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Märchenbasar

Die Kaiserstochter und das Füllen

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Einem mächtigen Kaiser wurde an einem und demselben Tag eine Tochter und von einer Lieblingsstute ein Füllen geboren. Als letzteres ein halbes Jahr alt war, blieb es in seinem Wachstum stehen und konnte, so alt es wurde, nicht mehr größer wachsen, dagegen besaß es die unglaubliche Eigenschaft, daß es sprechen konnte, und zwar sehr klug.
Als die Prinzessin ins reifere Kindesalter trat, zeigte sie für das wunderbare Füllen eine große Vorliebe, so daß sie von demselben fast nicht zu trennen war und jeden Abend, wenn es Zeit zum Schlafengehen war, unter Tränen von ihm genommen werden mußte. Sie fütterte das Füllen täglich mit Feuer und tränkte es mit Wein, denn sonderbar genug wollte das Tier nichts anderes genießen. Dafür war es aber der Prinzessin so außerordentlich anhänglich, daß es ihr überall folgte, sie mochte gehen, wohin sie wollte.
Die Prinzessin war indessen fünfzehn Jahre alt geworden, und der Kaiser wünschte sehnlichst, sie zu verheiraten. Anfangs zeigte sie Abneigung gegen die Ehe, da sie aber eine gehorsame Tochter war, so ergab sie sich in den Willen ihres Vaters. Dieser ließ nun, um einen Gemahl für seine Tochter zu finden, eine Trommel mit der Haut zweier Läuse überziehen und bei ihrem Schall durch seine ganze Hauptstadt ausrufen, welcher Mann, Untertan oder Fremder, imstande sein werde zu erraten, mit was diese Trommel überzogen sei, solle seine Tochter, die schöne Prinzessin, zur Frau bekommen und dereinst auch das Reich beherrschen.
Natürlich fanden sich viele Bewerber ein, hoch und nieder, aber keiner war imstande, das Rätsel zu lösen. Endlich sandte ein großer Drache, welcher zugleich einer der mächtigsten Zauberer war und mittels seiner geheimen Künste in Erfahrung gebracht hatte, was für Felle an der Trommel des kaiserlichen Ausrufers seien, seinen Sohn, damit er die Hand der schönen Prinzessin erlange. Der Kaiser hatte gegen den Freier, der ihm das Geheimnis glücklich zu offenbaren wußte und überdies von schöner Gestalt, auch von einem herrlichen Gefolge begleitet war, nichts einzuwenden, und der Fremdling reiste wieder ab, um die Vorbereitungen zur Hochzeit zu treffen.
Die Prinzessin aber eilte schleunigst zu ihrem Füllen, um ihm mitzuteilen, was vorgefallen war. Dieses war sehr traurig und antwortete: »Oh, ich weiß schon alles und noch mehr, denn der schöne Fremdling ist niemand anders als der Sohn des abscheulichsten Drachens und Zauberers und ist selbst ein großer Zauberer.« Als die Prinzessin dies hörte, fing sie an zu zittern und zu weinen, da sprach das Füllen wieder: »Fürchte dich nicht, gehe nur zu deinem Vater und bitte ihn, er solle dir drei Männeranzüge machen lassen, damit du auf einige Zeit vom Hof entfliehen kannst. Er soll dir auch Schriften und Zeugnisse geben, worin er dich als seinen Sohn bezeichnet. Wenn du dies alles hast, so komm nur zu mir, und ich werde dich hinbringen, wohin du willst und wo der Drache dich sicherlich nicht erreicht.« Weinend vor Freude umhalste die Prinzessin ihr geliebtes Füllen und eilte dann zu ihrem Vater, welchem sie alles so wieder mitteilte, wie ihr geraten war. Der Kaiser, über diese Nachrichten nicht weniger erschrocken als die Prinzessin, besann sich nicht lange, sondern ließ seiner Tochter die verlangten Papiere ausfertigen, und da er wohl wußte, daß er sein Kind vor der Rache des Drachens nicht schützen könnte, segnete er die Prinzessin, indem er ihr sagte, daß auch er am meisten Vertrauen in ihr freundliches Füllen habe.
