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Märchenbasar

Die Legende von dem arabischen Astrologen

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In alten Zeiten, vor vielen hundert Jahren herrschte einmal ein maurischer Fürst mit Namen Aben Habuz über das Königreich Granada. Er war ein Eroberer, der sich, nach einem Leben voll Kampf und durch Raubzüge reich geworden, nun im Alter nach Ruhe sehnte. Schwach und kränklich wollte der alte Haudegen mit der ganzen Welt in Frieden leben, sich die Lorbeeren seines Ruhmes bewahren und in Ruhe den Besitz genießen, den er in früheren Jahren seinen Nachbarn kaltblütig entrissen hatte.
Es begab sich indessen, dass dieser höchst verständige und friedliebende alte Monarch es mit jungen Nebenbuhlern zu tun bekam. Diese Fürsten und Prinzen erfüllte, wie einst ihn selbst, ein großes Verlangen nach Ruhm und Kampf, und sie alle wollten das ihren Vätern früher zugefügte Unrecht rächen und alte Scharten auswetzen.
Ja ganze Provinzen seiner eigenen Lande erhoben sich in Waffen gegen ihn, der sie in den Tagen seiner Kraft und Stärke grausam und hart behandelt hatte. Von allen Seiten war er also von Feinden umringt, und sie drohten ihn bereits aus seiner Hauptstadt zu verjagen.
Der unglückliche Landesvater war krank und bedrückt. Wegen der gebirgigen Umgebung von Granada war dauernde Wachsamkeit erforderlich, da man nie wissen konnte, ob sich in den engen Gebirgsschluchten nicht Feinde verborgen hielten, die plötzlich zum Angriff übergehen konnten.
Unnütz schienen die Wachttürme auf den Bergen und die Feldwachen auf Pässen und Hängen, die nachts mit Feuer und tagsüber mit Rauchzeichen jede Annäherung von Feinden schnellstens zur Königsburg melden sollten. Durch ihre Schläue ließen seine Gegner alle Vorsichtsmaßregeln zum Gespött werden und machten jede strategische Planung zunichte.
Unerwartet brachen sie aus einem unübersichtlichen Engpass hervor, verwüsteten ihm sein Land vor der Nase und machten sich dann mit Gefangenen und reicher Beute in die Berge davon. War je ein friedliebender ehemaliger Krieger in einer unbehaglicheren Lage als dieser nach Ruhe und Beschaulichkeit seufzende alte Eroberer?
Während Aben Habuz von Schwierigkeiten und Sorgen dieser Art gequält wurde und in schlaflosen Nächten zum Himmel um Hilfe flehte, kam eines Tages ein alter arabischer Arzt an den Königshof. Des Weisen Bart fiel bis auf den Gürtel herab, und alles zeugte von seinem hohen Alter. Der gebrechliche, ehrwürdige Greis hatte den ganzen Weg von Ägypten her zu Fuß und ohne irgendeine Hilfe zurückgelegt; als einzige Stütze diente ihm sein mit Hieroglyphen bedeckter Wanderstab.
Der Ruf eines großen Denkers ging dem gelehrten Mann voraus, und auch am granadinischen Maurenhof war der Name Ibrahim Ebn Abu Ayub, so nämlich hieß der Astrologe aus dem fernen Morgenland, wohl bekannt und allgemein geehrt. Man erzählte sich, und manche behaupteten, da gebe es gar keinen Zweifel, dass er seit den Tagen Mohammeds lebe und der Sohn von Aju Ajeeb sei, dem letzten der Gefährten des Propheten. Schon als Knabe war er dem Eroberungsheer Amrus nach Ägypten gefolgt; dort hielt er sich über viele viele Jahre hin unter den hochgelehrten Priestern auf und lernte deren geheime Wissenschaften, ganz besonders aber die so tiefschürfende ägyptische Magie.
Auch glaubte man von ihm zu wissen, dass er das Geheimnis, das Leben zu verlängern kenne, weswegen er inzwischen ein Alter von über zweihundert Jahren erreicht habe.
