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Märchenbasar

Die schweigende Sultanstochter

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Es war einmal ein Padischah und der hatte einen Sohn. Dieser hatte eine goldene Kugel, mit der er tagaus tagein spielte. Eines Tages, als er wieder’mal in seinem Köschk sass und mit der Kugel spielte, kam zu der unter dem Köschk hervorsprudelnden Quelle eine alte Frau um Wasser. Der Schehzade schleuderte nur um seinen Spass zu haben, die Kugel auf die Alte und ihr Krug zerbrach. Was hätte wohl die Alte tun können? Sie sprach kein Wort, holte einen anderen Krug und kam wieder zur Quelle. Da es dem Jüngling ein Vergnügen bereitete, dass er den Krug zerbrochen hatte, so warf er seine Kugel wieder auf die Alte und zerbrach abermals den Krug. Die Alte mochte sich noch so ärgern, aus Furcht vor dem Padischah wagte sie kein Wort; da sie nun kein Geld hatte, ging sie fort, kaufte sich einen anderen Krug auf Borg und kehrte damit zurück. Während sie Wasser schöpft, wirft der Knabe neuerdings die Kugel und zerbricht den Krug. Die Alte konnte ihren Ärger nunmehr nicht unterdrücken und sagte: »Ich will nichts weiter sagen, mein Prinz, als dass du dich in die schweigende Königstochter verlieben möchtest!« und damit ging sie davon
Wie der Prinz dies hört, fängt er an zu grübeln, was das wohl zu bedeuten habe; es sinnt und grübelt darüber in einem fort, von Tag zu Tag, bis er anfing zu kränkeln, zu schwinden und seine Farbe zu verlieren; es schmeckte ihm weder Speis noch Trank und nach drei-vier Tagen musste man ihn, wie einen, der seit Monaten krank ist, zu Bett legen. Der Padischah kann die Sache nicht begreifen und umsonst werden Ärzte und Hodschas herbeigebracht, keiner kann ihn heilen.
Eines Tages fragt der Padischah seinen Sohn, wie ihn das Übel betroffen habe. Da erzählt der Knabe, wie er drei Tage nach einander einer alten Frau die Krüge zerbrochen, und was ihm die Alte gesagt habe, und dass ihm nun kein Arzt, kein Hodscha helfen könne. Er bat seinen Vater um Erlaubnis, aufbrechen zu dürfen, um die Sultanstochter aufzufinden, vielleicht könnte ihn dies von seinem Übel befreien. Obgleich der Padischah nur diesen einzigen Sohn hatte, sah er doch ein, dass er auch den verlieren würde, wenn er ihm seine Bitte nicht gewähre Eine Zeitlang zögerte und schwankte er, doch auf das Drängen seines Sohnes erlaubt er ihm endlich, mit seinem Lala die Reise anzutreten.
Nachdem sie sich mit an Wert schweren, an Gewicht leichten Sachen versehen hatten, brachen sie eines Tags gegen Abend auf. So gingen sie nun ihres Weges und sechs Monate hindurch taten sie nichts anderes, und da sie sich während ihrer Reise um garnichts anderes kümmerten, so verloren sie ganz ihr menschliches Äussere. Sie wussten nicht mehr was Rasten und Schlafen sei; Speis und Trank kamen ihnen nicht in den Sinn. Und wie sie so über Stock und Stein wanderten, gelangten sie auf den Gipfel eines Berges. Dort bemerkten sie, dass Stein und Erde so glänzt, wie die Sonne, und wie sie so hin und her schauen, begegnen sie einem