Als die Prinzessin wieder zu diesem kam, mußte sie sich sogleich als Mann verkleiden und dann auf den Rücken ihres Füllens steigen, das zu diesem Zweck vor ihr niederkniete. Als sie im Sattel saß, erhob sich das Tier in die Luft und trug sie mit unglaublicher Schnelligkeit in weite Ferne fort. Nach einiger Zeit sprach es: »Liebe Prinzessin, schau dich einmal um, ob du nichts wahrnimmst.« Sie schaute sich um und erblickte zu ihrem Entsetzen einen großen Drachen hinter sich, der sie verfolgte. Sie wußte natürlich sogleich, daß es kein anderer war als der, dessen Frau sie werden sollte, und rief deshalb dem Füllen zu: »O schnell, schnell! Der Drache ist hinter uns.« – »Wie willst du, daß wir fliehen?« fragte hierauf das Füllen, »wie der Wind oder wie der Gedanke?« – »Wie der Wind«, war die Antwort der geängstigten Kaiserstochter, und mit Sturmesflügeln jagten die Fliehenden durch die Lüfte, bis nach einiger Zeit das Füllen wieder zur Prinzessin sagte: »Schaue dich um, wo wir sind!« Diese tat wieder so und gewahrte wieder den furchtbar schnaubenden Drachen hinter sich, und zwar noch näher als das erstemal. »O eile, eile hinweg!« rief jetzt die Prinzessin wieder in der äußersten Angst, »der Drache hat uns schon fast erreicht!« – »Wie willst du, daß wir fliehen«, fragte das Füllen wieder, »wie der Wind oder wie der Gedanke?« – »Wie der Gedanke!« rief die Prinzessin, »o eile, eile!« Sie hatte aber noch nicht ausgesprochen, so sah sie bereits unter sich eine große Stadt, auf welche sich das Füllen hinunterließ. Dort setzte es sie auf einem großen Platz nieder, der von herrlichen Palästen umgeben war, denn hier wohnte der Kaiser eines großen Reiches mit seinem Hofstaat.
Auf die Frage der Prinzessin, was sie weiter in der fremden Stadt hier machen wollten, ewiderte das Füllen: »Gehe nur zum Kaiser, verneige dich vor ihm und sag ihm, daß ihn dein hoher Vater durch dich grüßen und melden lasse, daß er dich, seinen Sohn, in die Welt geschickt habe, damit du Erfahrungen sammelst. Der Kaiser wird dich gastlich aufnehmen, denn er ist der Jugendfreund deines Vaters. Leb indessen wohl, ich gehe jetzt meiner Weide nach. Solltest du aber meiner bedürfen, so drücke nur an diesem kleinen Polster, welches ich mit meinen Haaren gefüllt habe, und sogleich werde ich bei dir sein.« Die Prinzessin wollte hierauf unter Tränen von ihrem geliebten Füllen Abschied nehmen, dieses ließ ihr aber hierzu keine Zeit, sondern war mit seinem letzten Wort verschwunden, so daß die Prinzessin sich vergeblich nach ihm umsah.
In Zweifel verloren, betrat nun die Kaiserstochter den Palast und wurde auf ihr Begehren bald vor den Kaiser geführt, dem sie sich als der Sohn ihres Vaters vorstellte und ihre Pässe übergab. Der Kaiser nahm dieselben in Empfang und war sehr erfreut, daß er den Sohn seines geliebten Jugendfreundes bei sich empfangen konnte. Er gab sofort Befehl, daß einige prachtvolle Gemächer in Bereitschaft gesetzt und auch kostbare Bäder für den fremden Prinzen zugerichtet werden sollten, worauf er seinen Gast auf einige Stunden entließ, damit derselbe sich von der weiten Reise erholen könne.
