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Märchenbasar

Die kahlen Berge

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Nicht weit von den grünen Bergen lebte ein Indianerstamm. Auf den Hängen jagten die Jäger das Wild, im Tal pflanzten die Frauen Mais und Melonen. Eines Tages, gegen Mittag, wurde es plötzlich finster. Die Schwingen eines riesigen Vogels verdeckten die Sonne. Die Indianer erschraken und liefen schnell in ihre Wigwams. Streitäxte, Pfeile und Bogen ergriffen die Krieger. Aber der riesige Vogel stieß einen fürchterlichen Schrei aus, und unter seinen Schwingen erhob sich ein solcher Sturmwind, dass auch die Mutigsten ihre Gesichter verbargen. Der Vogel flog über das Lager hinweg, hob sich in die Lüfte und flog in weitem Bogen auf die grünen Berge zu. Die Sonne schien, als sei nichts geschehen, vom wolkenlosen Himmel herab. Aber aus dem Wigwam des Häuptlings ertönte lautes Klagen. Die Frau des Häuptlings raufte sich die Haare, wand sich verzweifelt auf dem Boden. Der riesige Vogel hatte den kleinen Sohn des Häuptlings fortgeschleppt.
Ein Jahr verging. Da verfinsterte sich eines Tages wieder der Himmel, und der riesige Vogel stürzte herab und verschleppte ein anderes Kind. Jahr für Jahr geschah nun das gleiche. Die Indianer riefen den Großen Geist um Hilfe an, aber der schwieg. Endlich beschloß der Häuptling, selbst zu handeln.
Er rief alle erwachsenen Männer zusammen und sprach zu ihnen: „Ich habe beschlossen, nicht mehr zu warten, bis der Vogel wieder aus den Bergen herab geflogen kommt und sich sein Opfer wählt. Wir werden in die Berge gehen und den Vogel töten.“
Mit lauten Zurufen begrüßten die Männer die Entscheidung des Häuptlings. Am anderen Morgen zogen die Indianer in die Berge. Sie kletterten immer höher und gelangten auf die weißen Felsen und auf der anderen Seite in ein ausgedehntes Tal. Dort sahen sie unzählige Vögel dicht aneinandergedrängt, und alle glichen dem, der Jahr um Jahr Unheil über ihr Dorf gebracht hatte. Nur der Häuptling blieb ruhig und besonnen. Er ahmte den Ruf eines kleinen Vogels nach. Seine Krieger kannten das Zeichen und wußten, was sie zu tun
hatten, und dass es getan werden mußte. Sie verteilten sich auf das ganze Bergplateau und steckten alles Gras und Gestrüpp in Brand. Im weiten Kreis rund um die Riesenvögel flammte das Feuer auf.
Und der Große Geist entfachte einen mächtigen Sturm, der es den Vögeln unmöglich machte, aufzufliegen. Als sich der Sturm gelegt hatte und das Feuer erloschen war, liefen die Indianer, nach den Vögeln zu sehen. Es war nichts von ihnen übriggeblieben. Bald deckte die Nacht das Gebirge und die Prärie mit ihrem schwarzen Mantel zu. Die Männer streckten sich auf dem Felsen aus und schliefen ein. Sie hatten nichts mehr zu fürchten. Am anderen Morgen stiegen sie wieder hinunter in ihr Dorf. Alles war gut. Nur die Berge, die bis dahin grün gewesen waren, blieben nach dem Feuer für immer ohne Bewuchs und wurden fortan die Kahlen Berge genannt.

Quelle:
Nordamerikanisches Märchen

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