sein Herz drücken, und er trug seinen Leuten auf, nachzuforschen, wer der Knabe sei. Einer der Hofleute trat auch an den Jüngling heran und sprach: »Du hast heute viel Wild erlegt mein Bej!« »Viel Wild hat Allah erschaffen,« antwortete der Jüngling, »für dich und auch für mich!« Mit diesen Worten entfernte er sich.
Auch der Padischah kehrte in seinen Seraj zurück, aber er war ganz krank vom Anblick dieses Wunderkindes, und als man ihn zu Hause nach der Ursache seines Übels fragte, meinte er, dass er im Walde ein solch‘ Wunderkind gesehen habe, von dessen Anblick er krank sei, so sehr hätte ersieh in dieses Wesen verliebt. Das Kind sei goldhaarig, besitze auf der Stirn einen Halbmond; ein solches Kind habe ihm einst seine Gattin versprochen. Die Hebamme erschrak darüber. Sie eilte hin zum Flusse, erblickte dort die Hütte und tritt in dieselbe ein. O Wunder! dort sass das goldhaarige Mädchen. Sie empfing die Hebamme freundlich und bietet ihr einen Sitzplatz an. Die Hebamme liess sich dies nicht zweimal sagen und forscht in honigsüssen Worten ob die Maid allein hier wohne? »Nein Mütterchen,« sprach das Mägdlein, »ich habe auch einen Bruder. Am Tage geht er auf die Jagd, abends kehrt er heim.« »Hast du nicht Langeweile hier allein?« fragt die Hexe. »Wenn ich mich auch langweile, was soll ich machen?« antwortete das Mägdlein, »ich bringe die Zeit zu, so wie ich eben kann!« »Sag‘, mein Diamant, liebt dich dein Bruder sehr?« forschte die Hexe, »Wie sollte er seine Schwester nicht lieben?« sprach die Maid. »Nun möchte ich dir etwas sagen, meine Tochter,« begann die Alte, »aber du darfst es niemandem mitteilen. Wenn abends dein Bruder heimkehrt, beginne zu weinen und zu jammern, so wie du es nur imstande bist zu tun. Er wird dich fragen, was dir fehle, du aber gib ihm keine Antwort. Fragt er dich zum drittenmale, so sage ihm, dass du dich zu Hause furchtbar langeweilst; und wenn er dich liebe, so solle er in den Garten der Feenkönigin gehen und von dort dir einen Zweig bringen. Einen solch‘ schönen Zweig hast du nie in deinem Leben gesehen,« Die Maid versprach, dies zu tun und die Alte entfernte sich. Abends brach nun die Maid in Jammern und Weinen aus, so dass ihre Augen ganz rot waren. Ihr Bruder kehrte von der Jagd heim und konnte kaum ihr Leid erfahren. Alles mögliche versprach ihr der Jüngling und damit er den Wunsch seiner Schwester erfülle, so machte er sich denn am nächsten Tage auf den Weg.
