Eines Tages nahm die Mutter sie und setzte sie auf den Brunnenrand und hieß sie Garn winden, und als sie nun da treulich an ihrer Arbeit saß, kam die Mutter von rückwärts heran und stieß sie kopfüber in den Brunnen. Aber es war nicht so viel Wasser darinnen, daß sie ertrinken konnte; und da suchte sie unten im Brunnen so lange herum, bis sie ein altes rostiges Tor fand. Da ging sie hinein und fand Leute darin, die hatten viel zu tun, denn sie backten, und waren übel daran, denn sie hatten ein kleines Kind, das war krank und schwächlich, und das konnten sie nicht richtig pflegen, weil sie so viel zu tun hatten. Da sagte sie, ob sie nicht das Kind eine Weile hüten solle, denn es sei ja arg, wie es weine. Ja, wenn sie das wolle, sagten sie, so sei es ihnen sehr recht. Also hütete sie das Kind den ganzen Tag und spielte mit ihm und brachte es zur Ruhe, und das Kind war sehr gern bei ihr.
Am Abend sagten die Leute, nun dürfe sie drei Wünsche tun, weil sie mit dem Kind so lieb gewesen sei. Aber sie wollte sich nichts anderes wünschen, als daß sie wieder aus dem Brunnen herauskäme. Da sagte die Frau, wenn sie sich selbst nichts wünsche, so wolle sie die Wünsche für sie tun, und aus dem Brunnen würde sie schon herauskommen. Der erste Wunsch war, jedesmal, wenn sie ihre Haube abnähme und ihr Haar aufmachte, sollte es hell werden, wenn es auch sonst noch so dunkel wäre. Der andre Wunsch sollte sein, daß jedesmal, wenn sie spuckte, sie einen goldnen Ring spucken sollte; und der dritte war, wenn sie einmal in Wassersnot sei, so solle sie nicht ertrinken können, sondern wie eine kleine Wildente auf dem Wasser schwimmen.
Als diese Wünsche ausgesprochen waren, sorgten die Leute dafür, daß sie wieder aus dem Brunnen herauskam, und so kam sie wieder zu ihrer Mutter. »Was! Kommst du wieder?« rief sie ihr zu. Da spuckte das Mädchen auf den Boden, und da kamen eine Menge schöner Goldringe aus ihrem Mund und lagen und glänzten am Boden. Als die Stiefmutter sie sah, kam sie gerannt und wollte sie auflesen, aber das Mädchen las sie selber eilig zusammen und steckte sie in ihre eigene Tasche.
Am Abend, als es dunkel wurde, nahm sie ihre Haube ab und machte ihr Haar auf, und da wurde es so hell im Zimmer, als ob es hellichter Tag wäre. Da wurde die Frau noch neugieriger und fragte das Mädchen aus, was sie bei den Leuten unten im Brunnen getan habe, weil sie sie so beschenkt hätten. »Das will ich euch sagen«, sagte sie, »sie backten da unten und hatten auch ein kleines Kind, das hütete ich, und dafür taten sie drei gute Wünsche über mich.«
»Da soll meine eigne Tochter morgen auch hinunter und drei Wünsche erfüllt bekommen«, sagte die Frau. Am Morgen schickte sie ihre eigene Tochter auch an den Brunnen, und als sie am Brunnenrand saß und spann, rannte die Frau hin und stieß sie hinunter. Da suchte das Mädchen so lang, bis es das rostige Tor fand und zu den Leuten hineinkam. Heute schlachteten sie und hatten viel damit zu tun. Als sie hörte, daß das Kind schrie, da bot sie sich an wie ihre Schwester, daß sie es gerne ein wenig hüten wolle. Aber es war sehr unruhig, und sie war böse und zornig mit ihm, so daß es ärgerlich wurde und die ganze Zeit weinte, und je ärger es weinte, um so ungeduldiger wurde sie und schlug und knuffte es.
Am Abend durfte sie auch drei Wünsche tun, und als sie nur bat, aus dem Brunnen herauszukommen, weil sie genug hatte von da unten, da sagten sie: »Du kommst ganz sicher wieder heraus.« Aber dann wünschten sie ihr erstlich, daß jedesmal, wenn sie ihre Haube abnähme und ihr Haar aufmachte, es um sie herum dunkel werden solle, und wenn es hellichter Tag wäre, und weiter, daß ihr am Kopf ein Fuchsschwanz wachsen solle, und je öfter man ihn abschnitte, desto länger solle er werden. Zuletzt sagte die Frau: »Und mein dritter Wunsch soll sein, daß jedesmal, wenn sie spuckt, eine graue Kröte ihr aus dem Mund springt.« Die Wünsche waren getan, und daraufhin waren die Leute darüber einig, daß man ihr aus dem Brunnen helfen müsse, und so kam sie wieder zu ihrer Mutter.
