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Die Schönheit und das Tier

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Es war einmal ein Kaufmann, welcher außerordentlich reich war. Er hatte drei Töchter, und da er ein verständiger Mann war, so sparte er nichts an ihrer Erziehung und gab ihnen gute Lehrer. Seine Töchter waren sehr schön; besonders wurde die jüngste bewundert und man nannte sie, solange sie klein war, nur »die Schönheit« und der Name blieb ihr und erweckte die Eifersucht ihrer Schwestern.
Die beiden ältesten waren sehr stolz, weil sie reich waren; sie spielten die Damen und wollten sich nicht mit den andern Kaufmannstöchtern abgeben, es fehlte ihnen an Leuten, die sie ihrer Gesellschaft für würdig erachtet hätten. Alle Tage gingen sie auf Bälle, in die Komödie, auf Spaziergänge und spotteten über ihre Jüngste, die den größten Teil ihrer Zeit darauf verwandte, gute Bücher zu lesen. Da man wußte, daß diese Mädchen sehr reich seien, so baten mehrere wohlhabende Kaufleute um ihre Hand, aber die beiden ältesten antworteten, daß sie nur einen Herzog oder doch mindestens einen Grafen heiraten wollten. Die Schönheit dankte denen, die um sie anhielten, freundlich, aber sie sagte ihnen, daß sie noch zu jung sei und daß sie lieber ihrem Vater noch einige Jahre Gesellschaft leisten wolle.
Mit einem Schlage verlor der Kaufmann seine ganze Habe und nichts blieb ihm als ein kleines Landhaus weit von der Stadt. Unter Tränen eröffnete er seinen Kindern, daß sie dieses Haus künftighin bewohnen und mit Bauernarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen müßten. Seine beiden ältesten Töchter erwiderten, sie wollten die Stadt nicht verlassen und sie hätten mehrere Verehrer, welche glücklich wären, sie heiraten zu können, auch wenn sie kein Vermögen mehr hätten. Die guten Fräulein täuschten sich indes, ihre Liebhaber schauten sie nicht mehr an, als sie arm waren. Da sie ihres Hochmuts wegen niemand leiden mochte, sagte man: »Sie verdienen nicht, daß man sie beklagt, es geschieht ihnen recht, daß ihr Stolz gedemütigt worden ist, mögen sie die großen Damen spielen, wenn sie ihre Schafe hüten! Was aber die Schönheit betrifft, so tut uns ihr Mißgeschick sehr leid, sie ist ein gutes, sanftes Mädchen.«
Die arme Schönheit war zuerst sehr niedergeschlagen gewesen, als sie ihr Vermögen verlor, aber dann hatte sie sich gesagt: »Das Weinen bringt mir mein Geld nicht wieder, man muß versuchen, auch ohne Vermögen glücklich zu sein.« Als sie auf ihrem Landhaus angekommen waren, begann der Kaufmann mit seinen drei Töchtern das Feld zu bestellen. Die Schönheit stand um vier Uhr morgens auf, säuberte zuerst das Haus und bereitete dann das Frühstück für ihre Familie. Zuerst kam es sie sehr hart an, denn sie war die Mägdearbeit nicht gewöhnt, aber nach zwei Monaten war sie kräftiger geworden, und die ermüdende Arbeit gab ihr sogar eine vollkommene Gesundheit; nach der Arbeit pflegte sie zu lesen, Klavier zu spielen oder beim Spinnen zu singen. Ihre Schwestern dagegen langweilten sich zu Tode, sie trauerten um ihre schönen Kleider und ihre Gesellschaft und sagten: »Seht, unsere Jüngste hat eine niedrige Seele und ist so stumpfsinnig, daß sie mit unserer unseligen Lage zufrieden ist.« Der gute Kaufmann freilich bewunderte die Tüchtigkeit dieses jungen Mädchens und besonders ihre Geduld, denn die Schwestern, nicht damit zufrieden, ihr die ganze Hausarbeit zu überlassen, schmähten sie noch obendrein bei jeder Gelegenheit.