Er schritt also vorwärts, rauchte Tabak, trank Kaffee, bis er die Grenze des Feenreiches erreichte. Er gelangte an eine Ebene, wo keine Karavane wandern kann; er kam zwischen Berge, wo kein Vogel fliegen kann; er gelangte in Täler, wo keine Schlange kriechen kann. Er setzte sein Vertrauen in Allah und schritt immer vorwärts, bis er endlich auf eine endlose Ebene gelangte. In der Mitte derselben befand sich ein wunderschöner Palast, am Wegrand aber sass die Teufelsmutter. Aus der rechten Brust floss über ihre linke Schulter Blut, aus der linken Brust über ihre rechte Schulter Eiter und ihr Mund schäumte; so sass sie da am Wegrand und spann. Als der Jüngling sie erblickte, sog er ein Bisschen aus ihrer rechten, dann aus ihrer linken Brust und sprach: »Guten Tag, Mütterchen! bis zu meinem Tode soll ich dein Sohn sein!« Hierauf küsst er ihre Hand. »Auch dir einen guten Tag, mein Söhnchen!« versetzte die Dew-Mutter, »wenn du aus meiner Brust nicht getrunken, mir die Hände nicht geküsst hättest, so hätte ich dich sogleich gefressen, Sprich, mein Söhnchen, wohin gehst du?« Der Jüngling erzählte ihr nun, dass er einen Zweig aus dem Garten der Feenkönigin haben wolle. »Wer hat dich dazu beredet, mein Kind?« fragte erstaunt die Alte. »Hundert und hundert Talismane beschützen diesen Garten; viele hundert Seelen gingen darob zu Grunde.« Doch der Jüngling – ob Tod, ob Leben – blieb bei seinem Vorsatze. »Dank es deiner in die Erde eingegrabenen unschuldigen Mutter,« sprach die Dew-Mutter. Sie hiess den Jüngling setzen und gab ihm Unterweisungen. »In der Morgendämmerung machst du dich auf den Weg und bleibst so lange nicht stehen, bis du nicht einen Brunnen und einen Wald erreichst. In diesem Walde nimm deine Pfeile hervor, fange lebendig fünf bis zehn Vögel ab und spiesse sie an den Brunnen; sprich vorher zwei Gebete und wirf dann die Vögel in den Brunnen, indem du dabei die Schlüssel begehrst. Hierauf wird man dir aus dem Brunnen einen Schlüssel hinaufwerfen, den steck’zu dir und gehe weiter. Du wirst nun zu einer grossen Höhle gelangen, öffne ihre Türe mit dem Schlüssel und sobald du eintrittest, strecke im Finstern deine rechte Hand aus, ergreife das, was dir in die Hand fällt, worauf du rasch umkehren und den Schlüssel in den Brunnen zurückzuwerfen hast. Aber blicke nicht hinter dich, sonst mag nur Allah deiner Seele sich erbarmen.«
Am nächsten Tage früh morgens machte sich der Jüngling auf den Weg, fing fünf bis zehn Vögel ab, verschaffte sich den Schlüssel, öffnete die Türe der Höhle und streckte seine rechte Hand aus; er ergriff nun etwas und ohne nach rückwärts zu sehen, bestieg er sein Ross und kehrte heim zu seiner Schwester. Erst dort betrachtete er das, was sich in seiner Hand befand. Es war nicht mehr und nicht weniger, als ein Zweig aus dem Garten der Feenkönigin. Aber was für ein Zweig war das! Er war voll kleiner Zweiglein, jedes Zweiglein voll Blätter; auf jedem Blatt ein Vogel und jeder Vogel hatte eine andere Stimme. Das war nun ein Singen, ein Zwitschern, dass wer es hörte, davon ganz hingerissen ward. Freilich herrschte darüber grosse Freude im Hause.
Am nächsten Tage ging der Jüngling wieder auf die Jagd und als er eben das Wild jagte, erblickte ihn der Padischah. Er wechselte einige Worte mit ihm, ging dann in seinen Palast und ward noch kranker. Die Hebamme eilte nun wieder in’s Haus des Mägdlein und erblickte dort den Zweig in der Hand der Maid. »Na, meine Tochter,« begann die Hebamme, »habe ich es dir nicht gesagt? Aber dies ist noch nichts. Wenn er dir den Spiegel der Feenkönigin holen würde, dann bei Gott! nähmest du den Zweig nicht mehr in die Hand. Weine also, bis du es um den Zweig getan hast« Die Hexe war kaum weggegangen, als die Maid zu weinen begann, so dass ihr Bruder sie kaum zu trösten vermochte. Er ging also fort und zwar schnurstracks zur Mutter der Teufel und jammerte so sehr wegen des Spiegels, dass ihm die Dew-Frau nicht widerstehen konnte.