alten Manne. Sie gehen zu ihm hin und erkundigen sich, worauf er ihnen die Auskunft gibt, dass dies die Berge der schweigenden Sultanstochter wären; sie selbst sässe unter einem siebenfachen Schleier und der Glanz ringsherum sei der Wiederschein ihrer selbst. Die Wanderer fragen, wo sie sich aufhalte Der Alte erwidert hierauf, dass man sechs Monate lang reisen müsse, dort haben sie ein Seraj, wo sie wohne. Bisher hätten schon viele ihr Leben lassen müssen, weil sie der Sultanstochter kein einziges Wort entlocken konnten. Der Prinz aber liess sich dadurch nicht beirren, sondern machte sich mit seinem Meister wieder auf die Reise. Nach langem Wandern – in den Märchen geht das schnell – da sie schon drei Monate lang gewandert waren, gelangen sie wiederum auf den Gipfel eines Berges und sehen, dass dieser an allen Seiten blutrot ist; und wie sie so herumgehen, stossen sie auf ein Dorf. Da sagt der Prinz seinem Lala: »Ich bin sehr ermüdet; gehen wir in’s Dorf um auszuruhen, und zugleich zu erfahren, wie’s hier in der Gegend steht.« Sie gehen in’s Dorf, kehren in ein Kaffeehaus ein und wie sie sich der Ruhe hingeben, bemerken die Dorfbewohner, dass sie weither sind und einer nach dem andern kommt, sie zu begrüssen. Der Prinz gibt sich nicht zu erkennen und erkundigt sich, warum der Berg so blutrot wäre. Die Einwohner antworten, dass man drei und einhalb Monate lang reisen müsse, dort wohne die schweigende Sultanstochter, ihres Antlitzes und ihrer Lippen Rot färben den Berg; sie selbst sässe unter sieben Schleiern, rede kein Wort, und man sagt, es hätten schon viele ihr Leben ihretwegen lassen müssen Doch der Jüngling hatte keine Geduld und machte sich mit seinem Lala wieder auf die Reise.
Doch lasst uns die Geschichte nicht hinziehen. Wie sie so wandern, erblicken sie von weitem eine Burg; der Prinz meint, dass dort der Wohnsitz der Sultanstochter sei, und darum gehen sie geradeaus in die Nähe der Burg. Dort bemerken sie erst, dass die Burg aus menschlichen Schädeln besteht, sich hundert Ellen lang endlos dahin zieht. Der Prinz sagt zu seinem Lala: »Dies werden die Schädel derer sein, die die Sultanstochter zum Reden bringen wollten; entweder wird’s uns auch so ergehn, oder wir werden unser Ziel erreichen.« Bevor sie bei der Burg angelangt waren, kommen sie in eine Stadt, nehmen in einem Hân Wohnung und wollten dort einige Tage zubringen. In der Stadt hören sie fortwährendes Geschrei und Wehklagen: »Ach mein Bruder, oh mein Sohn ist hin!« Als sie nach der Ursache fragen, sagt man ihnen: »Warum fragst du? Es scheint, du bist auch gekommen um zu sterben. Diese Stadt gehört dem Vater der Sultanstochter. Wer versuchen will, sie zum Sprechen zu bringen, der meldet’s früher dem Padischah; wenn er dann die Erlaubnis erhalten hat, wird er vor das Mädchen geführt.« Als der Jüngling dies hörte, sprach er zu seinem Meister: »Wir sind am Ziele unserer Reise. Ein-zwei Tage wollen wir noch rasten, dann werden wir schon sehen, wie sich unser Schicksal gestaltet.« Darauf lassen sie sich im Hân nieder, wandeln im Tscharschi herum.