Schon ein Jahr lebte die Familie in ihrer Einsamkeit, als der Kaufmann eines Tages einen Brief erhielt, in welchem man ihm mitteilte, daß ein Schiff, auf welchem er Waren hatte, glücklich angekommen sei. Diese Nachricht verdrehte den beiden Ältesten, welche schon glaubten, nun das langweilige Landleben aufgeben zu können, den Kopf, und als sie ihren Vater reisefertig sahen, baten sie ihn, ihnen schöne Kleider, Kopfputz und alle möglichen Kleinigkeiten mitzubringen. Die Schönheit bat ihn um gar nichts, denn sie dachte bei sich, daß all das für die Waren gelöste Geld nicht hinreichen würde, um die Wünsche ihrer Schwestern zu befriedigen. »Du bittest mich nicht, dir etwas zu kaufen?« sagte der Vater zu ihr. »Da Ihr so gut seid, an mich zu denken,« entgegnete sie, »so bitte ich Euch, mir eine Rose mitzubringen, denn es gibt hier keine.« Der gute Mann reiste ab, aber als er angekommen war, mußte er um seine Waren einen Prozeß führen, und nach vieler Mühe kam er ebenso arm zurück, wie er abgereist war.
Schon freute er sich darauf, seine Kinder wiederzusehen, aber als er kurz vor seinem Hause einen großen Wald durchqueren mußte, geriet er in die Irre. Es schneite unaufhörlich, der Wind wehte so heftig, daß er ihn zweimal vom Pferde riß, und als es Nacht wurde, glaubte er vor Hunger und Kälte sterben zu müssen oder von den Wölfen gefressen zu werden, die er ringsherum heulen hörte. Plötzlich, als er sich am Ende einer langen Allee umsah, bemerkte er ein helles Licht, das aber noch weit entfernt zu sein schien. Er ging in dieser Richtung weiter und merkte, daß das Licht von einem großen Schlosse ausging, das vollkommen erleuchtet war. Der Kaufmann dankte Gott für seine Hilfe und trat eilends in das Schloß; aber wie groß war seine Überraschung, als er in den Höfen keinen Menschen fand. Das Pferd, das er hinter sich herzog, sah einen großen Stall offen stehen, es ging hinein und fand eine Menge Heu und Hafer vor. Das arme ausgehungerte Tier stürzte sich gierig darauf. Der Kaufmann band es fest und wandte sich zum Hause, wo er gleichfalls keinen Menschen antraf, aber im Saale flackerte ein warmes Feuer, und eine speisenbeladene Tafel, auf der indes nur ein Besteck lag, lud zum Essen ein. Da ihn Schnee und Regen bis auf die Haut durchnäßt hatten, setzte er sich an den Kamin und wartete eine beträchtliche Zeit, daß der Hausherr oder ein Diener eintreten würde; als es aber elf Uhr schlug, ohne daß er jemanden erblickt hatte, konnte er seinen Hunger nicht mehr bändigen und nahm ein Hähnchen, das er auf zwei Bissen und unter Zittern verzehrte. Er trank noch einige Schluck Wein, und als er kühner geworden war, verließ er den Saal und durchschritt mehrere große und prächtig eingerichtete Räume. Schließlich fand er ein Zimmer, in welchem ein Bett stand, und da Mitternacht vorüber und er selbst sehr müde war, so sperrte er die Türe ab und legte sich zur Ruhe.