Dieser Mann wurde vom König ehrenvoll aufgenommen und in hoher Gunst gehalten, was leicht verständlich war, denn allen alten Monarchen, kranken Machthabern und gichtbrüchigen Potentaten sind Ärzte und Gesundbeter hochwillkommen. Der König wollte ihm eine Zimmerflucht in seinem Palast anweisen, aber der Sternkundige zog eine Höhle als Wohnung vor. Er fand sie auf der Granada zugekehrten Seite jenes Berges, dort wo sich heute stolz die Alhambra erhebt. Er ließ von kundigen Arbeitern diesen seinen künftigen Wohnraum zu einer weiten hohen Halle erweitern. Oben in der Decke wurde durch den Fels ein rundes Loch geschlagen, so dass er, wie aus einem Schacht, den Himmel beobachten und die Sterne selbst am Mittag sehen konnte. Die hohen Wände dieses Saales waren mit ägyptischen Hieroglyphen bedeckt. Er stellte drinnen an bestimmten Plätzen Apparate und Gestelle auf, die gemäß seinen Anordnungen von den geschicktesten Handwerkern Granadas angefertigt wurden, deren Ziel und Zweck und Eigenschaften aber nur er allein kannte.
Schon nach kurzer Zeit war der weise Ibrahim der engste Berater des alten Königs, der ihn bei jedem wichtigen Problem um seine Meinung fragte. Einst beklagte sich Aben Habuz bitter über seine ruchlosen fürstlichen Nachbarn und erzählte dem gespannt zuhörenden Magier von der seine Gesundheit aufreibenden Wachsamkeit, die er üben müsse, um sich vor den Übergriffen dieser Raubgesellen zu schützen. Als er zu Ende gekommen war, schwieg der Astrologe nachdenklich, und nach einer Weile erwiderte er mit leiser Stimme: „Wisse, o König, dass ich während meines Aufenthaltes in Ägypten ein wundervolles Kunstwerk sah, das einer der alten heidnischen Priester vor vielen Jahren erdacht hatte. Auf einem Berg über der Stadt Borsa, wo man das große Tal des Nils überschauen kann, stand aus Erz gegossen die Figur eines Widders und darüber die eines Hahnes; beide Tierbilder konnten sich auf Zapfen und Angeln drehen. Und nun staune über das Wunderwerk! Wenn immer dem Land ein feindlicher Einfall drohte, dann schwenkte der Widder in seinem Lager herum und schaute in die Richtung des Angreifers, und der Hahn begann laut zu krähen. Die Bewohner der Stadt hatten also sofort Kunde von der Gefahr und wussten gleich von vornherein die Stellung des Gegners und kannten innerhalb kurzer Zeit die Stoßrichtung seiner Truppen. Es war jetzt leicht, die zweckdienlichen Vorkehrungen zu treffen, um sich zu schützen und den Widersacher zu vernichten. „
„Gott ist groß!“ rief der friedfertige Aben Habu, „welch ein Schatz wäre ein solcher Widder, der unermüdlich Wache hielte und kein Auge von den Bergen der Umgebung ließe! Und erst der Hahn, dessen Krähen die wehrhaften Männer meiner Garden zu den Waffen ruft! Allah akbar! wie ruhig und sicher könnte ich mit einem solchen Späher auf dem Turm in meinen Gemächern leben!“
Der Astrologe wartete, bis sich der König etwas beruhigt hatte und fuhr dann fort: „Nachdem der siegreiche Amru – er möge in Frieden ruhen! – die Eroberung Ägyptens vollendet hatte, blieb ich weiterhin bei den alten Priestern des Landes und machte mich mit den Gebräuchen und Riten ihres Götzenglaubens bekannt. Ich suchte jene geheimen Kenntnisse zu erwerben, für die sie so berühmt und gefürchtet waren. So saß ich wieder einmal am Ufer des Nils und unterhielt mich mit einem der erfahrensten Gelehrten. Während des Gesprächs wies er mit seiner ausgestreckten Rechten nach den mächtigen Pyramiden, die Bergen gleich aus der benachbarten Wüste emporragten.