Mit jedem Tage gewann der fremde Prinz des Kaisers Zutrauen und Liebe mehr, so daß ihn dieser bald über seine höchsten Staatsbeamten setzte und ihm Geschäfte übertrug, die er sonst niemandem anvertrauen wollte. Der vermeintliche Prinz war hierüber sehr erfreut und wollte sich seinerseits so hoher Ehren würdig zeigen; er zeigte sich deshalb sehr fleißig und seinem väterlichen Freund ausnehmend zugetan. Den Räten und Beamten des Kaisers wollte dies aber nicht gefallen, denn sie meinten, sie seien viel zu klug und hoch verdient, als daß man vernünftigerweise ein so junges Blut, und wenn es auch ein Kaiserssohn wäre, über sie setzen könnte. Nachdem sie sich deshalb beim Kaiser öfters, aber immer vergebens beschwert hatten, suchten sie den Prinzen durch Ränke vom Hof zu entfernen und gaben unter anderem beim Kaiser an, daß dieser fremde Prinz kein Jüngling, sondern ein Mädchen sei. Den klarsten Beweis dafür liefere die außerordentliche Zuneigung, welche der Sohn des Kaisers zu diesem Fremdling allezeit an den Tag lege, denn man habe noch nie erlebt, daß Empfindungen dieser Art zwischen zwei Jünglingen bestünden.
Der Kaiser schenkte zwar anfänglich diesen Ohrenbläsereien kein Gehör, endlich aber fanden dieselben, weil sie unausgesetzt erneuert wurden, doch so weit Eingang, daß er in den Vorschlag seiner Räte einwilligte, den fremden Prinzen auf eine Probe zu stellen. Derselbe sollte nämlich durch den Sohn des Kaisers in einen Bazar geführt werden, wo goldene Säbel, Sporen, Speere, Pfeile und sonstige Waffen und dann wieder goldene Spinnräder, Spindeln, Nadeln usw. feilgeboten wurden. Er solle dort frei für sich einkaufen, was ihm gefiele: Wenn er Waffen wähle, so möge dies als Beweis für sein männliches Geschlecht gelten; falle dagegen seine Wahl auf ein Spinnrad oder etwas dieser Art, so solle für unzweifelhaft angenommen werden, daß er ein Mädchen sei. Um nun ihrer Sache recht gewiß zu sein, baten die Räte den Sohn des Kaisers, wenn er am nächsten Tag von seinem hohen Vater mit dem Fremdling in den Bazar geschickt würde, möge er diesen veranlassen, daß er für sich ein Spinnrad kaufe. Der Prinz, der hierin nichts Böses fand, versprach es zu tun.
Als der fremde Prinz den Wunsch seines Freundes, des Kaisers, vernommen und eingewilligt hatte, am anderen Morgen mit dem Sohne desselben in den Bazar zu gehen, so drückte er in der Nacht zuvor das kleine Polster, welches ihm sein Füllen geschenkt hatte. Das tat er immer, wenn er im Augenblick nicht wußte, was er tun sollte. Alsbald erschien das Füllen, entdeckte ihm den ganzen Plan der kaiserlichen Räte und empfahl ihm dringend, im Bazar ja nach den Waffen zu greifen. Am anderen Morgen gingen die beiden Prinzen in den Bazar, und der Sohn des Kaisers sprach, als sie beide eingetreten waren, wirklich wie die Räte von ihm verlangt hatten: »Ei, laß uns ein schönes goldenes Spinnrad und Spindeln kaufen!« Da rief der fremde Prinz: »Pfui, wie magst du dran denken, dich mit so weibischer Ware zu beladen! Bogen und Pfeile, Schwerter und Speere laß uns nehmen, das schickt sich für Männer!« So kauften sie denn sehr schöne Waffen, welche sie alsbald dem Kaiser zur Schau trugen, der sehr erfreut war, daß die nachteiligen Gerüchte über seinen Günstling sich als grundlos gezeigt hatten. »Eine Probe ist keine Probe!« redeten die Räte wieder zum Kaiser, ihrem Herrn, als er ihnen voll Freude erzählte, wie der fremde Prinz die Probe so trefflich bestanden habe. »Wollt, hoher Herr, noch eine Probe genehmigen, dann werdet Ihr sehen, daß auch Weiber nach Waffen verlangen können und deshalb doch bleiben, was sie sind.« Seiner Sache gewiß, sagte der Kaiser sogleich noch eine Probe zu, nach welcher der Sohn des Kaisers mit dem Fremdling in den kaiserlichen Weinberg gehen solle, dort möge ihn der Prinz veranlassen, Weintrauben zu nehmen und zu essen. Werde der fremde Prinz die Weintrauben nehmen und ungewaschen essen, so zeige gewiß seine ungeduldige Lüsternheit und niedrige Naschhaftigkeit hinlänglich an, daß er kein Mann sei.
