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Märchenbasar

Die Jungfrau Maria als Gevatterinn

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Weit, weit von hier in einem großen Wald wohnten ein Paar arme Leute. Die Frau kam ins Kindbett und gebar ein allerliebstes Töchterchen; aber da die Leute so arm waren, wußten sie nicht, wie sie das Kind getauft bekommen sollten. Da mußte der Mann sich aufmachen und zusehen, ob er nicht Gevattern bekommen könne, die für ihn das Taufgeld bezahlten. Er ging den ganzen Tag von Einem zum Andern, aber Gevatter wollte Niemand sein. Gegen Abend, als er nach Hause ging, begegnete ihm eine sehr schöne Frau, die hatte so prächtige Kleider an und sah so gutmüthig und freundlich aus und erbot sich, das Kind zur Taufe zu schaffen, wenn sie es nachher behalten solle. Der Mann antwortete, er müßte erst seine Frau fragen. Aber als er nach Hause kam und ihr die Sache vorstellte, sagte sie platt aus nein. Am andern Tage ging der Mann wieder aus; aber Gevattern wollten sie Alle nicht sein, wenn sie selbst das Taufgeld bezahlen sollten, und wie viel der Mann sie auch bitten mochte, so half doch Alles nichts. Als er am Abend nach Hause ging, begegnete ihm wieder die schöne Frau, die so sanft aussah, und sie machte ihm wieder dasselbe Anerbieten. Der Mann erzählte nun seiner Frau, Was ihm abermals begegnet war, und die sagte darauf, wenn er auch den nächsten Tag keine Gevattern zu dem Kind bekommen könne, so müßten sie es wohl der Frau überlassen, da sie doch so gut und freundlich aussähe. Der Mann ging nun zum dritten Mal aus, bekam aber auch an diesem Tage keine Gevattern; und als ihm daher am Abend wieder die freundliche Frau begegnete, versprach er ihr das Kind, wenn sie es wollte taufen lassen. Am andern Morgen kam die Frau in die Hütte des Mannes und hatte noch zwei Männer bei sich. Sie nahm nun das Kind und ging damit in die Kirche, und da wurde es getauft; darauf nahm sie es mit sich, und das kleine Mädchen blieb bei ihr mehrere Jahre lang, und die Pflegemutter war immer gut und freundlich gegen sie.
Als nun das Mädchen so groß geworden war, daß es schon unterscheiden konnte, und Verstand bekam, wollte die Pflegemutter einmal eine Reise machen. »Du darfst in alle Zimmer gehen, in welche Du willst«, sagte sie zu dem Mädchen: »nur in diese drei Zimmer darfst Du nicht gehen«, und darauf reiste sie fort. Das Mädchen konnte es aber nicht unterlassen, die Thür zu dem einen Zimmer ein wenig zu öffnen – und wutsch! so flog ein Stern heraus. Als die Pflegemutter nach Hause kam, betrübte es sie sehr, daß der Stern herausgeflogen war, und so unwillig war sie auf ihre Pflegetochter, daß sie ihr drohte, sie fortjagen zu wollen. Aber das Mädchen bat und weinte so lange, bis sie endlich doch bleiben durfte. – Nach einiger Zeit wollte die Pflegemutter abermals verreisen und verbot nun dem Mädchen, beileibe nicht in die zwei Zimmer zu gehen, in welchen sie noch nicht gewesen sei. Das Mädchen versprach ihr nun auch, sie wolle diesmal gehorsam sein. Als sie aber eine Zeitlang allein gewesen war und sich allerlei Gedanken gemacht hatte, Was doch wohl in dem zweiten Zimmer sein möchte, konnte sie sich nicht enthalten, auch die zweite Thür ein wenig zu öffnen – und wutsch! flog der Mond heraus. Als die Pflegemutter zurückkehrte und sah, daß der Mond herausgeschlüpft war, ward sie wieder sehr betrübt und sagte zu dem Mädchen, nun könne sie sie durchaus nicht länger behalten, sie müsse jetzt fort. Aber da das Mädchen wieder so bitterlich weinte und gar zu artig bat, so durfte sie denn auch noch diesmal bleiben. – Nach einiger Zeit wollte die Pflegemutter abermals verreisen, und da legte sie es dem Mädchen, das nun schon halb erwachsen war, recht ernstlich ans Herz, es ja nicht versuchen zu wollen, in das dritte Zimmer zu gehen, oder auch nur hineinzugucken. Als aber die Pflegemutter eine Zeitlang verreist war, und das Mädchen so allein ging und sich langweilte, konnte sie es zuletzt nicht mehr aushalten. »Ach«, dachte sie: »wie artig es sein müßte, ein wenig in das dritte Zimmer zu gucken!« Sie dachte zwar erst, sie wollte es doch nicht thun, der Pflegemutter wegen; aber als sie wieder auf den Gedanken zurückkam, konnte sie sich doch nicht länger halten; sie meinte, sie solle und müsse durchaus hineingucken, und da machte sie die Thür ein ganz klein wenig auf – und wutsch! flog die Sonne heraus. Als die Pflegemutter nun zurückkehrte und sah, daß die Sonne hinausgeflogen war, ward sie so herzlich betrübt und sagte zu dem Mädchen, nun könne sie durchaus nicht länger bei ihr bleiben. Die Pflegetochter weinte und bat noch artiger, als zuvor; aber es half Alles nichts. »Nein, ich muß Dich jetzt strafen«, sagte die Pflegemutter: »aber Du sollst die Wahl haben, entweder das allerschönste Frauenzimmer zu werden und nicht sprechen zu können, oder das allerhäßlichste und sprechen zu können; aber weg von hier mußt Du.« Das Mädchen sagte: »So will ich denn lieber das allerschönste Frauenzimmer werden und nicht sprechen können«, – und das ward sie denn auch; aber von der Zeit an war sie stumm.