‚Alles, was wir dich lehren können‘, sagte er, ‚ist nichts im Vergleich zur Weisheit und zur Wissenschaft, die in jenen mächtigen Steinbauten eingeschlossen und verborgen In der Grabkammer der mittleren Pyramide drüben ruht die Mumie des Hohepriesters, der diese staunenswerten Gebäude errichten half. Dort drinnen mit ihm vergilbt das so wundervolle Buch der Weisheit, das alle Geheimnisse der Kunst und Magie enthält. Dieses Buch wurde Adam nach seinem Fall übergeben und kam dann von Geschlecht zu Geschlecht bis auf Salomon den Weisen, der mit dessen Hilfe den Tempel von Jerusalem erbaute. Wie diese wertvollen Papyri in den Besitz des Erbauers der Pyramiden kamen, das weiß nur der, dem alle Dinge bekannt sind.‘
Als ich diese Worte des ägyptischen Priesters hörte, entflammte mein Herz, und es wurde mir klar, dass ich alles tun müsse, um in den Besitz dieses Buches zu gelangen. Mir standen viele Soldaten und eine große Anzahl eingeborener Ägypter zur Verfügung, über deren Dienste ich bestimmen konnte. Mit diesen Hilfskräften ging ich tatkräftig ans Werk und ließ die undurchdringlich scheinende Steinmasse der bezeichneten Pyramide öffnen; nach großen Anstrengungen und schwerer Arbeit stieß ich endlich auf einen ihrer inneren und verborgenen Gänge. Ich folgte „diesem und betrat ein furchtbares Labyrinth, durch das mich bis in das Herz der Pyramide durchkämpfte und endlich den Weg zur Grabkammer fand. Dort lag seit Jahrhunderten unangetastet die Mumie des Hohepriesters.
„Ich zerschlug die äußere Schutzhülle des einbalsamierten Körpers, entfernte die vielen Binden und Tuchstreifen, in „die sie gewickelt war, und endlich fand ich, der Herzschlag „stockte mir, das kostbare Buch. Es lag auf der eingetrockneten Brust des Leichnams, dessen dürre Hände es umklammerten.
Zitternd vor Aufregung riss ich den Schatz an mich und suchte schnellstens aus der Pyramide zu entkommen. Die Mumie ließ ich in ihrem dunklen und stillen Grabe, auf dass sie dort den jüngsten Tag der Auferstehung und des Gerichts erwarten möge. „
„Sohn des Abu Ayub“, rief Aben Habuz, „du hast viele Länder gesehen und wunderbare Dinge beobachtet; doch wozu nützt mir das Geheimnis der Pyramide und das gelehrte Buch des weisen Salomo?“
„Wohl kann es dir nützen, mein König! Genau studierte ich den Inhalt dieses Buches des Wissens, so dass ich heute in allen magischen Künsten unterrichtet bin und über Geister gebiete, die meine Pläne und mein Wollen fördern und ausführen. Mir ist das Geheimnis des Wunders von Borsa bekannt, und ich kann dir einen Talisman von größeren Wunderkräften bauen als der Widder und der Hahn zu Borsa es waren, die jener Priester einst schuf.“
„Kluger Sohn des Abu Ayub“, sprach Aben Habuz, „solcher Talisman wäre besser als alle Wachtürme auf den Bergen und alle Wächter und Krieger an den Grenzen. Gib mir diesen Schutz, und alle Reichtümer meiner Schatzkammern sollen dir zur Verfügung stehen. „
Der Astrologe ging sofort an die Arbeit, um den Wunsch des Königs zu verwirklichen. Er ließ auf dem höchstgelegenen Teil des Palastes, der sich auf der Kuppe des Albaicin erhob, einen mächtigen Turm errichten. Als Baumaterial verwendete er quaderähnliche Steine, die vor Zeiten in Ägypten behauen wurden und, wie man sagt, von einer der ältesten Pyramiden stammen sollen. Im obersten Teil des Turmes war ein runder Saal, dessen Fenster nach allen Himmelsrichtungen hin ins Freie zeigten. Vor jedem Fenster befand sich ein Tisch mit einer schön gearbeiteten Platte, worauf, wie auf einem Schachbrett ausgerichtet, viele kleine aus Holz geschnitzte Figuren standen; ein symbolisches Heer von Reitern und Kriegern zu Fuß und auf Streitwagen, angeführt von demjenigen Fürsten, der in der jeweiligen Richtung Habuz‘ Nachbar war.
Auf jedem dieser sinnbildlichen Schlachtfelder lag auch eine kleine lanzenförmige Nadel, die bestimmte chaldäische Schriftzeichen trug. Der beschriebene Saal wurde immer verschlossen gehalten; die Türen waren aus Bronze und die Schlösser aus hartem Eisen. Die Schlüssel trug der König ständig bei sich.
Auf der Spitze des Turmes stand, auf einem Zapfen drehbar, die Bronzestatue eines maurischen Reiters. Den festen Schild im starken Arm, die Lanze gesenkt, so schaute der eherne Maure auf seine Stadt hinab, als wache er über ‚,sie. Wenn aber irgendein Feind den Grenzen der Heimat nahe kam, dann drehte sich der Ritter in diese Richtung und legte die Lanze wie zum Kampf ein.
