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Es war einmal eine Königin, die hatte ein Töchterchen, das war noch klein und musste noch auf dem Arm getragen werden. Zu einer Zeit war das Kind unartig, und die Mutter mochte sagen, was sie wollte, es hielt nicht Ruhe. Da ward sie ungeduldig, und weil die Raben so um das Schloss herumflogen, öffnete sie das Fenster und sagte: „Ich wollte, du wärst eine Rabe und flögst fort, so hätte ich Ruhe.“
Kaum hatte sie das Wort gesagt, so war das Kind in eine Rabe verwandelt und flog von ihrem Arm zum Fenster hinaus. Sie flog aber in einen dunklen Wald und blieb lange Zeit darin und die Eltern hörten nichts von ihr. Danach führte einmal einen Mann sein Weg in diesen Wald, der hörte die Rabe rufen und ging der Stimme nach; und als er näher kam, sprach die Rabe: „Ich bin eine Königstochter von Geburt und bin verwünscht worden, du aber kannst mich erlösen.“
„Was soll ich tun?“ fragte er. Sie sagte: „Geh weiter in den Wald, und du wirst ein Haus finden, darin sitzt eine alte Frau, die wird dir Essen und Trinken reichen, aber du darfst nichts nehmen: wenn du etwas isst oder trinkst, so verfällst du in einen Schlaf und kannst du mich nicht erlösen. Im Garten hinter dem Haus ist eine große Lohhucke, darauf sollst du stehen und mich erwarten. Drei Tage lang komm ich jeden Mittag um zwei Uhr zu dir in einem Wagen, der ist erst mit vier weißen Hengsten bespannt, dann mit vier roten und zuletzt mit vier schwarzen, wenn du aber nicht wach bist, sondern schläfst, so werde ich nicht erlöst.“ Der Mann versprach alles zu tun, was sie verlangt hatte, die Rabe aber sagte „Ach, ich weiß es schon, du wirst mich nicht erlösen, du nimmst etwas von der Frau.“ Da versprach der Mann noch einmal, er wollte gewiss nichts anrühren, weder von dem Essen noch von dem Trinken. Wie er aber in das Haus kam, trat die alte Frau zu ihm und sagte: „Armer Mann, was seid Ihr abgemattet, kommt und erquickt Euch, esst und trinkt.“
„Nein“, sagte der Mann, „ich will nicht essen und nicht trinken.“ Sie ließ ihm aber keine Ruhe und sprach: „Wenn Ihr dann nicht essen wollt, so tut einen Zug aus dem Glas, einmal ist keinmal.“ Da ließ er sich überreden und trank. Nachmittags gegen zwei Uhr ging er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten. Wie er da stand, ward er auf einmal so müde, und konnte es nicht überwinden und legte sich ein wenig nieder; doch wollte er nicht einschlafen.
Aber kaum hatte er sich hingestreckt, so fielen ihm die Augen von selber zu, und er schlief ein und schlief so fest, dass ihn nichts auf der Welt hätte erwecken können. Um zwei Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengsten gefahren, aber sie war schon in voller Trauer und sprach: „Ich weiß, dass er schläft.“ Und als sie in den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke und schlief. Sie stieg aus dem Wagen, ging zu ihm und schüttelte ihn und rief ihn an, aber er erwachte nicht.
Am andern Tag zur Mittagszeit kam die alte Frau wieder und brachte ihm Essen und Trinken, aber er wollte es nicht annehmen. Doch sie ließ ihm keine Ruhe und redete ihm, so lange zu, bis er wieder einen Zug aus dem Glase tat. Gegen zwei Uhr ging er in den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten, da empfand er auf einmal so große Müdigkeit, dass seine Glieder ihn nicht mehr hielten: er konnte sich nicht helfen, musste sich legen und fiel in tiefen Schlaf. Als die Rabe daherfuhr mit vier braunen Hengsten, war sie schon in voller Trauer und sagte: „Ich weiß, dass er schläft.“ Sie ging zu ihm hin, aber er lag da im Schlaf und war nicht zu erwecken.
Am andern Tage sagte die alte Frau, was das wäre, er äße und tränke nichts, ob er sterben wollte? Er antwortete: „Ich will und darf nicht essen und nicht trinken.“ Sie stellte aber die Schüssel mit Essen und das Glas mit Wein vor ihm hin, und als der Geruch davon zu ihm aufstieg, so konnte er nicht widerstehen und tat einen starken Zug. Als die Zeit kam, ging er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wartete auf die Königstochter; da ward er noch müder als die Tage vorher, legte sich nieder und schlief so fest, als wäre er ein Stein.