»Aber was ist das für ein Schwanz, der dir da am Kopf hängt?« fragte die Mutter sie; »den wollen wir doch abschneiden.« Sie holte eine Schere und schnitt den Schwanz ab, aber da wurde er länger; sie schnitt noch einmal zu, aber da wurde er so lang, daß er auf dem Boden nachschleppte, und so wie er war, mußte sie ihn behalten. Seit der Zeit nannten die Leute sie Fuchsschwanz.
Des anderen kleinen Mädchens Bruder diente beim König und war recht gut angeschrieben bei ihm. Jeden Tag nach Tisch bat er um Erlaubnis, in den Wald gehen zu dürfen. Da wurde der König neugierig, und eines Tages schlich er ihm nach, um zu sehen, was wohl der Grund sei, daß er jeden Tag in den Wald ging. Da hatte der Bursch ein wunderschönes Bild in einen Baum geschnitzt, und das war seiner Schwester Bild. Da fragte ihn der König, was das für ein Bild sei, das er da habe, ob es ein Götze sei, zu dem er bete? Nein, sagte er, das sei seine Schwester, die sei daheim und habe es sehr schlecht, denn ihre Stiefmutter sei gar böse gegen sie, und nun gehe er jeden Tag da heraus und bitte den lieben Gott, er möchte ihr doch helfen, und es möchte ihr besser gehen. Zugleich erzählte er auch, wie schön sie sei, und da sagte der König zuletzt, wenn sie denn so schön sei, so solle der Bursch heimreisen und sie holen, es könne sein, daß er sie zur Frau haben wolle.
Da machte sich der Bursch auf den Weg und unterwegs kaufte er schöne Kleider für seine Schwester, denn er wußte ja ganz genau, daß sie viel zu geringe Kleider hatte. Mit diesem Einkauf hatte er Glück, denn die Kleider paßten ihr ausgezeichnet, und sie sah schön aus darin. Da richtete er seinen Auftrag aus und daß er sie mit an den Hof nehmen werde, sie solle dem König dienen. Ja, sagte die Mutter, sie und Fuchsschwanz wollten auch mit. Er konnte ihnen die Reise nicht gut verbieten, und so machten sie sich zu viert auf den Weg.
Als sie aufs Meer hinauskamen – denn sie mußten zu Schiff zum Königsschloß fahren -, war das Wetter so stürmisch, daß der Bruder auf Deck ging und zu seiner Schwester sagte: »Hüte dich.« Denn die Wellen schlugen erschrecklich über Bord hinein. Aber sie konnte nicht hören, was ihr Bruder sagte, denn ihre Stiefmutter hatte sie so sehr aufs Ohr geschlagen, daß sie davon schwerhörig geworden war. Da fragte sie die Mutter: »Was hat mein Bruder da gesagt?«
»Er sagt, du sollst dein Kleid ausziehen und meiner Tochter zum Anziehen geben.« Was ihr Bruder ihr befahl, das tat sie gerne. Also zog sie ihr Kleid aus und tauschte das ein, das Fuchsschwanz getragen hatte. Bald darauf rief ihr Bruder wieder: »Schwester, hüte dich!«
»Was sagt mein Bruder da?« fragte sie. »Er sagt, du sollst den Schmuck von deinem Kopf nehmen und meiner Tochter aufsetzen.« Ja, was ihr Bruder befahl, das täte sie gerne, sagte sie und nahm den Schmuck von ihrem Kopf und setzte ihn Fuchsschwanz auf. Aber er stand ihr nicht allzu gut, weil sie den Schwanz an ihrem Kopf hatte. Da rief ihr Bruder wieder: »Schwesterlein, hüt dich doch!«
»Was sagt mein Bruder da?«
»Er sagt, du sollst deinen Kopf in meinen Schoß legen, daß ich dich lausen kann«, sagte die Mutter; und sie tat es auch, denn was ihr Bruder befahl, das tat sie gerne. Im gleichen Augenblick jedoch warf die Mutter sie hinaus ins Meer.
Aber sie ertrank doch nicht, denn sie wurde eine kleine Wildente, die hinter dem Schiff drein schwamm.
Als sie an Land kamen, da ging der König vom Schloß herunter ihnen entgegen und fragte, ob das seine Schwester sei. Jetzt hatte er keine andre Schwester mehr als diese. Da wurde der König zornig und sagte, er müsse hinunter in das Schlangenverlies, und die Schlangen sollten ihn fressen. Das war die Strafe damals, wenn sich jemand etwas Schweres zuschulden kommen ließ. Also wurde er auf des Königs Befehl hinunter in das Schlangenverlies geworfen.
