5
(1)
Es war einmal ein junger Königssohn, der so über die Maßen schön war, daß nie jemand seines Gleichen gesehen hatte. Das wußte er, und darüber war er froh.
Und alle Leute sagten, daß er eben so klug wie schön sei, so daß keiner sich an Klugheit mit ihm messen könne. Das glaubte er, und darauf war er stolz.
Da that er das Gelübde und schwor einen theuren Eid darauf, daß er niemals ein weibliches Wesen zur Frau nehmen wolle, das nicht mindestens eben so schön und nahezu eben so klug wie er selbst wäre. Aber wenn er eine solche Maid fände, solle sie auch seine Frau werden.
Es waren viele schöne Mädchen im Lande; aber sie gehörten eben nicht zu den klügsten. Es waren auch manche ganz gescheite junge Mädchen da; aber sie gehörten nicht zu den schönsten. So viel ist gewiß, daß der Königssohn keine fand, die ihm annähernd schön oder klug genug war. Er stand übrigens in dem Alter, daß sowohl er selbst wie sein Vater, der König, und ihr getreues Volk der Ansicht waren, er müsse sich verheiraten; aber nach dem Gelübde, das er abgelegt hatte, fand sich kein Mädchen im Lande, um das er füglich anhalten konnte.
Da wollte er auf Reisen, in andere Königreiche hinaus, gehen; aber er wollte unbekannt und ohne Gefolge reisen; er wollte sich schon selbst vorsehen, und keiner sollte bei ihm sein, der aus der Schule schwatzen oder ihm in die Karten gucken könnte.
Er reiste also weit und breit umher, von einem Land in das andere; aber es erging ihm draußen wie daheim: kein Mädchen war ihm schön oder klug genug, und noch viel weniger beides zugleich, und so konnte er ja um keine von ihnen anhalten.
Da ritt er eines Tages alleine durch einen Wald. Er ritt und ritt, aber der Wald nahm kein Ende. Es ward Mittag, und es ward Abend, aber noch war er nicht aus dem Walde heraus, und es war kein Ende desselben zu sehen. Er hatte sich völlig verirrt und wußte nicht mehr, wo er sei, oder wohin der Weg führe, oder wo er ein Obdach für die Nacht finden solle, um sich und sein Pferd auszuruhen und zu erfrischen. Beide waren gleich ermüdet.
Endlich sah er einen dünnen, blauen Rauch über die grünen Wipfel emporsteigen; er ritt demselben nach und kam an ein kleines, ärmliches Haus. Hier müssen doch Menschen sein, sagte er sich erfreut. Er stieg vom Pferde und klopfte an. Ein alter, einfacher Mann machte ihm auf, und eine alte, einfache Frau kam mit heraus. Sie schienen sehr verwundert zu sein, den schönen, vornehmen, jungen Reiter zu erblicken. Der Königssohn bot ihnen guten Abend und sagte ihnen wahrheitsgetreu, daß er sich verirrt habe und den ganzen Tag im Walde umher geritten sei, ohne ein Haus oder eine Hütte zu gewahren, und er bat sie daher, ihm ein Nachtquartier zu vergönnen. Zuerst sagten sie freilich, daß sie nicht die Leute seien, solch einen vornehmen Herrn, wie er sei, aufzunehmen, und man merkte wohl, daß sie ihn sehr gerne los sein wollten. Da er aber sagte, daß weder er noch sein Pferd es länger aushalten könnten, sie müßten Ruhe und Obdach haben, so blieb ihnen nichts anders übrig, als Ja zu sagen, er müsse dann eben vorlieb nehmen.
Zuerst sorgte er für sein gutes Roß. Ein Stall war nicht da, aber ein kleiner Schuppen für ihre einzige Kuh. Die ging jetzt auf der Weide, denn es war Sommerszeit, und so stellte er sein Pferd dort hinein und gab ihm einen Trunk Wasser und ein Bund Heu; da war es sehr froh. Er selbst ging in die Stube hinein, sie hatten nur die eine, und sie war niedrig und klein. Er setzte sich auf die Holzbank und begann mit den Leuten zu plaudern: ob sie hier ganz allein in dem wilden Walde wohnten? Ja, das thäten sie allerdings, sagten sie, es seien keine anderen Menschen im Hause, und keine anderen Häuser im Umkreise vieler Meilen. Sie lebten hier, wie es eben ginge, und schlügen sich durch mit einer Ziege und einer Kuh. Er erhielt also sein Abendessen, so gut das Haus es vermochte, nämlich ein Stück trockenes Brod und eine Schale Milch. Und dann holten die alten Leute ein Bund Stroh und breiteten es auf der Stubendiele aus; darauf wollten sie selbst schlafen, denn der fremde Herr sollte in ihrem Bett liegen, sie hatten nur das eine. Das wollte der Prinz doch nicht annehmen: sie sollten ihr Bett behalten, und er wollte auf der Diele auf dem Stroh liegen.
Es geschah also nach seinem Willen, und sie gingen alle drei zur Ruhe. Das war freilich ein anderes Lager, als er es gewohnt war; allein da er tüchtig müde war, fiel er doch bald in Schlaf und träumte von all den schönen Mädchen, die nicht klug genug, und all den klugen Mädchen, die nicht schön genug waren, und er schlief süß, bis der Tag zu dämmern begann. Dann aber erwachte er, und war steif in den Gliedern von dem harten Lager, und wie er sich auch drehte und wendete, er vermochte nicht wieder einzuschlafen.
Da hörte er es über seinem Kopfe, oben auf dem Boden, sich bewegen. Es konnten ja Ratten oder Mäuse oder auch eine Katze sein. Ja, es war gewiß eine Katze, welche dort oben herumsprang. Aber bald darauf hörte er von droben einen schnurrenden Ton, offenbar wie von einem Spinnrad: so konnte doch die Katze nicht spinnen. Und gleich darauf hörte er Gesang; das war weder die Katze, noch die Vögel da draußen, sondern es war eine liebliche Frauenstimme, die im Takt mit dem schnurrenden Rade sang. Einen so lieblichen Gesang hatte er noch niemals gehört. Er sprang eilends von der Diele empor und rieb sich die Augen und spitzte die Ohren. Und in demselben Augenblick erwachten die beiden Alten und kamen gleichfalls aus den Federn.