Es war schon zehn Uhr morgens, als er sich am folgenden Tage erhob, und er war nicht wenig erstaunt, als er ein sehr kostbares Gewand an Stelle des seinigen vorfand, welches ganz verdorben worden war. »Gewiß,« sagte er zu sich, »gehört dies Schloß irgendeiner guten Fee, die Mitleid mit meiner Lage hatte.« Er blickte durch das Fenster und sah keinen Schnee mehr, sondern Lauben und Blumengewinde, die das Auge bezauberten. Er trat wieder in den großen Saal, wo er abends zuvor gespeist hatte, und bemerkte einen kleinen Tisch, auf welchem eine Schokolade dampfte. »Ich danke Euch, Frau Fee,« sagte er ganz laut, »daß Ihr so gütig seid, an mein Frühstück zu denken.« Der gute Mann nahm seine Schokolade und ging dann, sein Pferd zu holen, und als er an einem schönen Rosenbeet vorüberging, fiel ihm ein, daß ihn die Schönheit um eine gebeten hatte; er brach also einen Zweig mit mehreren Blüten ab. In diesem Augenblick hörte er ein heftiges Geräusch und sah ein so furchtbares Ungeheuer auf sich zukommen, daß er fast ohnmächtig geworden wäre. »Ihr seid sehr undankbar!« redete ihn das Untier mit einer furchtbaren Stimme an, »ich habe Euch das Leben gerettet, indem ich Euch in meinem Schlosse Unterkunft gewährte, und zum Dank dafür stehlt Ihr mir meine Rosen, die ich über alles in der Welt liebe. Diese Verfehlung kann nur durch den Tod gesühnt werden; ich gebe Euch eine Viertelstunde Zeit, um Eure Rechnung mit Gott abzuschließen.« Der Kaufmann warf sich auf die Knie und sagte zu dem Tier, indem er die Hände faltete: »Gnädiger Herr, verzeiht mir, ich glaubte Euch nicht zu beleidigen, als ich eine Rose für eine meiner Töchter pflückte, die mich um eine solche gebeten hat.« »Ich will Euch verzeihen,« versetzte das Ungeheuer, »doch unter der Bedingung, daß eine Eurer Töchter freiwillig herkommt, um an Eurer Stelle zu sterben. Macht keine Einwendungen, geht, und wenn Eure Töchter sich weigern, für ihren Vater den Tod zu erleiden, so schwört mir, daß Ihr in drei Monaten wiederkommen werdet!« Der gute Mann hatte nicht die Absicht, eine seiner Töchter diesem gräßlichen Untier zu opfern, aber er dachte, wenigstens würde er das Vergnügen haben, sie noch einmal zu umarmen. Er schwur also, er werde wiederkommen, und das Tier sagte zu ihm, daß er abreisen könne, wann er wolle. »Aber,« fügte es hinzu, »ich will nicht, daß Ihr mit leeren Händen geht. In Eurem Schlafzimmer findet Ihr einen großen Koffer; ihr könnt hineintun, was Euch gefällt; ich werde ihn in Euer Haus bringen lassen.« Mit diesen Worten zog sich das Ungeheuer zurück, und der gute Mann sagte zu sich: »Wenn ich sterben muß, so werde ich wenigstens meinen armen Kindern etwas hinterlassen, wovon sie leben können.« Er füllte also den Koffer mit Goldstücken und verschloß ihn, dann holte er sein Pferd aus dem Stall und verließ das Schloß ebenso traurig, wie er es freudig betreten hatte. Das Pferd schlug von selbst einen der Waldwege ein, und nach wenigen Stunden gelangte der gute Mann in sein Häuschen.
Seine Kinder umringten ihn, aber anstatt sich ihrer Liebkosungen zu freuen, weinte der Vater bei ihrem Anblick. Er hielt die Rosen, die er seiner Tochter mitbringen wollte, in der Hand und gab sie der Schönheit, indem er sagte: »Nimm diese Rosen, Schönheit, sie kommen deinem unglücklichen Vater teuer zu stehen;« und er erzählte seiner Familie das unheilvolle Abenteuer, das ihm zugestoßen war. Bei dieser Erzählung stießen die zwei älteren Schwestern laute Schreie aus und schmähten die Schönheit, welche nicht weinte: »Da seht, wie stolz diese kleine Kreatur ist,« sagten sie, »durch ihren außergewöhnlichen Wunsch verursacht sie den Tod ihres Vaters und weint nicht einmal darüber!« »Warum sollte ich den Tod meines Vaters beweinen?« entgegnete die Schönheit. »Er wird nicht sterben; da das Ungeheuer eine seiner Töchter als Ersatz nehmen will, so werde ich mich seiner Wut überliefern, und ich bin sehr glücklich, daß ich meinem Vater hierdurch meine Liebe beweisen kann.« Trotz des Einspruchs des Vaters, er sei älter und könne eher mit dem Leben abschließen, bestand sie auf ihrem Opfer.
