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Die Ritter vom Fisch

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Es war einmal ein Land, in welchem man so viele Eisenbahnen, Luftballons, Canäle und Dampfschiffe bauete, daß die Leute das Zu-Fuß-Gehen ganz verlernten und darum auch alle Schuhmacher und Schuhflicker zu Grunde gingen. Mit dem Gleichgewicht der bürgerlichen Gesellschaft ist es wie mit dem der Erde: wenn das Meer auf der einen Seite mit seinem Rachen ein Stück Land verschlingt, so wirft es auf der andern wieder ein Stück aus – was es aber ausspeiet, ist jedesmal von ihm so ausgesogen und ausgedörrt, wie die Wüste. Was das Meer thut, hatte in besagtem Lande die Civilisation gethan, als sie sich aller Communicationsmittel bemächtigt hatte; dürr und elend saßen die armen Schuster da, ihrem Schicksale überlassen.

Eins dieser Opfer warf in seinem Unmuthe mit seinem Leisten nach dem ersten Eisenbahnzuge, der ihm entgegenkam, mit seiner Ahle nach dem aufgeblähetsten Dampfschiffe, mit seiner Schürze nach dem aufgeblasensten Ballon, kaufte ein kleines Boot und Netz und wollte Fischer werden. So oft nun ein Dampfer in der Nähe seines Bootes hinfuhr, rief er mit lauter Stimme hinüber: „In seinem kleinen Kahne trotzt ein Schuhflicker den Dampfschiffen, wie der Fels den Meereswogen. Bilde Dir nicht in Deinem Stolze ein, daß ich mich Dir je unterwerfe!

Nein, immer soll mein Bötelein
Mein einz’ger Locomotor sein.“

So sang unser Fischer; was aber die Fische betrifft, so fing er damit keinen einzigen. Seine Baßstimme und das Geräusch der Dampfschiffe trieben sie alle weg. Es gab für ihn auf dem Meere grade so wenig Fische, wie auf dem Land zerrissene Schuhe. Da verzweifelte er denn endlich und nahm sich vor, sich in’s Meer zu werfen, indem er meinte: „Esse ich keine Fische, so sollen die Fische mich essen, se va lo uno por lo otro – so oder anders, gleichviel.“

Aber das Meer sah grade so grimmig aus, so schwarzgrau, so wild und unbändig, daß unser Schuster eine bessere Gelegenheit für seinen Plan abwarten wollte. Indeß warf er auch sein Netz wieder aus, und siehe da, auf einmal fühlte er es ganz schwer. Aha, dachte er, es war doch gescheut, meinen Kopfsprung etwas aufzuschieben. Er zog das Netz und fand einen Petersfisch darin. Die Petersfische sind aber ganz außerordentlich feine Fische mit zwei runden schwarzen Flecken, die von der Legende als durch die Finger des heiligen Petrus eingedrückt angesehen werden. Mag sich in diesem Glauben, der ja freilich kein Dogma ist, auch weder ein frommes Gefühl, noch ein schöner poetischer Gedanke aussprechen, wie in andern Inspirationen des Volksglaubens, so beweist er doch, daß das spanische Volk, das von den englischen Propagandisten stets als höchst unwissend in religiösen Dingen geschildert wird, ganz in den Gedanken und Geschichten des Evangeliums lebt und Herrn John Bull in vielen Dingen wohl belehren könnte.

Wir kehren zu unserer Erzählung zurück. Sobald der Schuster den schönen Fisch in Händen hatte, sprach der Fisch, der, wie es scheint, nicht so stumm wie seine Brüder war, zu ihm:

„Trage mich nach Deinem Hause; schneide mich in acht Stücke; bereite mich mit Salz und Pfeffer, Zimmt und Nägelein, Krausemünze und Lorbeerblättern. Zwei Stücke gib Deiner Frau zu essen, zwei Deiner Mutterstute, zwei Deiner Hündin und die beiden übrigen pflanze in Deinen Garten.“ Der Schuhflicker that buchstäblich Alles, was ihm der Fisch sagte, so groß war sein Vertrauen zu den Worten desselben. Dies bestätigt wieder eine ganz gegen die Ansicht der Parlamentsmänner laufende Thatsache, daß nämlich die, welche wenig sprechen, mehr Zutrauen einflößen als die Vielsprecher.

Nach neun Monaten gebar des Schusters Frau zwei Knaben, seine Stute warf zwei Füllen, seine Hündin zwei Hündchen und im Garten gingen zwei Lanzen auf, die als Blüthen zwei Wappenschilde trugen, welche einen Silberfisch in blauem Felde hielten. Alles dies wuchs friedlich und gedeihlich mit einander auf, so daß später aus des Schusters Hause zwei schöne stattliche Ritter auf prächtigen, wunderschön gesattelten Rossen, mit zwei aufgerichteten Lanzen und zwei glänzenden Schilden, von zwei tüchtigen Windhunden begleitet, herausritten.