Der Königssohn frug sie gleich, wer es sei, den sie da droben auf dem Boden versteckt hätten, und der schon in der frühen Morgenstunde spinne und singe. Jetzt war es droben wieder still geworden, und sie versicherten heute, wie sie gestern erzählt hatten, daß kein anderer Mensch, als sie selber, im Hause sei.
»Nein,« sagte der Prinz, »es hilft nichts, daß ihr mir das länger weißzumachen sucht. Ich glaube zuversichtlich, was ich mit meinen eigenen Ohren gehört habe. Und jetzt könnt ihr mir eben so gut die volle Wahrheit sagen; denn ich werde doch schon dahinter kommen.«
Da mußte der Mann denn gestehen: es sei allerdings noch ein Mensch im Hause, und das sei ihre Tochter, die ihre Kammer droben habe. Aber sie fürchteten so sehr, daß jemand sie zu sehen bekäme und dann vielleicht Gefallen an ihr fände und sie ihnen nehmen wollte; und sie könnten sie ja durchaus nicht entbehren, so alt und gebrechlich wie sie schon wären; sie verdiente ihnen auch ein paar Schillinge mit Spinnen und Weben; und wer sollte sie sonst pflegen, wenn sie nun bald nicht mehr selbst für sich sorgen könnten?
Ja, habe er sie nun einmal gehört, so wolle er sie auch sehen, sagte der Königssohn; er sei doch kein Menschenfresser, denke er, so daß sie ihn wohl das Mädchen sehen lassen könnten. Da mußten die Alten sie denn herunter rufen; und sie kam herab gesprungen, das junge Blut, in ihren ärmlichen Kleidern. Sie wußte ja nichts davon, daß sie Besuch hatten, denn sie hatte fest geschlafen, als der Königssohn am späten Abend angekommen war.
Als sie den schönen jungen Mann erblickte, ward sie purpurroth; und der Prinz verlor auch ganz die Sprache, als er sie erblickte; denn nie zuvor hatte er etwas halb so Schönes gesehen, wie sie war. Ihm ward ganz seltsam zu Muthe dabei. So weit er gewandert war, hatte er keine gesehen, die sich an Schönheit mit ihr messen konnte; die Tochter dieses armen Mannes war viel schöner, als irgend eine all der Prinzessinnen und Fräulein, die er in der Fremde oder daheim gesehn hatte; er vermochte sich gar nichts Schöneres zu denken. Aber er konnte doch nimmer daran denken, ein solches Bettelkind zur Frau zu nehmen.
Er wandte daher seine Augen wieder von ihr ab und beeilte sich, sein Pferd zu satteln und fortzukommen, und er wollte sie gar nicht mehr ansehen. Aber als er sich in den Sattel geschwungen hatte und den Alten, denen er ein großes Goldstück für das Nachtlager gegeben, und die jetzt einen Kratzfuß nach dem andern vor ihm machten, Lebewohl zunickte, konnte er doch nicht umhin, nach der Seite zu schielen, wo sie stand und ihn mit ihren großen Augen anblickte. Und dann konnte er es nicht unterlassen, seinen Hut zu lüpfen und sie zum Abschiede zu grüßen, und eben so wenig konnte er sich eines Gefühls erwehren, als säße ihm das Herz in der Kehle, da sie mit niedergeschlagenen Augen erröthend das Haupt zum Gruße neigte. Die großen Augen schlug sie doch wieder auf, und sie folgten ihm, als er von dannen sprengte, bis er außer Sicht war. Sie sahen ihm nicht allein nach, sondern sie fuhren auch fort, ihm vorzuschweben, lange nachdem das Haus und der Wald hinter ihm lagen. Aber unterwegs, während er fürbaß ritt, sagte er bei sich selber: »Ja, gewiß ist sie lieblich und mehr als schön genug für mich; aber ich gelobte ja auch, daß die, welche ich zur Frau haben wollte, klug, beinahe eben so klug wie ich sein müßte, und das ist sie natürlich nicht.«
Er merkte sich jedoch gut, wo die Waldhütte lag, und bald war er auch auf bekannten Wegen, denn der große Wald lag an der Grenze seines eigenen Heimatlandes. Dann ritt er geradesweges zum Königsschlosse seines Vaters heim und sagte, er habe noch keine gefunden, die ihm ebenbürtig sei. Das war dem alten Könige zwar sehr ärgerlich, denn er war so überzeugt von der großen Klugheit seines Sohnes, daß er glaubte, es müsse sich verhalten, wie er sagte; aber er wollte ihn doch gern noch bei seinen Lebzeiten versorgt sehen. Wollte sich der Sohn nur eine Braut wählen, so war er im voraus überzeugt, daß es die rechte sein müsse.
Jetzt war der Königssohn daheim und hatte es im übrigen in jeder Hinsicht gut; aber er hatte keine Ruhe im Herzen. Das gute Essen schmeckte ihm nicht, und der süße Schlaf wollte sich gar nicht auf sein weiches Lager herabsenken. Seine Gedanken schweiften beständig in den großen Wald zu dem lieblichen jungen Mädchen. An sie dachte er früh und spät, mochte er es wollen oder nicht.
Da sagte er zuletzt zu sich selber. »Das muß ein Ende haben.« Er gedachte seines Gelübdes, daß die Schönste und die Klügste seine Braut werden solle, und um den Gedanken an sie loszuwerden, wollte er sich überzeugen, daß das Kind des armen Mannes, wenn auch schön genug, doch lange nicht klug genug für ihn sei. Er schrieb also einen Brief an sie und legte zwei Docken Seide in den Brief und schrieb, daraus möge sie ihm einen Bettumhang weben.
Er sandte einen königlichen Reitknecht mit dem Briefe von dannen, und hieß ihn gleich Antwort mit zurückbringen. Der Reitknecht kam abends wieder und brachte einen Brief von dem Mädchen in der Waldhütte mit. Darin lagen zwei kleine Holzstifte, und in dem Briefe stand geschrieben: wenn er ihr aus den Stiften einen Webstuhl anfertigen wolle, so würde sie auch wohl auf demselben den von ihm bestellten Bettumhang weben.