Der Kaiser billigte den Vorschlag und gab seinem Günstling den Wunsch zu erkennen, daß er morgen in aller Frühe mit seinem Sohn in den kaiserlichen Weinberg gehen solle. Der Fremdling, der dem Prinzen, seit er ihn zum Spinnradkauf hatte verlocken wollen, nicht mehr recht traute, drückte des Abends nur um so begieriger sein Polster, worauf augenblicklich das Füllen erschien. Es klärte seinen Schützling über den neuen Plan der Minister auf und sagte ihm, der Prinz werde ihn auffordern, vom Weinstock Trauben zu nehmen und zu essen. Er solle aber verlangen, daß dieselben gewaschen und ihnen auf Tellern dargereicht würden, wie es Männern ihres Standes gebühre.
Nun war es natürlich, daß der Fremdling wieder sicher durch die gelegte Schlinge ging. Als ihn der Prinz des anderen Morgens im kaiserlichen Weinberg aufforderte, Weintrauben zu essen, befahl er stolz und ruhig, man solle dieselben zuvor waschen und sie ihnen dann auf Tellern darreichen. Der Kaiser, durch die erste Probe sicher gemacht, hatte am guten Erfolg der zweiten gar nicht gezweifelt, war aber doch wieder sehr erfreut und wies nun seine Minister rundweg ab, als sie nun auch noch eine dritte Probe vorschlugen. Der Sohn des Kaisers aber war beschämt, daß er an seinem Freunde zweimal unredlich gehandelt hatte, und wollte sich deshalb zu keinerlei Vorschlag mehr hergeben. Die böswilligen Räte ruhten aber nicht und sannen auf ein anderes Mittel, den verhaßten Fremdling vom Hofe zu entfernen, zumal da ihnen seine Strenge und gerechte Aufsicht von Tag zu Tag lästiger wurde. Sie erschienen daher nach einiger Zeit wieder beim Kaiser und klagten den Übermut seines Günstlings an, welcher geprahlt habe, daß er, wenn er wolle, die schöne Tochter des benachbarten Kaisers, der auch zugleich ein großer Zauberer war, stehlen könne. Die bösen Räte wußten wohl, daß der Kaiser die schöne Jungfrau einmal gesehen und außerordentlich liebgewonnen hatte und daß er gerne sein Kaisertum hingeben würde, wenn er sie besitzen könnte. Das war aber unmöglich, weil ihr Vater sie, um sie vor allen Nachstellungen zu sichern, in einem Glaspalast auf einem gläsernen Berg eingeschlossen hielt. Dessenungeachtet ließ der alte Kaiser sich durch seine Neigung für die schöne Prinzessin betören, schenkte seinen listigen Räten diesmal Glauben und befahl dem Sohne seines Freundes, er solle sich alsbald nach dem Glaspalast auf den Weg machen und, wenn ihm sein Kopf lieb sei, entweder nie oder aber mit der Jungfrau zurückkehren.
