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Die List der Frauen

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In einer Stadt wohnte ein sehr vornehmer Grosskaufmann. Derselbe war sehr vermögend; jedoch hatte er keine Kinder. Er betete jeden Tag zu Gott, dass er ihm ein Kind schenken möge. Da gab ihm Gott einen Sohn und er fand, dass ihm von Gott dem Allmächtigen eine grosse Gnade erwiesen worden, die sein Vermögen, das er besass, übertraf.
Als 28 Tage verstrichen waren, bereitete er alles zu einem sehr grossen Fest vor, liess die Geburtsgeschichte des Propheten lesen und die Freudentrommeln rühren. Er zog das Kind mit vieler Liebe gross, liess ihm silberne und goldene Schmuckgegenstände machen und gab ihm Perlen und Diamanten und erfreute es mit mancherlei Freuden. Aber trotz aller Vergnügungen, die er seinem Kinde bereitete, glaubte er, es genüge noch nicht.
Als das Kind sieben Jahr alt wurde, fand die Beschneidung bei grossem Festgelage statt; alles, was die Leute ergötzen konnte, wurde angeordnet. Dann kaufte er ihm ein Pferd mit vergoldetem Sattel und goldenem Halfter und lehrte es reiten. Darauf schickte er es zur Schule, damit es lerne, und es lernte, bis es die Schule verlassen konnte.
So lebte das Kind bis zu seinem vierzehnten Jahre, da warb sein Vater ihm eine Frau bei einem seiner Freunde, einem Kaufmann, und man war eifrig bemüht, das Hochzeitsfest für ihn herzurichten mit allem, was nur gut war an goldenen Schmuckgegenständen und Perlen, an seidenen Kleidern und solchen von Brokat.
Bei den Suaheli ist es nun Sitte, sechs Tage lang die Trommeln zu schlagen, erst am siebenten Tage betritt der Bräutigam das Haus. Am sechsten Tage gürtete jener junge Mann seinen goldenen Dolch und einen Säbel, mit Gold und Diamanten besetzt, um und stellte sich an der Thür ihres Hauses nach aussen hin auf. Die Angelegenheiten der Frauen waren ihm bis dahin unbekannt geblieben. Da kam eine alte Frau vorbei, wohl achtzig Jahre alt, und sie fragte: »Ich sehe jenen Jüngling dort, welcher sich sehr geschmückt hat, was ist mit ihm?« Die dabei stehenden Leute antworteten ihr: »Jener Jüngling hat geheiratet, er will morgen in’s Haus einziehen.« Da sprach die Alte: »Der arme junge Mann!« Der Jüngling hatte die Worte der Alten gehört und sie waren ihm zu Herzen gegangen. Er sagte sich: »Vielleicht ist diese Hochzeit ein schlechtes Vorhaben, wenn es gut wäre, würde die Alte mich nicht so traurig gestimmt haben«; und es stiegen böse Gedanken in ihm auf. So ging er seines Weges bis zum Strande, und, als er ein Fahrzeug sah, das eben absegeln wollte, schiffte er sich schnell ein, um seinen Eltern und der Hochzeit aus dem Wege zu gehen, und zwar jener Worte wegen, welche die alte Frau gesprochen hatte.
So reiste der Jüngling ab und kam in ein anderes Land. Dort traf er mit einem Manne zusammen, der ein Aufseher seines Vaters gewesen war. Als dieser ihn sah, fragte er ihn: »Bist Du nicht der Sohn des Soundso?« Er antwortete: »Der bin ich.« Jener fragte weiter: »Welches Unglück hat Dich von Hause vertrieben, dass Du hierher gekommen bist? Wolltest Du es so, mein Sohn, trotz des Reichtums, der in Eurem Hause ist?« Er antwortete: »Mein Vater hatte mir eine Frau gesucht und die Hochzeit vorbereitet, man wollte in’s Haus eintreten und ich hatte mich mit reichen Kleidern und kostbaren Waffen geschmückt, da kam eine alte Frau von achtzig Jahren vorüber; als sie mich sah, so wie ich aussah, wunderte sie sich, dass ich geschmückt war, und fragte: ›Was hat jener Jüngling, der sich so geschmückt hat?‹ Man antwortete ihr: ›Er hat eine Braut bekommen und will jetzt in’s Haus einziehen.‹ Darauf sagte die Alte: ›Der arme Jüngling!‹ Ich hörte die Worte derselben, bekam Furcht und böse Gedanken stiegen in mir auf, so dass ich glaubte, diese Hochzeit könne vielleicht etwas Schlimmes für mich bedeuten. Hätte sie zu etwas Gutem geführt, so würde mich diese Alte nicht so betrübt haben. Plötzlich raffte ich mich auf, lief davon und fand am Strande ein Schiff; ich bestieg dasselbe und fuhr, bis ich hierher kam und in diese Stadt gelangte.«
Jener, welcher Aufseher seines Vaters gewesen war, sprach zu ihm: »Komm zu mir nach Hause und wohne daselbst.« Er führte ihn in sein Haus und sagte zu seiner Frau: »Ziehe Du aus dem ersten Stockwerk aus, damit wir es diesem hier geben, komme Du in ein Zimmer nach unten, denn dieser Fremde hier ist von sehr vornehmer Herkunft. Den Grundstock meines Vermögens, das ich jetzt besitze, habe ich von seinem Vater, ich will ihm daher viel Ehre erweisen, um die Güte zu vergelten.« Die Frau kam herunter und blieb unten wohnen und der Hausherr sagte zu dem jungen Manne: »Gehe hinauf und richte Dich dort ein; kommt jemand zu Dir, um Dich zu besuchen, so gieb ihm Kaffee und süsse Speise.« Der Jüngling erwiderte: »Ich bin nicht hergekommen, um Dir Dein Vermögen zu vergeuden, ich bin nur hierher gekommen, um mich hier zu ergehen.« Sein Hausherr, der frühere Aufseher, dachte aber bei sich: »Welche List werde ich wohl anwenden müssen, um diesen jungen Menschen wieder seinem Vater zurückzuführen und die böse Gedanken, die er hat, ihm auszutreiben?«