»Danke es deiner in die Erde eingegrabenen unschuldigen Mutter,« sagte das Mütterchen, »sonst wären alle deine Seelen, besässest du auch deren tausend, dort zu Grunde gegangen.« Sie unterrichtete nun ihren Sohn, was er machen solle und entliess ihn dann. Er nahm seinen Eisenstab in die Hand, zog Eisenschuhe an und wie es ihm die Dew-Frau vorausgesagt hatte, gelangte er zu den beiden Toren Das eine war offen, das andere abgesperrt. Er schloss das geöffnete ab, sperrte das geschlossene auf und trat ein. Dort befand sich noch ein Tor, vor demselben ein Löwe und ein Schaf; vor dem Schafe lag Fleisch, vor dem Löwen Gras. Er legte Fleisch vor den Löwen hin, das Gras aber vor das Schaf und ging ungehindert weiter. Aber da stand ein drittes Tor, vor demselben zwei Öfen; in dem einen brannte Feuer, im andern war die Glut erloschen. Das Feuer des einen löschte er aus und entfachte die Glut des anderen und ging nun durch’s Tor durch in den Feengarten, aus dem Garten in den Feenpalast. Er nahm den Zauberspiegel und als er davoneilte, schrie man ihm so laut nach, dass Himmel und Erde davon erzitterte. »Brennender Öfen ergreif‘ ihn!« rief man aus dem Palaste, als er am Öfen vorbeilief. »Ich nicht,« antwortete der Öfen, »wenn er mich nicht auslöscht, so brenne ich auch jetzt noch.« Der andere Öfen wollte ihn auch nicht ergreifen, weil er sein Feuer dem Jüngling zu verdanken hatte.
»Löwe, zerreiss‘ ihn!« rief man aus dem Palaste, als er an den Tieren vorüberschritt. »Ich nicht,« antwortete der Löwe, »durch ihn gelangte ich zu Fleisch.« Auch das Schaf wollte ihn nicht ergreifen, denn er hatte ihm zu Gras verholfen. »Offenes Tor, nicht lass ihn hinaus!« rief man nun. »Wie sollte ich ihn nicht hinauslassen!« sprach das Tor, »wenn er mich nicht absperrt, so stehe ich noch immer geöffnet.« Das gesperrte Tor öffnete sich vor ihm und bald war er daheim bei seiner goldhaarigen Schwester. Sie blickten nun in den Spiegel und sahen darin die ganze Welt. Der Maid fiel nun der Feenzweig gar nicht ein, sie blickte nur in den Spiegel hinein.
Wieder ging nun der Jüngling auf die Jagd und kam dem Padischah zu Gesicht. Und beim dritten Mal erkrankte er so sehr in Liebe zum Jüngling, dass man ihn halbtot in den Palast trug. Wieder erfährt es die Hexe. Schnell läuft sie zum Mägdlein und spricht ihr zu, dass sie so lange ihrem Bruder keine Ruhe geben solle, bis dieser die Feenkönigin ihr nicht bringe. »Hiebei wird er sich doch das Genick brechen,« dachte sich die Hexe. Die Maid freute sich schon im vorhinein der schönen Fee und konnte kaum die Ankunft ihres Bruders erwarten. Tränen entströmten ihren Augen, als endlich ihr Bruder heimkehrte, als ob Regen den Wolken entgleiten würde. Vergebens sagt ihr der Jüngling, dass der Weg weit und gefahrvoll sei; vergebens, das Mädchen will die Feenkönigin haben.