Bestürzt über die plötzlich veränderte Sinnesart seines hohen Gönners, schlich sich der Prinz in sein Zimmer und fing im ersten Schrecken an, bitterlich zu weinen, so daß er nicht sogleich an sein kleines Polster dachte. Endlich kam es ihm aber doch in den Sinn, er drückte daran, und eilig kam das Füllen herbei, dem er sein Leid erzählte. Es hieß ihn guter Dinge sein und sprach: »Die ganze Sache kommt von den schlimmen Räten des Kaisers, welche die Schwäche ihres Herrn kennen und dir gerne deinen Untergang bereiten möchten. Doch sei getrost, ich weiß Rat. Gehe jetzt hin zum Kaiser und sag ihm, daß du die schöne Jungfrau aus dem Glaspalast wohl bringen könntest, nur bedürftest du hierzu einer Kiste voll der schönsten Edelsteine und des herrlichsten Geschmeides aus der kaiserlichen Schatzkammer. Wenn du das hast, so ruf mich wieder, und wir wollen dann weiter sorgen.« Als der Kaiser aus dem Munde seines Günstlings selbst hörte, daß er imstande sei, ihm die schöne Jungfrau zu verschaffen, von der seine ganze Seele erfüllt war, gab er dem Schatzmeister sogleich den Befehl, dem fremden Prinzen alles einzuhändigen, was derselbe verlange. Mit den reichsten Schätzen der Erde versehen, rief nun der Prinz das Füllen, setzte sich darauf, und in wetterschnellem Zuge gings nach dem Kaisertum zu, wo jener alte Kaiser seine Tochter im Glaspalast eingesperrt hielt. Unten am Berg prangte ein schöner Garten mit den herrlichsten Blumen, und in der Mitte desselben warf ein Springbrunnen seine Silberstrahlen hoch hinauf, so daß einem die Augen übergingen, wenn man diese Pracht im Sonnenschein vor sich liegen sah. Als aber der Prinz auf seinem Füllen am Brunnen sich herunterließ und seine herrliche Kiste aufschloß, da erlosch die Pracht des Gartens gegen das Blitzen und Funkeln dieser Wunder zu mattem Scheine. Zuerst erschien am Brunnen eine Magd der Kaiserin, um Wasser zu schöpfen, sie konnte sich aber von dem herrlichen Anblick nicht trennen. Als sie so lange ausblieb, mußte die Prinzessin einen Diener nachsenden, der aber gleichfalls versteinert neben der Magd vor dem Fremden stehenblieb. Endlich erschien die alte Kaiserin selbst, aber auch ihre Augen blieben von dem Glanze dieser unschätzbaren Kleinode gefesselt, so daß zuletzt der böse alte Kaiser selbst kam, um zu sehen, warum niemand mehr vom Brunnen zurückkehre. Allein auch er war von den prächtigen Dingen so bezaubert, daß er auf den Glasberg eilte und sein Kind, die wunderschöne Jungfrau im Glaspalaste, herbeiholte, um ihr auch die Freude eines solchen Anblicks zu verschaffen. Die Prinzessin war natürlich sehr erstaunt über die zum erstenmal gesehene Herrlichkeit, aber noch besser gefiel ihr der schöne Fremdling, zu dem sie sogleich die heftigste Neigung fühlte. Sie bekannte dies ihren Eltern, und der alte Kaiser, der seine Tochter sehr liebte, willigte darein, daß der fremde Überreiche seine Tochter heirate. Alles war bis jetzt gut gegangen, und sowohl das kaiserliche Paar als auch die beiden Neuvermählten fühlten sich recht glücklich. Jedes freilich aus einem anderen Grunde: Der weibliche Ehemann über das Gelingen seiner Pläne, die er immer nachts mit seinem Füllen verhandelte, und die Prinzessin darüber, daß sie in den Besitz eines so schönen, lieben Mannes gekommen war. Natürlich aber ging das ganze Sinnen des jungen Mannes darauf, mit seiner schönen Frau vom Hofe seines Schwiegervaters entfliehen zu können, die Prinzessin dagegen beklagte sich bei ihren Eltern, daß ihr Gatte gar keine Zärtlichkeit für sie habe. Der alte Kaiser befragte hierüber seinen Eidam, und der antwortete, wie ihm sein Füllen schon vorher geraten hatte: »Hoher Herr, wenn ich mich gegen meine schöne, junge Frau bisher kalt gezeigt habe, so geschah dies keineswegs aus Abneigung gegen sie, sondern wegen eines Gelübdes, welches mir verbietet, ein Mädchen als meine Gattin anzusehen, solange ich sie nicht meinen lieben Eltern vorgestellt habe. Erlaube mir daher, daß ich mich mit meiner Gattin für einige Zeit von deinem Hof weg und zu meinen Eltern begebe.« Der alte Kaiser fand in dieser Rede Tugend und Vernunft, gab daher seine Einwilligung und ließ sogleich die besten Zurüstungen zu dem Abzug seiner Tochter aus dem väterlichen Hause machen.