Da suchte er eine alte Frau auf, die wohl neunzig Jahre alt war, und erzählte ihr alles, was jenem jungen Manne widerfahren war, wie er aus seiner Heimat, von seinen Eltern und seiner Braut geflohen war. Der Hausherr sprach zu jener uralten Frau: »Strenge alle Künste an, bis Du ihm die bösen Gedanken und die Furcht genommen hast und er nach Hause zurückkehren will, dann werde ich Dir tausend Denaren geben.« Die Alte erwiderte: »Sei unbesorgt, das ist etwas Leichtes, sei nicht ängstlich; aber wo ist jener Jüngling?« Er antwortete: »Er ist bei mir zu Hause.« »Gut«, erwiderte sie, »so werde ich morgen zu Dir kommen, aber sei Du nicht zugegen, ich möchte Deinen Fremden allein antreffen.«
Am nächsten Tage ging die Alte hin und traf den fremden Jüngling an, welcher seiner Braut entlaufen war. Und sie sprach zu ihm: »Du junger Mann, wo kommst Du her? Ich habe Dich in dieser Stadt noch nicht gesehen, auch nicht einziges Mal.« Und sie sah, dass der Jüngling von edler Herkunft war. Er antwortete der Alten: »Ich stamme aus der und der Stadt.« Die Alte erwiderte: »So sage mir die Wahrheit, was ist es, das Dich in diese Stadt geführt hat? Wenn Du des Handels wegen gekommen bist, um zu verkaufen, so sage es mir, ich werde meine Leute veranlassen zu kaufen; wenn Du Geld mitgebracht hast, um Sachen einzukaufen, so werde ich Dir alles besorgen, was Du willst; wenn Du etwas verloren hast, so sage es mir, ich werde Dir Auskunft geben; wenn Du hierher gekommen bist, um einen Zauberer zu suchen, sage es mir, ich werde ihn Dir zuführen; und wenn Du wegen irgend einer andern Angelegenheit Dich in schwieriger Lage befindest, so sage es mir, ich werde alles für Dich thun.«
Darauf fragte der Jüngling die Alte: »Weshalb fragst Du mich nach allem diesem?« Die Alte antwortete: »Ich bin hier in dieser Stadt die Älteste, jedermann, der ein Anliegen hat, kommt zu mir, ich sorge für alles. Ich verlasse Dich nicht eher, bis Du mir sagst, was Du auf dem Herzen hast; ich gehe nicht eher weg.«
Genug – der Jüngling erzählte ihr alsbald seine ganze Angelegenheit und er sprach: »Ich bin das Kind eines sehr reichen Kaufmannes. Mein Vater liebte mich sehr und warb mir eine Frau. An dem Tage, an dem ich in das Haus einziehen sollte, hatte ich meine besten Kleider angelegt, meine Waffen umgegürtet und mich geschmückt. Da kam eine alte Frau vorüber, die so alt wie Du wohl war, und als sie mich in diesem Aufzuge sah, fragte sie: ›Was hat jener junge Mann, der sich so geschmückt hat?‹ Man sagte ihr: ›Das ist ein Bräutigam, heute wird er in’s Haus eintreten.‹ Da sagte sie: ›Der Arme, ich bedauere ihn!‹ Als sie dies sagte, hörte ich es selbst und erschrak und fürchtete mich; auch war ich erstaunt darüber, dass eine Hochzeit etwas Böses bringen könne, aber sie hatte jene Worte gesagt; genug – ich lief weg, ging herunter zum Strande, schiffte mich ein und landete in dieser Stadt, wo ich mit diesem Manne zusammentraf, den ich von früher her kenne, da er der Aufseher meines Vaters war. Als er mich sah, nahm er mich in seinem Hause auf.«
Da sprach die Alte: »Also das ist’s, was Dir zu schaffen macht, das ist eine Kleinigkeit, überlass das nur mir, ich werde Dir Thüren zeigen, in die Du hereintreten – und auch wieder heraustreten kannst.« Alsdann stand die Alte auf und begab sich zur Frau des Sultans und sprach: »Du, Frau des Sultans, hast Du noch nicht erfahren, dass die Stadt etwas Kostbares birgt? Hast Du davon noch nichts gehört? Es ist ein sehr schöner Jüngling angekommen, so wie er ist kein anderer auf der Welt zu finden.« Des Sultans Frau sprach zu ihr: »Du hast mir böse Gedanken beigebracht; wie wirst Du es nun machen, um mir diesen Jüngling zuzuführen, damit sich meine Seele beruhige?« Die Alte sprach zu ihr: »Sei unbesorgt, ich werde Dir den Jüngling in Dein Haus bringen.«
Die Alte kam zurück zu dem jungen Fremden, der seiner Braut weggelaufen war, und sprach zu ihm: »Wirst Du auf meine Worte hören, die ich Dir sagen werde, oder warst Du mir widersprechen?« Der Jungling erwiderte ihr: »Ich kann mich Dir nicht widersetzen, was Du mir sagst, werde ich befolgen; sogar wenn Du mir sagen würdest, ›lass uns in den Fluss gehen‹, so würde ich hineingehen.« Da sprach die Alte zu ihm: »Deine ganze Angelegenheit habe ich der Frau des Sultans schon mitgeteilt. Sie sagt: ›Er muss kommen.‹ Ich muss Dich daher in das Haus bringen.« Er erwiderte ihr: »Wie willst Du mich in’s Haus des Sultans bringen, das von Soldaten bewacht ist? Willst Du, dass ich getötet werde?« Die Alte antwortete ihm: »Fürchte Dich nicht, ich habe die Erlaubnis in das Haus des Sultans zu gehen, ganz gleich was ich dort machen will, es ist niemand, der mich daran hindert; und wenn ich eingetreten bin, ist niemand da, der mich fragen wird.« Dann sprach sie weiter: »Verlass morgen die Halle hier nicht, ich werde mit einem Teller kommen, um bei Deinem Hausherrn halua abwiegen zu lassen. Ist das geschehen und Du siehst, dass ich den Teller mit halua gefasst habe, um ihn wegzutragen, so springe auf, nimm den Teller aus meinen Händen und trage Du ihn; wenn Dein Hausherr Dich davon abhalten will, so gieb auf keinen Fall nach, trage Du jenen Teller mit halua.«
Genug – am nächsten Tage kam die Alte, um halua zu holen. Als es abgewogen war, sprang der Jüngling herbei und ergriff den Teller mit halua, um ihn zu tragen; der Hausherr willigte jedoch nicht ein, sondern sprach: »Lass mich ihn tragen, Du bist fremd, Du weisst nicht wohin.« Der Jüngling sträubte sich aber und so stritten sie beide um den Teller, bis sie ihn zerbrachen. Da rief die Alte: »Zahlt mir meinen Teller, den Ihr zerbrochen habt und für anderes halua zahle ich kein Geld mehr.« Der Hausherr stand auf, ging hin und holte einen ähnlichen Teller und mass ihr für das verschüttete anderes halua zu.