Er machte sich also wieder auf den Weg, suchte die Teufelsfrau auf, drückte ihr die Hand, küsste ihre Füsse, drückte ihren Fuss und ihre Hand, damit sie noch einmal in der Not helfe. Die Frau bewunderte seine Kühnheit und sucht ihn von seinem Vorhaben abzuwenden, denn er habe ja nicht so viele Seelen, als dort zu Grunde gehen könnten. »Nein, mein Mütterchen,« sprach der Jüngling, »wenn ich sterben muss, so sterbe ich, aber ohne sie kehre ich nicht zurück!«
Was sollte nun die Dew-Frau machen; sie beschrieb ihm also wieder den Weg. »Auf dem Wege gehe vorwärts, auf dem du den Zweig gefunden hast, und auch auf dem, auf welchem du zu dem Spiegel gelangt bist. Dann kommst du auf eine grosse Ebene, aber blicke weder nach rechts, noch nach links, sondern schreite stets nur vorwärts in der Dunkelheit. Wenn es dann bald hell wird, so wirst du einen Cypressenwald erblicken, im Walde einen grossen Friedhof, wo alle in Steine verwandelt liegen, die sich nach der Feenkönigin gesehnt haben. Auch hier sollst du nicht stehen bleiben, sondern gehe zum Palaste der Königin und rufe, so kräftig du nur imstande bist, ihren Namen. Was nun mit dir dann geschehen wird, das weiss ich selber nicht!«
Am nächsten Tage machte sich der Jüngling auf den Weg, betete beim Brunnen, trat durch die Tore ein, und weder rechts, noch nach links blickend, schritt er vorwärts. Auf einmal ward es ganz hell um ihn, ein grosser Cypressenwald breitete sich vor ihm aus, dessen Stämme bis zum Himmel reichten und deren Wipfel auf Grabsteine sich niedersenkten. Es war kein Friedhof, sondern nur in Steine verwandelte Menschen ohne Zahl. Weder ein Ton ward vernehmbar, noch ein Geist oder ein Mensch zu sehen, so dass den Jüngling Gruseln befiel; aber er nahm seinen Mut zusammen und setzte seinen Weg fort.
Als er nun vorwärts blickte, so flimmerte es vor seinen Augen, denn Sonnenlicht strahlte ihm aus einem Palast entgegen. Er nahm den Rest seiner Kraft zusammen und als er den Namen der Feenkönigin rief, erstarb der Ton auf seinen Lippen und bis zu den Knien ward sein Leib zu Stein. Er rief noch ein Mal und ward nun bis zum Nabel Stein; er rief nun noch zum letzten Mal und ward dann zu Stein vom Nabel bis zur Kehle, von da bis zum Kopfe, gleich den übrigen Grabsteinen.
Aber siehe da! die Feenkönigin lief in ihren silbernen Schuhen herbei und hatte einen goldenen Napf in der Hand, mit dem sie in den Garten des Palastes eilte, dort aus einem diamantenen Behälter Wasser schöpfte und den Jüngling damit besprengend, ihn zum Leben erweckte. »Na, du junger Geselle,« sprach die Feenkönigin, »war es nicht genug, dass du meinen Feenzweig, dann meinen Spiegel weggetragen hast; du kommst gar zum dritten Male her? Danke es deiner in die Erde eingegrabenen unschuldigen Mutter, sonst wärst du in Stein verwandelt hier geblieben. Sprich, was suchst du hier?« »Ich bin gekommen, dich wegzuführen,« sprach mutig der Jüngling. »Weil du soviel wegen mir gelitten hast,« sprach die Fee, »so gehen wir denn.«
Der Jüngling wünschte nun, dass sie alle die in Steine verwandelten Menschen wieder ins Leben zurückrufe. Die Fee ging also in ihren Palast, packte ihre leichten, aber kostbaren Schätze zusammen, sattelte zwei Rosse, schöpfte in den goldenen Napf Wasser und kaum dass sie damit die Steine besprengte, so erwachten alle zu neuem Leben.
Sie setzten sich nun auf die Rosse und als sie das Feenland verliessen, so erzitterte unter ihnen die Erde so sehr, der Himmel erdröhnte so laut, dass der siebente Himmel zur ersten Erde, die siebente Erde zum ersten Himmel ward und wenn die Fee nicht neben dem Jüngling gewesen wäre, so wäre er vor Schreck gestorben. Sie blickten nicht nach vorwärts, sondern eilten ins Haus der Schwester. Nun hatte der Jüngling nicht so bald Lust zur Jagd, sondern »ich bin dein, du bist mein!« er tauschte Herz für Herz mit der schönen Fee ein.
Die Fee wusste die Geschichte der Kinder und ihrer Mutter; sie bedauerte das Schicksal der Mutter und sprach eines Tages zum Jüngling: »Geh in den Wald auf die Jagd und wenn du den Padischah antriffst, und er dich in seinen Palast einladet, so nimm die Einladung an!« So geschah es denn auch; kaum dass er den Wald erreichte, so stand der Padischah schon vor ihm und lud ihn zu sich in den Palast.