Um zwei Uhr kam die Rabe und hatte vier schwarze Hengste, und die Kutsche und alles war schwarz. Sie war aber schon in voller Trauer und sprach: „Ich weiß, dass er schläft und mich nicht erlösen kann.“ Als sie zu ihm kam, lag er da und schlief fest. Sie rüttelte ihn und rief ihn, aber sie konnte ihn nicht aufwecken. Da legte sie ein Brot neben ihn hin, dann ein Stück Fleisch, zum dritten eine Flasche Wein, und er konnte von allem so viel nehmen, als er wollte, es ward nicht weniger. Danach nahm sie einen goldenen Ring von ihrem Finger, und steckte ihn an seinen Finger, und war ihr Name eingegraben. Zuletzt legte sie einen Brief hin, darin stand, was sie ihm gegeben hatte, und dass es nie all würde, und es stand auch darin: „Ich sehe wohl, dass du mich hier nicht erlösen kannst, willst du mich aber noch erlösen, so komm nach dem goldenen Schloss von Stromberg, es steht in deiner Macht, das weiß ich gewiss.“
Und wie sie ihm das alles gegeben hatte, setzte sie sich in ihren Wagen und fuhr in das goldene Schloss von Stromberg. Als der Mann aufwachte und sah, dass er geschlafen hatte, ward er von Herzen traurig und sprach: „Gewiss nun ist sie vorbeigefahren, und ich habe sie nicht erlöst.“ Da fielen ihm die Dinge in die Augen, die neben ihm lagen, und er las den Brief, darin geschrieben stand, wie es zugegangen war. Also machte er sich auf und ging fort, und wollte nach dem goldenen Schloss von Stromberg, aber er wusste nicht, wo es lag.
Nun war er schon lange in der Weit herumgegangen, da kam er in einen dunkeln Wald und ging vierzehn Tage darin fort und konnte sich nicht herausfinden. Da ward es wieder Abend, und er war so müde, dass er sich an einen Busch legte und einschlief.
Am andern Tag ging er weiter, und abends als er sich wieder an einen Busch legen wollte, hörte er ein Heulen und Jammern, dass er nicht einschlafen konnte. Und wie die Zeit kam, wo die Leute Lichter anstecken, sah er eins schimmern, machte sich auf und ging ihm nach; da kam er vor ein Haus, das schien so klein, denn es stand ein großer Riese davor. Da dachte er bei sich: „Gehst du hinein und der Riese erblickt dich, so ist es leicht um dein Leben geschehen.“ Endlich wagte er es und trat heran. Als der Riese ihn sah, sprach er: „Es ist gut, dass du kommst, ich habe lange nichts gegessen: ich will dich gleich zum Abendbrot verschlucken.“ „Lass das lieber sein“, sprach der Mann, „ich lasse mich nicht gerne verschlucken; verlangst du zu essen, so habe ich genug, um dich satt zu machen.“
„Wenn das wahr ist“, sagte der Riese, „so kannst du ruhig bleiben; ich wollte dich nur verzehren, weil ich nichts anderes habe.“ Da gingen sie und setzten sich an den Tisch, und der Mann holte Brot, Wein und Fleisch, das nicht all ward. „Das gefällt mir wohl“, sprach der Riese und aß nach Herzenslust. Danach sprach der Mann zu ihm: „Kannst du mir nicht sagen, wo das goldene Schloss von Stromberg ist?“ Der Riese sagte: „Ich will auf meiner Landkarte nachsehen, darauf sind alle Städte, Dörfer und Häuser zu finden.“ Er holte die Landkarte, die er in der Stube hatte, und suchte das Schloss, aber es stand nicht darauf. „Es tut nichts“, sprach er, „ich habe oben im Schranke noch größere Landkarten; darauf wollen wir suchen;“ aber es war auch vergeblich.
