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Die Goldmaria und die Pechmaria

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Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter. Eine richtige Tochter und eine Stieftochter, doch beide hießen Maria. Die richtige Tochter war als Kind von ihrer Mutter sehr verhätschelt worden. Auch war sie vom Wesen her nicht gut und fromm. Als sie nun heranwuchs, zeigte sich schon bald, dass sie eigensinnig und hinterhältig, aber auch sehr herrisch und gefühllos sein konnte. Es kam ihr immer nur in den Sinn, sich mit schönen Kleidern herauszuputzen, in den Spiegel zu sehen und vergnügliche Orte zu besuchen.
Die Stieftochter war dagegen stets bescheiden und brav, aber sie musste gar viele Kränkungen von Mutter und Schwester erdulden. Trotzdem blieb sie freundlich und tat die Küchenarbeit unverdrossen. Nur manchmal weinte sie heimlich in ihrem Kämmerlein, wenn sie durch Mutter und Schwester besonders hatte leiden müssen. Es brauchte aber nicht lange, so war sie wieder fröhlich, und sprach zu sich selbst: „Sei guten Mutes, der liebe Gott wird dir schon helfen.“ Dann tat sie fleißig ihre Arbeit, und machte alles nett und sauber.
Ihrer Stiefmutter meinte aber, dass sie nicht genug arbeite. Und eines Tages sagte sie sogar: „Maria, ich kann dich nicht länger zu Hause behalten. Du arbeitest zu wenig und isst zu viel. Und deine leibliche Mutter hat dir kein Vermögen hinterlassen, auch dein Vater nicht. Daher ist im Hause alles mein, und ich kann und mag dich nicht länger ernähren. Du musst jetzt gehen und dir einen Dienst bei einer Herrschaft suchen.“ Dann machte die Stiefmutter noch aus Asche und Milch einen Kuchen, füllte ein Krüglein mit Wasser, gab beides der armen Maria und schickte sie weg.
Maria war sehr betrübt über diese Ungerechtigkeit. Trotzdem schritt sie mutig durch Felder und Wiesen und dachte: „Es wird dich schon jemand als Magd nehmen, und vielleicht sind ja fremde Menschen gütiger als die eigene Stiefmutter.“ Als sie nun den Hunger fühlte, setzte sie sich ins Gras nieder, zog ihren Aschekuchen hervor und aß etwas davon. Dann trank sie aus ihrem Krüglein, und viele Vöglein flatterten herbei. Sie pickten an ihrem Kuchen, und Maria goss etwas Wasser in ihre Hand, auf dass die muntere Vogelschar trinken konnte.
Da verwandelte sich plötzlich ihr Aschekuchen in eine süße Torte und ihr Wasser in köstlichen Wein. Gestärkt und froh zog die arme Maria weiter und kam, als es dunkel wurde, an ein seltsames Haus. Das Haus hatte vorne zwei Tore, eines pechschwarz, das andere glänzend wie pures Gold.
Bescheiden ging Maria durch das unansehnliche Tor in den Hof, und klopfte an die Haustüre. Ein Mann von schrecklich wildem Aussehen tat die Türe auf und fragte barsch nach ihrem Begehren. Sie sprach zitternd: „Ich wollte nur fragen, ob Ihr nicht so gütig sein könntet, mich über Nacht zu beherbergen?“ Der Mann brummte: „Komm herein!“ Sie folgte ihm und zuckte noch mehr zusammen, als sie drinnen im Zimmer nur Hunde und Katzen sah, die ein abscheuliches Geheul veranstalteten.
Der wilde Thürschemann, der die arme Maria hereingelassen hatte, brummte nun: „Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?“ Maria sprach: „Bei Hunden und Katzen.“ Dennoch musste sie neben dem wilden Thürschemann schlafen. Er gab ihr ein so schönes weiches Bett, dass Maria ganz herrlich und ruhig schlief.