Als alles in Ordnung war, beurlaubte sich die Prinzessin unter Tränen von ihren Eltern und reiste an der Seite ihres geliebten Mannes ab in die Welt hinaus. Nachdem sie bis zum Abend gereist waren, so setzten sich beide, die Prinzessin und ihr Mann, auf das Füllen, und bald erschien zum großen Verdruß der schlimmen Räte der totgeglaubte Fremdling mit der wunderbar schönen Prinzessin aus dem Glaspalast am Hofe. Der Kaiser kam seinem Abgesandten und der schönen Braut in den Schloßhof herab entgegen und fragte sogleich: »Ist dies die Jungfrau, die ich mir zum Weibe nehmen will? Ja, ja, die ist es, denn ihre Schönheit ist ohnegleichen!« Der jugendliche Führer der schönen Prinzessin aber sagte zum Kaiser: »Hoher Herr, kehrt nur zurück in Euer Schloß und laßt Euch den Bart scheren, sonst werdet Ihr Eurer Braut wohl mißfallen.« Die Prinzessin aber wandte sich errötend ab und sagte: »Was ist das, daß du mich die Braut dieses bärtigen Mannes heißest? Ich will ihn nicht, denn ich habe ja dich, der viel schöner ist als er und als alle, die ihn umgeben.«
Der Zug war indessen in den Palast gekommen, wo der Kaiser mit rein geschorenem Gesicht und in prächtigen Gewändern dem jungen Paar entgegenkam. Sein treuer Günstling übergab ihm die schöne Braut und sagte dabei: »Nehmt sie hin, ich habe mein Wort gehalten.« Zur Prinzessin gewandt aber sprach er: »Du, meine liebe Freundin, weigere dich nicht länger, den vortrefflichsten aller Kaiser als Gattin zu umarmen und mich zu vergessen, denn ich bin selbst nur ein schwaches Mädchen wie du!« Über diese Rede waren alle, die es hörten, sehr erstaunt und wußten nicht, was sie sagen sollten, die Räte, die Höflinge, die Prinzessin, der Prinz und der Kaiser. Die männliche Prinzessin versprach aber, bei der Tafel zu erzählen, warum sie sich als Mann verkleidet habe und hierhergekommen sei. Da alles sehr neugierig war zu hören, so wurde auch mit der festlichen Tafel nicht länger gesäumt, und alle Gäste hatten sich nur zu wundern über das unbegreifliche Füllen, welches die Prinzessin zum Freund hatte. Der Kaiser, in der heitersten Stimmung über alle die Dinge, die sich an seinem Hof so unerwartet begeben hatten, rief nun bei der Tafel die Prinzessin und seinen Sohn ebenfalls als Braut und Bräutigam aus, wie er sagte, den alten Freundschaftsbund mit deren Vater zu erneuern. So folgte denn eine Festlichkeit der andern, und das Glück schien kein Ende nehmen zu wollen. Nach einiger Zeit aber brach Krieg aus, und der alte Kaiser, welcher sich nicht entschließen konnte, von seiner jungen Frau zu scheiden, sandte seinen Sohn ins Feld. Als dieser dort einige Monate zugebracht und tapfer gefochten hatte, gebar seine Frau zu Hause zwei goldene Knaben. Der Kaiser, darüber hoch erfreut, sandte sogleich einen Soldaten mit einem Brief an seinen Sohn ins Lager, um diesen von dem frohen Ereignis zu benachrichtigen. Der Bote, voll Begierde, seinen Auftrag bald auszurichten, ritt in größter Eile bis zum Abend, so daß Mann und Roß vor Müdigkeit beinahe zusammensanken. Da sah er auf einer schönen Waldwiese eine Herberge, in der er die Nacht zuzubringen beschloß. Alles war hier aufs bequemste eingerichtet, nichts mangelte als freundliche Wirtsleute, die dem müden Gast entgegengekommen wären. Anstatt solcher war nur ein alter brummiger Graukopf zu sehen, dem nichts Gutes aus den Augen sah. Hätte der müde Bote freilich gewußt, daß dieser unheimliche Wirt ein großer Zauberer und Drache war, der nämliche, für dessen Sohn einst die Prinzessin, die Gemahlin seines Herrn, zur Frau bestimmt gewesen war, er hätte lieber im Wald geschlafen und seinen Hunger mit Beeren gestillt, als hier übernachtet. Als er sich niedergelassen und mit einem vortrefflichen Wein gelabt, auch sein Pferd im Stalle versehen hatte, erkundigte sich der Wirt nach dem Zweck seiner Reise. In der Freude seines Herzens offenbarte der ehrliche Bote dem Zauberer seinen Auftrag und zeigte ihm auch den Brief des alten Kaisers an seinen Sohn. Der böse Zauberer erkannte alsbald, daß die glückliche Mutter niemand anders sei als die für seinen Sohn bestimmte Prinzessin, und es erwachte aller alte Zorn in seiner Seele. Um seiner Rache vollen Lauf zu lassen, gab er dem müden Boten einen Schlaftrunk, und als dieser denselben in tiefen Schlaf versetzt hatte, nahm er ihm den Brief und schrieb statt seiner einen anderen, der von außen jenem vollkommen ähnlich war, hingegen einen ganz anderen Inhalt hatte, nämlich, daß die Frau des Prinzen eine abscheuliche Zauberin sei, die ihrem Mann zwei Hunde geboren habe. Zum Schluß enthielt der falsche Brief noch die Frage, was mit der Hexe von Mutter und mit den beiden Mißgeburten angefangen werden solle.
