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Die Krone des Königs von Domnonée

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Die Gemeinde Gaël, heute so gering und unbekannt, war ehedem die Hauptstadt des Königreichs Domnonée. Dort regierte im sechsten Jahrhundert Judhaël. Im Jahre 540 lag die Gemeinde am Ausgange des ungeheuern Waldes, der die Bretagne von Gaël bis Corlay in zwei Hälften teilte und die heutigen Forste von Paimpont, Brécilian usw. umfaßte. Judhaël hatte mehrere Freunde an der Tollwut verloren und empfand lebhaften Schmerz, als ein frommer Eremit, der seinen königlichen Namen unter dem eines heiligen Méen verbarg, ihn um die Erlaubnis bat, ein Kloster in seinem Königreiche zu gründen. Der König empfing ihn wohlwollend und jener erlangte, was er wollte. Um seinem Gastfreund zu danken, ersuchte ihn St. Méen, einen Wunsch auszusprechen. Judhaël sagte zu ihm: »Ich möchte alle die Unglücklichen, die an der Tollwut erkrankt sind, davon heilen können.« Sogleich ließ der Klosterbruder aus dem Innern der Erde eine Quelle sprudeln, die man noch heute bei der Kirche von Gaël erblickt und deren Wasser die Tollwut heilt.
Zu dieser Zeit, da der Krieg etwas recht Alltägliches war, mußte sich der König von Gaël gegen einen Einfall der Friesen verteidigen und lieferte ihnen in der Nähe des heutigen Gué-de-Plélan eine Schlacht. In diesem Kampfe war er zwar siegreich, verlor aber seine Krone, die er auf dem Haupte trug und die durch die Größe und Dicke der Diamanten, mit welchen sie geziert war, einen beträchtlichen Wert hatte. Nach seiner Rückkehr ins Schloß war Judhaël trotz seiner Erfolge sehr bekümmert über das Mißgeschick, das ihm zugestoßen war. Er hielt um so größere Stücke auf seine Krone, als dieselbe ein Erbstück von seinem Vater war. Daher sagte er zu seinen drei Söhnen, die ihn umgaben: »Geht, Kinder, und sucht in aller Eile den verlorenen Gegenstand. Derjenige von euch, der so glücklich sein wird, ihn aufzufinden und mir wiederzubringen, wird von mir als mein Nachfolger auf dem Throne von Domnonée bestimmt werden.« Die drei jungen Leute gingen augenblicklich auf die Suche. Als sie allein im Walde waren, trennten sich die beiden ältesten von dem jüngsten und unterhielten sich lange miteinander. »Judicaël hat immer mehr Glück gehabt als wir«, sagten sie, »in all dem, was er unternommen hat. Er ist außerdem das Schoßkind unseres Vaters, der ihn nur deshalb aussendet, weil er hofft, sein Spürsinn würde ihn entdecken lassen, was wir vergebens suchen. Lassen wir ihn sich inmitten dieser Wälder verirren, wo ihn vielleicht die Wölfe fressen, und laufen wir schnell auf die Walstatt!« Sie führten alsbald diesen Plan aus und ließen den armen Knaben im Stich. Als dieser sich allein sah, rief er, solange es seine Kräfte ihm erlaubten, nach seinen Brüdern; aber bald ließ er sich erschöpft unter einem Baume nieder und zerfloß in Tränen.
Zu seinem Glück hatte ihn St. Méen vernommen und kam zu ihm, um sich über den Anlaß seines Weinens zu unterrichten. Judicaël erzählte dem ehrwürdigen Klausner den Zweck seiner Wanderung und das Betragen seiner Brüder. »Tröste dich, mein Sohn!« sprach der Heilige zu ihm, »Gott hat mich zu dir gesandt, um dir zu helfen. Ich will dir nicht nur den Weg weisen, sondern dir auch das Mittel angeben, wie du die Krone deines Vaters wiederfinden kannst.« Er gab ihm eine Haselgerte und sagte: »Wenn du in Verlegenheit bist, welchen Weg du einschlagen sollst, so lege diese Gerte vor deine Füße, und das dünne Ende wird sich stets nach der Seite richten, nach welcher du dich wenden mußt. Zuletzt wirst du einen gewaltigen Stein finden und die Leiche eines Kriegers, der in seinen Händen immer noch die Krone hält, die er deinem Vater hat rauben wollen.« Nachdem der Knabe dem Eremiten gedankt hatte, nahm er die Gerte und begab sich nach Gué-de-Plélan, wohin er dank seinem Talisman ohne Schwierigkeit gelangte.
