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Die Prinzessin auf dem Baum

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Es war einmal ein armer Junge, der musste Tag aus Tag ein die Schweine in den Wald treiben, dass sie bei Bucheckern und Eichelmast fett würden. Dabei war er nach und nach achtzehn Jahre alt geworden. Eines Tages trieb er seine Schweine tiefer in den Wald, als er gewöhnlich zu tun pflegte; da sah er plötzlich einen allmächtig hohen Baum vor sich, dessen Zweige sich in den Wolken verloren. »Der tausend, das ist aber ein Baum!« sagte der Junge bei sich, »wie mag es wohl sein, wenn du dir von seinem Wipfel aus die Welt beschaust!« Gedacht, getan; er ließ seine Schweine im Boden wühlen und kletterte an dem Stamme empor. Er kletterte und kletterte, aber es wurde Mittag, die Sonne ging unter, und noch immer war er nicht in das Geäst gekommen. Endlich, da es schon zu dunkeln begann, erreichte er einen armlangen Stutz, der in die freie Luft hinausragte. Daran band er sich mit der neuen Peitschenschnur, die er in der Tasche trug, fest, dass er nicht hinabstürzte und Hals und Bein bräche, und dann schlief er ein.

Am andern Morgen hatte er sich so weit verkobert, dass er sich mit frischen Kräften wieder an die Arbeit machen konnte. Um die Mittagszeit langte er denn auch in dem Geäste an, und von dort ging das Steigen leichter, doch den Zopf erreichte er auch diesmal nicht; wohl aber kam er gegen Abend in einem großen Dorfe an, das in die Zweige hinein gebaut war. »Wo kommst du her?« fragten die Bauern verwundert, als sie ihn erblickten. »Ich bin von unten heraufgestiegen,« antwortete der Junge. »Da hast du eine weite Reise gehabt,« sprachen die Bauern, »bleib bei uns, dass wir dich in unsern Dienst nehmen!« – »Hat denn hier der Baum schon ein Ende?« fragte der Junge. »Nein,« gaben die Bauern zurück, »der Wipfel liegt noch ein gut Stück höher.« – »Dann kann ich auch nicht bei euch wohnen bleiben,« versetzte der Junge, »ich muss in den Zopf hinauf. Aber zu essen könnt ihr mir geben; denn ich bin hungrig, und müde bin ich auch.« Da nahm ihn der Schulze des Dorfes in sein Haus, und er aß und trank, und nachdem er satt geworden war, legte er sich hin und schlief. Am andern Morgen bedankte er sich bei den Bauern, sagte ihnen Lebewohl und stieg weiter den Baum hinauf.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er ein großes Schloss erreichte. Da schaute eine Jungfrau zum Fenster hinaus, die freute sich sehr, dass ein Mensch gekommen sei, sie in ihrer Einsamkeit zu trösten. »Komm zu mir herein und bleibe bei mir,« sagte sie freundlich. »Hat hier denn der hohe Baum sein Ende?« fragte der Junge. »Ja, höher hinauf kannst du nicht,« sprach die Jungfrau, »und nun komm herein, dass wir uns die Zeit vertreiben.« – »Was machst du denn hier oben so alleine?« fragte der Junge. Antwortete die Jungfrau: »Ich bin eines reichen Königs Tochter, und ein böser Zauberer hat mich hierher verwünscht, dass ich hier leben und sterben solle.« – Sprach der Junge: »Da hätte er dich auch ein wenig tiefer verwünschen können.« Das half nun aber nichts, sie saß da oben und musste da oben bleiben; und weil die Prinzessin ein hübsches, artiges Mädchen war, so beschloss er, nicht wieder zurück zu kehren und mit ihr zusammen im Schlosse haus zu halten.