Der Mann wollte nun weitergehen; aber der Riese bat ihn, noch ein paar Tage zu warten, bis sein Bruder heim käme, der wäre ausgegangen, Lebensmittel zu holen. Als der Bruder heim kam, fragten sie nach dem goldenen Schloss von Stromberg, er antwortete: „Wenn ich gegessen habe und satt bin, dann will ich auf der Karte suchen.“ Er stieg dann mit ihnen auf seine Kammer und sie suchten auf seiner Landkarte, konnten es aber nicht finden; da holte er noch andere alte Karten, und sie ließen nicht ab, bis sie endlich das goldene Schloss von Stromberg fanden, aber es war viele tausend Meilen weit weg.
„Wie werde ich nun dahin kommen?“ fragte der Mann. Der Riese sprach: „Zwei Stunden hab ich Zeit, da will ich dich bis in die Nähe tragen, dann aber muss ich wieder nach Haus und das Kind säugen, das wir haben.“ Da trug der Riese den Mann bis etwa hundert Stunden vom Schloss und sagte: „Den übrigen Weg kannst du wohl allein gehen.“
Dann kehrte er um, der Mann aber ging vorwärts Tag und Nacht, bis er endlich zu dem goldenen Schloss von Stromberg kam. Es stand aber auf einem gläsernen Berge, und die verwünschte Jungfrau fuhr in ihrem Wagen um das Schloss herum und ging dann hinein. Er freute sich, als er sie erblickte, und wollte zu ihr hinaufsteigen, aber wie er es auch anfing, er rutschte an dem Glas immer wieder herunter. Und als er sah, dass er sie nicht erreichen konnte, ward er ganz betrübt und sprach zu sich selbst: „Ich will hier unten bleiben und auf sie warten.“ Also baute er sich eine Hütte und saß darin ein ganzes Jahr und sah die Königstochter alle Tage oben fahren, konnte aber nicht zu ihr hinaufkommen. Da sah er einmal aus seiner Hütte, wie, drei Räuber sich schlugen, und rief ihnen zu: „Gott sei mit euch!“ Sie hielten bei dem Rufe inne, als sie aber niemand sahen, fingen sie wieder an sich zu schlagen, und das zwar ganz gefährlich.
Da rief er abermals: „Gott sei mit euch!“ Sie hörten wieder auf, guckten sich um, weil sie aber niemanden sahen, fuhren sie auch wieder fort sich zu schlagen. Da rief er zum drittenmal: „Gott sei mit euch!“ und dachte: „Du musst sehen, was die drei vorhaben“, ging hin und fragte, warum sie aufeinander losschlagen.
Da sagte der eine, er hätte einen Stock gefunden, wenn er damit wider eine Tür schlüge, so spränge sie auf; der andere sagte, er hätte einen Mantel gefunden, wenn er den umhinge, so wäre er unsichtbar; der dritte aber sprach, er hätte ein Pferd gefangen, damit könnte man überall hinreiten, auf den gläsernen Berg hinauf. Nun wüssten sie nicht, ob sie das in Gemeinschaft behalten oder ob sie sich trennen sollten.
Da sprach der Mann: „Die drei Sachen will ich euch eintauschen; Geld habe ich zwar nicht, aber andere Dinge, die mehr wert sind! doch muss ich vorher eine Probe machen, damit ich sehe, ob ihr auch die Wahrheit gesagt habt.“ Da ließen sie ihn aufs Pferd sitzen, hingen ihm den Mantel um und gaben ihm den Stock in die Hand, und wie er das alles hatte, konnten sie ihn nicht mehr sehen. Da gab er ihnen tüchtige Schläge und rief: „Nun, ihr Bärenhäuter, da habt ihr, was euch gebührt: seid ihr zufrieden?“
Dann ritt er den Glasberg hinauf, und als er oben vor das Schloss kam, war es verschlossen; da schlug er mit dem Stock an das Tor und alsbald sprang es auf. Er trat ein und ging die Treppe hinauf bis oben in den Saal, da saß die Jungfrau und hatte einen goldenen Kelch mit Wein vor sich. Sie konnte ihn aber nicht sehen, weil er den Mantel umhatte. Und als er vor sie kam, zog er den Ring, den sie ihm gegeben hatte, vom Finger und warf ihn in den Kelch, dass es klang. Da rief sie: „Das ist mein Ring, so muss auch der Mann da sein, der mich erlösen wird.“
Sie suchten im ganzen Schloss und fanden ihn nicht, er war aber hinausgegangen, hatte sich aufs Pferd gesetzt und den Mantel abgeworfen. Wie sie nun vor das Tor kamen, sahen sie ihn und schrieen vor Freude. Da stieg er ab und nahm die Königstochter in den Arm; sie aber küsste ihn und sagte: „Jetzt hast du mich erlöst, und morgen wollen wir unsere Hochzeit feiern.“