Jetzt konnte der Königssohn sich nicht mehr verhehlen, daß das Mädchen eben so klug wie er selber sei; so mußte er denn halten, was er gelobt und geschworen hatte; und das that er wohl auch eigentlich am liebsten. Er ritt also mit seinem ganzen königlichen Gefolge zu der Hütte im Walde hinaus und sagte den Alten und dem Mädchen, daß er sie zu seiner Braut erwählen wolle, wenn es ihr recht sei. Und es war ihr ganz recht.
Aber jetzt fürchtete er sich doch davor, daß sie die Klügste von ihnen beiden sein könnte, und das ging ja nicht an, falls jemand es merkte. Deshalb stellte er die Bedingung, daß, wenn er einmal König und sie also seine Königin würde, sie sich niemals irgendwie in Staatsangelegenheiten einmischen dürfe, die ihn und nicht sie angingen. Thäte sie das, so hätte er die Befugniß, sie zu verstoßen und sie wieder zu ihren Eltern heim zu senden.
Auf diese Bedingung ging sie ein; aber sie hatte auch ihre Bedingung zu stellen, und die war, daß, wenn er ihrer überdrüssig würde und sie nicht länger behalten wollte und sie deshalb wieder nach Hause schickte, sie befugt sein sollte, das mitzunehmen, was ihr das Liebste wäre. Das fand er nicht mehr als billig, und ging sogleich darauf ein.
Die alten Leute waren zwar sehr betrübt, daß sie jetzt ihre Tochter verlieren sollten; aber sie konnten doch ihrem Glück nicht im Wege stehn, und so gaben auch sie ihre Einwilligung. Die Braut ward also mit Seide und Scharlach, mit Gold und Edelsteinen geschmückt, und sie erhielt Karossen und Hofdamen und allen sonstigen Staat, und dann wurde die Hochzeit mit Glanz und Freude gefeiert.
Es verging jetzt eine lange Zeit, während welcher die jungen Leute in inniger Liebe und äußerer Herrlichkeit mit einander lebten, und es konnte gar nicht besser sein. Allen schien, daß die Gemahlin des Königssohnes sowohl schön wie klug und gut genug sei, – und das Letzte war das Beste. Bald nach der Hochzeit starb der alte König, und der Sohn ward an seiner Statt König. Er regierte das Land und saß zu Gerichte, und alles ging gut und erfreulich. Die Königin mischte sich niemals in seine und in Staatsangelegenheiten ein, sondern verwaltete ihr eigenes großes Haus und war geehrt und geliebt von allen.
Da traf es sich eines Tages, daß Markttag in der Hauptstadt des Königs war, und viele Bauern mit Korn und anderen Dingen zu Markte kamen. Als sie abends nach Hause fuhren, waren einige unter ihnen, die in der Stadt schon weidlich gezecht hatten; aber an der ersten Schenke, zu der sie kamen, mochten sie doch nicht vorüberfahren: sie mußten einkehren und eine neue Herzstärkung zu sich nehmen. Sie ließen sich gute Weile drinnen in der Schenkstube; ihre Pferde und Wagen standen mittlerweile draußen im Stalle. Einer dieser Bauern fuhr mit einer trächtigen Stute, und während sie drinnen pokulirten, warf dieselbe ein Füllen im Stalle. Als nun die Bauern herausgekommen und jeder sein Fuhrwerk zu finden sucht, ist das kleine neugeborene Füllen zwar auf die Beine gekommen, aber es ist ganz verstört in dieser neuen, unruhigen Welt und ist in eine Ecke des Stalles hingelaufen, wo der Schenkwirth seine Pferde, ein paar Grauschimmel, stehen hat. Der Eigenthümer der trächtigen Stute sieht natürlich sogleich, daß dieselbe gefohlt hat, und er gewahrt auch das Füllen, und da er nicht betrunkener war, als daß er wohl begreifen konnte, daß es ihm gehöre, wollte er es auf seinen Wagen legen und es mit nach Hause nehmen. Aber der Schenkwirth sagte: Nein, das Füllen sei das seine; man sehe ja, es halte sich zu seinen Pferden. Es entstand ein wüstes Gezänk über die Sache; die meisten der betrunkenen Bauern standen auf Seiten des Schenkwirths, und das Ende davon war, daß der Bauer mit der Stute ohne Füllen heimfahren mußte, und der Schenkwirth dasselbe behielt.
Damit konnte sich der Bauer nicht zufrieden geben, und es kam zum Prozesse; allein sowohl das erste wie das zweite Gericht sprachen dem Schenkwirthe das Füllen zu, und der Bauer, welcher der rechte Eigenthümer des Füllens war, mußte die Zeche bezahlen, so daß er dadurch allmählich alles auf’s Spiel setzte, was er besaß. Aber er wollte trotzdem seine Sache nicht verloren geben; er wandte sich an das oberste Gericht, und dort hatte der König selbst das Urtheil zu sprechen. Er war freilich sehr klug, aber er war doch nicht klüger, als daß er wie die anderen entschied: das Füllen müsse dem gehören, bei dessen Pferden es gefunden worden sei, und das sei ja der Schenkwirth.
Jetzt sollte der Bauer also des Füllens halber, das doch von rechtswegen sein eigen war, Haus und Hof verlieren. Darein konnte er sich nicht finden, und in seiner großen Noth verfiel er auf das letzte Mittel: sich an die Königin zu wenden, die so klug und so gut war. Er erklärte ihr den ganzen Zusammenhang der Füllen-Geschichte, und sie sah ein, daß er recht habe.
Da sagte sie zu ihm: »Ja, mein lieber Mann, ich kann den Spruch des Königs zwar nicht ändern, aber ich will dir doch einen Rath geben, welcher dir vielleicht nützen kann. Nimm morgen um die Mittagszeit ein Fischernetz und geh mit demselben draußen vor die Stadt, wo die hohen Dünen von Flugsand sind, dort spanne dein Netz aus, wie man sonst Netze zum Fischfang ausspannt. Und dann nimm eine Störstange und schlage mit derselben in den Sand vor dem Netze, wie man die Fische draußen auf der See ins Netz treibt. Wenn dann der König dort vorüber kommt – denn er fährt alle Tage dieses Weges – so wird er dich sicherlich fragen, ob du närrisch bist, oder ob du glaubst, du könntest Fische droben im Flugsande fangen. Und dann mußt du antworten, das sei nicht unvernünftiger, als daß der graue Schimmel des Schenkwirths, der nicht trächtig gewesen und nicht einmal eine Stute sei, ein Füllen bekommen könnte. Aber das mußt du mir versprechen,« sagte die Königin, »daß du niemand erfahren läßt, wer dir den Rath gegeben hat; denn sonst werde ich unglücklich.« Der Bauer bedankte sich vielmals und versprach, er wolle schon schweigen.