Jener junge Fremde aber stand auf und nahm den Teller, um an der Vereinbarung festzuhalten, welche er mit der Alten getroffen hatte. Sie ging voraus und er folgte ihr, bis sie beim Hause des Sultans anlangten. So wie sie einander gefolgt waren, die Alte voraus, er hinterher, traten sie ein, um nach oben zu gehen.
Gut – jene Soldaten, die an der Thüre standen, sprachen unter sich: »Warum kommt heute diese Alte mit einem jungen Menschen hier herein, es ist doch sonst nicht ihre Gewohnheit? Ist es nicht besser, wir hindern sie einzutreten? Denn es ist zu befürchten, der Sultan lässt uns fesseln und schlagen.« Schliesslich hielten sie es jedoch für besser, die Alte passieren zu lassen, wie es ihr beliebte, denn sonst könnte sie zum Sultan hingehen sie verleumden und sie hätten alsdann ohne Verschulden Strafe zu erwarten.
So liessen sie sie gehen und die Alte trat mit dem Jüngling ein und begab sich zur Frau des Sultans. Er blieb da stehen, wo man die Schuhe abzulegen pflegt, wie ein Sklavenjunge; und jene Sklavinnen und die übrigen jungen Sklaven, welche im Hause waren, hielten ihn für einen Georjia-Sklaven des Sultans, welcher seinem Herrin halua brächte.
Als die Frau des Sultans jenes Jünglings ansichtig wurde, war sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig; sie liebte ihn ausserordentlich wegen seiner Schönheit die Gott ihm gegeben hatte. Sein Gesicht war rund, der Hals schlank wie Bambus, die Augen gross wie eine Tasse, die Nase schmal wie ein Schwert, die Hände weiss wie das Holz des pino-Baumes, der Körper ebenmässig rund und die Zähne wie Elfenbein.
Genug – die Frau des Sultans sprach zu der Alten: »Nimm diesen Jüngling jetzt mit, bis Du den Gebetsrufer die Gläubigen zum Gebet rufen hörst, dann komme wieder mit ihm.« Die Alte stieg alsbald mit dem Jüngling zusammen herunter. Alsdann rieb die Frau des Sultans ihren Körper mit Wohlgerüchen ein, schmückte sich und zog schöne Kleider an mit allerlei Wohlgerüchen, um den jungen Fremden zu erfreuen.
Als die Gebetsstunde nahte, ging die Alte zu dem Jüngling und sprach zu ihm: »Mache schnell, wir wollen gehen!« Er folgte ihr bis zur Frau des Sultans, Diese sagte zu ihm: »Verstecke Dich hier und warte.«
Plötzlich kam der Sultan und als er seine Frau sah, freute er sich und dachte bei sich, »diesen Schmuck, den meine Frau heute angelegt hat, trägt sie meinetwegen«; dann ging er zum Gebet. Nach dem Gebet begab er sich in die Gerichtshalle, jedoch hielt er heute kein Gericht ab, aus Liebe zu seiner Frau, so dass die Leute, welche sich in der Halle versammelt hatten, erstaunt waren und einander fragten: »Was hat der Sultan heute nur!«
Als der Sultan in sein Haus eintrat und an ihrer Thüre erschien, sah er, wie seine Frau sich nach dem Herzen griff und laut schrie und weinte: »Ich sterbe heute!« Der Sultan dachte bei sich, »was hat meine Frau nur! Heute hat sie sich geschmückt, ich habe die Gerichtssitzung absichtlich früher abgebrochen, um zu ihr zu kommen, und jetzt finde ich sie so!« Dann fragte er seine Frau: »Was fehlt Dir, meine Frau?« Sie sprach: »Mein Herz thut mir weh!« Er fragte: »Seit wann hast Du denn dieses Herzleiden?« Sie erwiderte: »Seit meiner Kindheit.« »Was hast Du denn früher für ein Mittel gebraucht, wenn Dich das Herzweh befiel?« Sie entgegnete ihm: »Wenn mich mein Herz schmerzte, habe ich mich ruhig verhalten und nicht gesprochen.« »So werde ich Dich allein lassen«, erwiderte der Sultan, »und so Gott will, wirst Du morgen wieder gesund sein.« Sie wünschte ihm »lebe wohl« und sprach: »So Gott will, geht es meinem Herzen morgen wieder, besser.« Der Sultan verliess sie und sie begab sich zu jenem Jüngling und unterhielt sich mit ihm.