Die Brüder, sich gegenseitig so ähnlich, daß man sie beide den Doppelritter nannte, wollten, wie es auch ganz recht war, ihre Persönlichkeit nicht verlieren und beschlossen darum, sich zu trennen und einzeln die Welt zu durchziehen. Sie umarmten sich zärtlich und gingen der Eine gen Osten, der Andere gen Westen.

Nach einigen Reisetagen kam der Erste nach Madrid und fand die königliche Stadt, wie sie das Salzwasser ihrer Thränen in die reinen und süßen Wellen ihres geliebten Manzanares mischte. Alle Welt weinte, selbst die Maria blanca vom Sonnenthor. Unser schöner Ritter fragte nach der Ursache dieser allgemeinen Trostlosigkeit und erfuhr, daß ein fürchterlicher Drache, der Sohn einer höllischen Alten, jährlich ein junges Mädchen erhalte, um sich während der übrigen Zeit ruhig zu halten, und daß das Loos diesmal auf die Königstochter gefallen, die eine so schöne und herzensgute Prinzessin, wie keine andere, sei. Der Ritter fragte weiter, wo sich die Prinzessin befinde, und man sagte ihm, sie erwarte eine Viertelmeile von der Stadt den Drachen, der jedesmal um zwölf Uhr komme, seine Beute mitzunehmen. Der Ritter eilte schnell nach dem bezeichneten Orte und fand die Prinzessin vom Kopf bis zu den Füßen zitternd und ganz in Thränen zerflossen.

„Fliehet,“ rief sie dem nahenden Ritter zu, „fliehet, Unbesonnener! Der Drache kommt sogleich und dann seid Ihr verloren.“

„Ich werde nicht weichen,“ antwortete der Ritter; „sondern komme, Euch zu retten.“

„Mich retten? das ist unmöglich.“

„Wir wollen sehen,“ entgegnete der tapfere Ritter, „gibt es hier Deutsche?“

„Ja,“ antwortete verwundert die Prinzessin.

„Ihr werdet es schon erfahren,“ sagte der Ritter und sprengte blitzschnell zur trostlosen Stadt zurück. Nach wenigen Minuten kam er mit einem großen Spiegel zurück, den er in einem deutschen Laden gekauft hatte. Er stellte ihn gegen einen Baum, bedeckte ihn mit dem Schleier der Prinzessin, stellte diese vor den Spiegel und sagte ihr, sobald der Drache nahe sei, solle sie schnell den Schleier zurückziehen und sich hinter den Baum verstecken. Darauf entfernte er sich etwas und verbarg sich.

Es dauerte nicht lange, so erschien der Drache und kam langsam auf die Prinzessin zu, sie keck und unverschämt ansehend, so daß ihm nur das Lorgnon fehlte, um andern kleinern und weniger gefährlichen Drachen zu gleichen. Als er nun endlich ganz nahe war, zog die Prinzessin schnell den Schleier vom Spiegel und versteckte sich hinter den Baum. Der Drache war ganz verblüfft, als er seine verliebten Augen auf sein gräßliches Ebenbild gerichtet sah. Er verzerrte sein Gesicht – sein vis-à-vis that dasselbe; seine Augen wurden wie zwei feurige Kohlen – die seines Gegenmannes blieben nicht zurück; im Zorn sträubte er seine Schuppen wie ein Igel in die Höhe – und ganz eben so hoch stiegen die des andern Drachen; er öffnete seinen fürchterlichen Rachen, der nicht seines Gleichen gehabt haben würde, hätte nicht sein Gegner, ohne sich schrecken zu lassen, den seinen eben so weit aufgethan. Ungestüm stürzte er nun auf seinen unerschrockenen Gegner los und stieß sich dabei so heftig gegen das Spiegelglas, daß er ganz betäubt wurde. Ueberdies sah er nun in allen den keinen Stücken des entzweigestoßenen Spiegels Theile seines Körpers und glaubte nicht anders, als daß er sich selbst in lauter Stücke zerstoßen habe. Der Ritter benutzte diesen Augenblick, fiel mit seiner guten Lanze und seinem treuen Hund über den Drachen her und tödtete ihn.

Man kann sich die Freude und den Jubel der Madrileños, die lustige Leute sind, denken, als sie den Ritter vom Fisch ankommen sahen. Derselbe hatte die Prinzessin so froh wie ein Osterfest neben sich auf dem Pferde, und schleifte den todten Drachen, den er an den Schweif des Pferdes gebunden, wie eine Schleppe hinter sich her.

