Dort, wo sich über blaue Berge ein goldener Himmelsbogen erhebt, stand in einem Tal der prächtige Palast, indem Prinzessin Lilie lebte.
Viele Prinzen waren vergeblich durch das Palasttor geritten, die Prinzessin zu freien. Doch wie sie gekommen, so ritten sie auch wieder von dannen, denn der erste war der Auserwählten zu klug, der zweite war ihr zu dumm, der eine war zu groß, der andere zu klein, der nächste zu dick, und weiter und so fort. Der König mochte sagen, was er wollte, er mochte die Hände ringen, bis ihm die Arme erlahmten, sich die Haare raufen, bis sie ihm büschelweise ausfielen, sich tage – und nächtelang mit seinen Ratgebern beraten, es half alles nichts. Die Prinzessin dachte nicht daran, sich für einen Freier zu entscheiden, die von fern und nah, und oftmals von noch weiter gekommen waren. Erst als der König ihr drohte, sie bei einem anderen König in der Küche zu verdingen, wenn sie nicht unter all den Freiern binnen einer Woche einen zum Mann erwähle, da sagte die Prinzessin endlich: „Ich habe gewählt!“
Sogleich schickte der König alle seine Ratgeber nach Hause, hieß sie. sich erst einmal ordentlich ausschlafen, sich zu waschen und zu kämmen und hernach in frischen Kleidern wiederzukommen.Die Ratgeber waren zufrieden, stießen sie doch schon vor Müdigkeit die Köpfe einander, drohten sie doch vor Erschöpfung von ihren Stühlen zu fallen. Und so gingen sie denn, ein jeder in sein Haus. Aber kaum, dass sie ihre Häuser betreten hatten, wurden sie erneut in den Palast gerufen. War da eine Aufregung. Der König hielt nicht ein, seine Hände zu ringen, sich die Haare zu raufen, und als die Ratgeber erfuhren, was in ihrer kurzen Abwesenheit geschehen war, taten sie es dem König nach.
Konnte man es überhaupt einem, der einen gesunden Menschenverstand besaß, begreiflich machen? Würde da nicht jedem über dem Gehörten über sich selbst arger Zweifel aufkommen? Ei, wie, da nützte auch der liebliche Name nichts, die Prinzessin Lilie war des Königs einzige und zugleich ungeratene Tochter. Wollte sie doch keinen anderen als einen Korbmacher zum Manne nehmen. Nun galt es erst einmal herauszufinden, wo die Prinzessin diesem Korbmacher begegnet war, damit man ihn, würde es sich herausstellen, dass es an einem unschicklichen Orte geschehen sei, bestrafen können. Aber die Prinzessin war nicht bereit, den Ort der Begegnung zu nennen. Warum wohl nicht?
Weil es einen solchen nicht gab, weil die Prinzessin dem Korbmacher noch niemals begegnet war. Von ihrem Fenster aus, das auf dem großen Platz vor dem Palast hinausging. Von dort aus hätte die Prinzessin den Korbmacher gesehen, jeden siebten Tag, wie er seine Körbe feilbot, die er in den anderen sechs Tagen geflochten hatte. Ja, so war das.
Aber wollte der Korbmacher denn auch die Prinzessin zur Frau? Schon, schon, selbst wenn sie mit ihm in seine Lehmhütte zöge.
Und wollte die Prinzessin das? Ja, ja, geade das wollte die Prinzessin.
Als die Ratgeber dies alles vernommen hatten, kündigten sie dem König ihre Dienst auf, denn sie wussten sie ihm wirklich nicht mehr zu raten. Der König war dennoch der Ansicht, dass er keine besseren Ratgeber finden würde und so gab er ihrem Ansinnen nicht nach.
Die Prinzessin aber heiratete ohne großes Aufsehen Washa, den Korbmacher und zog mit ihm in seine Hütte am Rande der Stadt.