Am nächsten Tage beim Morgengrauen kam die Alte, um den Jüngling abzuholen. Sie nahm ihn und brachte ihn zum Hause seines Hausherrn und sprach zu ihm: »Bleibe hier, ich werde morgen kommen, um mich nach Dir umzusehen.« Er antwortete ihr: »Warte, ich werde Dir erst alles erzählen, was die Frau des Sultans gesagt hat.« Die Alte setzte sich und er berichtete ihr alle listigen Schliche, welche die Frau des Sultans gemacht hatte. Als er seine Erzählung beendet hatte, sprach die Alte zu ihm: »Beruhige Dich nur, Du wirst noch andere Dinge erleben, lebe wohl jetzt, ich gehe fort, morgen werde ich wiederkommen.« Sie begab sich nun zur Frau des Veziers und erzählte ihr alles, was des Sultans Frau gemacht hatte, und war des Lobes voll über die Schönheit des Jünglings. Da erfasste die Frau des Veziers ein noch grösseres Verlangen, den Jüngling zu sehen, als die Frau des Sultans und sie sprach zu der Alten: »Bringe den Jüngling zu mir, damit ich ihn sehe.«
Am folgenden Tage begab sich die Alte zu dem jungen Manne, jedoch ging sie nicht bis an’s Haus, sondern hielt sich weit ab und winkte von ferne. Der Jüngling sass in der Vorhalle, und als er seine Augen hob, da sah er, dass die Alte ihn rief. Er sprang schnell auf und lief ihr entgegen. Sie sagte ihm: »Morgen werde ich Dich gegen Abend abholen, die Frau des Veziers ruft Dich.«
Am nächsten Tage kam die Alte, um ihn zu holen, und er ging mit ihr bis zum Hause, wo die Frau des Veziers wohnte, und sie führte ihn nach oben. Vom frühen Morgen ab hatte die Frau des Veziers sich selbst und ihre Wohnung geschmückt, ebenso wie die Frau des Sultans es gethan hatte. Genug – sie nahm den jungen Mann und versteckte ihn im zweiten Stock.
Als der Vezier merkte, dass sich seine Frau so schmückte, freute er sich sehr und sagte: »Meine Frau schmückt sich meinetwegen so!« Er hatte keine Ahnung davon, dass seine Frau ihre eigenen Angelegenheiten hatte, die sie vollführen wollte. Als der Vezier den Kaffee beim Sultan genommen hatte, verabschiedete er sich schnell und begab sich nach seinem Hause.
Der Sultan dachte bei sich »was hat denn mein Vezier eigentlich? Heute ist er ganz von seiner Gewohnheit abgewichen. Jeden Tag, wenn die Gerichtssitzung aufgehoben ist, bleiben wir beide beisammen und unterhalten uns in Müsse, warum ist das heute nicht so? Was hat er?« Er rief jemand herein und sprach zu ihm: »Folge ihm und sieh wo er hingeht.« Dieser folgte dem Vezier und sah, dass er in sein Haus eintrat. Der Bote des Sultans kehrte zurück und brachte dem Sultan die Antwort: »Ich habe ihn nirgends eintreten sehen als in sein eignes Haus und die Thür desselben hat er verschlossen.«
Als der Vezier zu Hause anlangte, hörte er wie seine Frau laut schrie; und sie hielt sich einen Finger der Hand fest und weinte sehr. Da sprach der Vezier bei sich: »Was fehlt denn meiner Frau? Den ganzen Tag hat sie sich und das Haus geschmückt und ich habe die Sitzung absichtlich gekürzt, um mich zu erholen, und jetzt ist sie krank!« Erfragte sie: »Meine Frau, was fehlt Dir?« Sie antwortete: »Ich habe einen wehen Finger, der mich schmerzt.« Und sie weinte sehr und hielt den Finger mit der Hand zu.
Der Vezier fragte sie: »Seit wann schmerzt Dich der Finger?« Sie antwortete: »Schon von meiner Kindheit an, es kommt immer alle zwei Jahre und zwar ganz plötzlich.« Dann schrie sie wieder auf: »Ruft mir meine Eltern herbei, ich sterbe heute.« Da fragte er sie: »Giebt es denn kein Mittel?« Sie antwortete: »Das Blut muss heraus.« Dann ergriff sie ein Messer und schnitt sich so in den Finger, dass viel Blut kam. Zu ihrem Manne sagte sie nun: »Bitte, lass mich allein, denn ich sehe, ich könnte Dir Deine Kleider mit dem Blute meines Fingers besudeln; es ist besser, ich gehe nach oben und ruhe mich dort aus.« »So gehe denn, meine Frau«, sprach er, »und ruhe dort.« Sie ging heraus und begab sich zu jenem Jüngling.
Als der Morgen dämmerte, kam jene Alte, um den Jüngling abzuholen, und sie begleitete ihn bis zu seinem Hausherrn. Dann sagte er zu der Alten: »Setze Dich, ich möchte Dir die Geschichten von der Frau des Veziers erzählen, die sind grossartig.« Die Alte setzte sich und er erzählte.
