Als sie dann ein ganzes Jahr gewandert waren, geschah es, daß Batje, als er einen Berghang hinaufstieg, in der Ferne etwas sah, das sich bewegte und einem Menschen ähnelte. „Ha“, dachte der Junge, „dort ist endlich das, was ich suche.“ Und er lief dem kleinen Geschöpf, welches sich in der Ferne regte, entgegen. Zur gleichen Zeit erging es auch Nanna so; sie glaubte weit entfernt einen Menschen zu sehen. „Ha“, dachte sie, „am Ende ist ihr das Glück doch hold, da ist endlich ein Mensch.“ Und dann liefen sie mit schnellen Schritten in jene Richtung. Sie wußten aber beide nicht, daß sie selbst es waren, die aufeinander zuliefen. Doch dann erkannten sie sich. „Ha – ich glaube – das ist Nanna“, sagte der Junge. „Nein, sehe ich recht, ich glaube, das ist Batje“, erwiderte das Mädchen. Sie gingen einige Zeit zusammen, erzählten von ihren Abenteuern während der Wanderschaft und daß sie nirgendwo Menschen angetroffen oder auch nur eine Spur von ihnen bemerkt hatten. Als sie eine Weile so gewandert waren, sagte Batje erneut zu Nanna: „Liebe Schwester, laß uns noch einmal unser Glück versuchen. Ich will gegen Sonnenaufgang ziehen, und du magst gegen Sonnenuntergang wandern – vielleicht werden wir da einem Menschen begegnen.“ Und sie zogen fort, Batje nach Osten und Nanna nach Westen. Viele sonderbare Dinge sahen sie, und vieles lernten sie auf ihrem Weg, aber andere Menschen erblickten sie nirgends.
Als sie wiederum ein ganzes Jahr gewandert waren, trafen sie sich erneut. Beide hatten sich in diesem Jahr sehr verändert, dennoch erkannten sie sich sogleich. „Du bist Batje“, rief das Mädchen. „Und du bist Nanna“, sagte der Junge. Da küßten sie sich, und wieder wanderten sie einige Zeit zusammen. Doch sie waren nicht mehr so froh und sorglos wie früher. Oft kam eine Unruhe über sie beide, und bisweilen suchte jeder für sich Einsamkeit, obgleich sie einander sehr mochten. Eines Tages zog Batje von Nanna fort ohne ihr zum Abschied einen Kuß zu geben. Und Nanna, die nun ganz allein in dem großen, weiten Land war, weinte bittere Tränen. Da ließ Beijen–Nejta, des Sonnengottes Tochter, einen tiefen Schlaf über die Kinder kommen, und als sie erwachten, fanden Batje und Nanna sich zwar wieder, aber sie erkannten sich nicht mehr. Doch wurden die beiden sehr froh, als sie sich ansahen. Und sie lebten viele Jahre und waren glücklich bis zu ihrem Tod. Von Batje und Nanna stammen alle Lappen her, oder Samen, wie sie selbst sich nannten. Und wie Batje und Nanna umherwanderten, um Menschen zu suchen, aber nur sich selbst fanden, so wandern die Samen noch heute ohne Rast und Ruhe vom Gebirge zum Meer und vom Meer zum Gebirge.
Sage aus Lappland