Das war ein lustiges Leben, das die beiden da oben im Schlosse auf dem hohen Baume führten. Um Speise und Trank durften sie nicht sorgen; denn was sie wünschten, stand auch sogleich vor ihnen; nur das wollte dem Jungen nicht behagen, dass die Prinzessin ihm verboten hatte, in ein bestimmtes Zimmer im Schlosse zu treten. »Gehst du hinein,« hatte sie ihm gesagt, »so bringst du mich und dich ins Unglück.« Eine Zeit lang gehorchte er ihren Worten; endlich aber konnte er es nimmer mehr aushalten, und, als sie sich nach dem Essen hingelegt hatte, um ein Stündchen zu schlafen, nahm er das Schlüsselbund und suchte den Schlüssel hervor, ging hin und schloss die verbotene Türe auf. Als er drinnen im Zimmer stand, gewahrte er einen kohlschwarzen großen Raben, der war mit drei Nägeln an die Wand geheftet; der eine ging ihm durch den Hals, und die beiden andern durchbohrten seine Flügel. »Gut, dass du kommst,« schrie der Rabe, »ich bin vor Durst schier verschmachtet! gib mir von dem Kruge, der dort auf dem Tische steht, einen Tropfen zu trinken, sonst muss ich elendiglich des Todes sterben.« Der Junge aber hatte über dem Anblick einen solchen Schrecken bekommen, dass er auf die Worte des Raben gar nicht achtete und zur Türe zurücktrat. Da schrie der Rabe mit kläglicher Stimme, dass es einen Stein erweichen konnte: »Ach, geh nicht von hinnen, ehe du mich geletzt hast; denke, wie dir zu Mute wäre, wenn dich jemand Durstes sterben ließe.« – »Er hat recht,« sprach der Junge bei sich, »ich will ihm helfen!« Dann nahm er den Krug vom Tische und goss ihm einen Tropfen Wassers in den Schnabel hinein. Der Rabe fing ihn mit der Zunge auf, und sobald er ihn heruntergeschluckt hatte, fiel der Nagel, der durch den Hals ging, zu Boden. »Was war das?« fragte der Junge. »Nichts,« antwortete der Rabe, »lass mich nicht verschmachten und gib mir noch einen Tropfen Wassers!« – »Meinetwegen,« sagte der Junge und goss ihm einen zweiten Tropfen in den Schnabel hinein. Da fiel auch der Nagel, welcher den rechten Flügel durchbohrt hatte, klirrend auf die Erde hinab. »Nun ist’s aber genug,« sagte er. »Nicht doch,« bat der Rabe, »aller guten Dinge sind drei!«; doch als der Junge ihm auch den dritten Tropfen eingeflösst hatte, war der Rabe seiner Fesseln frei, schwang die Flügel und flog krächzend zum Fenster hinaus.

»Was hast du getan?« rief der Junge erschrocken, »wenn es nur die Prinzessin nicht merkt!« Die Prinzessin merkte es aber doch; denn er sah kreidebleich aus, als er zu ihr in die Stube trat. »Du bist wohl gar in dem verbotenen Zimmer gewesen?« sprach sie hastig. »Ja, das bin ich gewesen,« antwortete der Junge kleinlaut, »aber ich habe weiter nichts Schlimmes dort verübt. Es hing nur ein verdursteter schwarzer Rabe an der Wand, dem gab ich zu trinken; und als er drei Tropfen getrunken hatte, fielen die Nägel, mit denen er angeheftet war, auf den Erdboden herab, und er bewegte die Flügel und flog durch das Fenster davon.« – »Das ist der Teufel gewesen, der mich verzaubert hat,« jammerte die Prinzessin, »nun wird’s nicht lange mehr währen, so holt er mich nach!« Und richtig, es dauerte gar nicht lange, so war eines Morgens die Prinzessin verschwunden, und sie kam nicht wieder, obgleich der Junge drei Tage lang auf ihre Rückkehr wartete.

»Kommt sie nicht zu mir, so gehe ich zu ihr!« sagte er bei sich, als sie auch am Abend des dritten Tages nicht wieder zurückgekehrt war, und machte sich mit dem folgenden Morgen auf den Weg, den Baum herab. Als er in dem Dorfe ankam, fragte er die Bauern: »Wisst ihr nicht, wo meine Prinzessin geblieben ist?« – »Nein,« sagten die Bauern, »wie sollen wir es wissen, wenn du es nicht weißt, der du von dem Schlosse kommst!« Da stieg der Junge tiefer und tiefer, bis er endlich wieder auf den Erdboden gelangte. »Nach Hause gehst du nicht, da gibt’s Schläge,« dachte er; darum wanderte er immer waldein, ob er nicht irgendwo die Spur der Prinzessin ausfindig machen könnte. Nachdem er drei Tage im Walde umhergeirrt war, begegnete ihm ein Wolf. Er fürchtete sich und floh; doch der Wolf rief: »Fürchte dich nicht! Aber sage mir, wohin führt dich dein Weg?« – »Ich suche meine Prinzessin, die mir gestohlen ist,« antwortete der Junge. »Da hast du noch weit zu laufen, ehe du sie bekommst,« sagte der Wolf. »Und hier hast du drei Spier Haare von mir. Wenn du in Lebensgefahr bist und die Haare zwischen den Fingern reibst, so bin ich bei dir und helfe dir aus der Not.« Der Junge bedankte sich bei dem Wolfe und ging weiter.