Als er beendet hatte, sprach er: »Jetzt werde ich abreisen, in dieser Stadt kann ich nicht länger mehr bleiben, in der so grossartige Dinge passieren.« Die Alte erwiderte ihm: »Du willst so schnell schon abreisen und ich habe Dich noch nicht einmal zur Frau des Richters geführt? Heute werde ich noch hingehen, um sie zu fragen, und morgen werde ich kommen, um Dich zu holen.«
Die Alte begab sich zur Frau des Richters und erzählte ihr alles, was die Frau des Sultans und die des Veziers angegeben hatten, und sie pries die Schönheit des Jünglings. Da sprach die Frau des Richters zu ihr: »Ich bitte Dich, bringe mir diesen jungen Fremden, damit ich ihm alle Dinge zeigen kann, die geschehen.« Die Alte antwortete ihr: »Wann willst Du, dass ich ihn Dir zuführe?« Sie erwiderte: »Bringe ihn am Freitag um die neunte Stunde am Tage.«
Die Alte ging weg und begab sich zu dem Jüngling, um ihm diese Nachricht zu überbringen. Die Frau des Richters nahm zwei von ihren Sklaven und sagte ihnen: »Geht nach der Vorstadt Kiungani und grabt in meinem Landhause eine tiefe Grube, so dass ein Mann bequem darin stehen und sich überall frei bewegen kann; sprecht aber zu niemand davon, noch lasst Euch während des Grabens von jemand sehen; und wenn Ihr das Loch gegraben habt, muss es bis in die Ecke des Hauses nach inwendig reichen; wenn es fertig ist, deckt es mit indischen Matten und Teppichen zu, so dass niemand merkt, dass dort eine Grube ist.«
Die Sklaven gingen hin und thaten, wie ihnen befohlen worden war von ihrer Herrin. Dann sprach die Frau des Richters zu jener Alten: »Hole den jungen Mann am Freitag und bringe ihn ausserhalb der Stadt auf den Weg nach Kiungani, ich werde mit dem Wagen vorbeifahren und ihn mitnehmen.«
Zu ihrem Manne sagte die Frau des Richters: »Mein Mann, ich möchte morgen gern nach Kiungani fahren, um mich dort zu erholen, ich werde um die neunte Stunde aufbrechen, und wenn die Sitzung beim Sultan aufgehoben ist, besteige Dein Maultier und komme mir um die zehnte Stunde nach Kiungani nach.« Er erwiderte: »Gut, meine Frau, geh‘ Du um die neunte Stunde voraus, ich folge in der zehnten.«
Als die neunte Stunde schlug, bestieg die Frau des Richters ihren Wagen und fuhr hinaus. Unterwegs traf sie den Jüngling, der eine rote Weste trug. Sie öffnete den Wagen, nahm ihn zu sich herein und sie fuhren weiter bis Kiungani. Der Wagenlenker hatte ihn nicht gesehen, als er in den Wagen genommen wurde. Als sie in Kiungani ankamen, wickelte sie ihn in einen grossen schwarzen Schleier und stieg mit ihm aus dem Wagen, ohne dass er von irgend jemand gesehen worden wäre. Dann führte sie ihn herein und brachte ihn in den hinteren Raum und sprach zu ihm: »Setze Dich.«
Zu allen Sklaven, die im Hause anwesend waren, sprach die Frau des Richters alsdann: »Von allen Frauen und Männern hier in Kiungani mache sich ein jeder auf und gehe seiner Wege, wenn Ihr gerufen werdet, so kommt nicht, und Du, Kutscher, warte auf der grossen Landstrasse.«
Als die zehnte Stunde schlug, sah sie ihren Mann kommen; er kam schnell auf seinem Maultier dahergeritten. Da nahm sie den Jüngling, schlug den Teppich zurück und liess ihn in der Grube verschwinden. Der Richter rief laut nach einem Diener, der ihm das Maultier halten sollte, damit er absteigen könnte, jedoch war kein einziger Mensch zu finden. Schliesslich sprach die Frau zu ihrem Manne: »Steige allein herunter, es ist niemand hier!« So stieg er dann ab und band sein Maultier selbst an einen Pfosten des Hauses.
Dann setzten sie sich in die Vorhalle, um auszuruhen. In dem Obstgarten vor ihnen da waren Dattelbäume, die viele Früchte trugen. Genug – jene Frau sagte zu ihrem Manne: »Herr, ich möchte von jenen Datteln haben, wer wird sie mir herunterholen?« Er antwortete ihr: »Es ist sonst kein Mensch hier auf dem Landgut, ich werde Dir welche pflücken.«
Er stand auf und kletterte auf den Dattelbaum. Unterdessen ging seine Frau in’s Zimmer, öffnete alle Fenster und holte den Jüngling aus seinem Versteck hervor und sprach zu ihm: »Komme schnell zu mir hierher.« Er kroch hervor und setzte sich neben sie.
Als der Richter aber von dem Baume herab seine Frau mit jenem Jüngling zusammen sah, sagte er zu ihr: »Meine Frau, was machst Du da?« Sie antwortete: »Ich mache nichts.« Er erwiderte: »Ich sehe einen jungen Mann mit einer roten Weste bei Dir.« »Gott behüte, dem ist nicht so mit diesem Manne, hier sind nur ich und Du«, antwortete sie. Während der Richter vom Baume herabstieg, nahm die Frau schnell den jungen Mann und versteckte ihn in der Grube. Der Richter trat in den hinteren Raum ein und schaute sich um, konnte jedoch niemand entdecken.