Als es nun Abend wurde, kam eine kleine Wildente und schwamm in den Rinnstein hinein, so daß sie in des Königs Küche kam, und da warf sie alle ihre Federn ab und wärmte ihren nackten Körper am Feuer. Da saß ein kleiner Hund in der Küche und zu dem ging die Ente hin und sagte:
»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hofe?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft ihre Mutter?«
Dann gab sie dem Hund ein Reis, das er ihrem Bruder hinreichen sollte, damit er sich die Schlangen abwehren könne, und zuletzt spuckte sie einen goldenen Ring für das Küchenmädchen, weil sie ihr erlaubt hatte, sich am Feuer zu wärmen.
Nun lag da wirklich ein alter Schelm hinter dem Ofen, und die ganze Zeit war er wach und hörte zu. Schließlich, als die Ente alle ihre Federn wieder angezogen hatte, sagte sie: »Jetzt komme ich noch zweimal, wenn ich dann nicht erlöst werde, so muß ich mein Leben lang am Strand gehen.« Das hörte der Knecht auch; aber er traute sich nicht, es dem König zu sagen, denn wenn es nicht stimmte, so fürchtete er, auch ins Schlangenverlies zu kommen.
Am nächsten Abend kam die Ente wieder und schwamm in den Rinnstein wie vorher; als sie hineinkam, schüttelte sie ihre Federn ab und sagte zu dem Hund:
»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hofe?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft ihre Mutter?«
Und dabei warf sie ihm ein Reis hin, das er ihrem Bruder geben sollte, damit er die Schlangen von sich abwehren könne, und dann spuckte sie einen Goldring für das Küchenmädchen, zum Dank, weil sie ihr erlaubt hatte, sich zu wärmen. Endlich sagte sie: »Jetzt komme ich noch einmal, und wenn ich da nicht erlöst werde, muß ich mein Leben lang am Strand bleiben.«
Da lag der alte Schelm wieder und hörte alles, und am folgenden Tag erzählte er dem König alles, wie es zugegangen war und was er gehört hatte. Nun wollte der König sich die nächste Nacht selbst hinter den Herd legen und hören, und wenn es nicht stimmte, was der Knecht gesagt hatte, so sollte er ins Schlangenverlies wandern.
Als es wieder Abend wurde, kam sie wie gewöhnlich durch das Rinnsteinloch hereingeschwommen und sagte zu dem Hund:
»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hofe?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft ihre Mutter?«
Da warf sie dem Hund ein Reis zu, das er ihrem Bruder geben sollte, damit er sich die Schlangen fernhalten könne, und spuckte einen Goldring für das Küchenmädchen, weil sie ihr erlaubt hatte, sich zu wärmen. »Jetzt komme ich niemals mehr und muß mein Leben lang am Strand gehen«, und sie watschelte hin und her auf dem Boden mit ihrem bloßen Körper. Denn ihre Federn hatte sie abgeschüttelt wie gewöhnlich, als sie kam; aber die hatte der König heimlich an sich genommen, während sie auf und ab ging, und als sie nun fort wollte, brauchte sie ihre Federn, aber sie konnte sie durchaus nicht finden. Da begann sie gar sehr zu klagen: Jetzt hätte sie nicht einmal ihre Federn mehr, und jetzt müßte sie ganz gewiß erfrieren, denn sie könne nicht mehr kommen und sich wärmen.
Aber der Augenblick kam, wo sie fort mußte, und da wollte sie zum Rinnstein hinausschwimmen wie gewöhnlich; aber da packte sie der König, und da sie ihm entfliehen wollte, griff er fest zu. Da wurde sie in einen Käse verwandelt, und als er den ein wenig in die Asche legen wollte, wurde es ein Aal. Da nahm er ein Messer und wollte ihm den Kopf abschneiden, aber da verwandelte er sich in die schönste Jungfrau, die er je gesehen hatte.
Nun wurde zuallererst hinunter zu ihrem Bruder geschickt, daß er aus dem Schlangenverlies befreit werde, und die Schlangen hatten ihm nichts zuleid getan, weil er unschuldig hineingekommen war. Dann wurden Fuchsschwanz und die Stiefmutter ergriffen und mußten bekennen, was sie gegen ihre Schwester und ihren Bruder und den König unternommen hatten, und zur Strafe dafür wurden sie in eine Tonne mit Stacheln darin gesteckt, und davor wurden vier wilde Pferde gespannt. Die rannten nach allen Himmelsrichtungen mit ihnen, und so kamen sie elend ums Leben. Aber der König nahm das kleine Mädchen zur Frau, und ihr Bruder dient ihnen noch heutigen Tages.
[Dänemark: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]