Über drei Tage kam ihm ein Bär in den Weg, und der Junge war vor Schreck wie versteinert; denn er hielt sich verloren. Auf einen Baum klettern nutzte zu nichts, denn der Bär wäre ihm nachgestiegen und hätte ihn in den Zweigen zerrissen. Der Bär war aber gar nicht blutdürstig gesinnt, sondern rief dem Jungen freundlich zu: »Fürchte dich nicht, ich tue dir kein Leid an. Erzähle mir nur, was dir fehlt!« Als der Junge sah, wie gutmütig der Bär war, sagte er dreist: »Mir fehlt meine Prinzessin, die hat mir ein böser Zauberer gestohlen, und ich wandere jetzt in der Welt umher, bis ich sie finde.« – »Da hast du noch einen guten Weg, bis du zu ihr gelangst,« erwiderte der Bär, »aber hier hast du drei Spier von meinen Haaren! Wenn du in Lebensgefahr kommst und meiner bedarfst, so reibe die Haare zwischen den Fingern, und ich bin bei dir und stehe dir bei.«

Der Junge steckte die Haare zu sich, bedankte sich und zog wieder drei Tage im Walde umher. Da begegnete ihm ein Löwe, und als der Junge vor Angst gerade auf einen Baum klettern wollte, rief das wilde Tier ihm zu: »Nicht doch! Bleib unten, ich tu dir nichts.« – »Das ist etwas anderes,« sagte der Junge, und dann erzählte er auch dem Löwen, warum er ohne Weg und Steg in dem Wald herumlaufe. »Da hast du’s gar nicht mehr weit,« antwortete der Löwe, »eine gute Stunde von hier sitzt die Prinzessin in dem Jägerhaus. Mach dich auf und geh zu ihr! Und wenn du in Lebensgefahr kommst und mich brauchen kannst, so nimm diese drei Spier Haare und reibe sie zwischen den Fingern; dann bin ich bei dir und helfe dir aus aller Not.« Damit übergab er dem Jungen die drei Spier Haare und trottete weiter in den Busch hinein; der Junge aber schritt wacker zu, dass er das Jägerhaus bald erreiche.

Es dauerte auch gar nicht lange, so sah er es durch die Bäume schimmern, und noch ein klein Weilchen, so hatte er die Türe aufgeklinkt und stand in der Stube und sah die Prinzessin vor sich stehen. »Junge, wo kommst du her?« rief sie erstaunt. »Wo ich her komme?« antwortete der Junge, »denkst du, ich werde allein oben bleiben und dich bei dem bösen Zauberer lassen? Aber jetzt gib mir geschwind etwas zu essen, und dann wollen wir uns auf und davon machen und zu deinem Vater gehen!« – »Ach, mein Junge, das geht nicht so,« sagte die Prinzessin traurig, »der alte Jäger, der mich bewacht, ist zwar den ganzen Tag über im Walde; aber er hat einen dreibeinigen Schimmel im Stalle, der weiß alle Dinge und sagt ihm sogleich nach, wenn wir geflohen sind. Und wenn er das weiß, so holt er uns bald ein.« Der Junge ließ sich das aber wenig kümmern, aß und trank, und nachdem er satt war, nahm er die Prinzessin bei der Hand und lief mit ihr aus dem Jägerhause auf und davon. Als sie ein Weilchen gegangen waren, schrie der dreibeinige Schimmel im Stalle Mord und Zeter und hörte nicht auf, bis der alte Jäger herbei gelaufen kam und ihn fragte, was ihm fehle. »Es ist jemand gekommen und hat die Prinzessin gestohlen!« schrie der Schimmel. »Sind sie schon weit?« fragte der Jäger. »Weit noch nicht,« antwortete der Schimmel, »setz dich nur auf meinen Rücken, wir werden sie bald einholen!« Als der Jäger den Jungen und die Prinzessin erblickte, rief er zornig: »Warum hast du mir meine Prinzessin gestohlen?« – »Warum hast du sie mir gestohlen?« gab ihm der Junge trotzig zurück. »Ach, du bist’s,« antwortete der alte Jäger, »da will ich dir die Sache für diesmal verzeihen, weil du damals mitleidig warst und mich mit dem Wasser tränktest. Aber unterstehst du dich noch einmal und raubst mir die Prinzessin, so muss dich mein dreibeiniger Schimmel in den Erdboden stampfen, dass du des Lebens vergisst.« Dann nahm er dem Jungen die Prinzessin ab, hub sie vor sich auf den Sattel und ritt mit ihr in das Jägerhaus zurück. Der Junge schlich sich jedoch leise nach, und als der alte Zauberer wieder in den Wald gegangen war, trat er von neuem in das Haus hinein und sagte zur Prinzessin: »Höre einmal, ich rette dich doch! Wenn ich nur erst einen solchen Schimmel habe, wie ihn der alte Jäger besitzt. Ich werde unter das Bett kriechen, und du fragst ihn dann, wenn ihr im Bett seid, wie er den dreibeinigen Schimmel erworben habe.« Damit war die Prinzessin einverstanden, und der Junge kroch unter das Bett und wartete, bis der Abend kam und der Jäger nach Hause kehrte.