Alsdann sprach die Frau zu ihrem Manne: »Lässt Du nicht ab von Deinem Unsinn und den bösen Gedanken? Ich möchte, dass Du mir heute noch von diesen Datteln zukommen liessest!« Der Richter kletterte zum zweitenmale auf den Dattelbaum. Da sah er wieder jenen jungen Mann mit der roten Weste. Er stieg schnell herab und sprach zu ihr: »Warum betrügst Du mich, Frau? Ich habe doch, als ich zum zweitenmale hinaufgestiegen war, gesehen, wie Du wie zuvor mit diesem Jüngling zusammen sassest!« Sie hatte den jungen Mann wieder versteckt und erwiderte: »O, mein Mann, lässt Du denn nicht ab von Deinen bösen Gedanken? Es ist niemand da, schaue nur selbst nach.« Er blickte überall hin, sah aber niemand. Darauf sagte die Frau zu ihm: »Setze Dich hier in die hintere Halle, ich werde selbst auf den Dattelbaum klettern.«
Der Richter setzte sich hin, und als seine Frau hinaufgeklettert war, sprach sie zu ihrem Manne: »Weisst Du was? Auch ich sehe Dich jetzt, wie Du mich gesehen hast, wie kommt das? Ich sehe diesen Jüngling, der eine rote Weste trägt, mit Dir zusammen.« Da sprach er: »Steige jetzt herab, meine Frau, von diesem Dattelbaum.« Als sie herabgestiegen war, trat sie in die Halle und sagte: »Warum sehe ich denn niemand hier?« Der Richter erwiderte seiner Frau: »Diese Sache ist sehr merkwürdig, vielleicht giebt es hier im Hause einen bösen Geist; jeder, der auf den Dattelbaum klettert, sieht dieses Wunder; warte, ich werde noch einmal hinaufklettern, um mich zu vergewissern.«
Er kletterte wieder auf den Dattelbaum. Als er hinaufkletterte, zog die Frau den jungen Mann aus seinem Versteck hervor und sprach zu ihm: »Schnell, komme aus Deinem Versteck heraus zu mir.« Der Richter blickte oben vom Baum herab nach unten und sah wieder wie das erste Mal seine Frau mit dem Jüngling mit der roten Weste zusammen.
Nunmehr schwand dem Richter jeder Zweifel; er wusste nun, dass wirklich dieses Haus einen bösen Geist barg. Er stieg mit einem Korb voll Datteln vom Baume herab und ging hin und ass sie mit seiner Frau. Dann nahm er Abschied von ihr, bestieg sein Maultier und ritt weg. Er ging voraus und nach einer Stunde brach auch sie auf, um zur Stadt zurückzukehren.
Als sie unterwegs an die Stelle gekommen war, wo sie den Jüngling aufgenommen hatte, setzte sie ihn wieder ab und übergab ihn jener Alten zum Pfände. Diese nahm sich ihres Pfandes an. Sie nahm ihn mit sich und brachte ihn nach Hause zu seinem Hausherrn, während die Frau des Richters nach Hause zurückfuhr.
Als der junge Mann und die Alte zu Hause ankamen, sagte er zu ihr: »Setze Dich, damit ich Dir erzähle, was die Frau des Richters angestellt hat.« Die Alte setzte sich und er erzählte ihr alles von Anfang bis zu Ende. Als er zu Ende war, ging er hinein und holte tausend Denaren, die er der Alten zur Belohnung gab, und sprach zu ihr: »Nimm dies als Belohnung für alles, was Du für mich gethan und mir gezeigt hast.« Dann nahm er Abschied von der Alten und sprach: »Lebe wohl, morgen werde ich abreisen und nach Hause zurückkehren.« Die Alte antwortete ihm: »Willst Du nicht noch länger bleiben, damit ich Dir Dinge zeige, die diese noch übertreffen?« Er erwiderte: »Ich möchte wohl, aber ich kann nicht mehr länger bleiben, gerade wegen dieser Sachen, die ich gesehen habe, – das genügt mir, es ist besser, ich ziehe meines Weges; zwischen mir und Dir soll Derartiges nicht mehr vorkommen, lebe wohl, ich reise ab.«
Dann nahm er Abschied von seinem Hausherrn, bei dem er zuerst angekommen und welcher der Aufseher seines Vaters gewesen war, und sagte zu ihm: »Morgen werde ich mir ein Schiff nehmen und zu meinem Vater zurückreisen.« »Das ist gut,« erwiderte ihm dieser, »grüsse mir Deine Eltern,« Er mietete sich ein Fahrzeug, schiffte sich sofort ein und fuhr nach seiner Heimat zurück.
Als bald nach seiner Abreise jene Alte zu dem Hausherrn des jungen Mannes, der die Alte zuerst aufgesucht hatte, kam, sprach er zu ihr: »Zu mir kam ein hübscher Jüngling, der von Hause weggelaufen war; er war seinem Vater und seiner Braut davongerannt,« ich sagte Dir, »sei vorsichtig und gieb Dir Mühe, dass der junge Mann wieder nach Hause zurückkehre«, denn er war der Sohn meines Freundes, dessen Wohlthaten ich genossen hatte; Du sagtest mir, »ich bin bereit, aber was giebst Du mir?« Ich erwiderte, »ich werde Dir tausend Denaren geben.« Da rief die Alte: »Wohlan, meine Arbeit ist beendigt, der junge Mann ist wieder abgereist, ich will haben, was mir zusteht, so wie wir es vereinbart haben.« Der Hausherr ging hinein, nahm tausend Denaren und gab sie ihr. Da sprach die Alte zu ihm: »Weisst Du, jener Jüngling hat mir dasselbe wie Du gegeben, nämlich auch tausend Denaren.«
Als der junge Mann in seiner Vaterstadt wieder ankam, wurde ein grosses Freudenfest für ihn veranstaltet; denn sein Vater hatte, als sein Sohn verschwunden und man nicht wusste, wo er hingegangen war, Begräbnisfeier und Trauer angesetzt, und nun bei der Rückkehr seines Sohnes da gab sein Vater einen grossen Teil seines Vermögens mit Freuden her und beschenkte die Armen und Bettler.
Genug sein Vater sagte eines Tages zu seinem Sohne: »Willst Du nunmehr in Dein Haus einziehen, und sollen wir Deine Hochzeit anberaumen?« Er antwortete seinem Vater und sagte: »Wenn Du willst, dass ich einen Hausstand gründe, so musst Du mir auf Maziwe ein Haus bauen, in dem ich allein wohnen kann, ich möchte nicht mit andern Leuten zusammen sein. Sofort sandte sein Vater Leute nach Maziwe hin, die in einem Zeitraum von einem Monat ein Haus aus Holz, mit Messingplatten gedeckt, bauten.«
Unterdessen schrieb der junge Mann alles nieder, was er bei der Frau des Sultans, bei der Frau des Veziers und derjenigen des Richters erlebt hatte, jedes Wort – die ganzen Geschichten, die ihm passiert waren, brachte er zu Papier.