Als das Wunderwerk fertig war, wurde der König ganz ungeduldig. Er wollte sobald wie möglich seine geheime Kraft ausprobieren, er wünschte nun sehnsüchtiger einen feindlichen Überfall herbei, als er je in früheren Jahren nach Ruhe geseufzt hatte. Und bald sollte sein Wunsch ,sich erfüllen.
Eines Morgens zu sehr früher Stunde brachte der den Turm bewachende Posten die Nachricht, dass der Reiter auf dem Giebel nach der Sierra Elvira schaue und die Lanzenspitze nach dem Paso de Lope weise.
„Lasst mit Trommeln und Trompeten zu den Waffen rufen und ganz Granada alarmieren“, befahl mit lauter Stimme König Aben Habuz.
„0 edler König“, sagte der Astrologe, „beunruhige nicht die guten Bürger deiner Stadt, nicht all die Krieger in ihren Quartieren, denn wir können ihre Waffenhilfe entbehren. ‚Entlasse deine Begleiter. Ganz allein wollen wir zu dem geheimen Saal auf dem Turm gehen.“
Der greise Aben Habuz stieg langsam die steile Turmtreppe hinauf. Er stützte sich auf den Arm des fast zwei hundertjährigen Ibrahim Abu Ayub. Sie schlossen die Tür auf, diese knarrte laut in den Angeln, und beide traten in die helle Halle.
Das Fenster in der Richtung nach dem Paso de Lope stand offen.
„In dieser Gegend steht der Feind; von dort droht Gefahr“, sagte Ibrahim und wies zu dem weit geöffneten Fenster. „Tritt heran, o König, und betrachte das Geheimnis, das sich dir auf der Tischplatte zeigt. „
Der König Aben Habuz näherte sich dem scheinbaren Schachbrett, auf dem, wie er wusste, die kleinen hölzernen Figuren aufgestellt waren. Interessiert betrachtete er die Truppen und schaute fragend zum Astrologen. Dieser wies stumm lächelnd auf den Tisch, und da bemerkte der König mit Erstaunen, dass sich die ganze Formation bewegte dass die kleinen Figürchen zu leben schienen. Die Streitrosse bäumten sich auf, trippelten und galoppierten; die Krieger schwangen ihre Waffen, und man hörte den klaren Klang von Trommelwirbeln, Trompetenstößen, das Klirren von Schwertern und Lanzen, Kommandorufe und das Wiehern der Pferde. Doch alles tönte leise, nicht lauter, noch deutlicher als das Brummen der Hummeln und das Summen der Fliegen im Ohr des schläfrigen Wanderers, der an einem heißen Mittag im Schatten eines Baumes ausruht.
„Siehe, o König“, sagte der alte Magier, „hier hast du den Beweis, dass deine Feinde dich mit Krieg überziehen wollen. Sie rücken über das Gebirge vor und werden durch die Engpässe von Lope in die Ebene vorstoßen. Willst du Schrecken unter sie bringen, sie zu einem raschen Rückzug ohne Verluste von Menschenleben zwingen, dann schlage die Figuren auf dem Tisch mit dem stumpfen Ende, mit dem Knopf der magischen Lanze. Willst du aber ein Gemetzel unter ihnen anrichten, sollen sich deine Feinde selbst zerfleischen, dann berühre die hölzernen Krieger mit der feinen Spitze des kleinen Speers. „
Ein dunkler Schatten flog über das Antlitz des friedliebenden Monarchen;, hastig fasste er nach der zauberkräftigen Waffe und trat an den Tisch. Der weiße Patriarchenbart zitterte im ehrwürdigen Gesicht des Herrschers über das granadinische Volk, als er leise zwischen seinen Zahnlücken hervorzischte: „Sohn des Abu Ayub ich denke, da wird ein wenig Blut vonnöten sein. „
Wie gesagt, so getan! Der König stieß die Zauberlanze in einige der sich bewegenden Zwerggestalten und bearbeitete gleich darauf wieder andere mit deren stumpfem Ende. Welch Wunder! Die einen fielen wie tot auf den Boden, und die übrigen begannen untereinander zu streiten und erschlugen sich in einem mörderischen Handgemenge.
Es kostete den Astrologen viel Mühe, der Hand des friedlichsten und besten aller Monarchen Einhalt zu gebieten, um ihn von einer völligen Vernichtung seiner Feinde abzuhalten. Doch schließlich gelang es ihm, den König zu beruhigen und ihn zu veranlassen, vom Turm herabzusteigen und Kundschafter durch den Engpass von Lope zu senden.