»Väterchen,« sagte die Prinzessin zutraulich, als der Zauberer zu Bette gegangen war, und kraute ihm die struppigen Haare, »Väterchen, wie seid Ihr nur zu dem dreibeinigen Schimmel gekommen! Das ist ein prächtiges Pferd, ist klüger, wie ein Mensch, und läuft schneller, wie der Wind.« – »Das will ich dir sagen, mein Töchterchen,« sprach der alte Jäger und schmunzelte über sein garstiges Gesicht, denn das Krauen tat ihm wohl, »den Schimmel habe ich mir in drei Tagen erworben.« – »Kann sich jeder Mensch ein solches Pferd verdienen?« fragte die Prinzessin. »Gewiss,« antwortete der Jäger, »wenn er klug ist, kann’s ihm nicht fehlen. Ein Stündchen von hier im Walde wohnt eine Bauerfrau, das ist eine arge Hexe. Sie besitzt die schönsten Pferde weit und breit; und wer ihre Fohlen drei Tage zu hüten vermag, der kann sich zur Belohnung das Pferd aussuchen, das ihm von allen Tieren im Stalle am besten gefällt. Vor Zeiten gab sie auch noch zwölf Lämmer obendrein; mir hat sie dieselben aber nicht gegeben; so kam’s, dass die zwölf Wölfe, die in dem Walde wohnen, als ich mit meinem Schimmel davon ritt, auf mich los stürzten. Und da ich keine Lämmer hatte, die ich ihnen vorwerfen konnte, so eilten sie meinem Schimmel nach, und ehe ich über die Grenze kam, die sie nicht überschreiten dürfen, hatten sie dem Tiere den rechten Fuss ausgerissen, und seitdem hat er drei Beine bis auf den heutigen Tag.« »Wer nun aber die Fohlen nicht hüten kann, wie geht’s dem?« fragte die Prinzessin. »Dem geht’s schlecht,« erwiderte der alte Jäger, »die Hexe schlägt ihm das Haupt ab und spießt es auf dem Zaune, der um das Gehöft geht, auf; und da stecken schon so viel Köpfe, dass sie bald einen neuen Zaun bauen muss, um sie alle unterzubringen.« Jetzt wusste der Junge unter dem Bette genug; die Prinzessin hörte darum auf mit Fragen, und sie schliefen alle drei die ganze Nacht hindurch.

Am andern Morgen, als der Jäger wieder in den Wald gegangen war, kroch der Junge unter dem Bette hervor, aß und trank mit der Prinzessin, und dann machte er sich auf den Weg nach dem Gehöft der Hexe, von dem der Jäger in der Nacht gesprochen hatte. Es dauerte auch gar nicht lange, so sah er den Zaun mit den Menschenköpfen vor sich, und nun wusste er Bescheid, dass er nicht irre gegangen sei. Als er an dem Hoftore war, trat ihm auch schon die Hexe entgegen und sprach zu ihm: »Was willst du hier?« – – »Deine Fohlen hüten!« antwortete der Junge. – »Gut, ich will dich annehmen,« sagte die Hexe, »und wenn du mit den Pferden jeden Abend hübsch pünktlich um acht Uhr zu Hause kommst, so darfst du dir nach drei Tagen das Pferd in meinem Stalle aussuchen, das dir am besten gefällt. Das soll dein Lohn sein! Kommst du aber später heim, so schlage ich dir das Haupt ab und stecke es auf den Staketenzaun.« – »Das magst du tun,« erwiderte der Junge, »aber der Lohn ist mir nicht hoch genug. Ich verlange außer dem Pferde noch zwölf Lämmer obendrein.« – »Das habe ich früher getan,« antwortete die Hexe, »aber die Zeiten sind schlechter geworden, und die Pferdezucht wirft die zwölf Lämmer nicht ab.« – »Dann hüte ich gar nicht,« antwortete der Junge. Als die Hexe sah, dass er auf seinem Kopfe bestand, brummte sie: »Meinetwegen, bekommen wird er sie ja ebenso wenig, wie das Pferd,« dann sprach sie laut: »Die Sache ist abgemacht, du sollst auch die zwölf Lämmer erhalten, und morgen früh treibst du meine drei Fohlen auf die Wiese.«