Als er an den Ort gekommen war, welcher später von einem anderen bretonischen Könige, Salomon, zu seiner Residenz erwählt wurde und wo man heute noch die Spuren von dessen Schloß erblickt, sah sich Judicaël an der Stelle eines regelrechten Blutbades. Die Krieger, in der Mehrzahl noch mit ihren Rüstungen bewaffnet, bedeckten den Boden mit ihren Leibern und tränkten die Erde mit ihrem Blut. Der junge Prinz erschauerte vom Kopf bis zu den Füßen beim Anblick dieses grausigen Schauspiels, das ihm noch so neu war, und in einem heißen Gebet bat er Gott, diesen verbrecherischen Kriegen ein Ende zu machen. Als sich Judicaël ein wenig von seiner Erregung erholt hatte, erinnerte er sich an den Grund seiner Anwesenheit an diesem Ort und legte die Haselgerte vor seine Füße. Das dünne Ende der Gerte wandte sich sogleich gegen einen gewaltigen Quarzblock, der sich in beträchtlicher Entfernung befand. Um dorthin zu gelangen, sah sich der Knabe genötigt, alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen, damit er nicht über die Leichen strauchelte. Schließlich bemerkte er einen Krieger von gewaltiger Größe, welcher auf dem Rücken lag, den Körper von einem Speer durchbohrt, und welcher in seinen Händen die kostbare Krone hielt. Judicaël ergriff die Krone eilends und sputete sich, diesen Ort, der ihn mit Schrecken und Schauder erfüllte, zu verlassen.
Bald vergaß er das Gefühl des Grauens, das er inmitten der Toten empfunden hatte, und dachte nur noch an die Freude, die er seinem Vater bereiten würde. In seiner Hast, mit der er sich der Krone bemächtigt hatte, hatte der Knabe die Gerte des Heiligen bei dem Felsblock zurückgelassen und bemerkte es unglücklicherweise zu spät, um umzukehren, denn schon brach die Nacht herein. Nachdem er sich, so gut es ging, orientiert hatte, wanderte er solange, als es ihm das Tageslicht erlaubte; aber als ihn völlige Finsternis umgab, verbarg er sich unter einem Heidebusch, um dort die Ruhe zu suchen, deren er nach einem Tage voller Anstrengungen und Aufregungen so sehr benötigte. Am nächsten Morgen weckten ihn die Vögel, die über seinem Kopf ihr fröhliches Lied ertönen ließen. Er schüttelte wie sie den Tau ab, von dem er übersät war, und suchte dann den Pfad, der ihn nach Gaël führen sollte. Lange irrte er durch die Wälder, doch fand er schließlich den Weg, den er tags zuvor verloren hatte. Plötzlich hörte er Schritte hinter sich und dann Stimmen, die er als die seiner Brüder erkannte. Diese trafen in der Tat bald mit ihm zusammen. Da sie ihn lebendig und im Besitze des Gegenstandes sahen, den sie selber umsonst gesucht hatten, empfanden sie einen heftigen Neid, und ein verbrecherischer Gedanke zuckte durch ihr Hirn. Sie verständigten sich mit Blicken; und als sie sahen, daß ihnen beiden der nämliche Gedanke gekommen wäre, stürzten sie sich auf das arme Kind los und versetzten ihm so gewaltige Stockschläge auf den Kopf, daß sie es auf der Stelle töteten, ehe es ein Wort reden konnte. Als die Mörder so ihre Schandtat ausgeführt hatten, hoben sie unter einer Eiche eine Grube aus, um dort den Körper ihres Bruders zu verbergen, dann bedeckten sie ihn mit Erde und Rasen. Josse und Winoc – so hießen sie – nahmen alsdann die Krone an sich und brachten sie dem bretonischen Könige, der sie fragte, was sie mit Judicaël, den er vermißte, gemacht hätten. »Wir haben ihn nicht mehr gesehen,« sagten sie, »seit wir Euch verlassen haben, er hat uns im Stich gelassen, um allein zu wandern; wahrscheinlich hoffte er, glücklicher zu sein als wir.« Diese Antwort stellte den König nicht zufrieden, er befahl sogleich all seinen Dienern, das Land zu durcheilen, um seinen Sohn wiederzufinden. Alle Nachforschungen waren indes vergeblich und man vermutete, daß er eine Beute der Wölfe geworden wäre. Judhaël konnte sich über den Verlust dieses Knaben, den er über alles liebte, gar nicht trösten, und oft, wenn er die verstörte und verlegene Miene der beiden anderen sah, kamen ihm schreckliche Zweifel in den Sinn.