Man wird sich auch wohl denken, daß man die hohe That des edeln Ritters mit nichts Anderem belohnen konnte, als mit der weißen Hand der Prinzessin, und daß es eine Hochzeit mit Gastmählern, Stiergefechten und Ritterspielen gab, und daß ich auch dabei war, ohne übrigens von den Herrlichkeiten etwas zu bekommen.

Einige Tage nach der Hochzeit sagte nun der Ritter zu seiner Frau, er möchte auch gern einmal den ganzen Palast sehen, der so groß war, daß er eine Meile Landes bedeckte. Die Prinzessin willigte ein und sie machten sich auf den Weg. Endlich nach drei Tagen war die Wanderung durch alle Gemächer beendet und am vierten stiegen sie auf die Terrasse. Wie erstaunt war der Ritter über die herrliche Aussicht! Da sah man ganz Spanien und Mohrenland und selbst den Kaiser von Marokko, der den Tod seines Freundes, des bösen Drachens, bitterlich beweinte.

„Was für ein Schloß ist das dort in der Ferne, das so einsam und düster aussiehet?“ fragte der Ritter.

„Es heißt,“ erwiederte die Prinzessin, „Schloß ‚Erschrecklich‘ und ist verzaubert, ohne daß Jemand den Zauber lösen kann. Wer hineingeht, kommt nicht wieder heraus.“

Der Ritter schwieg. Da er aber muthig war und Abenteuer liebte, so stieg er des andern Morgens, ohne Jemand etwas davon zu sagen, auf sein Pferd, nahm Degen, Lanze und Hund mit und machte sich auf den Weg nach jenem Schlosse.

Das Schloß war so entsetzlich, daß sich ein Jeder fürchtete, der es nur sah, schwarz wie eine Gewitternacht, schweigsam wie eine Leiche, unwirsch wie ein Bösewicht. Aber der Ritter wußte von Furcht nichts weiter als den Namen, kehrte den Rücken nur dem überwundenen Feinde und klopfte also laut an der Thür an. Alle schlafenden Echos des Schlosses wachten auf und ließen näher und ferner das Klopfen im Chore nachklingen: doch kam keine andere Antwort. Da klopfte er noch einmal stärker mit der Lanze und es öffnete sich nun ein kleines Gitterloch im Thore, hinter dem die Spitze von der langen Nase eines alten häßlichen Weibes hervorguckte.

„Was wollt Ihr, dreister Ruhestörer?“ fragte die Alte mürrisch.

„Hineingelassen werden,“ antwortete der Ritter und hob dabei sein Visir in die Höhe.

Als die Alte das schöne Gesicht sah, ward sie ganz freundlich und machte ihm gleich die Thür auf.

„Nun, gute Alte, -“ begann der Ritter.

„Ich heiße Berberisca,“ fiel ihm die Alte empfindlich in’s Wort, „und bin Erb- und Gerichtsfrau vom Schloß Erschrecklich.“

„Schrecklich, schrecklich,“ riefen die Echos.

„Wollt Ihr wohl schweigen, Ihr Schreihälse!“ schalt die Alte und zum Ritter gewandt, fuhr sie fort: „Wollt Ihr mich heirathen, so sollt Ihr Herr sein und ein Leben haben wie der Pascha.“

„Ah,“ lachten in Einem fort die Echos.

„Euch sollt‘ ich heirathen, Euch Hundertjährige?“ antwortete der Ritter, „Ihr seid recht einfältig fürwahr.“

„Wahr, wahr, wahr,“ riefen die Echos.

„Was ich will,“ fuhr der Ritter fort, „ist nur das Schloß durchsuchen und fortgehen nach dem Examen.“

„Amen, amen, amen“ – klang es nach.

Die Alte sah aufgebracht den Ritter von der Seite an und sagte, er solle ihr folgen, sie werde ihm Alles zeigen. So geschah es und der Ritter sah gar viele, viele prächtige Sachen. Doch konnte er sich nicht Alles merken, denn die boshafte Berberisca führte ihn schnell weiter in einen dunkeln Gang, wo sich plötzlich eine Fallthür öffnete. Der Ritter, der nichts davon ahnte, fiel in einen tiefen Abgrund und einte nun seine Stimme mit denen der Echos, denn alle jene Echos waren nichts als Stimmen anderer schöner und vortrefflicher Ritter, welche die ehrwürdigen Reize der Alten gleichfalls verschmähet hatten und von ihr in derselben Weise betrogen worden waren.