Kaum hatte sie das Wort gesagt, so war das Kind in eine Rabe verwandelt und flog von ihrem Arm zum Fenster hinaus. Sie flog aber in einen dunklen Wald und blieb lange Zeit darin und die Eltern hörten nichts von ihr. Danach führte einmal einen Mann sein Weg in diesen Wald, der hörte die Rabe rufen und ging der Stimme nach; und als er näher kam, sprach die Rabe: „Ich bin eine Königstochter von Geburt und bin verwünscht worden, du aber kannst mich erlösen.“
„Was soll ich tun?“ fragte er. Sie sagte: „Geh weiter in den Wald, und du wirst ein Haus finden, darin sitzt eine alte Frau, die wird dir Essen und Trinken reichen, aber du darfst nichts nehmen: wenn du etwas isst oder trinkst, so verfällst du in einen Schlaf und kannst du mich nicht erlösen. Im Garten hinter dem Haus ist eine große Lohhucke, darauf sollst du stehen und mich erwarten. Drei Tage lang komm ich jeden Mittag um zwei Uhr zu dir in einem Wagen, der ist erst mit vier weißen Hengsten bespannt, dann mit vier roten und zuletzt mit vier schwarzen, wenn du aber nicht wach bist, sondern schläfst, so werde ich nicht erlöst.“ Der Mann versprach alles zu tun, was sie verlangt hatte, die Rabe aber sagte „Ach, ich weiß es schon, du wirst mich nicht erlösen, du nimmst etwas von der Frau.“ Da versprach der Mann noch einmal, er wollte gewiss nichts anrühren, weder von dem Essen noch von dem Trinken. Wie er aber in das Haus kam, trat die alte Frau zu ihm und sagte: „Armer Mann, was seid Ihr abgemattet, kommt und erquickt Euch, esst und trinkt.“
„Nein“, sagte der Mann, „ich will nicht essen und nicht trinken.“ Sie ließ ihm aber keine Ruhe und sprach: „Wenn Ihr dann nicht essen wollt, so tut einen Zug aus dem Glas, einmal ist keinmal.“ Da ließ er sich überreden und trank. Nachmittags gegen zwei Uhr ging er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten. Wie er da stand, ward er auf einmal so müde, und konnte es nicht überwinden und legte sich ein wenig nieder; doch wollte er nicht einschlafen.
Aber kaum hatte er sich hingestreckt, so fielen ihm die Augen von selber zu, und er schlief ein und schlief so fest, dass ihn nichts auf der Welt hätte erwecken können. Um zwei Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengsten gefahren, aber sie war schon in voller Trauer und sprach: „Ich weiß, dass er schläft.“ Und als sie in den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke und schlief. Sie stieg aus dem Wagen, ging zu ihm und schüttelte ihn und rief ihn an, aber er erwachte nicht.
Am andern Tag zur Mittagszeit kam die alte Frau wieder und brachte ihm Essen und Trinken, aber er wollte es nicht annehmen. Doch sie ließ ihm keine Ruhe und redete ihm, so lange zu, bis er wieder einen Zug aus dem Glase tat. Gegen zwei Uhr ging er in den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten, da empfand er auf einmal so große Müdigkeit, dass seine Glieder ihn nicht mehr hielten: er konnte sich nicht helfen, musste sich legen und fiel in tiefen Schlaf. Als die Rabe daherfuhr mit vier braunen Hengsten, war sie schon in voller Trauer und sagte: „Ich weiß, dass er schläft.“ Sie ging zu ihm hin, aber er lag da im Schlaf und war nicht zu erwecken.
Am andern Tage sagte die alte Frau, was das wäre, er äße und tränke nichts, ob er sterben wollte? Er antwortete: „Ich will und darf nicht essen und nicht trinken.“ Sie stellte aber die Schüssel mit Essen und das Glas mit Wein vor ihm hin, und als der Geruch davon zu ihm aufstieg, so konnte er nicht widerstehen und tat einen starken Zug. Als die Zeit kam, ging er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wartete auf die Königstochter; da ward er noch müder als die Tage vorher, legte sich nieder und schlief so fest, als wäre er ein Stein.