Am nächsten Tage um die Mittagszeit machte es der Bauer, wie ihm geheißen war, und bald darauf kam der König wirklich des Weges an jenen Dünen vorüber gefahren. Als er den Bauer umhergehen und mit seiner Störstange in den Sand vor dem Fischernetze schlagen sah, ließ er anhalten und sagte zu ihm: »Was treibst du da?« – »Ich fische,« sagte der Bauer. – »Bist du närrisch?« frug der König; »glaubst du, daß Fische im Flugsande sind?« – »Ja,« antworte der Bauer, »das ist doch nicht unvernünftiger, als daß der graue Schimmel des Schenkwirths, der nicht trächtig gewesen und nicht einmal eine Stute ist, ein Füllen bekommen konnte.«
Jetzt verstand der König sofort, worauf er anspiele; er sah ein, daß er wohl in der Sache falsch entschieden habe; aber er wollte doch wissen, wer den Bauer die List gelehrt habe; und da er ihm den Tod androhte, wenn er nicht gestünde, wer ihm den Rath gegeben, so ward dem Bauer angst und er offenbarte alles: daß er der Königin den Einfall verdanke.
Da ließ der König sogleich den Wagen umkehren und zum Schlosse zurückfahren, und er sprühte vor Zorn. Er ging geradeswegs zur Königin hinein und sagte, jetzt habe sie sich gegen die Abrede vergangen, die vor der Hochzeit getroffen worden sei, und habe sich unterstanden, sich in seine Staatsangelegenheiten einzumischen. Jetzt müsse sie auch die Strafe erleiden, welche damals verabredet worden sei: sie solle auf der Stelle zu ihren Eltern zurückgeschickt werden. Sie möge sich bereit machen, noch in dieser Stunde abzureisen; aber sie möge sich auch des ihr zugestandenen Rechtes bedienen: sie könne von den schönen Dingen, die sie um sich habe, mitnehmen, was ihr das Liebste sei.
Die Königin antwortete sehr sanft und demüthig, er habe recht, und sie habe unrecht, er müsse befehlen, und sie müsse gehorchen. Sie werde in einem Augenblick damit fertig sein, dasjenige einzupacken, was sie mit der gnädigen Erlaubniß des Königs mitzunehmen gedenke. Gleich darauf kam sie wieder herein, und da brachte sie eine Flasche Wein und ein paar Gläser mit, und dann sagte sie: der König werde ihr doch wohl die Güte erweisen, ein Glas zum Abschiede mit ihr zu trinken. Es sei nie zuvor ein böses Wort zwischen ihnen gefallen, und das solle auch jetzt nicht geschehen.
Die Bitte konnte der König ihr nicht abschlagen; sie schenkte ein, und sie tranken mit einander. Allein er bemerkte nicht, daß die Königin einige Tropfen aus einer anderen kleinen Flasche, die sie bei sich trug, in sein Glas schüttete; und sobald er dasselbe geleert hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf.
Da holte die Königin einen großen Deckelkorb, in den sie ihre besten Sachen, die sie mitnehmen wollte, hätte packen sollen; in diesen legte sie den König, deckte ihn gut zu, schloß den Deckel und rief dann den Dienern zu: sie möchten ihren Korb hinaustragen und ihn in den Wagen stellen, welcher angespannt sei und auf sie warte. Sie setzte sich in den Wagen, und dann fuhren sie in den Wald zu der alten Hütte hinaus. Dort mußten die Diener den Korb aus dem Wagen heben und ihn in ihre Kammer hinauf tragen. Und dann sandte sie den Wagen wieder zum Schlosse zurück. Dann hob sie ihren schlafenden König und Gemahl aus dem Korbe heraus und legte ihn auf ihr Bett. Darauf zog sie ihre alten, ärmlichen Kleider an, dieselben, in denen er sie zum ersten Mal erblickt hatte, und dann setzte sie sich an das kleine Fenster dem Bette gegenüber und ließ ihr Spinnrad schnurren, ganz wie in alten Tagen.
Es war gegen Abend, als der König nach dem Schlaftrunke, den er erhalten, ausgeschlafen hatte. Er erwachte und sah sich um, fuhr empor und frug, wo er sich befinde, und wie es zugegangen, daß er hier sei. »Ja,« sagte sie, »du bist jetzt bei mir; und das ist so zugegangen, daß ich dich mit nach Hause genommen habe, wie es ja nach unserer Abrede mein Recht war; denn du bist das, was ich auf der Welt am liebsten habe, und das durfte ich ja mitnehmen.«
»Jetzt merke ich, daß du doch viel klüger bist, als ich,« sagte der König. »Und wenn du mich jetzt nach dem Schlosse zurück begleiten und bei mir bleiben willst, so will ich niemals in einer Sache entscheiden, ehe ich dich um Rath gefragt habe.«
So ward denn nach Wagen und Pferden zum Schlosse gesandt, und der König und die Königin hielten aufs neue ihren Einzug im Schlosse; und ihre alten Eltern nahmen sie mit, wie es die Königin verlangte, und sie blieben, so lange sie lebten, bei ihnen wohnen. Und der König und die Königin lebten nach wie vor mit einander in inniger Liebe und äußerer Herrlichkeit. Und dem Bauern, dem das Unrecht mit dem Füllen und dem Richterspruche widerfahren war, schenkte der König einen Edelhof mit vollem Beschlag. Und der König fällte seitdem niemals ein Urtheil, ohne erst den Rath der Königin zu hören. Und alle ehrten und liebten sie beide wegen ihrer Gerechtigkeit und Güte und waren stolz darauf, einen solchen König und eine solche Königin zu haben.
