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Märchenbasar

Die Prinzessin und das Elfenkraut

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In einem fernen Land lebten einmal ein König und eine Königin, die den lieben langen Tag nichts anderes taten, als ihre schöne Tochter zu bewundern und ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Oft vergaßen sie darüber sogar, dass sie auch noch einen Sohn ihr Eigen nannten.
Während der Jüngling jedoch seinen Eltern innig zugetan war und das Herz auf dem rechten Fleck hatte, war seine Schwester äußerst hochmütig und brachte die Dienerschaft mit immer neuen Wünschen schier zur Verzweiflung.
„Da, wo beim Menschen das Herz sitzt, trägt sie wohl einen Stein“, flüsterten die Bediensteten hinter vorgehaltener Hand, und es gab unter ihnen nicht einen, der ein gutes Haar an ihr ließ.
Dennoch mussten sie jeden Tag neue, frische Kräuter herbeischaffen, die die Haut der Prinzessin noch weicher und zarter machten, und nur das beste Obst und das zarteste Fleisch kamen auf ihren Teller.

Eines Tages nun kam ein fremder weit gereister Barde an den Hof, und als er die Prinzessin sah, war er von ihrem Äußeren so geblendet, dass er fortan nur noch Lieder über ihre Schönheit schrieb.
An einem Morgen fasste er sich ein Herz und sprach sie an. „Oh, Prinzessin, Ihr seid das herrlichste Geschöpf, das ich je sah! Bei meinem Leben, nur die Elfen übertreffen als einzige Eure Schönheit“, säuselte er.
Die Prinzessin unterbrach ihn mit einem spitzen Schrei: „Wie, Barde, die Elfen sind schöner als ich? Wie kann das angehen, was ist ihr Geheimnis? Ich will hübscher sein als alle Elfen der Welt!“

„Allerschönste Hoheit“, antwortete der Sänger, „diese wundersamen Wesen haben wohl wirklich einen Zauber. Sie essen nämlich nichts anderes als Elfenkraut!
Sie benötigen ja nicht viel davon – ein Fingerhut voll, morgens, mittags und abends, reicht aus, um ihnen ihre Schönheit zu geben.“
„Dann will ich es von nun an genauso halten“, rief die Prinzessin, „meine Speise wird nur noch das Elfenkraut sein, allerdings so viel, dass ich davon auch satt werde. Ich werde gleich zum Vater gehen und ihm meinen Wunsch mitteilen.“
Von da an schickte der König die Diener Tag für Tag in die umliegenden Wälder, um das im Schatten versteckt wachsende Kräutlein zu holen, und die Köchin musste täglich für die Prinzessin neue Elfenkrautgerichte erfinden und zubereiten.

Einige Monde zogen ins Land, und die Bediensteten mussten oft Tagesreisen unternehmen, um noch Elfenkraut zu finden, denn in der Umgebung des Schlosses hatte die Königstochter alles Kraut aufgegessen, das dort je gewachsen war.
Nahe beim Schloss, am Rande des Waldes, lebte in jenen Tagen das Kräuterweib des Reiches mit ihrer Tochter.
Die hatte seit einiger Zeit mit großer Sorge das Treiben bei Hofe verfolgt und schickte nun ihre Tochter mit einer Warnung zum König.
„Edler König“, sprach das Mädchen nach einer tiefen Verbeugung, „meine Mutter, die Kräuterkundige bittet Euch dringend, vom Elfenkraut abzulassen. Die Elfen beginnen zu hungern, und es wird großes Unglück über Euer Land kommen, wenn die Prinzessin nicht ablässt von ihrem bösen Tun.“

Da kreischte die Königstochter, die auch die Rede des Mädchens gehört hatte, mit schriller Stimme los: „Vater, ich will mein Elfenkraut, ich kann und will nicht darauf verzichten. Werft diese Unke sofort hinaus, sie gönnt mir meine Schönheit nicht!“
Der Sohn des Königs indessen, hatte die Warnung des Kräuterweibs als einziger verstanden. Er nahm sich nun deren Tochter an und geleitete sie sicher zu ihrer Hütte zurück.
Der König jedoch schickte weiter seine Diener aus, und es dauerte gar nicht lange, da gab es selbst im letzten Winkel des hintersten Dorfes kein Zweiglein Elfenkraut mehr.

Unter dem Elfenvolk brach eine große Hungersnot aus, und einige waren bald so schwach, dass sie starben.
In seiner Verzweiflung flog der Elfenkönig ins Nachbarland zum Baumkönig Tannenweis und bat um Hilfe für sein sterbendes Volk. Dieser tat sofort alles, was in seiner Macht stand. Durch die Mooszwerge ließ er alle Elfen in die schützenden Wälder des Baumlandes holen und verbarg sie von da an vor den Blicken der Menschen.

Nachdem die Elfen so aus dem Reich des Königs geflohen waren, traf das große Unglück ein, vor dem das Kräuterweib gewarnt hatte.
Von Stund an begannen die Blumen zu welken, und die Bäume verdorrten. Nicht ein Gemüsekopf wuchs mehr in den Gärten, und kein einziger Fisch sprang länger in den Flüssen und Seen. Alle Waldtiere hatten sich ebenfalls in das Land der Bäume geflüchtet, und die Sonne brannte unbarmherzig bis in den letztenWinkel des Reiches.
Im ganzen Land hungerte das Volk, und bald kam auch der Tag bei Hofe, an dem die Köchin den Majestäten und deren Kindern nur noch einen verschrumpelten Apfel und für die Prinzessin ein vertrocknetes Elfenkrautzweiglein auftischen konnte.