Der Vater ging mit ihr in das Waldschloß, und die beiden bösen Mädchen rieben sich die Augen mit Zwiebeln ein, um einige Tränen beim Abschied von ihrer Schwester vergießen zu können. Das Pferd schlug den Weg zum Schlosse ein, und gegen Abend sahen sie es vor sich, erleuchtet wie das erstemal. Das Pferd wurde im Stall untergebracht, und der gute Mann trat mit seiner Tochter in den großen Saal, wo sie eine prächtig gedeckte Tafel mit zwei Bestecken vorfanden. Der Kaufmann verspürte keine Lust zu essen, aber die Schönheit bemühte sich, ruhig zu erscheinen, sie setzte sich zu Tisch und legte ihm vor. Nach dem Essen hörten sie einen furchtbaren Lärm, und der Kaufmann verabschiedete sich unter Tränen von seiner Tochter, da er glaubte, das Ungeheuer komme, um sie zu fressen. Auch die Schönheit konnte sich nicht eines Schauders erwehren, als sie diese schreckliche Gestalt sah, aber sie nahm sich so gut es ging zusammen, und als das Untier sie fragte, ob sie freiwillig gekommen sei, sagte sie bebend: »Ja!« »Ihr seid sehr gut,« sagte das Tier, »und ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet. Guter Mann, reist morgen ab und laßt es Euch nicht einfallen, wiederzukommen. Gott behüte dich, Schönheit!« »Gott behüte dich, Tier!« erwiderte sie, und sogleich zog sich das Ungeheuer zurück. »O, meine Tochter!« sagte der Kaufmann, indem er die Schönheit umarmte, »ich bin halb tot vor Angst, glaube es mir. Laß mich hierbleiben!« »Nein, Vater,« sagte die Schönheit bestimmt, »Ihr reist morgen früh ab und überlaßt mich der Gnade des Himmels. Vielleicht hat er Mitleid mit mir.«
Als der Vater abgereist war, setzte sich die Schönheit in den großen Saal und begann zu weinen; aber da sie sehr mutig war, empfahl sie sich Gott und beschloß, das bißchen Leben, das ihr noch geschenkt war, nicht zu vertrauern, denn sie glaubte fest, daß das Ungeheuer sie am Abend fressen würde. Sie beschloß indessen, das schöne Schloß zu besichtigen. Sie konnte es nicht unterlassen, die Pracht desselben zu bewundern und war sehr überrascht, als sie auf eine Tür traf, über welcher die Worte zu lesen waren: Schönheits Wohnung. Sie öffnete hurtig die Tür und war geblendet von dem Prunk, der hier herrschte; was ihr aber am meisten in die Augen fiel, war ein Bücherschrank, ein Klavier und mehrere musikalische Schriften. »Wenn ich heute abend gefressen werden sollte,« dachte sie, »so hätte man mich nicht so gut versorgt … Ach«, seufzte sie sodann, »ich möchte nichts, als meinen armen Vater wiedersehen und wissen, was er gegenwärtig treibt.« Wie groß war ihr Erstaunen, als ihre Augen auf einen großen Spiegel fielen, in welchem sie ihr Haus erblickte, wo ihr Vater gerade mit äußerst bekümmerter Miene ankam. Ihre Schwestern kamen heraus, und trotz der Grimassen, die sie schnitten, um betrübt zu erscheinen, konnte man ihnen die Freude über den Verlust ihrer Schwester ansehen. Einen Augenblick später verschwand alles, und die Schönheit dachte, daß das Tier sehr gefällig sein müsse und daß sie von ihm nichts zu fürchten haben würde. Zu Mittag fand sie die Tafel gedeckt und hörte, ohne indes jemanden zu sehen, eine herrliche Musik. Abends, als sie sich zu Tisch setzte, vernahm sie das Geräusch, welches das Ungeheuer verursachte und konnte sich nicht enthalten, zu erbeben. »Schönheit,« sagte das Tier zu ihr, »erlaubt Ihr, daß ich Euch beim Essen zuschaue?« »Ihr seid hier der Herr!« erwiderte die Schönheit zitternd. »Nein,« sagte das Tier, »nur Ihr seid Herrin, Ihr braucht nur zu wünschen, daß ich gehe, wenn ich Euch lästig bin, und sogleich werde ich Euch verlassen … Sagt mir, findet Ihr mich nicht sehr häßlich?« »Das ist wahr,« entgegnete die Schönheit, »denn ich mag nicht lügen; aber ich glaube, daß Ihr sehr gut sein müßt.« Die Schönheit aß mit gutem Appetit; sie fürchtete das Tier fast gar nicht mehr, aber fast wäre sie vor Schrecken gestorben, als dieses plötzlich zu ihr sagte: »Schönheit, wollt Ihr meine Frau werden?