Und alle Leute sagten, daß er eben so klug wie schön sei, so daß keiner sich an Klugheit mit ihm messen könne. Das glaubte er, und darauf war er stolz.
Da that er das Gelübde und schwor einen theuren Eid darauf, daß er niemals ein weibliches Wesen zur Frau nehmen wolle, das nicht mindestens eben so schön und nahezu eben so klug wie er selbst wäre. Aber wenn er eine solche Maid fände, solle sie auch seine Frau werden.
Es waren viele schöne Mädchen im Lande; aber sie gehörten eben nicht zu den klügsten. Es waren auch manche ganz gescheite junge Mädchen da; aber sie gehörten nicht zu den schönsten. So viel ist gewiß, daß der Königssohn keine fand, die ihm annähernd schön oder klug genug war. Er stand übrigens in dem Alter, daß sowohl er selbst wie sein Vater, der König, und ihr getreues Volk der Ansicht waren, er müsse sich verheiraten; aber nach dem Gelübde, das er abgelegt hatte, fand sich kein Mädchen im Lande, um das er füglich anhalten konnte.
Da wollte er auf Reisen, in andere Königreiche hinaus, gehen; aber er wollte unbekannt und ohne Gefolge reisen; er wollte sich schon selbst vorsehen, und keiner sollte bei ihm sein, der aus der Schule schwatzen oder ihm in die Karten gucken könnte.
Er reiste also weit und breit umher, von einem Land in das andere; aber es erging ihm draußen wie daheim: kein Mädchen war ihm schön oder klug genug, und noch viel weniger beides zugleich, und so konnte er ja um keine von ihnen anhalten.
Da ritt er eines Tages alleine durch einen Wald. Er ritt und ritt, aber der Wald nahm kein Ende. Es ward Mittag, und es ward Abend, aber noch war er nicht aus dem Walde heraus, und es war kein Ende desselben zu sehen. Er hatte sich völlig verirrt und wußte nicht mehr, wo er sei, oder wohin der Weg führe, oder wo er ein Obdach für die Nacht finden solle, um sich und sein Pferd auszuruhen und zu erfrischen. Beide waren gleich ermüdet.
Endlich sah er einen dünnen, blauen Rauch über die grünen Wipfel emporsteigen; er ritt demselben nach und kam an ein kleines, ärmliches Haus. Hier müssen doch Menschen sein, sagte er sich erfreut. Er stieg vom Pferde und klopfte an. Ein alter, einfacher Mann machte ihm auf, und eine alte, einfache Frau kam mit heraus. Sie schienen sehr verwundert zu sein, den schönen, vornehmen, jungen Reiter zu erblicken. Der Königssohn bot ihnen guten Abend und sagte ihnen wahrheitsgetreu, daß er sich verirrt habe und den ganzen Tag im Walde umher geritten sei, ohne ein Haus oder eine Hütte zu gewahren, und er bat sie daher, ihm ein Nachtquartier zu vergönnen. Zuerst sagten sie freilich, daß sie nicht die Leute seien, solch einen vornehmen Herrn, wie er sei, aufzunehmen, und man merkte wohl, daß sie ihn sehr gerne los sein wollten. Da er aber sagte, daß weder er noch sein Pferd es länger aushalten könnten, sie müßten Ruhe und Obdach haben, so blieb ihnen nichts anders übrig, als Ja zu sagen, er müsse dann eben vorlieb nehmen.
Zuerst sorgte er für sein gutes Roß. Ein Stall war nicht da, aber ein kleiner Schuppen für ihre einzige Kuh. Die ging jetzt auf der Weide, denn es war Sommerszeit, und so stellte er sein Pferd dort hinein und gab ihm einen Trunk Wasser und ein Bund Heu; da war es sehr froh. Er selbst ging in die Stube hinein, sie hatten nur die eine, und sie war niedrig und klein. Er setzte sich auf die Holzbank und begann mit den Leuten zu plaudern: ob sie hier ganz allein in dem wilden Walde wohnten? Ja, das thäten sie allerdings, sagten sie, es seien keine anderen Menschen im Hause, und keine anderen Häuser im Umkreise vieler Meilen. Sie lebten hier, wie es eben ginge, und schlügen sich durch mit einer Ziege und einer Kuh. Er erhielt also sein Abendessen, so gut das Haus es vermochte, nämlich ein Stück trockenes Brod und eine Schale Milch. Und dann holten die alten Leute ein Bund Stroh und breiteten es auf der Stubendiele aus; darauf wollten sie selbst schlafen, denn der fremde Herr sollte in ihrem Bett liegen, sie hatten nur das eine. Das wollte der Prinz doch nicht annehmen: sie sollten ihr Bett behalten, und er wollte auf der Diele auf dem Stroh liegen.
Es geschah also nach seinem Willen, und sie gingen alle drei zur Ruhe. Das war freilich ein anderes Lager, als er es gewohnt war; allein da er tüchtig müde war, fiel er doch bald in Schlaf und träumte von all den schönen Mädchen, die nicht klug genug, und all den klugen Mädchen, die nicht schön genug waren, und er schlief süß, bis der Tag zu dämmern begann. Dann aber erwachte er, und war steif in den Gliedern von dem harten Lager, und wie er sich auch drehte und wendete, er vermochte nicht wieder einzuschlafen.
Da hörte er es über seinem Kopfe, oben auf dem Boden, sich bewegen. Es konnten ja Ratten oder Mäuse oder auch eine Katze sein. Ja, es war gewiß eine Katze, welche dort oben herumsprang. Aber bald darauf hörte er von droben einen schnurrenden Ton, offenbar wie von einem Spinnrad: so konnte doch die Katze nicht spinnen. Und gleich darauf hörte er Gesang; das war weder die Katze, noch die Vögel da draußen, sondern es war eine liebliche Frauenstimme, die im Takt mit dem schnurrenden Rade sang. Einen so lieblichen Gesang hatte er noch niemals gehört. Er sprang eilends von der Diele empor und rieb sich die Augen und spitzte die Ohren. Und in demselben Augenblick erwachten die beiden Alten und kamen gleichfalls aus den Federn.