Am nächsten Tage weckte die Fee die Kinder auf, klatschte in ihre Hände und rief ihren Lala herbei. Es erschien ein Araber, dessen eine Lippe den Himmel, die andere die Erde fegte, und frug: »Was befiehlst du, Herrin?« »Bring das Ross meines Vaters her,« befahl die Fee. Der Araber verschwand windschnell und nach einem Augenblick erschien ein Ross, dem keines auf der Welt glich. Der Jüngling sprang auf das Ross und sieh da! am Wege harrte schon seiner das Geleite des Padischah.
Aber Efendim, verzeihe meine Sünde, beinahe hätte ich das Beste vergessen! Die Fee trug auch das dem Jüngling auf, dass sobald er sich im Palaste befinde und sein Ross wiehere, er schleunigst zurückkehre und den Padischah auf den drittfolgenden Tag zu sich einlade.
Der Jüngling sprengte also auf dem Prachtrosse dahin, gefolgt vom prächtigen Geleite und gelangte rechts und links grüssend in den von Pracht strahlenden Palast. Sie assen und tranken und unterhielten sich; der Padischah war ausser sich vor Freude, als aber dass Ross wieherte, erhob sich der Jüngling und wie man ihn auch zum Bleiben nötigte, er gab nicht nach, sprang auf das Ross und kehrte heim zu seiner Schwester.
Inzwischen hatte die Fee die Mutter der Kinder ausgraben lassen und mit ihren Zaubermitteln so hergestellt, dass sie so aussah wie in ihren Mädchenjahren. Aber sie erwähnte weder die Kinder der Mutter, noch die Mutter den Kindern. Am Tage des Gastempfangs standen sie zeitig auf, blickten hinaus und sahen nun an der Stelle der Hütte einen prachtvollen Palast stehen, wie solchen noch kein Auge gesehen, kein Ohr von einem solchen je gehört hatte; was das Land an Edelsteinen besass, alle waren dort am Palaste. Und erst der Garten des Palastes, die wundervollen Blumen mit den wunderbar singenden Vögeln, die alle ein anderes Gefieder hatten, und ach, erst die vielen Lauben. Und dann die vielen Palastleute, die schwarzen Diener des Harems, die weissen Sklavinnen der Männer, die Schauspieler, Musikanten und Sänger, zähl‘ sie alle her, wenn du es imstande bist. Und noch das Feengeleite, das den Padischah zu empfangen auszog, wer könnte das Alles herzählen.
»Das ist kein menschgeborenes Kind« sagten die Leute des Padischah, als sie diese Wunderdinge sahen; »wenn es aber ein Wunderkind ist, so hat es eine Feenschaar in seinen Diensten.« In das schönste Gemach des Palastes führte man den Padischah; brachte Kaffee, Scherbet herbei; dann begann die Musik zu spielen und die zahllosen Vögel zu singen. Darauf holt man die unzähligen Speisen herbei, die teueren Süssigkeiten; nun erscholl abermals Musik; Schauspieler und Gaukler traten auf und bis spät abends gab es immer etwas Neues.
Abends kam man um den Padischah damit er in den Harem gehe. Er trat ein und erblickte den goldhaarigen Jüngling mit dem Halbmond auf der Stirne, dann dessen Braut die Feenkönigin; und seine in die Erde eingegrabene Gattin mit ihrer goldhaarigen Tochter, auf deren Stirne ein Stern glänzte. Sie liefen zum Padischah, der wie versteinert da stand, küssten den Saum seines Gewandes und die Fee begann hierauf die ganze Geschichte von Anfang bis Ende zu erzählen.
Wahrlich es fehlte nicht viel dazu, dass der Padischah vor Freude starb. Er traute kaum seinen Augen, druckte alle an sein Herz, seine Kinder, seine Gattin, die Feenkönigin. Den beiden Schwestern der Sultansfrau verzieh er, aber die Hexe liess er schonungslos umbringen. Er und seine Gattin, sein Sohn und die Feenkönigin hielten zugleich ihre Hochzeit ab. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte dieselbe mit Allah’s Erlaubnis.
[Asien: Türkei. Märchen der Welt]