« Sie blieb einige Zeit stumm, denn sie fürchtete, den Zorn des Untiers zu erwecken, wenn sie es ihm abschlug; dann sagte sie zitternd: »Nein, Tier!« Hierüber wollte das arme Ungeheuer seufzen, aber es ließ nur ein so schreckliches Zischen hören, daß der ganze Palast davon ertönte. Aber die Schönheit war wieder beruhigt, als das Tier betrübt zu ihr sprach: »Also behüte dich Gott, Schönheit!« und das Gemach verließ, nicht ohne sich von Zeit zu Zeit umzudrehen, um sie nochmals zu betrachten. Als die Schönheit allein war, fühlte sie starkes Mitleid mit dem Tier: »Ach!« sagte sie, »es ist schade, daß es so häßlich ist, es ist so gut!«
Die Schönheit verbrachte drei Monate in aller Ruhe im Schlosse; jeden Abend stattete ihr das Ungeheuer einen Besuch ab und unterhielt sie während des Essens mit gesundem Verstand, und jeden Tag entdeckte die Schönheit neue Lichtseiten an ihm. Die Gewohnheit, es zu sehen, hatte sie mit seiner Häßlichkeit vertraut gemacht, und weit entfernt, die Stunde seines Besuches zu fürchten, schaute sie häufig nach der Uhr, um zu sehen, ob es noch nicht bald neun sei. Nur ein Umstand quälte die Schönheit: daß das Untier sie jedesmal vor dem Schlafengehen fragte, ob sie seine Frau werden wolle, wobei es jedesmal schmerzlich berührt war, wenn sie verneinte. Eines Tages sagte sie: »Du tust mir leid, Tier, ich möchte, ich könnte dich heiraten, aber ich bin zu aufrichtig, um dir Hoffnung zu geben, daß dies jemals der Fall sein könnte.«
Die Schönheit hatte in ihrem Spiegel gesehen, daß ihr Vater vor Kummer über ihren Verlust erkrankt war, und sie wünschte, ihn wiederzusehen. »Ich würde dir gern versprechen,« sagte sie zum Ungeheuer, »dich nie gänzlich zu verlassen, aber ich habe solche Sehnsucht, meinen Vater wiederzusehen, daß ich vor Schmerz sterben würde, wenn du mir das Vergnügen verwehren wolltest.« »Ich will lieber selbst sterben,« sagte das Untier, »als Euch Kummer bereiten. Ich werde Euch zu Eurem Vater schicken, Ihr könnt dort bleiben, und Euer armes Tier wird vor Sehnsucht sterben!« »Nein,« sagte die Schönheit weinend, »ich liebe dich zu sehr, um deinen Tod veranlassen zu wollen; ich verspreche dir, in acht Tagen zurückzukommen. Du hast mich wissen lassen, daß meine Schwestern verheiratet sind und daß mein Vater allein steht; erlaube, daß ich ihm eine Woche Gesellschaft leiste!« »Morgen früh werdet Ihr bei ihm sein, aber gedenkt Eures Versprechens! Ihr braucht nur Euren Ring beim Schlafengehen auf den Tisch zu legen, wenn Ihr heimkehren wollt. Behüte dich Gott, Schönheit!« Das Untier seufzte wie gewöhnlich bei diesen Worten, und die Schönheit legte sich zu Bett, betrübt darüber, ihr liebes Tier in Sorgen zu sehen. Als sie am andern Morgen erwachte, befand sie sich im Hause ihres Vaters und läutete eine Glocke, die neben ihrem Bett stand; sogleich kam eine Magd, die bei ihrem Anblick einen lauten Schrei ausstieß. Im Nebenzimmer fand sich ein Koffer voll goldgestickter Kleider, die das Ungeheuer hergeschickt hatte. Auf die Nachricht von der Heimkehr der Schönheit hin erschienen die Schwestern mit ihren Gatten auf Besuch; beide waren sehr unglücklich verheiratet, und ihre Eifersucht auf die jüngste, deren Kleider sie beneideten, erwachte von neuem, zumal da sie erfuhren, wie gut es ihr gehe. »Schwester,« sagte die Älteste, »mir kommt ein Gedanke. Versuchen wir, sie länger als acht Tage hierzubehalten, ihr dummes Tier wird darüber ergrimmt sein, daß sie ihr Wort bricht, und wird sie vielleicht fressen.« »Du hast recht, Schwester!« entgegnete die andere, »zu diesem Zwecke müssen wir ihr schmeicheln.« Als sie diesen Entschluß gefaßt hatten, traten sie wieder zur Schönheit und erwiesen ihr so viel Liebesdienste, daß jene vor Freude Tränen vergoß. Als die acht Tage verstrichen waren, rauften sich die Schwestern die Haare aus und heuchelten einen solchen Gram über ihre Abreise, daß sie versprach, noch weitere acht Tage zu bleiben.