Als das Haus, das sein Vater ihm auf dieser Insel bauen liess, fertig war, wurden Hausgeräte sowie Bettstellen aus Metall, herrliche Stühle, schöne Tische, grosse Spiegel, Decken, Polster und türkische Teppiche hineingethan. Dann machte sein Vater ein grosses Fest für ihn und lud alle Leute in der Stadt dazu ein. Seine Frau wurde gebracht und er betrat das Haus, um sieben Tage lang mit ihr allein zu sein. Jeden Tag kamen andere Leute, andere Familien, um mit ihnen zu feiern.
Darauf sprach der junge Mann zu seinem Vater: »In meinem Hause will ich keinen Sklaven, weder einen weiblichen noch männlichen, ich will mit meiner Frau ganz allein wohnen, sogar das Essen kocht mir dort bei Euch und sendet es mir zubereitet hin.« Sein Vater antwortete: »Es soll geschehen.« Zu einem seiner Sklaven sprach er dann: »Du bist der zuverlässigste bei mir, halte Dich bereit, lass Deine andere Arbeit liegen, Du hast keine andere Beschäftigung als Deinem Herrn das Essen zur Insel zu bringen.« Der Sklave antwortete: »Ich stehe zu Diensten, Herr.«
Sein Vater stellte ein Boot bereit und ordnete an, ihm Morgens Thee zu kochen, dazu die verschiedensten Speisen; um die dritte Stunde schickte er ihm allerlei Früchte, Mittags Reis und Nachmittags Getränke jeder Art. Nach dem Gebet um Sonnenuntergang erhielt er eine Schüssel mit Kuchen als Abendspeise.
So sah die junge Frau keinen andern Menschen als sich und ihren Mann. Nach Verlauf von drei Monaten kam die junge Frau, um sich von ihrem Manne zu verabschieden, und sprach: »Ich bitte um die Erlaubnis, meine Eltern besuchen zu dürfen, es ist schon eine lange Zeit verflossen, dass ich sie nicht gesehen habe.« Aber jedesmal, wenn sie von ihrem Manne die Erlaubnis erbat, gehen zu dürfen, antwortete er ihr: »Das habe ich alles früher niedergeschrieben.« Der junge Mann aber hatte jene Schrift, in der er die Geschichten von der Frau des Sultans und derjenigen des Veziers und des Richters niedergelegt hatte, unter dem Bett versteckt.
Eines Tages nun begab sich ihr Mann in seinem Boote zur Stadt, um seinen Vater zu besuchen. Die junge Frau deckte das Bett zurecht, und als sie den untern Teil aufhob, fand sie jene Papiere. Sie las dieselben und fand alles, was er über die Frau des Sultans und diejenigen des Veziers und des Richters geschrieben hatte. Nunmehr durchschaute die junge Frau die Sache – »das also ist der Grund, weshalb mein Mann jedesmal, wenn ich meine Eltern besuchen will, es mir abschlägt, das ist es also; aber schön, es macht nichts, davon weiss ich ihn zu heilen.«
Jeden Tag morgens begab sich ihr Mann zur Stadt. Als er eines Tages weg war, machte sich die junge Frau am Fenster zu schaffen und sah ein Boot mit einem Fischer darin, welcher fischte. Der Fischer hatte sein Boot ganz unterhalb des Hauses gebracht, um sich vor der Kühle des Meeres zu schützen. Jetzt hob er seinen Blick und schaute in die Höhe nach dem Hause hin und sah jene Frau ein wenig und verstohlen an. Darauf fragte die Frau den Fischer: »Was schaust Du hier oben nach dem Hause, was willst Du?« Der Fischer antwortete: »Da ist etwas Sehenswertes, aber ich fürchte mich, ich wage nicht, es zu sagen.« »Sprich nur«, erwiderte sie, »Du machst mich neugierig.« Er antwortete: »Ich möchte mit Dir zusammenkommen, bitte gieb mir die Erlaubnis, dass ich nach oben kommen darf.« Sie erwiderte: »Schämst Du Dich nicht? Lass Deine leichtfertigen Worte, Du wirst nicht hier nach oben kommen, wenn es mir selbst nicht in den Sinn kommt.« Da sprach der Fischer zu ihr: »Wenn Du wolltest, so wisse, wenn ich könnte, ich am liebsten zu Dir fliegen möchte, denn an Deinem Hause ist ein Schloss von aussen vorgelegt.« Da erwiderte sie: »Wenn Du hier nach oben kommen willst, um mit mir zu sprechen, so fange mir erst einige lebende Krabben, keine toten, und bringe sie mir, dann wirst Du mit mir sprechen dürfen.« Der Fischer antwortete ihr: »Das ist eine Kleinigkeit, morgen um diese Zeit wirst Du die Krabben bekommen.« Die junge Frau sagte ihm noch: »Wenn Du gerade die Krabben bringst, die ich wünsche, so wirst auch Du bekommen, was Du Dir wünschest.« Der Fischer machte sich auf den Weg, um lebende Krabben einzufangen.