Wir kommen nun zum andern Ritter vom Fisch. Derselbe gelangte auf seiner Reise auch zuletzt nach Madrid. Aber welche Aufnahme wartete seiner daselbst: kaum trat er in das Thor, als die Soldaten vor der Wache aufmarschirten, Trommeln wirbelten und Trompeten schmetterten und der Königsmarsch erklang. Die Diener vom Palast umringten ihn und theilten ihm mit, daß die Prinzessin in Thränen zerfließe und über seine lange Abwesenheit sich viel geängstet und viel geweint habe.

Gewiß, dachte der Ritter, hält man mich für meinen Bruder, der vermuthlich hier sein besonderes Glück gemacht hat. Ich will doch sehen, wo das hinausgeht.

Man führte ihn wie im Triumphe nach dem Palast und König und Prinzessin empfingen ihn mit hohen Freuden.

„Du bist also nach dem Schlosse Erschrecklich geritten? Sage, wie bist Du wieder herausgekommen und wie ist es Dir dort ergangen. Ich habe gefürchtet, Dich nie wiederzusehen.“

„Es ist mir nicht erlaubt, ein einziges Wort darüber mitzutheilen, bis ich nicht nochmals da gewesen bin.“

„Wie,“ rief die Prinzessin, „Du bist der Einzige, der je vom verzauberten Schlosse wiedergekehrt ist, und Du willst das Abenteuer zum zweiten Male wagen?“

„Ich muß es.“

Darüber war der Abend angekommen und beide begaben sich zum Schlafgemach. Der Ritter nahm seinen Degen und legte ihn auf das Lager der Prinzessin.

„Warum thust Du das?“ fragte sie.

„Weil ich ein Gelübde gethan,“ antwortete er, „auf keinem Lager zu ruhen, bis ich nicht von jenem Schlosse wiedergekehrt bin.“

Des andern Morgens bestieg er sein Pferd und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse, in Ungewißheit und Furcht wegen seines Bruders. Jetzt stand er am Thor und klopfte. Berberisca’s Nasenspitze zeigte sich alsbald am Gitterloch; wurde aber sogleich noch einmal so lang und kreideweiß, denn die Alte dachte, als sie den Ritter sah, nicht anders, als die Todten stünden auf.

„Heiliger Belzebub,“ rief sie, denn für diesen Heiligen hatte sie eine besondere Devotion, „heiliger Belzebub, befreie mich von dieser Erscheinung,“ und mit diesen Worten lief sie weg.

„Frau Unsterblich,“ rief ihr der Ritter nach, „ist hier ein Ritter angekommen, der mir ähnlich aussah? Nein oder ja.“

„Ja, ja, ja,“ riefen die Echos.

„Lebt er oder ist er todt?“

„Todt, todt, todt,“ klagten die Echos.

Als der Ritter das hörte, lief er der Alten nach und durchbohrte sie mit seinem Degen, und da sie klein und mager war und der Wind grade stark wehte, so drehte sie sich wie ein Windmühlflügel um den Degen herum.

„Wo ist mein Bruder, Du tückische Hexe?“ fragte der Ritter.

„Ich wollte es Euch gern sagen,“ antwortete sie, „aber ich bin sterbend und von allem Drehen schwindelt mir der Kopf. Macht mich erst wieder lebendig.“

„Wie kann ich das, alter Drache?“

„Geht nach dem Garten, nehmt Eisenhut, Klatschrosen und Drachenblut, kocht das in einem Kessel und badet mich darin,“ und kaum hatte die Alte das gesagt, als sie starb, ohne noch „Jesus“ zu sagen.

Der Ritter that Alles, wie ihm gesagt, und machte die Alte wieder lebendig, nur war sie noch häßlicher als vorher, denn ihre große Nase hatte im Kessel keinen Platz gefunden und sah todtenstarr und weiß wie ein Elephantenzahn aus.

Sie sagte nun dem Ritter, wo sein Bruder sei, und als der Ritter in jenen Abgrund hinunterstieg, fand er daselbst nicht allein seinen Bruder, sondern noch viele andere Ritter und sehr viele schöne Fräulein, die der Drache ehemals dahin gebracht. Er steckte sie darauf alle, einen nach dem andern, in den Kessel und machte sie so alle wieder lebendig. Die Echos nahmen wieder von ihren Kehlen Besitz, die Herrlein und die Fräulein bedienerten und beknicksten sich gegenseitig, gingen dann alle zum Ritter, ihm zu danken und nach wenigen Secunden standen lauter schmucke Pärchen da, denn die Ritter und Fräulein waren lauter verzauberte Bräutigame und Bräute gewesen. Als Berberisca diese Lust und Freude sah, platzte sie vor Neid und starb nun für immer.

Quelle:
(Spanische Volks- und Kindermärchen)

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