Aus ihrem seidenen Schal nähte sie für ihren Mann ein neues Hemd, aus dem Saum ihres Rockes zog den Faden hierzu heraus, und mit einer Fischgräte besserte sie seine Hosen aus. Von nun an konnte jeder sehen, dass der Korbmacher eine Frau hatte, die sich um ihn kümmerte. Selbst der König, der ihn durchs Fenster sah, sagte sich: „Schaut, schaut, wie er sich verändert hat. Mir hat er eine schlechte Tochter entführt, und er hat eine gute Frau bekommen.“ Eines Abends, als der Korbmacher von seiner Arbeit hinter der Hütte aufstand, und der Prinzessin über das glänzende Haar strich, sagte diese: „Deine Hände sind aufgesprungen, sind wie alte Rinde, sie reiben mir die Wangen auf, und meine Haare bleiben in den Rissen hängen. Du arbeitest über die Maßen viel. Das Schilf, das du noch vor der Morgendämmerung brichst, wehrt sich. Such dir eine andere Arbeit, eine, die deine Hände nicht rissig nicht macht.“ Da ließ sich der Korbmacher von einem Kaufmann anwerben, der verschiedene Waren, Stoffe, Weine und Getreide aufgekauft hatte und nun dabei war, sich auf eine Reise in weite Länder vorzubereiten, um dort seine Ware mit Gewinn zu veräußern. Und der Himmel bedeckte sich mit Sternen wie die Krone eines Apfelbaumes mit Blüten, die Sichel des Mondes begann, sich zu einer Scheibe zu füllen, und die Sterne fielen auf die Kuppeln der Paläste und auf die Dächer der Hütten herab, fielen auf die Welt, in der alle Sterblichen schliefen, bis der Tag wie eine schimmernde Perle den Himmelsbogen hinaufzurollen begann. Da verabschiedete sich Washa von seiner Prinzessin Lilie und begab sich mit dem Kaufmann auf die Reise. Neunmal wuchs der Mond und wurde zur Scheibe, neunmal nahm er ab und wurde zur Sichel, und auf der Matte in der Hütte des Korbmachers wurde ein Knabe geboren.
Washa hatte dem Kaufmann indessen beim Verkauf seiner Ware geholfen und die Maultiere mit neuer Ware beladen, und als auch diese einen guten Erlös gebracht hatten, kamen sie in ein Land, in dem große Dürre herrschte. Tage und Nächte reihten sie sich da aneinander wie glanzlose Perlen au einer Schnur. Ausgedörrt war der Boden, trocken die Kehle von Pferd, Maultier und Mensch. Und die Wassersäcke waren leer, und Washa und der Kaufmann mussten lange reiten, bis sie einen Brunnen fanden.
Als sie aber den Eimer in diesen hinunterließen, riss das Seil. Da stieg Washa in den Schacht, den Eimer wieder heraufzuholen, denn einen zweiten besaßen sie nicht. Doch kam hatten seine Füße Halt gefunden, da fiel Washa tiefer und tiefer in den Brunnen hiab. Und als er dachte, dass es nun wohl um ihn geschehen sei, setzten seine Füße auf einem weichen Teppich auf, und vor ihm öffnete sich wie von Geisterhand ein Tor, durch das Washa auf eine große grüne Wiese gelangte.