Da ließ der König die Kräuterkundige und deren Tochter holen und sagte zu ihr: „Liebe Frau, du hattest Recht mit deiner Prophezeiung. Hätten wir nur auf dich gehört! Sag, gibt es eine Möglichkeit, das Unglück zu wenden und das Unrecht an den Elfen wieder gutzumachen?“
„Wohl gäbe es die, hoher Herr“, antwortete das Kräuterweib, „doch ist sie wahrlich an harte Bedingungen geknüpft. Deine Tochter muss in das Land der Bäume gehen, zum König Tannenweis und dort den Elfenkönig um Vergebung bitten für ihr frevelhaftes Tun.
Zugleich hat sie ihm das Versprechen zu leisten, sich nie mehr am Elfenkraut zu vergreifen.
Wenn sie dann noch ein Jahr lang in Diensten der Elfen bleibt und ihnen fleißig hilft, Elfenkraut und Elfensporn wieder ins ganze Königreich zu tragen, könnte das Blatt sich wenden und die Elfen zurückkehren.“

Die verwöhnte Prinzessin schrie Zeter und Mordio, als sie die Rede der Frau hörte und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen das Ansinnen, das an sie gestellt war. Doch dieses Mal blieb der König hart. Auch das Flehen seiner Gemahlin, die für ihre Tochter eintrat, konnte ihn nicht umstimmen. „Du hast uns mit deinem Hochmut die Suppe eingebrockt, du wirst sie auch auslöffeln“, rief er wütend.
Nun verlegte sich die Prinzessin aufs Jammern. „Oh du hartherziger Vater“, schluchzte sie, „wenn du deine einzige Tochter schon ins Verderben schickst, so gehe ich nur dann, wenn Liese, die Tochter der Kräuterhexe da, mich begleitet. Denn ohne Gefährtin, lieber Vater, wird deine Tochter verloren sein in jenem dunklen Land. Und schließlich ist Lieses Mutter schuld an dem Unglück, das ich nun zu tragen habe.“
Im Geheimen jedoch hoffte sie, dass Liese sich weigerte, und ihr Vater somit von seinem Vorhaben abließe. Aber weit gefehlt! Denn schon hörte man das Mädchen mit freundlicher Stimme sagen: „Wenn es unserem Volk und den Elfen hilft, will ich gerne mitgehen.“

Bald darauf brachte der Bruder der Prinzessin die beiden Mädchen bis an den Rand des großen Waldes, an dem das Reich der Bäume begann. Von da brachte sie ein Mooszwerg, der an der Grenze Wache hielt, auf geheimen Wegen zu König Tannenweis und dem Elfenkönig. Doch während Liese sich höflich in wohlgesetzten Worten beim Elfenkönig für den Diebstahl des Elfennahrung entschuldigte, sagte die Prinzessin nur schnippisch: „Pah, woher sollte ich denn wohl wissen, wie wichtig das dumme Kraut für euch Elfen ist? Aber ich esse das grüne Zeug in Zukunft nicht mehr, ihr könnt also beruhigt sein.“
Trotz der störrischen Worte nahm der Herrscher des Elfenvolkes die Entschuldigung an und sprach: „Nun gut, wenn ihr euch jetzt noch für ein Jahr in unserem Dienst fleißig und guten Willens zeigt, kehren wir Elfen in euer Reich zurück.“

Das Jahr bei den Elfen verging wie im Flug, und Liese hatte unermüdlich geholfen, an allen Schattenplätzen des Königreiches frisches Elfenkraut und jungen Elfensporn zu pflanzen. Bei Tagesanbruch war sie die erste bei der Arbeit, und am Abend die letzte, die sich auf das weiche Moosbett zum Schlafen niederlegte. Nie kam ein Laut der Klage über ihre Lippen.
Die Prinzessin, dagegen, lief den ganzen Tag laut jammernd neben ihr her. Und hatte sie dann doch einmal ein Pflänzchen in die Erde gesetzt, tat ihr gleich der Rücken weh, und sie beklagte ihr hartes Los.

Der letzte Tag im Dienst der Elfen war gekommen. Der Elfenkönig bereitete die Rückkehr der Zauberwesen ins Königreich vor, und Tannenweis begleitete die beiden Mädchen bis an die Grenze seines Reiches. Liese freute sich, die Mutter bald wieder zu sehen, und sie dachte mit Herzklopfen an den jungen Prinzen, der versprochen hatte, an der Stelle auf sie zu warten, an der sie sich vor einem Jahr verabschiedet hatten.
Die Prinzessin jedoch konnte ihr böses Herz nicht verleugnen, bückte sich beim Überschreiten der Grenze und riss ein Büschel Elfenkraut aus, das im Schatten einer mächtigen Fichte gerade wieder zu wachsen begann.

Im selben Augenblick wurde sie in einen hässlichen Heckendornbusch verwandelt, und die Elfen trugen das stachelige Gewächs bis an die Schlosstreppe ihres Vaters. Und weil der Dornbusch überaus giftig war, konnte ihn keiner ausreißen, und er blieb dort für alle Zeiten als ewige Mahnung stehen.

Der König und die Königin starben bald darauf aus Gram über den Tod ihrer Tochter, und der Sohn wurde nun der neue Herrscher des Landes. Er nahm sich Liese zur Frau, und beide regierten gütig und gerecht über ihr Volk. Und so lange sie lebten, war es bei strenger Strafe verboten, auch nur ein Pflänzchen Elfenkraut auszurupfen.

Quelle: maerchenhexe

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