Am Morgen brummte Thürschemann wieder: „Mit wem willst du frühstücken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?“ Sie sprach: „Mit Hunden und Katzen.“ Da musste sie mit ihm trinken, Kaffee und süßen Rahm.
Als Maria dann fortgehen wollte, brummte Thürschemann abermals: „Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?“ Sie sprach: „Zum Pechtor.“ Da musste sie durchs goldene gehen. Und als sie gerade darunter war, saß Thürschemann oben darauf und schüttelte es so derb, dass das Tor erzitterte und Maria mit Gold bedeckte.
Nun ging Maria wieder heim. Und als sie schon nahe beim Elternhaus war, kamen ihr die Hühner freudig entgegen, die sie sonst gefüttert hatte, und der Hahn schrie: „Kikiriki, da kommt die Goldmarie! Kikiriki!“ Ihre Mutter kam aufgeregt die Treppe herunter und knickste so ehrfurchtsvoll vor der goldenen Dame, als wenn es eine Prinzessin wäre. Aber Maria sprach: „Liebe Mutter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin ja die Maria.“
Jetzt kam auch die Schwester ganz erstaunt und verwundert, so wie die Mutter. Beide waren voll des Neides, und Maria musste erzählen, wie wunderbar es ihr ergangen war. Nun nahm die Stiefmutter Maria freundlicher auf, und hielt sie auch besser wie zuvor. Sie wurde von jedermann geehrt und geliebt. Und schon bald war ein braver junger Mann gefunden, der sie als Gattin heimführte und glücklich mit ihr lebte.
Der anderen Maria aber wuchs der Neid im Herzen. Sie beschloss, ebenso fortzugehen und mit Gold überhäuft wiederzukommen. Da gab die Mutter ihr süßen Kuchen und Wein mit auf die Reise. Doch als Maria davon aß und die Vöglein geflogen kamen, jagte sie diese ärgerlich davon. Da verwandelte sich ihr Kuchen unvermerkt in Asche, und ihr Wein in mattes Wasser.
Am Abend kam Maria ebenfalls an Thürschemanns Tore. Sie ging stolz zu dem goldenen hinein, und klopfte an die Haustüre. Als Thürschemann aufmachte und brummig nach ihrem Begehren fragte, sagte sie schnippisch: „Nun, ich will hier übernachten.“ Und er brummte: „Komm herein!“
Dann fragte er sie: „Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?“ Sie antwortete schnell: „Bei euch, Herr Thürschemann!“ Aber er führte sie in die Stube, wo Hunde und Katzen schliefen, und schloss sie hinein. Am Morgen war das Angesicht der stolzen Maria gar hässlich zerkratzt und zerbissen.
Thürschemann brummte wieder: „Mit wem willst du Kaffee trinken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?“ „Ei, mit euch“, sagte sie. Da musste sie nun gerade wieder mit Katzen und Hunden trinken.
Maria hatte jetzt genug von diesem Possenspiel und wollte fort. Thürschemann brummte abermals: „Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?“ Sie sagte: „Zum Goldtor, das versteht sich doch von selbst!“ Aber dieses wurde sogleich verschlossen, und sie musste zum Pechtor hinaus. Thürschemann saß obendrauf, rüttelte und schüttelte, dass das Tor bedenklich wackelte. Da fiel so viel Pech herunter, dass die stolze Maria über und über damit bedeckt war.
Als sie nun voll Wut und gar hässlich nach Hause kam, krähte der Gockelhahn ihr entgegen: „Kikiriki, da kommt die Pechmarie! Kikiriki!“ Und ihre Mutter wandte sich voll Abscheu von ihr ab. Denn mit dieser hässlichen Tochter konnte und wollte sie sich nicht bei den feinen Leuten sehen lassen. Das war die größte Strafe für die Pechmaria, denn sie war auf das Gold aus, um gerade bei diesen Leuten Eindruck zu schinden.

Quelle: Ludwig Bechstein

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