Dort empfingen ihn drei Jungfrauen, die führten ihn zu einem Bassin, auf dessen breitem Rand ein Frosch hockte, dessen Blicke auf einen Jüngling in kostbarem Gewand gerichtet waren. Eine der drei Jungfrauen reichte Washa einen Becher Wein und sprach: „Sei uns willkommen, der du zu uns gefunden hast. Lange warten wir schon auf einen, der uns sagt, welche die Schönste von uns ist.“ Washa trank den Becher leer, überlegte gut und sagte: „Die Schönste ist immer die, welche wir lieben!“ Da geschah etwas, da geschah es. Der Frosch hüpfte vom Bassin hinunter und verwandelte sich in eine Jungfrau, die schön war wie der helle Morgen. Und der Jüngling im kostbaren Gewand sprang herzu und sprach: „Vierzig Jahre haben wir auf die richtige Antwort gewartet. Du hast sie gegeben und sollst darum eine Belohnung erhalten, denn nun kann uns der Geist der Wüste, der uns solange gefangen hielt, nichts mehr anhaben. Er war es auch, der die Prinzessin, die er zur Frau begehrte, zur Strafe dafür, dass sie ihn zurückgewiesen hatte, in eine Frosch verwandelte. Nimm als Belohnung diese drei Granatäpfel.“ Washa nahm die Granatäpfel, und gleich darauf wurde er wie von Geisterhand aus dem Tor hinaus und den Brunnenschacht hinaufgezogen. Dem Kaumann war indessen angst und bange geworden. Wie sollte er nun weiterziehen, wie sollte er Tiere und Waren wohlbehalten nach Hause bringen? Und war Washa ihm nicht eher ein hilfreicher Freund denn ein dienender Gehilfe? Mitten in seinen Überlegungen schien es ihm, als ob sich im Schacht etwas bewegte. Und ehe der Kaufmann sich versah, stand Washa wieder vor ihm und an dem Seil, das sie gemeinsam hochgezogen, hing wieder der Eimer, bis an den Rand mit Wasser gefüllt.
So gaben sie denn den Tieren zu trinken und tranken selbst und füllten die Flaschen, bis keine mehr blieb, die leer war. Danach erzählte Washa dem Kaufmann, was ihm geschehen war. Und der Kaufmann, was ihm geschehen war. Und der Kaumann war über alle Maßen froh, dass Alles einen guten Ausgang genommen hatte, und wie Washa die Granatäpfel vorwies, dachte er, es müsse wohl so und nicht anders gewesen sein, auch wenn es nicht recht in den Kopf wollte. Bals darauf begegneten sie einem anderen Kaufmann mit seinen Gehilfen. Da staunte Washa nicht schlecht, denn der Gehilfe war ihm wohl bekannt, hatte er seine Hütte, doch nicht einen Steinwurf von der seinen errichtet. Diesem, seinem Nachbarn also, gab Washa, ehe sie sich genug erzählt hatten und aufbrachen, den Weg, der sie noch durch viele Länder führen sollten,
fortzusetzen, die drei Granatäpfel: „Bringe sie in meine Hütte. Ist es auch nicht viel, so ist es doch mehr als nichts.“ Der Nachbar, der lange vor Washa in die Dienste des anderen Kaufmanns getreten war und sich mit diesem auf dem Heimweg befand, versprach, den Auftrag gewiss nicht zu vergessen, und er vergaß ihn auch nicht. Er brachte noch am Tage seiner Ankunft in der Stadt die Granatäpfel in Washas Hütte und erzählte, wie er Washa begegnet war und was er von ihm wusste. Und die Prinzessin Lilie vernahm alles und erzählte es, als der Nachbar gegangen war, mit einfachen Worten dem Knaben. Während sie dies tat, nahm sie einen Granatapfel und teilte ihn. Doch aus den Hälften nicht, wie sie es erwartet hatte, die süßen Kerne, sondern Hunderte schimmernder Perlen. Und aus dem zweiten fielen goldene Ringe und aus dem letzten Rubinen und Smaragden. Da überlegte die Prinzessin nicht lange. Sie sammelte alles ein und ging, sich umzuhören, wie viel es wohl wert sei und was man ihr dafür gäbe.