Am andern Morgen ritt der Bote weiter, ohne den Betrug zu merken. Als der Prinz die Schreckensnachricht gelesen hatte, mußte er weinen, allein er sprach dennoch: »Da diese Geschöpfe meine Kinder sind, so soll ihnen kein Leid widerfahren«, und das schrieb er auch mit schwerem Kummer an seinen Vater, den alten Kaiser.
Auf dem Rückweg kehrte der Bote wieder in der Herberge ein, wo sich der böse Zauberer abermals nach allem erkundigte, wie es der Bote im Lager bei seinem Herrn gefunden und wie sich derselbe auf die Nachricht gebärdet habe. Alsdann gab er dem Boten wieder einen Schlaftrunk, nahm wie das erstemal den Brief und schrieb einen anderen, in welchem es hieß, da diese Neugeborenen nicht seine Kinder sein könnten, so solle man seine Frau sogleich umbringen, die Bastarde aber ersäufen, damit er, wenn er aus dem Lager heimkehre, weder die Mutter noch die Kinder mehr sehe.
Als der alte Kaiser den Brief erhielt, wußte er nicht, wie er dies deuten solle, und berief seine Räte zusammen, welche noch einen alten Haß gegen die Prinzessin hatten und daher übereinstimmend das Urteil sprachen, daß sie samt ihren Kindern öffentlich verbrannt werden solle. Mitten auf dem Hofe vor dem Schloß wurde nun ein großer Holzstoß aufgerichtet und die arme Mutter mit ihren Säuglingen an einem Pfahl darauf festgebunden. Die Henkersknechte zündeten an, und schon hoben sich die Flammen durch die schwarzen Rauchwolken an der Unglücklichen empor; da drückte sie in unaussprechlicher Herzensangt die beiden unschuldigen Opfer fester an ihre Brust, auf der sie auch das wunderbare Polster, das Geschenk ihres Füllens, trug. Alsbald erschien das treue Tier und fraß das Feuer, so wie ehemals, als die Prinzessin es noch damit fütterte. Der Holzstoß erlosch, die Mutter aber setzte sich mit ihren beiden Kindern auf den Rücken des Füllens, und schnell wie der Gedanke waren sie alle vier den Blicken der Zuschauenden entrückt in eine ferne Wüstenei. Dort sagte das Füllen: »Liebste Prinzessin, nun ist meine Zeit erfüllt, und ich muß hier sterben. Fürchte dich aber nicht, sondern nimm, wenn ich tot bin, ein Messer, schneide mir die Gedärme aus dem Leib, zerteile sie und lege sie auf vier Ecken so weit auseinander, wie du willst; mein Herz aber lege in die Mitte. Du selbst mit deinen beiden Kindern nimm meinen leeren Leib für eine Nacht zu deiner Lagerstätte.« Als das Füllen so gesprochen hatte, legte es sich nieder und starb, die Prinzessin aber tat so, wie ihr das liebe Tier geraten hatte. Als sie nun in der Früh‘ erwachte, fand sie sich mit ihren zwei Kindern in einem großen festen Schlosse, vor dessen Tor zwei riesige, lebendige Löwen lagen und Wache hielten, so daß niemand hereinkommen konnte. Hier war die Unglückliche nun sicher vor den Menschen und lebte ruhig einige Zeit hindurch, zum Teil vom Raub, den die Löwen heimbrachten und mit ihr teilten, zum Teil auch von Wurzeln und Kräutern, die sie sich selbst im nahen Walde sammelte.