Um zwei Uhr kam die Rabe und hatte vier schwarze Hengste, und die Kutsche und alles war schwarz. Sie war aber schon in voller Trauer und sprach: „Ich weiß, dass er schläft und mich nicht erlösen kann.“ Als sie zu ihm kam, lag er da und schlief fest. Sie rüttelte ihn und rief ihn, aber sie konnte ihn nicht aufwecken. Da legte sie ein Brot neben ihn hin, dann ein Stück Fleisch, zum dritten eine Flasche Wein, und er konnte von allem so viel nehmen, als er wollte, es ward nicht weniger. Danach nahm sie einen goldenen Ring von ihrem Finger, und steckte ihn an seinen Finger, und war ihr Name eingegraben. Zuletzt legte sie einen Brief hin, darin stand, was sie ihm gegeben hatte, und dass es nie all würde, und es stand auch darin: „Ich sehe wohl, dass du mich hier nicht erlösen kannst, willst du mich aber noch erlösen, so komm nach dem goldenen Schloss von Stromberg, es steht in deiner Macht, das weiß ich gewiss.“
Und wie sie ihm das alles gegeben hatte, setzte sie sich in ihren Wagen und fuhr in das goldene Schloss von Stromberg. Als der Mann aufwachte und sah, dass er geschlafen hatte, ward er von Herzen traurig und sprach: „Gewiss nun ist sie vorbeigefahren, und ich habe sie nicht erlöst.“ Da fielen ihm die Dinge in die Augen, die neben ihm lagen, und er las den Brief, darin geschrieben stand, wie es zugegangen war. Also machte er sich auf und ging fort, und wollte nach dem goldenen Schloss von Stromberg, aber er wusste nicht, wo es lag.
Nun war er schon lange in der Weit herumgegangen, da kam er in einen dunkeln Wald und ging vierzehn Tage darin fort und konnte sich nicht herausfinden. Da ward es wieder Abend, und er war so müde, dass er sich an einen Busch legte und einschlief.
Am andern Tag ging er weiter, und abends als er sich wieder an einen Busch legen wollte, hörte er ein Heulen und Jammern, dass er nicht einschlafen konnte. Und wie die Zeit kam, wo die Leute Lichter anstecken, sah er eins schimmern, machte sich auf und ging ihm nach; da kam er vor ein Haus, das schien so klein, denn es stand ein großer Riese davor. Da dachte er bei sich: „Gehst du hinein und der Riese erblickt dich, so ist es leicht um dein Leben geschehen.“ Endlich wagte er es und trat heran. Als der Riese ihn sah, sprach er: „Es ist gut, dass du kommst, ich habe lange nichts gegessen: ich will dich gleich zum Abendbrot verschlucken.“ „Lass das lieber sein“, sprach der Mann, „ich lasse mich nicht gerne verschlucken; verlangst du zu essen, so habe ich genug, um dich satt zu machen.“
„Wenn das wahr ist“, sagte der Riese, „so kannst du ruhig bleiben; ich wollte dich nur verzehren, weil ich nichts anderes habe.“ Da gingen sie und setzten sich an den Tisch, und der Mann holte Brot, Wein und Fleisch, das nicht all ward. „Das gefällt mir wohl“, sprach der Riese und aß nach Herzenslust. Danach sprach der Mann zu ihm: „Kannst du mir nicht sagen, wo das goldene Schloss von Stromberg ist?“ Der Riese sagte: „Ich will auf meiner Landkarte nachsehen, darauf sind alle Städte, Dörfer und Häuser zu finden.“ Er holte die Landkarte, die er in der Stube hatte, und suchte das Schloss, aber es stand nicht darauf. „Es tut nichts“, sprach er, „ich habe oben im Schranke noch größere Landkarten; darauf wollen wir suchen;“ aber es war auch vergeblich.
Der Mann wollte nun weitergehen; aber der Riese bat ihn, noch ein paar Tage zu warten, bis sein Bruder heim käme, der wäre ausgegangen, Lebensmittel zu holen. Als der Bruder heim kam, fragten sie nach dem goldenen Schloss von Stromberg, er antwortete: „Wenn ich gegessen habe und satt bin, dann will ich auf der Karte suchen.“ Er stieg dann mit ihnen auf seine Kammer und sie suchten auf seiner Landkarte, konnten es aber nicht finden; da holte er noch andere alte Karten, und sie ließen nicht ab, bis sie endlich das goldene Schloss von Stromberg fanden, aber es war viele tausend Meilen weit weg.