Indessen hielt sich die Schönheit den Kummer vor, den sie ihrem armen Tiere bereiten würde, das sie so von Herzen liebte, und sie sehnte sich danach, es zu sehen. In der zehnten Nacht, die sie bei ihrem Vater verbrachte, träumte ihr, sie sei im Garten des Palastes und erblicke das Tier halbtot im Grase liegen. Die Schönheit erwachte plötzlich und vergoß Tränen. »Bin ich nicht sehr schlecht,« sagte sie, »das Tier zu betrüben, daß mir stets so gefällig war? Auf, ich will es nicht unglücklich machen.« Bei diesen Worten erhob sich die Schönheit, legte den Ring auf den Tisch und ging dann wieder schlafen. Kaum war sie in ihrem Bett, als sie einschlummerte, und wie sie am andern Morgen erwachte, sah sie mit Freuden, daß sie im Palaste des Tieres sei. Sie kleidete sich prächtig, um ihm zu gefallen und sehnte sich den ganzen Tag über fast zu Tode, indem sie auf die neunte Stunde wartete. Aber umsonst schlug die Uhr, das Tier zeigte sich nicht. Die Schönheit fürchtete schon, seinen Tod auf dem Gewissen zu haben. Sie lief durch das ganze Schloß und schrie laut, sie war ganz verzweifelt. Nachdem sie überall gesucht hatte, erinnerte sie sich ihres Traumes, sie lief in den Garten und fand dort das arme Tier besinnungslos ausgestreckt, so daß sie glaubte, es sei tot. Sie warf sich über es, ohne vor seiner Gestalt zu erschrecken und fühlte, daß sein Herz noch schlug; sie schöpfte Wasser aus dem Kanal und goß es ihm über den Kopf. Das Tier öffnete die Augen und sagte zur Schönheit: »Ihr hattet Euer Versprechen vergessen und der Gram, Euch verloren zu haben, hat mir den Entschluß eingegeben, den Hungertod zu leiden. Aber ich sterbe beruhigt, da ich das Glück habe, Euch noch einmal zu sehen.« »Nein, mein teures Tier,« sagte die Schönheit, »du sollst nicht sterben, du sollst leben, um mein Gatte zu werden; ich gebe dir meine Hand und schwöre, daß ich nur dir angehören will!« Kaum hatte die Schönheit diese Worte gesprochen, als sie das Schloß in hellstem Lichte erstrahlen sah, ein Feuerwerk wurde abgebrannt und Musik ertönte; alles schien auf ein Fest hinzudeuten. Aber all diese Pracht konnte sie nicht fesseln: sie wandte sich zu ihrem teuern Tier, dessen Gefahr sie zittern machte. Aber wie groß war ihre Überraschung! Das Tier war verschwunden, und sie sah zu ihren Füßen einen Prinzen, der schön war wie Amor selbst und der ihr dafür dankte, daß sie seinen Zauber gebrochen hätte. »Eine böse Fee hatte mich verflucht, in Tiergestalt zu verharren, bis eine schöne Jungfrau einwilligte, mich zum Gatten zu nehmen. Ihr waret der einzige Mensch auf der Welt, der sich von meiner Güte rühren ließ, und ich erfülle nur eine Dankespflicht, wenn ich Euch meine Krone anbiete.« Sie begaben sich in das Reich des Prinzen, dessen Untertanen ihn mit Freuden wiederkehren sahen, und er heiratete die Schönheit, welche lange Jahre mit ihm lebte. Ihr Glück aber war ein vollkommenes, denn es war auf die Tugend begründet.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

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