Der Königssohn frug sie gleich, wer es sei, den sie da droben auf dem Boden versteckt hätten, und der schon in der frühen Morgenstunde spinne und singe. Jetzt war es droben wieder still geworden, und sie versicherten heute, wie sie gestern erzählt hatten, daß kein anderer Mensch, als sie selber, im Hause sei.
»Nein,« sagte der Prinz, »es hilft nichts, daß ihr mir das länger weißzumachen sucht. Ich glaube zuversichtlich, was ich mit meinen eigenen Ohren gehört habe. Und jetzt könnt ihr mir eben so gut die volle Wahrheit sagen; denn ich werde doch schon dahinter kommen.«
Da mußte der Mann denn gestehen: es sei allerdings noch ein Mensch im Hause, und das sei ihre Tochter, die ihre Kammer droben habe. Aber sie fürchteten so sehr, daß jemand sie zu sehen bekäme und dann vielleicht Gefallen an ihr fände und sie ihnen nehmen wollte; und sie könnten sie ja durchaus nicht entbehren, so alt und gebrechlich wie sie schon wären; sie verdiente ihnen auch ein paar Schillinge mit Spinnen und Weben; und wer sollte sie sonst pflegen, wenn sie nun bald nicht mehr selbst für sich sorgen könnten?
Ja, habe er sie nun einmal gehört, so wolle er sie auch sehen, sagte der Königssohn; er sei doch kein Menschenfresser, denke er, so daß sie ihn wohl das Mädchen sehen lassen könnten. Da mußten die Alten sie denn herunter rufen; und sie kam herab gesprungen, das junge Blut, in ihren ärmlichen Kleidern. Sie wußte ja nichts davon, daß sie Besuch hatten, denn sie hatte fest geschlafen, als der Königssohn am späten Abend angekommen war.
Als sie den schönen jungen Mann erblickte, ward sie purpurroth; und der Prinz verlor auch ganz die Sprache, als er sie erblickte; denn nie zuvor hatte er etwas halb so Schönes gesehen, wie sie war. Ihm ward ganz seltsam zu Muthe dabei. So weit er gewandert war, hatte er keine gesehen, die sich an Schönheit mit ihr messen konnte; die Tochter dieses armen Mannes war viel schöner, als irgend eine all der Prinzessinnen und Fräulein, die er in der Fremde oder daheim gesehn hatte; er vermochte sich gar nichts Schöneres zu denken. Aber er konnte doch nimmer daran denken, ein solches Bettelkind zur Frau zu nehmen.
Er wandte daher seine Augen wieder von ihr ab und beeilte sich, sein Pferd zu satteln und fortzukommen, und er wollte sie gar nicht mehr ansehen. Aber als er sich in den Sattel geschwungen hatte und den Alten, denen er ein großes Goldstück für das Nachtlager gegeben, und die jetzt einen Kratzfuß nach dem andern vor ihm machten, Lebewohl zunickte, konnte er doch nicht umhin, nach der Seite zu schielen, wo sie stand und ihn mit ihren großen Augen anblickte. Und dann konnte er es nicht unterlassen, seinen Hut zu lüpfen und sie zum Abschiede zu grüßen, und eben so wenig konnte er sich eines Gefühls erwehren, als säße ihm das Herz in der Kehle, da sie mit niedergeschlagenen Augen erröthend das Haupt zum Gruße neigte. Die großen Augen schlug sie doch wieder auf, und sie folgten ihm, als er von dannen sprengte, bis er außer Sicht war. Sie sahen ihm nicht allein nach, sondern sie fuhren auch fort, ihm vorzuschweben, lange nachdem das Haus und der Wald hinter ihm lagen. Aber unterwegs, während er fürbaß ritt, sagte er bei sich selber: »Ja, gewiß ist sie lieblich und mehr als schön genug für mich; aber ich gelobte ja auch, daß die, welche ich zur Frau haben wollte, klug, beinahe eben so klug wie ich sein müßte, und das ist sie natürlich nicht.«
Er merkte sich jedoch gut, wo die Waldhütte lag, und bald war er auch auf bekannten Wegen, denn der große Wald lag an der Grenze seines eigenen Heimatlandes. Dann ritt er geradesweges zum Königsschlosse seines Vaters heim und sagte, er habe noch keine gefunden, die ihm ebenbürtig sei. Das war dem alten Könige zwar sehr ärgerlich, denn er war so überzeugt von der großen Klugheit seines Sohnes, daß er glaubte, es müsse sich verhalten, wie er sagte; aber er wollte ihn doch gern noch bei seinen Lebzeiten versorgt sehen. Wollte sich der Sohn nur eine Braut wählen, so war er im voraus überzeugt, daß es die rechte sein müsse.
Jetzt war der Königssohn daheim und hatte es im übrigen in jeder Hinsicht gut; aber er hatte keine Ruhe im Herzen. Das gute Essen schmeckte ihm nicht, und der süße Schlaf wollte sich gar nicht auf sein weiches Lager herabsenken. Seine Gedanken schweiften beständig in den großen Wald zu dem lieblichen jungen Mädchen. An sie dachte er früh und spät, mochte er es wollen oder nicht.
Da sagte er zuletzt zu sich selber. »Das muß ein Ende haben.« Er gedachte seines Gelübdes, daß die Schönste und die Klügste seine Braut werden solle, und um den Gedanken an sie loszuwerden, wollte er sich überzeugen, daß das Kind des armen Mannes, wenn auch schön genug, doch lange nicht klug genug für ihn sei. Er schrieb also einen Brief an sie und legte zwei Docken Seide in den Brief und schrieb, daraus möge sie ihm einen Bettumhang weben.
Er sandte einen königlichen Reitknecht mit dem Briefe von dannen, und hieß ihn gleich Antwort mit zurückbringen. Der Reitknecht kam abends wieder und brachte einen Brief von dem Mädchen in der Waldhütte mit. Darin lagen zwei kleine Holzstifte, und in dem Briefe stand geschrieben: wenn er ihr aus den Stiften einen Webstuhl anfertigen wolle, so würde sie auch wohl auf demselben den von ihm bestellten Bettumhang weben.