Und so tat der Junge auch. Am frühen Morgen, ehe die Sonne aufging, schwang er sich dem stärksten Füllen auf den Rücken und ritt zur Wiese hinab, und es dauerte gerade eine halbe Stunde, bis er dort angelangt war. »Um halb acht musst du wieder aufbrechen,« dachte er bei sich, dann ließ er die Fohlen grasen und legte sich hinter einen Schlehenbusch, um die schönen Sachen zu verzehren, die ihm die alte Hexe in den Kaliet (Korb) gepackt. Da war Weißbrot und Braten und Wurst, aber das beste von allem war eine halbe Flasche Branntwein. Als er die an die Lippen gesetzt hatte und der erste Schluck die Kehle hinabgelaufen war, da tat ihm der Trank so wohl, und er trank und trank, bis er den ganzen Branntwein ausgetrunken hatte. In den Branntwein hatte die alte Hexe aber einen Schlaftrunk gemischt, und so kam’s, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel.

Nachdem er endlich wieder aufgewacht war, rieb er sich die Augen und sah sich um. Ja, da war von den drei Fohlen nichts mehr zu sehen, sie waren auf und davon gegangen, und er klagte und jammerte und schlug sich mit der Hand vor den Kopf. Endlich fiel ihm der Wolf ein: »Wenn du in Not bist, sollst du die drei Spier Haare zwischen den Fingern reiben! hat er dir gesagt!« und damit zog er die Wolfshaare aus der Tasche hervor und rieb sie zwischen den Fingern. Sogleich stand der Wolf neben ihm und sprach: »Was ist dir, Junge, womit kann ich dir helfen?« – »Ach, mir sind meine Fohlen weggekommen,« jammerte der Junge, »und wenn du mir nicht hilfst, lieber Wolf, so schlägt mir die alte Hexe heute Abend den Kopf ab und steckt ihn auf den Staketenzaun.« – »Zehn Meilen sind die Fohlen schon gelaufen,« antwortete der Wolf, »darum setz dich schnell auf meinen Rücken, und wenn ich sie eingeholt habe und ihnen vorgekommen bin, so schlage mit den drei Zäumen, die du in der Hand hast, drei Kreuze vor ihnen, und sie müssen stehen bleiben, als wären sie angewachsen.« Da setzte er sich dem Wolf auf den Rücken, und der lief so schnell, dass dem Jungen die Haare nur so flogen. Es dauerte auch gar nicht lange, so hatte der Wolf den Fohlen einen Vorsprung abgewonnen; der Junge schlug mit den Zäumen dreimal ein Kreuz, und sie konnten weder vorwärts noch rückwärts. »Nun reite mit ihnen nach Hause,« sprach der Wolf, »du wirst noch bei Zeiten heimkommen.« Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen, er schwang sich auf den Rücken des stärksten Füllens hinauf, und dann kehrte er mit ihnen im Trabe zur Wiese zurück und langte dort an, ehe die Glocke die siebente Stunde verkündet hatte. Dann ließ er die Tiere noch ein Weilchen abtrocknen und grasen, bis er sich um halbacht auf den Heimweg machte und zur rechten Zeit in das Gehöft zurückkehrte.