Als nun das Mädchen ihre Pflegemutter verlassen hatte und eine Zeitlang fortgewandert war, kam sie in einen großen, großen Wald; aber so weit sie auch ging, so konnte sie doch nie das Ende erreichen. Als es Abend wurde, kletterte sie auf einen hohen Baum, der oberhalb einer Quelle stand, und setzte sich darin zum Schlafen nieder. Nicht weit davon aber lag ein Königsschloß, und aus diesem kam früh am andern Morgen eine Dirne und wollte Wasser zum Thee für den Prinzen aus der Quelle holen. Als nun die Dirne das schöne Gesicht in der Quelle sah, glaubte sie, es wäre ihr eignes; sie warf sogleich den Eimer hin, lief nach Hause, hielt den Nacken steif und sagte: »Bin ich so schön, so bin ich auch wohl zu gut, um Wasser im Eimer zu holen.« Nun sollte eine Andre hin und Wasser holen; aber mit der ging es eben so: sie kam auch zurück und sagte, sie wäre viel zu schön und zu gut, um nach der Quelle zu gehen und Wasser für den Prinzen zu holen. Da ging der Prinz selbst hin; denn er wollte sehen, wie das zusammenhing. Als er nun zu der Quelle kam, erblickte er ebenfalls das Bild, und sogleich sah er nach dem Baum hinauf. Da ward er denn das schöne Mädchen gewahr, das dort in den Zweigen saß. Er schmeichelte sie herunter und nahm sie mit nach Hause und wollte sie durchaus zur Gemahlin haben, weil sie so schön war. Aber seine Mutter, die noch lebte, machte Einwendungen: »Sie kann nicht sprechen«, sagte sie: »es mag daher wohl ein Trollmensch sein.« Aber der Prinz gab sich nicht eher zufrieden, bis er sie bekam. Als er nun eine Zeitlang mit ihr zusammengelebt hatte, ward sie schwanger, und wie sie gebären sollte, stellte der Prinz eine starke Wache um sie her. Aber in der Geburtsstunde schliefen alle ein; und als sie geboren hatte, kam ihre Pflegemutter, schnitt das Kind in den kleinen Finger und bestrich der Königinn mit dem Blute den Mund und die Hände und sagte: »Nun sollst Du eben so betrübt werden, als ich damals war, wie Du den Stern hattest hinausschlüpfen lassen«, und darauf verschwand sie mit dem Kinde. Als Die, welche der Prinz zur Bewachung hingestellt hatte, die Augen wieder aufschlugen, glaubten sie, die Königinn hätte ihr Kind aufgefressen, und die alte Königinn wollte daher, daß man sie verbrennen solle; aber der Prinz hatte sie so herzlich lieb, und nach vielem Bitten gelang es ihm, sie von der Strafe zu befreien, aber es war nur mit genauer Noth. Als die Königinn zum zweiten Mal ins Wochenbett sollte, wurde eine Wache um sie gestellt, die war doppelt so stark, als die erste. Aber es ging wieder eben so, wie das vorige Mal, nur daß jetzt die Pflegemutter zu ihr sagte: »Nun sollst Du eben so betrübt werden, als ich damals war, wie Du den Mond hattest hinausschlüpfen lassen.« Die Königinn weinte und bat, – denn wenn die Pflegemutter da war, konnte sie sprechen – aber es half Alles nichts. Nun wollte die alte Königinn durchaus, daß sie verbrannt werden sollte; aber der Prinz bat sie auch noch dieses Mal frei. Als die Königinn zum dritten Mal ins Kindbett sollte, ward eine dreidoppelte Wache um sie gestellt; aber es ging wieder ganz so, wie zuvor: die Pflegemutter kam, während die Wache schlief, nahm das Kind, schnitt es in den kleinen Finger und strich der Königinn das Blut um den Mund; nun, sagte sie, solle sie eben so betrübt werden, als sie selbst damals gewesen sei, wie sie die Sonne hatte hinausschlüpfen lassen. Jetzt konnte der Prinz sie auf keine Weise mehr retten, sie mußte und sollte verbrannt werden. Aber grade in dem Augenblick, da man sie auf den Scheiterhaufen brachte, erschien die Pflegemutter mit allen drei Kindern; die beiden ältesten führte sie an der Hand, und das jüngste trug sie auf dem Arm. Sie trat auf die junge Königinn zu und sprach: »Hier sind Deine Kinder, ich gebe sie Dir jetzt zurück. Ich bin die Jungfrau Maria, – und so betrübt, als Du nun gewesen bist, so betrübt war ich damals, als Du den Stern, den Mond und die Sonne hattest hinausschlüpfen lassen. Jetzt hast Du für Das, was Du gethan, Deine Strafe erlitten, und von nun an sollst Du wieder sprechen können.« Wie froh da der Prinz und die Prinzessinn waren, das lässt sich wohl denken, aber nicht beschreiben; sie lebten nachher immer glücklich zusammen, und auch des Prinzen Mutter hatte von der Zeit an die junge Königinn recht lieb.

[Norwegen: P. [C.] Asbjørnsen/Jörgen Moe: Norwegische Volksmärchen]

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