Jetzt konnte der Königssohn sich nicht mehr verhehlen, daß das Mädchen eben so klug wie er selber sei; so mußte er denn halten, was er gelobt und geschworen hatte; und das that er wohl auch eigentlich am liebsten. Er ritt also mit seinem ganzen königlichen Gefolge zu der Hütte im Walde hinaus und sagte den Alten und dem Mädchen, daß er sie zu seiner Braut erwählen wolle, wenn es ihr recht sei. Und es war ihr ganz recht.
Aber jetzt fürchtete er sich doch davor, daß sie die Klügste von ihnen beiden sein könnte, und das ging ja nicht an, falls jemand es merkte. Deshalb stellte er die Bedingung, daß, wenn er einmal König und sie also seine Königin würde, sie sich niemals irgendwie in Staatsangelegenheiten einmischen dürfe, die ihn und nicht sie angingen. Thäte sie das, so hätte er die Befugniß, sie zu verstoßen und sie wieder zu ihren Eltern heim zu senden.
Auf diese Bedingung ging sie ein; aber sie hatte auch ihre Bedingung zu stellen, und die war, daß, wenn er ihrer überdrüssig würde und sie nicht länger behalten wollte und sie deshalb wieder nach Hause schickte, sie befugt sein sollte, das mitzunehmen, was ihr das Liebste wäre. Das fand er nicht mehr als billig, und ging sogleich darauf ein.
Die alten Leute waren zwar sehr betrübt, daß sie jetzt ihre Tochter verlieren sollten; aber sie konnten doch ihrem Glück nicht im Wege stehn, und so gaben auch sie ihre Einwilligung. Die Braut ward also mit Seide und Scharlach, mit Gold und Edelsteinen geschmückt, und sie erhielt Karossen und Hofdamen und allen sonstigen Staat, und dann wurde die Hochzeit mit Glanz und Freude gefeiert.
Es verging jetzt eine lange Zeit, während welcher die jungen Leute in inniger Liebe und äußerer Herrlichkeit mit einander lebten, und es konnte gar nicht besser sein. Allen schien, daß die Gemahlin des Königssohnes sowohl schön wie klug und gut genug sei, – und das Letzte war das Beste. Bald nach der Hochzeit starb der alte König, und der Sohn ward an seiner Statt König. Er regierte das Land und saß zu Gerichte, und alles ging gut und erfreulich. Die Königin mischte sich niemals in seine und in Staatsangelegenheiten ein, sondern verwaltete ihr eigenes großes Haus und war geehrt und geliebt von allen.
Da traf es sich eines Tages, daß Markttag in der Hauptstadt des Königs war, und viele Bauern mit Korn und anderen Dingen zu Markte kamen. Als sie abends nach Hause fuhren, waren einige unter ihnen, die in der Stadt schon weidlich gezecht hatten; aber an der ersten Schenke, zu der sie kamen, mochten sie doch nicht vorüberfahren: sie mußten einkehren und eine neue Herzstärkung zu sich nehmen. Sie ließen sich gute Weile drinnen in der Schenkstube; ihre Pferde und Wagen standen mittlerweile draußen im Stalle. Einer dieser Bauern fuhr mit einer trächtigen Stute, und während sie drinnen pokulirten, warf dieselbe ein Füllen im Stalle. Als nun die Bauern herausgekommen und jeder sein Fuhrwerk zu finden sucht, ist das kleine neugeborene Füllen zwar auf die Beine gekommen, aber es ist ganz verstört in dieser neuen, unruhigen Welt und ist in eine Ecke des Stalles hingelaufen, wo der Schenkwirth seine Pferde, ein paar Grauschimmel, stehen hat. Der Eigenthümer der trächtigen Stute sieht natürlich sogleich, daß dieselbe gefohlt hat, und er gewahrt auch das Füllen, und da er nicht betrunkener war, als daß er wohl begreifen konnte, daß es ihm gehöre, wollte er es auf seinen Wagen legen und es mit nach Hause nehmen. Aber der Schenkwirth sagte: Nein, das Füllen sei das seine; man sehe ja, es halte sich zu seinen Pferden. Es entstand ein wüstes Gezänk über die Sache; die meisten der betrunkenen Bauern standen auf Seiten des Schenkwirths, und das Ende davon war, daß der Bauer mit der Stute ohne Füllen heimfahren mußte, und der Schenkwirth dasselbe behielt.
Damit konnte sich der Bauer nicht zufrieden geben, und es kam zum Prozesse; allein sowohl das erste wie das zweite Gericht sprachen dem Schenkwirthe das Füllen zu, und der Bauer, welcher der rechte Eigenthümer des Füllens war, mußte die Zeche bezahlen, so daß er dadurch allmählich alles auf’s Spiel setzte, was er besaß. Aber er wollte trotzdem seine Sache nicht verloren geben; er wandte sich an das oberste Gericht, und dort hatte der König selbst das Urtheil zu sprechen. Er war freilich sehr klug, aber er war doch nicht klüger, als daß er wie die anderen entschied: das Füllen müsse dem gehören, bei dessen Pferden es gefunden worden sei, und das sei ja der Schenkwirth.
Jetzt sollte der Bauer also des Füllens halber, das doch von rechtswegen sein eigen war, Haus und Hof verlieren. Darein konnte er sich nicht finden, und in seiner großen Noth verfiel er auf das letzte Mittel: sich an die Königin zu wenden, die so klug und so gut war. Er erklärte ihr den ganzen Zusammenhang der Füllen-Geschichte, und sie sah ein, daß er recht habe.
Da sagte sie zu ihm: »Ja, mein lieber Mann, ich kann den Spruch des Königs zwar nicht ändern, aber ich will dir doch einen Rath geben, welcher dir vielleicht nützen kann. Nimm morgen um die Mittagszeit ein Fischernetz und geh mit demselben draußen vor die Stadt, wo die hohen Dünen von Flugsand sind, dort spanne dein Netz aus, wie man sonst Netze zum Fischfang ausspannt. Und dann nimm eine Störstange und schlage mit derselben in den Sand vor dem Netze, wie man die Fische draußen auf der See ins Netz treibt. Wenn dann der König dort vorüber kommt – denn er fährt alle Tage dieses Weges – so wird er dich sicherlich fragen, ob du närrisch bist, oder ob du glaubst, du könntest Fische droben im Flugsande fangen. Und dann mußt du antworten, das sei nicht unvernünftiger, als daß der graue Schimmel des Schenkwirths, der nicht trächtig gewesen und nicht einmal eine Stute sei, ein Füllen bekommen könnte. Aber das mußt du mir versprechen,« sagte die Königin, »daß du niemand erfahren läßt, wer dir den Rath gegeben hat; denn sonst werde ich unglücklich.« Der Bauer bedankte sich vielmals und versprach, er wolle schon schweigen.