Die alte Hexe riss die Augen weit auf, als sie den Jungen mit den Fohlen zur rechten Zeit heimkehren sah; aber sie bezwang sich und reichte ihm freundlich die Hand und sprach: »Du bist ein tüchtiger Hütejunge, du gefällst mir!« Dann führte sie ihn in die Stube und setzte ihm Speise und Trank vor, doch während er aß, lief sie in den Stall und bearbeitete die Fohlen mit dem Besenstiel. »Konntet ihr ihm denn nicht entlaufen, ihr ungehorsamen Tiere,« rief sie zornig. »Wir sind zehn Meilen gelaufen,« schrieen die Füllen, »er kam uns aber auf einem Wolfe nachgeritten und hat uns wieder zurück gebracht.« – »Ein Wolf?« sagte die Hexe verwundert, »das ist etwas anderes; da müssen wir schon ein stärkeres Mittel gebrauchen,« und am andern Morgen gab sie dem Jungen die Flasche, drei Viertel mit Branntwein gefüllt, mit auf den Weg. Der mundete ihm wieder so köstlich und tat ihm im Herzen so wohl, dass er ihn in einem Zuge leerte; dann sank er um und schlief unter dem Schlehdornbusch ein und rückte und rührte sich nicht.

Als er endlich aufwachte, merkte er wohl, dass die Mittagszeit schon vorüber sei, und von seinen Fohlen war wiederum nichts mehr zu sehen. Diesmal besann er sich aber nicht lange. »Gestern hat dir der Wolf geholfen, heute muss dich der Bär aus der Not retten,« dachte er und rieb die Bärenhaare zwischen den Fingern. Und schon stand er vor ihm und sprach: »Was ist dir, mein Junge, und womit kann ich dir helfen?« »Hilf mir zu meinen Fohlen,« antwortete der Junge. – »Zwanzig Meilen sind sie schon gelaufen,« sprach der Bär, »aber setz dich geschwind auf meinen Rücken, dass wir sie einholen.« Da stieg der Junge dem Bären auf den Rücken, und der Bär lief, dass die Haare seines Reiters in der Luft sausten, und er hörte nicht eher auf, als bis er den Fohlen einen Vorsprung abgewonnen hatte. Darauf schlug der Junge mit den drei Zäumen die Kreuze, und als sie still standen, schwang er sich auf sein Handpferd hinauf und ritt so schnell wie möglich zur Wiese zurück; aber, so sehr er die Füllen auch laufen ließ, er konnte die Wiese nicht vor halb acht erreichen, so dass er stracks weiter reiten musste, um noch zur Zeit in den Hof der Hexe zu gelangen.

»Das nenn‘ ich mir einen Hirten,« sagte die Alte freundlich, und doch war sie inwendig Gift und Galle, »jetzt komm nur hinein und verzehr dein Abendbrot.« Und als der Junge in der Stube saß und aß, lief sie wieder in den Stall hinab und hieb mit dem Besenstiel auf die Fohlen ein. »Wir können nichts dafür,« riefen die Fohlen und schrieen vor Schmerz, »wir sind zwanzig Meilen gelaufen, da kam er uns nachgeritten auf einem Bären und hat uns wieder zurück gebracht.« – »Auf einem Bären?« sagte die Hexe, »der Junge ist stärker, wie ich. Aber warte nur, morgen sollst du mir nicht entkommen.« Den andern Tag gab ihm die Hexe die ganze Flasche voll Branntwein mit auf den Weg, und der Junge bedankte sich noch bei der alten Hexe für das schöne Getränk. Und als er auf der Wiese angelangt war, trank er die ganze Flasche in einem Zuge aus und legte sich ins Gras und schlief fest ein und erwachte erst zur Nachmittagszeit wieder aus dem Schlafe. »Donner Sachsen! Hilft mir heute der Löwe nicht, so bin ich gewisslich verloren!« rief er erschrocken, zog die drei Spier Löwenhaare eilends aus der Tasche hervor und rieb sie zwischen den Fingern. Alsbald stand der Löwe vor ihm und sprach: »Nur rasch auf meinen Rücken hinauf, wir haben keine Zeit zu verlieren! Dreißig Meilen haben die Fohlen schon zurückgelegt;« und als der Junge sich auf ihn gesetzt hatte, lief er, wie der Sturmwind saust, und die Haare simmten und summten dem Jungen um den Kopf, und als die Sonne sich ihrem Untergange neigte, hatte der Löwe auch die Fohlen eingeholt und der Junge dieselben zum Stehen gebracht. »So, nun spare Sporn und Peitsche nicht und lass sie laufen, was sie nur können, dann kommst du noch hin auf den Hof,« rief der Löwe, und der Junge tat, wie ihm geheißen war, und spornte sein Pferd, dass ihm das Blut aus den Weichen floss, und hieb auf die andern Fohlen mit der Peitsche ein, dass die Fetzen flogen, und langte ein Viertel vor acht auf der Wiese an. Da war an Ruhe und Rast nicht zu denken, er trieb die Füllen nur um so schärfer an, und als die Glocke acht schlug, war er im Torweg, und die Flügel des Tores, welche die Alte zuwarf, hätten ihm beinahe die Fersen abgeschlagen.