Und als noch einmal so viele Monde vergangen waren, wie bis zu dem Tag, als der Nachbar die Granatäpfel in Washas Hütte gebracht hatte, kehrte auch Washa mit dem Kaufmann zurück. Vor den Stadtmauern angelangt, sagte er zu dem Kaufmann: „Hier will ich mich nun von Euch trennen, denn hier weiß ich ein Pfad, auf dem ich ohne Umwege zu meiner Hütte gelange.“ Da reichte der Kaufmann Washa einen großen Beutel Gold für seine Dienste, und Washa lief den Pfad, der vor der Mauer herführte. Wie aber staunte er, als er plötzlich eine Schafherde vor sich sah, die so groß war, wie selbst der König keine besaß. Washa hielt an und fragte einen der Hirten: „Sagt, wessen Schafe hütet ihr?“
„Es sind die Schafe Washas, des Korbmachers“, antwortete der Hirte. „So eine dumme Rede habe ich lange nicht gehört“, dachte Washa. Und er lief weiter. Doch nach einer Weile sah er vor sich eine Kuhherde, die so groß war, wie selbst der König keine besaß.
„Sagt, wem gehört diese Herde?“ fragte Washa die Hirten. Und die Hirten antworteten: „Diese Herde gehört Washa, dem Korbmacher.“ ……“Was mag sie nur um den Verstand gebracht haben?“ fragte sich Washa, während er weiterlief und zu dem Tor kam, hinter dem er seine Hütte wusste. Wie aber erschrak er, als er die Hütte nicht fand, als er begriff, dass der Palast, den er vor sich sah, und der selbst den Palast des Königs an Größe und Pracht übertraf, an ihrer Stelle stand.
Washa schlug sich auf die Stirn, schloss die Augen und machte sie wieder auf, aber es half alles nichts. Der Palast blieb, wo er war und von seiner Hütte war weit und breit nichts zu sehen. „Wahrscheinlich bin ich durch das falsche Tor gelaufen“, sagte Washa sich nach einer Weile. Der Arme war derart verwirrt, dass er selbst das Haus des Nachbarn, obwohl seine Augen es erblickten, nicht erkannte. Und so lief er wieder zum Tor hinaus. Als ihm ein paar Maultiertreiber entgegenkamen, besann er sich, trat auf einen zu und fragte ihn: „Sagt, wem gehört der Palast, dessen goldene Kuppeln man ganz nahe sehen kann?“
Der Maultiertreiber blickte Washa wie einen Unwissenden an und sagte: „Ihr seid sicher fremd in der Stadt und kommt von weit her, denn sonst wüsstet Ihr, dass dieser Palast Washa dem Korbmacher gehört.“
„Was ist dieser Korbmacher für einer, dass er sich einen solchen Palast leisten kann?“ fragte Washa. „Er ist der, den die Prinzessin Lilie sich zum Manne erwählt hat“, antworteten die Maultiertreiber. Als Washa dies gehört hatte, kehrte er um und lief erneut durch das Tor und wünschte sich dabei nichts mehr, als dass der Maultiertreiber die Wahrheit gesprochen hätte.
„Dass ich Washa, der Korbmacher bin, weiß ich gewiss, und ob dieser Palast mir und keinem anderen gehört, werde ich gleich wissen“, dachte er. Und alles klärte sich auf, zum Besten, wie es sich denken läßt.
Die Prinzessin hatte es verstanden, mit dem Schatz, der aus den Granatäpfeln auf den Boden der Lehmhütte gefallen war, bedächtig umzugehen. Sie hatte davon die Hälfte der Schafe und der Kühe gekauft, die Washa vor den Mauern der Stadt gesehen und nach deren Besitzer er sich verwundert erkundigt hatte. Doch als die Schafe und die Kühe sich um das Doppelte vermehrt hatten, war die Prinzessin auf den Gedanken gekommen, die Hütte abzureißen und an ihrer Stelle den Palast erbauen zu lassen. Dies alles erfuhr Washa von der Prinzessin Lilie selbst. Natürlich erfuhr er auch, dass er einen Sohn hatte, und als er hinging und ihm in die Augen blickte, dachte er froh, dass es das schönste und klügste Kind unter der Sonne sei.
Quelle: Ein Märchen aus Armenien