Am nächsten Tage um die Mittagszeit machte es der Bauer, wie ihm geheißen war, und bald darauf kam der König wirklich des Weges an jenen Dünen vorüber gefahren. Als er den Bauer umhergehen und mit seiner Störstange in den Sand vor dem Fischernetze schlagen sah, ließ er anhalten und sagte zu ihm: »Was treibst du da?« – »Ich fische,« sagte der Bauer. – »Bist du närrisch?« frug der König; »glaubst du, daß Fische im Flugsande sind?« – »Ja,« antworte der Bauer, »das ist doch nicht unvernünftiger, als daß der graue Schimmel des Schenkwirths, der nicht trächtig gewesen und nicht einmal eine Stute ist, ein Füllen bekommen konnte.«
Jetzt verstand der König sofort, worauf er anspiele; er sah ein, daß er wohl in der Sache falsch entschieden habe; aber er wollte doch wissen, wer den Bauer die List gelehrt habe; und da er ihm den Tod androhte, wenn er nicht gestünde, wer ihm den Rath gegeben, so ward dem Bauer angst und er offenbarte alles: daß er der Königin den Einfall verdanke.
Da ließ der König sogleich den Wagen umkehren und zum Schlosse zurückfahren, und er sprühte vor Zorn. Er ging geradeswegs zur Königin hinein und sagte, jetzt habe sie sich gegen die Abrede vergangen, die vor der Hochzeit getroffen worden sei, und habe sich unterstanden, sich in seine Staatsangelegenheiten einzumischen. Jetzt müsse sie auch die Strafe erleiden, welche damals verabredet worden sei: sie solle auf der Stelle zu ihren Eltern zurückgeschickt werden. Sie möge sich bereit machen, noch in dieser Stunde abzureisen; aber sie möge sich auch des ihr zugestandenen Rechtes bedienen: sie könne von den schönen Dingen, die sie um sich habe, mitnehmen, was ihr das Liebste sei.
Die Königin antwortete sehr sanft und demüthig, er habe recht, und sie habe unrecht, er müsse befehlen, und sie müsse gehorchen. Sie werde in einem Augenblick damit fertig sein, dasjenige einzupacken, was sie mit der gnädigen Erlaubniß des Königs mitzunehmen gedenke. Gleich darauf kam sie wieder herein, und da brachte sie eine Flasche Wein und ein paar Gläser mit, und dann sagte sie: der König werde ihr doch wohl die Güte erweisen, ein Glas zum Abschiede mit ihr zu trinken. Es sei nie zuvor ein böses Wort zwischen ihnen gefallen, und das solle auch jetzt nicht geschehen.
Die Bitte konnte der König ihr nicht abschlagen; sie schenkte ein, und sie tranken mit einander. Allein er bemerkte nicht, daß die Königin einige Tropfen aus einer anderen kleinen Flasche, die sie bei sich trug, in sein Glas schüttete; und sobald er dasselbe geleert hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf.
Da holte die Königin einen großen Deckelkorb, in den sie ihre besten Sachen, die sie mitnehmen wollte, hätte packen sollen; in diesen legte sie den König, deckte ihn gut zu, schloß den Deckel und rief dann den Dienern zu: sie möchten ihren Korb hinaustragen und ihn in den Wagen stellen, welcher angespannt sei und auf sie warte. Sie setzte sich in den Wagen, und dann fuhren sie in den Wald zu der alten Hütte hinaus. Dort mußten die Diener den Korb aus dem Wagen heben und ihn in ihre Kammer hinauf tragen. Und dann sandte sie den Wagen wieder zum Schlosse zurück. Dann hob sie ihren schlafenden König und Gemahl aus dem Korbe heraus und legte ihn auf ihr Bett. Darauf zog sie ihre alten, ärmlichen Kleider an, dieselben, in denen er sie zum ersten Mal erblickt hatte, und dann setzte sie sich an das kleine Fenster dem Bette gegenüber und ließ ihr Spinnrad schnurren, ganz wie in alten Tagen.
Es war gegen Abend, als der König nach dem Schlaftrunke, den er erhalten, ausgeschlafen hatte. Er erwachte und sah sich um, fuhr empor und frug, wo er sich befinde, und wie es zugegangen, daß er hier sei. »Ja,« sagte sie, »du bist jetzt bei mir; und das ist so zugegangen, daß ich dich mit nach Hause genommen habe, wie es ja nach unserer Abrede mein Recht war; denn du bist das, was ich auf der Welt am liebsten habe, und das durfte ich ja mitnehmen.«
»Jetzt merke ich, daß du doch viel klüger bist, als ich,« sagte der König. »Und wenn du mich jetzt nach dem Schlosse zurück begleiten und bei mir bleiben willst, so will ich niemals in einer Sache entscheiden, ehe ich dich um Rath gefragt habe.«
So ward denn nach Wagen und Pferden zum Schlosse gesandt, und der König und die Königin hielten aufs neue ihren Einzug im Schlosse; und ihre alten Eltern nahmen sie mit, wie es die Königin verlangte, und sie blieben, so lange sie lebten, bei ihnen wohnen. Und der König und die Königin lebten nach wie vor mit einander in inniger Liebe und äußerer Herrlichkeit. Und dem Bauern, dem das Unrecht mit dem Füllen und dem Richterspruche widerfahren war, schenkte der König einen Edelhof mit vollem Beschlag. Und der König fällte seitdem niemals ein Urtheil, ohne erst den Rath der Königin zu hören. Und alle ehrten und liebten sie beide wegen ihrer Gerechtigkeit und Güte und waren stolz darauf, einen solchen König und eine solche Königin zu haben.
[Dänemark: Svend Grundtvig: Dänische Volksmärchen]