»Das war die höchste Zeit!« rief der Junge atemlos und trat in das Haus hinein, die Alte aber lief zu den Fohlen und schlug sie mit dem Besenstiel, dass es einen Stein erbarmen konnte. »Wir können nichts dafür, verschon uns,« baten die Fohlen, »wir sind dreißig Meilen gelaufen, er aber kam uns auf einem Löwen nachgejagt und hat uns in Eile wieder zurück gebracht.« Als die Hexe das hörte, ließ sie nach mit dem Schlagen und kehrte ärgerlich in die Stube zurück; dafür ging jetzt der Junge in den Stall hinein, um sich ein Pferd auszusuchen, und der Hexe kleine Tochter begleitete ihn. In dem Stalle standen viele Pferde, und eins war immer schöner, wie das andere. Ganz hinten aber stand in einer besonderen Bucht ein hochbeiniger, magerer Schimmel. »Das ist meiner Mutter Reitpferd,« sagte das kleine Mädchen, »das läuft so schnell, wie der Wind.« Da wusste der Junge genug und ging wieder hinein zu der alten Hexe.

Am andern Morgen sagte die Hexe: »Nun, Junge, welches Pferd willst du haben als Lohn für die Hütezeit?« – »Den Schimmel in der kleinen Bucht,« antwortete der Junge. »Ach, was willst du mit dem, der ist ja das Mitnehmen nicht wert! Sieh doch, wie mager und schmutzig er aussieht. Nein, mit dem Tier kann ich dich nicht ziehen lassen, die Leute würden über mich reden, wenn ich dir solch ein Pferd zum Lohne gäbe!« Der Junge blieb aber bei seinem Willen, und da musste sich die Hexe wohl oder übel fügen. Als er jedoch aus dem Stalle getreten war, holte sie schnell einen Bohrer herbei und bohrte damit dem Schimmel Löcher durch alle vier Hufen; darauf nahm sie ein Rohr und sog ihm alles Mark aus seinem Gebein und tat es in einen irdenen Topf. Dann nahm sie Mehl, mengte es mit dem Mark und buk einen Dinsback (Kuchen) daraus. Den schob sie dem Jungen ins Vorderhemd, dass er unterwegs zu essen habe und nicht Hunger leide. Nachdem sie das getan hatte, holte sie zwölf Lämmer aus dem Stalle hervor, band sie an den Hinterfüssen an einer Schnur auf und hing sie über den Schimmel. »Da hast du deinen Lohn,« sprach sie, und der Junge sagte ihr Lebewohl und ging neben dem Schimmel her zum Torweg hinaus. Auf das Pferd setzen mochte er sich nicht, denn es trat so steif auf und ließ sich so schwach an, als ob es bald sterben müsse. Auch wunderte ihn, dass es immer mit der Zunge nach seinem Vorderhemd leckte. »Was willst du denn dort, Schimmelchen?« fragte der Junge mitleidig. Da hub der Schimmel zu reden an und sprach: »Ich lecke nach dem Dinsback; denn die alte Hexe hat mir mit einem Rohr alles Mark aus meinem Gebein durch die Hufen gesogen, hat es mit Mehl gemengt und in deinen Dinsback gebacken.« »Dann iss ihn nur,« sprach der Junge, »denn er steht dir von Rechts wegen zu.« Und als der Schimmel den Kuchen gegessen hatte, kam die alte Kraft wieder in sein Gebein, und der Junge schwang sich auf seinen Rücken, und er griff mächtig aus. Es dauerte gar nicht lange, so kamen sie in den Wald, und wie sie ein wenig darin gewesen waren, stürzten die zwölf Wölfe, von denen der alte Jäger gesprochen, auf sie los. Rasch schnitt der Junge mit seinem scharfen Messer die Schnur entzwei, und die zwölf Lämmer fielen auf die Strasse herab, und die zwölf Wölfe stürzten über sie her und erwürgten sie und fraßen sie auf. Als sie die Lämmer gefressen hatten, war der Schimmel aber schon so weit gekommen, als die Macht der Hexe reichte, und der Junge hatte ihn also mit heilem Leibe vor den Wölfen in Sicherheit gebracht.