Fünf Jahre verflossen und die Zeit brachte keine Erleichterung für den Schmerz des unglücklichen Vaters. Auf einer Reise durch sein Reich kam der König einst an einem Ort vorüber, der dem Schauplatze des Verbrechens nahe lag. Da bemerkte er einen Hirtenbuben, der auf einem Knochen blies und sprach: »Meine Brüder haben mich getötet/ und haben sich bemächtigt/ der Krone meines Vaters./ Es sind nun fünf Jahre her,/ daß an einem schönen Frühlingstage/ sie mich in die Erde betteten.« Judhaël, den diese Worte verwunderten, trat zu dem Hirten und fragte ihn, was er da rede. »Ich weiß nichts davon,« entgegnete der Bursch, »ich habe diesen Knochen gefunden, und als ich hineinblies, kamen die Worte heraus, die Ihr soeben gehört habt.« »Wo hast du ihn gefunden?« »Hier am Fuße dieser Eiche!« und er bezeichnete einen kleinen Erdhügel, der einem Grabe glich. Der König ließ durch sein Gefolge die Rasenstücke abheben und entdeckte sogleich die Leiche seines heißgeliebten Sohnes. Ein Schrei des Entsetzens und zugleich der Überraschung entrang sich aller Kehlen, als man die Leiche nach fünf Jahren noch völlig unversehrt und fast ebenso frisch vorfand, als sei sie soeben begraben worden. Nur ein Arm, der durch die Schläge getroffen war, war zerfleischt; ein Knochen war herausgetreten und zweifellos durch die Erde gedrungen, das war der Knochen, den der Hirtenbube in der Hand hielt. Der Vater nahm sein Kind in die Arme, drückte es an seine Brust und ließ sogleich St. Méen holen. Der Klausner warf sich beim Anblick dieses Wunders mit dem Antlitz zur Erde und bat Gott mit Inbrunst; dann erhob er sein strahlendes Gesicht, näherte sich dem Toten, legte den Armknochen an seinen Platz und rieb den ganzen Körper mit einer Salbe ein, die er bei sich trug. Bald färbte sich das Fleisch, das Blut begann zu kreisen, die Augen öffneten sich, die Glieder bewegten sich und das Kind kam zum Leben zurück. Dieses Wunder wurde alsbald im ganzen Volke von Domnonée bekannt und der Name Judicaël war in aller Munde. Der König ließ Josse und Winoc festnehmen und einkerkern, um sie aburteilen und bestrafen zu lassen, wie sie es verdienten, aber Judicaël erbat ihre Begnadigung und verzieh ihnen. Er brauchte diese edle Tat nicht zu bereuen, denn die beiden Brüder bedauerten ihre Tat und ließen durch ihr gutes Verhalten und ihre Tüchtigkeit das Verbrechen, dessen sie sich schuldig gemacht hatten, vergessen. Judicaël folgte seinem Vater nach dessen Tode auf dem Throne.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

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