Diese kehrten mit der Nachricht zurück, ein starkes christliches Heer sei durch das Herz der Sierra bis auf Sichtweite von Granada vorgedrungen; doch plötzlich, ohne erkennbaren Grund, wäre unter den Kriegern und den sie anführenden Fürsten ein Streit ausgebrochen, und nach einem mörderischen Kampf aller gegen alle habe sich die Invasionsarmee in Auflösung über die Grenzen in ihre Heimat zurückgezogen.
Aben Habuz war außer sich vor Freude, als er die Wirksamkeit und die magische Kraft des Talismans auf solche Art bestätigt fand.
„Endlich“, sagte er, „werde ich ein ruhiges Leben führen, denn alle meine Feinde können mir nichts mehr anhaben; ich habe sie nunmehr gänzlich in meiner Gewalt. Oh, weiser Sohn des großen Abu Ayub, was soll ich dir zum Lohn für dieses so segensreiche Kunstwerk schenken?“
„Gering und einfach sind, mein König, die Bedürfnisse eines alten Mannes und Philosophen; stelle mir die Mittel zur Verfügung, meine Höhle und Klause in eine wohnliche Einsiedelei zu verwandeln, dann bin ich völlig zufrieden.“
„Wie edel ist doch die Mäßigung des wahrhaft Weisen!“ rief Aben Habuz aus, herzlich froh, dass er so billig davongekommen war. Umgehend berief er seinen Schatzmeister und befahl ihm, alle jene Gelder flüssig zu machen, die Ibrahim zur Vollendung und Ausstattung seiner Klause erbeten hatte.
Der Astrologe ließ nun von geübten Steinmetzen verschiedene Räume aus dem Felsen heraushauen; es entstand so nach künstlerischen, von ihm selbst ausgearbeiteten Entwürfen, eine Zimmerflucht, die er mit der bereits bestehenden astronomischen Halle verband. Die Wände wurden mit schweren Seidenstoffen aus Damaskus verkleidet, Diwane und schwellende Ottomanen luden zu Ruhe und Meditation, zu sinnenden Betrachtungen und philosophischem Denken ein.
„Ich bin ein alter Mann“, sagte Ayub, „und kann mit meinen brüchigen Knochen nicht mehr auf steinernen Lagern ruhen, wie auch diese feuchten Zellenwände im lebenden Fels einer Verkleidung bedürfen, denn unästhetisch wären doch für Künstleraugen wassertriefende Mauern.“
Auch befahl er Bäder einzurichten und versah diese dann mit aller Art von Wohlgerüchen und aromatischen Ölen.
„Ein Bad“, meinte er, „ist notwendig, um der Steifheit des Alters entgegenzuwirken und dem durch das Studium eingeschrumpften Körper wieder Frische und Geschmeidigkeit zu geben. „
Dann ließ er die Zimmer und Säle mit unzähligen und herrlichen Lampen und Ampeln aus Silber und Kristall schmücken, die ihrerseits mit einem wohlriechenden Öl gefüllt wurden, das nach einem von ihm in den Gräbern Ägyptens entdeckten Rezept hergestellt wurde. Das Öl verzehrte sich nie und strömte einen sanften Schein aus, gleich der Sonne in den frühen Morgenstunden.
„Das Tageslicht“, sagte Ibrahim den königlichen Mitarbeitern, „ist zu grell für das Auge eines alten Mannes, und viel angemessener finde ich den ruhigen Schein der Lampen, denn er fördert die geistige Sammlung und die Studien eines Philosophen.“
Der Schatzmeister des Königs Aben Habuz stöhnte und seufzte über die Menge Geldes, die er täglich zur Ausstattung der Einsiedelei hergeben und der Staatskasse entnehmen musste. Bald trug er eine diesbezügliche Klage seinem Herrn vor. Aber Aben Habuz hatte sein Wort verpfändet, und das einmal gegebene Versprechen musste gehalten werden. Mit den Schultern zuckend, antwortete der König dem vor ihm stehenden Hofmarschall:
„Wir müssen Geduld haben. Der Alte baut sich sein Philosophenheim nach Plänen und Vorstellungen, die auf seine Besuche und Studien in Pyramiden und auf ägyptischen Trümmerfeldern, in Tempeln und Pharaonenpalästen zurückzuführen sind. Aber alles hat ja einmal sein Ende, so bestimmt auch die Einrichtung dieser Astrologenhöhle.“
Und der König hatte recht; die Klause war endlich fertig und bildete einen prachtvollen, unterirdischen Märchenpalast.