Als ihr Mann wieder zur Stadt ging, sagte sie zu ihm: »Mein Mann, kaufe mir, wenn Du morgen zur Stadt gehst, eine Wassermelone und bringe sie mir mit.« Er antwortete: »Es ist gut.«
Am nächsten Tage begab sich ihr Mann seiner Gewohnheit gemäss zur Stadt; er ging morgens und um die vierte Stunde pflegte er nach Hause zurückzukehren. Als er zur Stadt gegangen war, kam der Fischer mit den Krabben, um sie der jungen Frau lebend zu überbringen, und er sprach: »Öffne die Thüre, damit ich mit den Fischen hinein kann.« Sie antwortete: »Wenn mein Mann zur Stadt geht, nimmt er den Schlüssel mit; aber ich werde Dir ein Körbchen herablassen, in welches Du die Fischlein hineinthun kannst und morgen kehre um dieselbe Zeit zurück, dann wird Dein Wunsch erfüllt werden.«
Bald darauf kehrte ihr Mann zurück mit der Wassermelone, welche seine Frau sich gewünscht hatte. Sie nahm alles inwendig aus der Melone heraus, dann steckte sie die Krabben hinein und verschloss sie wieder wie zuvor, so dass niemand es merken konnte, und legte sie beiseite bis zum Nachmittag. Als ihr Mann vom Schlafe erwachte, nahm sie die Melone und schnitt sie vor den Augen ihres Mannes entzwei. Sobald sie hineinschnitt, kamen jene Krabben aus der Melone heraus. Ihr Mann war sehr erstaunt, als eine Krabbe aus der Melone kroch, und sprach zu seiner Frau: »Lass sie darin und verwahre sie bis zum Abend, wenn jemand das Essen bringt, geben wir sie ihm mit, um sie zur Stadt zu bringen, damit sie zubereitet werden.« Die Frau erwiderte: »Gut«; und sie nahm die Krabben, trug sie zur Abfallgrube und warf sie dort hinein. Ihr Mann fragte sie: »Hast Du die Melone weggelegt?« Sie antwortete: »Es ist alles besorgt.«
So sassen sie bis gegen Sonnenuntergang. Als nun jener Sklavenjunge kam, welcher das Essen brachte, sprach der Mann zu seiner Frau: »Hole die Krabben in der Melone, gieb sie dem Jungen, um sie zur Stadt mitzunehmen, damit sie gekocht werden.« Die Frau antwortete ihrem Manne: »Mein Mann, bist Du denn von Sinnen? Seit wann kommen denn Krabben in den Wassermelonen vor, wo hast Du das gesehen?« Da schlug er seine Frau; und jener Sklavenjunge war Zeuge ihrer Worte und ihres Streites.
Er kehrte zur Stadt zurück, ging zu ihren Eltern hin und erzählte ihnen: »Jener Herr ist verrückt geworden!« »Wieso denn«, fragten sie. »Er schlägt seine Frau, weil er Krabben haben will, die aus einer Wassermelone kommen. Jedesmal wenn die Frau ihm sagt, es giebt auf der Welt keine Krabben, die in Wassermelonen leben, schlägt er sie um so mehr.«
Als den Eltern dieses mitgeteilt worden, begaben sie sich hin und fanden die Aussage bestätigt; erschlug seine Frau ohne jeden Grund. Sie ergriffen ihn daher, fesselten ihn und banden ihn an einen Pfosten und sprachen zu seiner Frau: »Sieh‘ zu, dass niemand in’s Haus eintrete und lass ihn im Dunkeln, denn das ist die beste Arznei für Verrückte. Wenn es ihm besser geht, schicke uns jemand, damit wir kommen und nach ihm sehen.« Die junge Frau verschloss nun die Thüren und Fenstern und alle Leute gingen wieder ihres Weges, nur sie mit ihrem Manne blieb allein auf der Insel zurück.
Am nächsten Tage kam der Fischer ganz behutsam in seinem kleinen Boote bis unterhalb des Hauses. Als die Frau ihn sah, sprach sie zu ihm: »Komm herauf.« Der Fischer stieg hinauf. Als er ankam, machte die Frau in der Vorhalle alles zurecht, öffnete die Thür des Zimmers, in welchem ihr Mann gefesselt lag, und liess sie offen stehen. Dann sagte sie zu dem Fischer: »Komme her und setze Dich zu mir, mein Mann darf alles sehen.« Er setzte sich neben die Frau, und als der Mann das sah, schlug er grossen Lärm; das dauerte so sieben Tage lang. Am siebenten Tage sprach die Frau zu ihrem Manne: »Das hast Du alles in Deinen Papieren niedergeschrieben.« Da sagte ihr Mann zu ihr: »Ich habe es bereut, gehe jetzt wohin Du willst, meine Erlaubnis hast Du; hier auf der Insel will ich nicht länger bleiben, lass uns in die Stadt ziehen, und wenn wir dort sind, hast Du Erlaubnis, zu thun was Dir beliebt, ich bin mit allem zufrieden, dieses hat mir genügt.«
Die Frau schickte jemand zur Stadt, um seine Eltern zu rufen; und sie kamen. Als sie auf der Insel anlangten, fragte der Vater des Mannes die junge Frau: »Wie steht es hier auf der Insel?« Sie antwortete ihnen: »Gut, ich habe Euch gerufen, mein Mann ist wieder gesund.« »Gott dem Herrn der Welten sei Lob«, riefen sie; und sie entledigten ihn seiner Fesseln.
Nachdem der junge Mann befreit war, ging er hin, nahm jene Papiere, die er in der Thorheit über seine Erlebnisse mit der Frau des Sultans und der Frau des Veziers und der Frau des Richters niedergeschrieben hatte, nahm ein Zündholz und ergriff die Papiere und sprach: »Tausend und eine Nacht haben nicht genügt, die Dinge der Frauen niederzuschreiben, wie sollte ich dazu im stände sein? Verschwindet daher, ich habe kein Verlangen mehr nach euch«!
Er warf alles ins Feuer. Dann zog er mit seiner Frau von der Insel fort nach der Stadt und lebte fortan mit ihr in Ruhe und Frieden, so wie es Leuten geziemt mit ihren Frauen zu leben; und das Haus auf der Insel verschenkten sie.
Das ist das Ende dieser Erzählung.

[Afrika: Ostafrika. Märchen der Welt]

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