In der Stadt des Kaisers war indessen alles im größten Erstaunen über die unglaubliche Art, wie sich die Prinzessin den Flammen entzogen hatte, auseinandergegangen, und sowohl das Volk als auch die bösen Räte waren darin bestärkt, daß sie nur eine betrügerische Zauberin gewesen und daß ihr vollkommenes Recht widerfahren sei. Auch der alte Kaiser tröstete sich mit diesem Gedanken über den Verlust seiner lieben Schwiegertochter und der goldenen Enkel.
Nur der Prinz war, als er aus dem Felde zurückkam, untröstlich über den Verlust seiner Frau, die er außerordentlich liebte und von der er vollkommen überzeugt war, daß sie keine Hexe sei. Er versank in tiefe Schwermut, aus welcher ihn selbst sein Lieblingsvergnügen, die Jagd, nicht herausreißen konnte. So verstrichen Jahre, und außer ihm dachte niemand mehr an die Vorfälle. Da ging er einmal auf die Jagd. Nachdem er lange Zeit herumgestreift war und außer zwei Tauben nichts erbeutet hatte, verspürte er Hunger und schickte deshalb einen von seinem Gefolge aus, um etwa in der Nähe ein Haus oder eine Hütte zu suchen, wo sie die Tauben braten könnten. Der Bote kam bald mit der Nachricht zurück, daß er ganz in der Nähe ein schönes, festes Schloß gefunden habe, das ihm gänzlich unbekannt sei und in das er nicht habe eintreten können, weil zwei grimmige Löwen als Wache davorlägen. Der Prinz wurde neugierig und ließ sich zu dem Schlosse führen, aber eintreten konnte niemand, da die Löwen in grimmige Wut gerieten, wenn sich nur einer dem Schloßtor nähern wollte. Einige von dem Gefolge fingen nun an zu rufen; darauf zeigte sich eine schöne Frau unter dem Tor und fragte, was die Fremden hier wollten. Die Antwort war, daß ein vornehmer Prinz sich hier befinde und Einlaß wünsche, von der Jagd ein wenig auszuruhen. Da hieß die Herrin des Schlosses und der Löwen diese sich niedertun, worauf sie sich alsbald wie zahme Hunde niederkauerten und sich nicht mehr rührten. Als auf den Wink der schönen Frau der Prinz durch das Tor in den Schloßhof trat, sah er zwei wunderschöne, goldene Kinder zusammen spielen. Er erkannte sie augenblicklich als seine Kinder und die schöne Frau als seine arme, unschuldig verfolgte Gemahlin; er eilte auf sie zu, warf sich vor ihr nieder und bat sie, des vielen Ungemachs willen, welches sie um seinetwillen hatte erdulden müssen, um Verzeihung, indem er ihr erzählte, daß er den Brief, nach dem sie zum Tode verurteilt worden sei, nie geschrieben habe.
Sie gingen nun alle zurück zum alten Kaiser, der wie auch seine ganze Stadt hoch erfreut war, daß er seine liebe Schwiegertochter samt ihren goldenen Söhnen, die so wunderbar dem unverschuldeten Flammentod entgangen waren, unverhofft wiederbekommen hatte. Hernach wurde jener Soldat vernommen, der die Briefe vom Lager hin- und hergebracht hatte, und da es aus seiner Erzählung klar wurde, daß alles Böse von dem alten Zauberer herrührte, so zog der Prinz mit großer Macht nach dessen Herberge, um ihn zu vernichten, was ihm auch mit Gottes Hilfe vollkommen gelungen sein soll. In ungestörtem Glück lebte der Prinz hinfort mit seiner Gemahlin und seinen schönen Kindern, und als sein Vater, der alte Kaiser, starb, wurde er sein Nachfolger in der Herrschaft.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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