„Ich bin nun zufrieden“, sagte der anspruchslose Ibrahim Ibn Abu Ayub zu dem Schatzmeister, „ich ziehe mich in meine Zelle zurück und widme von nun an die Zeit dem Studium und der philosophischen Meditation. Ich brauche nichts mehr, gar nichts, außer einen ganz unbedeutenden Zeitvertreib, um mich in den Arbeitspausen unterhalten und nach Stunden ernsten Denkens geistig entspannen zu können. „
„Nun, Ibrahim, verlange was du willst. Alles soll beschafft werden, wonach es dir in deiner Einsamkeit gelüstet.“
„Dann möchte ich noch eine Anzahl von Tänzerinnen haben“, sagte ernst der einsiedlerische Philosoph.
„Tänzerinnen?“ fragte der erstaunte Schatzmeister.
„Ja, Tänzerinnen“, erwiderte überlegt der Weise. „Es brauchen nicht viele zu sein, denn ich bin ein alter Mann, ein Philosoph von einfachen Gewohnheiten und leicht zufrieden zu stellen. Die ausgewählten Mädchen müssen jedoch jung und schön sein, weil ja nur Jugend und Schönheit das Herz eines alten Mannes höher schlagen lässt und seinen Kennerblick erfreut.“
Während nun der Philosoph Ibrahim Ibn Abu Ayub seine Zeit so weise und zurückgezogen in der Klause hinbrachte, führte der friedfertige Aben Habuz im Turmzimmer hinter fest verschlossenen Türen wütende Scheinkriege. Es war höchst rühmlich für einen alten Mann von ruhigen Sitten, wie er, sich das Kriegshandwerk so leicht als möglich zu machen und von seinem Zimmer aus sich damit zu unterhalten, ganze Heere wie Fliegenschwärme verjagte.
Eine Zeitlang schwelgte er in der Befriedigung seiner Launen und reizte, verspottete und beleidigte sogar seine Nachbarn, um sie zu Überfällen in sein Land zu verleiten. Aber allmählich beeindruckte sie doch ihre militärische Machtlosigkeit dem Granadiner gegenüber, und als Folge der wiederholten Niederlagen wagte endlich niemand mehr, dessen Gebiet in feindlicher Absicht zu betreten.
Viele Monde blieb der eherne Reiter auf der Turmspitze in Friedensstellung und schaute zufrieden auf das schöne Granada herab. Der würdige Monarch wurde ob der Eintönigkeit des Lebens schon ganz verdrießlich, und er empfand das Fehlen des gewohnten Zeitvertreibs wirklich äußerst schmerzlich.
Da, eines Tages drehte sich der Reiter plötzlich herum, senkte sofort seinen langen Speer zum Angriff und deutete beharrlich hinauf auf die Berge von Guadix. Aben Habuz eilte umgehend auf den Turm, lief zum offenen Fenster, aber der magische Tisch davor blieb ruhig; kein einziger Krieger war in Bewegung, unbelebt blieben die Zwergfiguren. Von diesem Umstand etwas verwirrt, schickte er sogleich einen Trupp Reiter los und befahl ihnen, das ganze Gebirge zu durchstreifen und zu durchforschen. Nach dreitägiger Abwesenheit kamen sie endlich zurück und meldeten ihrem obersten Kriegsherrn: „Wir haben den Engpass durchsucht, jeden Berg und jeden Wald durchstöbert“, berichteten sie, „aber wir fanden nichts, weder Helm noch Speer ward sichtbar. Alles, was uns in die Hände fiel, ist ein christliches Mädchen von außerordentlicher Schönheit, das wir um Mittag neben einem Brunnen im Schatten grüner Ölbäume schlafend antrafen, und das wir dir nun als Gefangene mitbringen. „
„Ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit!“ rief Aben Habuz mit zitternder Stimme und vor Erregung funkelnden Augen. „Man führe es hierher vor meinen Diwan!“
Die schöne Unbekannte wurde vor den König geleitet. Sie war in all die reiche Pracht gekleidet, die zur Zeit der arabischen Eroberung bei der hispano-gotischen Bevölkerung Iberiens Sitte war. In ihren schwarzen Zöpfen trug sie Perlen von blendend funkelndem Weiß; kostbares Geschmeide glitzerte auf Stirn und Nacken und wetteiferten mit dem Glanz ihrer herrlichen Augen. Über die Schultern hing eine goldene Kette; sie reichte ihr bis zur Hüfte und hielt eine fein geschwungene, silberne Leier.

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