„Wie werde ich nun dahin kommen?“ fragte der Mann. Der Riese sprach: „Zwei Stunden hab ich Zeit, da will ich dich bis in die Nähe tragen, dann aber muss ich wieder nach Haus und das Kind säugen, das wir haben.“ Da trug der Riese den Mann bis etwa hundert Stunden vom Schloss und sagte: „Den übrigen Weg kannst du wohl allein gehen.“
Dann kehrte er um, der Mann aber ging vorwärts Tag und Nacht, bis er endlich zu dem goldenen Schloss von Stromberg kam. Es stand aber auf einem gläsernen Berge, und die verwünschte Jungfrau fuhr in ihrem Wagen um das Schloss herum und ging dann hinein. Er freute sich, als er sie erblickte, und wollte zu ihr hinaufsteigen, aber wie er es auch anfing, er rutschte an dem Glas immer wieder herunter. Und als er sah, dass er sie nicht erreichen konnte, ward er ganz betrübt und sprach zu sich selbst: „Ich will hier unten bleiben und auf sie warten.“ Also baute er sich eine Hütte und saß darin ein ganzes Jahr und sah die Königstochter alle Tage oben fahren, konnte aber nicht zu ihr hinaufkommen. Da sah er einmal aus seiner Hütte, wie, drei Räuber sich schlugen, und rief ihnen zu: „Gott sei mit euch!“ Sie hielten bei dem Rufe inne, als sie aber niemand sahen, fingen sie wieder an sich zu schlagen, und das zwar ganz gefährlich.
Da rief er abermals: „Gott sei mit euch!“ Sie hörten wieder auf, guckten sich um, weil sie aber niemanden sahen, fuhren sie auch wieder fort sich zu schlagen. Da rief er zum drittenmal: „Gott sei mit euch!“ und dachte: „Du musst sehen, was die drei vorhaben“, ging hin und fragte, warum sie aufeinander losschlagen.
Da sagte der eine, er hätte einen Stock gefunden, wenn er damit wider eine Tür schlüge, so spränge sie auf; der andere sagte, er hätte einen Mantel gefunden, wenn er den umhinge, so wäre er unsichtbar; der dritte aber sprach, er hätte ein Pferd gefangen, damit könnte man überall hinreiten, auf den gläsernen Berg hinauf. Nun wüssten sie nicht, ob sie das in Gemeinschaft behalten oder ob sie sich trennen sollten.
Da sprach der Mann: „Die drei Sachen will ich euch eintauschen; Geld habe ich zwar nicht, aber andere Dinge, die mehr wert sind! doch muss ich vorher eine Probe machen, damit ich sehe, ob ihr auch die Wahrheit gesagt habt.“ Da ließen sie ihn aufs Pferd sitzen, hingen ihm den Mantel um und gaben ihm den Stock in die Hand, und wie er das alles hatte, konnten sie ihn nicht mehr sehen. Da gab er ihnen tüchtige Schläge und rief: „Nun, ihr Bärenhäuter, da habt ihr, was euch gebührt: seid ihr zufrieden?“
Dann ritt er den Glasberg hinauf, und als er oben vor das Schloss kam, war es verschlossen; da schlug er mit dem Stock an das Tor und alsbald sprang es auf. Er trat ein und ging die Treppe hinauf bis oben in den Saal, da saß die Jungfrau und hatte einen goldenen Kelch mit Wein vor sich. Sie konnte ihn aber nicht sehen, weil er den Mantel umhatte. Und als er vor sie kam, zog er den Ring, den sie ihm gegeben hatte, vom Finger und warf ihn in den Kelch, dass es klang. Da rief sie: „Das ist mein Ring, so muss auch der Mann da sein, der mich erlösen wird.“
Sie suchten im ganzen Schloss und fanden ihn nicht, er war aber hinausgegangen, hatte sich aufs Pferd gesetzt und den Mantel abgeworfen. Wie sie nun vor das Tor kamen, sahen sie ihn und schrieen vor Freude. Da stieg er ab und nahm die Königstochter in den Arm; sie aber küsste ihn und sagte: „Jetzt hast du mich erlöst, und morgen wollen wir unsere Hochzeit feiern.“
Quelle: Brüder Grimm