Nun machte er, dass er zu dem Jägerhäuschen kam. Dort ließ er den Schimmel am Türpfosten halten und lief hinein, holte die Prinzessin heraus und setzte sie vorne auf das Ross; dann schwang er sich selbst hinauf und ließ den Schimmel laufen, was er laufen wollte. Als er fort war, erhub der dreibeinige Schimmel wieder wie damals einen grausamen Lärm und ruhte nicht eher, als bis der alte Zauberer herbei gelaufen kam und fragte: »Warum schreist du so? Was ist denn geschehen?« – »Der Junge ist wieder hier gewesen und hat die Prinzessin geraubt,« antwortete der dreibeinige Schimmel. – »Sind sie schon weit?« – »Nein, weit sind sie noch nicht, wir werden sie schon einholen, setz dich nur auf meinen Rücken.« Da setzte sich der Zauberer auf des dreibeinigen Schimmels Rücken und ritt dem Jungen nach. »Schimmelchen lauf! Schimmelchen lauf!« rief der Junge, als er den Zauberer erblickte; aber der Schimmel lief nicht, sondern ging gemächlich Schritt; da war’s denn kein Wunder, dass der alte Jäger sie einholte. »Räuber,« rief er dem Jungen zu, »hab‘ ich’s dir nicht gesagt, du solltest es nicht noch einmal wagen, die Prinzessin zu stehlen; nun soll dich mein Schimmel in den Erdboden stampfen.« Indem er das sagte, rief der vierbeinige Schimmel dem dreibeinigen zu: »Schwesterchen, wirf ihn ab!« Da warf der dreibeinige Schimmel den alten Hexenmeister auf die Erde, und der vierbeinige kam ihm zu Hilfe, und dann traten sie so lange mit ihren harten Hufen auf ihm herum, bis auch kein einziger Knochen unzermalmt war.

Als der Zauberer getötet war, setzte der Junge die Prinzessin auf den dreibeinigen Schimmel, er selbst blieb sitzen, wo er war, und sie ritten zusammen in das Königreich, wo der Vater der Prinzessin König war. Da war einmal die Freude groß, als er seine einzige Tochter wieder hatte, und als er hörte, dass der Junge sie erlöst habe, gab er sie ihm sogleich zur Frau, und es wurde Hochzeit gefeiert in großer Pracht und Herrlichkeit. Der alte König starb bald darauf; da wurde der arme Schweinejunge König an seiner Statt, und er herrschte über seine Untertanen nach Recht und Gerechtigkeit. Eines Tages fielen ihm seine beiden Schimmel ein, und er ging in den Stall hinab, in dem sie untergebracht waren. Da sprach der vierbeinige Schimmel zu ihm: »Mein Schwesterchen und ich haben dir geholfen, nun hilf du uns auch! Zieh dein Schwert und schlag uns das Haupt ab!« Antwortete der junge König: »Das werde ich bleiben lassen. Ich habe euch viel zu lieb, und so lohnt man seinen Freunden nicht!« – »Wenn du mir nicht gehorchen willst,« sprach der Schimmel, »so schaffen wir dir Unglück über Unglück auf den Hals.« Das wollte der junge König nun auch nicht haben, darum zog er das Schwert aus der Scheide und schlug damit den beiden Schimmeln die Köpfe ab. Kaum hatte er das getan, so standen ein stattlicher Prinz und eine wunderschöne Prinzessin vor ihm, die bedankten sich, dass er sie erlöst habe. Derselbe alte Jäger, der die junge Königin auf den hohen Baum verwünscht, hatte auch sie in Pferde verwandelt. Nun aber waren sie und ihr ganzes Reich von dem Zauber erlöst, und die ganzen großen Wälder, in denen der alte Jäger sein Wesen getrieben hatte, waren mit erlöst und jetzt Städte und Dörfer, Mühlen und Seen geworden, und der Prinz und die Prinzessin waren Herrscher über das ganze Land. Sie blieben noch eine Zeit lang bei ihrem Erlöser und seiner Frau, dann zogen sie in ihr eigenes Königreich. Der junge König lebte aber mit seiner Frau glücklich und zufrieden sein Leben lang, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Quelle: Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen

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