Eines Tages sieht er, dass ein Mann in einem Käfige eine Nachtigall feil hält, die ihm so sehr gefällt, dass er sie kaufen will. Der Meister sagt ihm zwar, wozu es nützlich wäre, sie zu kaufen, da sie jetzt ganz andere Sachen vorhaben; doch der Prinz hört nicht auf ihn, sondern ersteht sie um tausend Piaster, nimmt sie nach Hause und hängt den Käfig in seinem Zimmer auf. Als der Prinz einmal allein in seinem Zimmer sass und nachdachte, wie er wohl die Königstochter zum Reden bringen könnte, und wenn ihm das nicht gelänge, wie er dann sterben müsse. Da beginnt auf einmal im Käfige die Nachtigall zu reden und sagt: »Was grübelst du, mein Prinz, was betrübt dich so sehr?« Der Prinz ist betroffen, er weiss nicht, ob dieser Vogel ein Geist oder ein Mensch ist, und fängt aus Furcht zu zittern an; doch er besinnt sich und denkt, vielleicht ist dies die Gnade Allahs und erzählt dem Vogel, dass er sich in die schweigende Tochter des Sultans verliebt hat und nun sich den Kopf zerbricht, wie er sich ihr nähern könnte. Die Nachtigall sagt ihm hierauf Folgendes: »Wie kann man sich nur darüber den Kopf so zerbrechen? Nichts ist leichter als dies. Geh‘ heute Abend in’s Seraj, nimm aber auch mich mit. Die Sultana sitzt unter sieben Schleiern, niemand sieht ihr Antlitz, sie sieht auch niemanden; mich stelle mit meinem Käfig unter den Schemmel des Leuchters. Erkundige dich dann nach dem Befinden der Sultana und rede noch desgleichen; sie wird aber nicht antworten. Du sagst hierauf, dass wenn sie schon nicht reden will, so wirst du dich wenigstens mit dem Schemmel unterhalten. Beginn nur zu reden, ich werde schon antworten.«
Der Prinz folgt dem Ratschlag und geht geradeaus in’s Seraj des Padischah. Als man dem Schah meldet, dass der Ankömmling zu seiner Tochter will, dauert ihn der Jüngling und will ihn abreden. Er hält ihm vor, das es schon viele vergebens versuchten, sie zum Sprechen zu bringen; er habe aber gelobt, wer ihr ein Wort entlocken könne, dem werde er sie zur Frau geben, wenn es aber nicht gelännge, den lasse er ihm den Kopf nehmen. Die Burg hier sei aus lauter solchen Schädeln erbaut. Der Jüngling aber beharrt bei seiner Absicht, wirft sich dem Padischah zu Füssen und gelobt, entweder auch sein Leben zu verlieren, oder sein Ziel zu erreichen. Der Padischah gibt hierauf seinen Leuten den Befehl und der Jüngling wird vor das Mädchen geführt.
Es war eben Abend, als man ihn in das Gemach der Sultana brachte. Dort nahm er den Käfig hervor und stellte ihn unter den Schemmel. Dann trat er vor die Sultana, erkundigt sich nach ihrem Wohlergehen, redet noch viel über dies und das, doch das Mädchen lässt keinen Laut vernehmen. Da sagt der Prinz: »Es ist schon spät an der Zeit, und du hast noch kein Wörtlein gesagt. Ich bin der Sache überdrüssig und werde zu diesem Schemmel reden. Obgleich er auch keine Seele hat, wird er doch Mittleid mit mir haben.« Mit diesen Worten wendet er sich zum Schemmel und fragt ihn: »Wie geht’s dir?« Und die Nachtigall antwortete: »Gut geht’s mir. Wie viel Jahre sind vergangen, ohne dass nur einer gekommen wäre, der mich angeredet hätte. Dich hat heute Allah zu mir gesendet; heute gehört die ganze Welt mir. Die hast mich erfreut und darum werde ich dich diese Nacht unterhalten. Wenn du mir zuhörst, erzähle ich dir eine Geschichte.« Der Prinz nickte zustimmend und die Nachtigall begann:
»Einmal hatte ein Schah, wie du einer bist, eine Tochter, in die sich drei verliebt hatten und sie heiraten wollten. Der Vater des Mädchens sagte den Freiern: ›Ein jeder von euch erlerne ein Handwerk, und wer es dann darin am weitesten gebracht hat, der bekommt meine Tochter.‹ Da gingen die drei auf Reisen. Unterwegs kommen sie zu einer Quelle und dort sagten sie einander: ›Lasst uns nicht denselben Weg gehen, sondern ein jeder schlage einen andern ein. Unsere Ringe legen wir unter den Stein der Quelle, und wer zuerst kommt, nimmt seinen heraus. So können wir dann sehen, ob wir alle nach Hause gekommen sind.‹ Der Vorschlag gefällt ihnen, sie nehmen ihre Ringe ab, legen sie unter den Stein und ein jeder geht einen andern Weg. Der Eine lernt, wie man einen Weg von sechs Monaten in einer Stunde hinterlegen kann; der andere erlernt das Unsichtbar-werden, der dritte aber, wie man einen Toten zum Leben erwecken kann. Dann kehren sie wieder heim und kommen bei der Quelle zusammen. Der, welcher unsichtbar werden konnte, sagte, dass die Tochter des Padischah sehr krank sei und in zwei Stunden sterben werde. Da meint der andere: ›Ich werde eine Arznei bereiten, die auch den Toten erweckt, doch wer wird ihr dieseble hinbringen?‹ Der dritte sagte darauf: ›Das kann ich schon tun!‹ Er nimmt die Arznei, kommt in einer Stunde im Palast an, wo das Mädchen schon im Sterben lag. Kaum hatte er ihr die Arznei eingeflösst, als die Krankheit verschwand. Inzwischen kommen die andern beiden auch an und der Schah fragt sie, was sie gelernt hätten.«
Die Nachtigall wollte die Rede des Jünglings widerholen, der den Weg von sechs Monaten in einer Stunde zurücklegen konnte, nickte dem Prinzen zu und sprach zu ihm: »Oh mein Schehzade, wem von den drei Jünglingen würdest du deinerseits das Mädchen hingeben?« Der Prinz antwortete: »Wenn es von mir abhinge, würde ich sie dem Bereiter der Arznei zuurteilen.« Die Nachtigall war anderer Meinung, und wie sie so hin und her streiten, dachte die schweigende Sultana: »Schau, diese hier vergessen gänzlich den, der einen Weg von sechs Monaten in einer Stunde zurücklegen kann.« Das konnte sie nicht in sich behalten, riss auf einmal den Schleier vom Gesicht und rief; »Oh ihr Toren, wenn es von mir abhinge, würde ich das Mädchen dem geben, der die Arznei gebracht hatte. Denn, wenn der sie nicht herbeigeschafft hätte, wäre auch das Mädchen dem Tode nicht entronnen.«
Dem Padischah wurde die Nachricht sofort hinterbracht, dass seine Tochter angefangen habe zu reden. Dem Mädchen wurde es bald klar, dass man List gebraucht habe und verlangt, man solle sie dreimal so zum Reden bringen. Da sagt der Schah zum Prinzen: »Mein Sohn, wenn du sie noch zweimal zum Reden bringst, dann gehört sie dir«. Der Jüngling steht nun auf, geht nach Hause und fängt an nachzudenken. Die Nachtigall spricht zu ihm: »Was zerbrichst du dir den Kopf? Die Sultana wird aus Zorn, dass sie zu reden begann, den Schemmel zerbrechen. Stelle mich daher heute Abend auf das Wandgestell.«
So geschah’s auch. Als der Abend gekommen war, nahm der Jüngling die Nachtigall und ging mit ihr ins Seraj. Als er in’s Gemach des Mädchens kam, stellte er die Nachtigall auf’s Wandgestell, redet die Sultana an, doch weil er keine Antwort erhält, wendet er sich zum Gestell und sagt: »Oh du Gestell, die Sultana will mit mir garnicht reden, drum rede ich zu dir. Wie geht’s dir?« Da kam die Antwort: »Ich danke dir, wohl. Es ist gut, dass die Sultana nicht sprechen will, sonst hättest die mich nicht angeredet. Da’s aber nun so ist, will ich dir eine Geschichte erzählen, wenn du mich anhören willst.« »Von Herzen gerne, lass sie mich hören,« antwortet der Jüngling. Da begann die Nachtigall:
»Es war einmal in einer Stadt eine böse Frau, und die hatte drei Freunde, der eine hiess Baldschy-Oglu, der andere Jagdschy-Oglu der dritte Tiredschi-Oglu «. »Die pflegten die Frau so zu besuchen, dass keiner von den andern wusste. Der Jagdschy- Oglu hatte die Frau am liebsten«. Als sie sich eines Tages kämmte, nahm sie ein graues Haar wahr: »Weh mir, sprach sie bei sich – ich beginne zu altern; in kurzem werden sich meine Freunde von mir wenden und ich werde hilflos auf der Strasse bleiben. Ich werde für meine bisherigen Sünden Busse tun und heiraten.« Noch selben Tages lässt sie jeden ihrer Freunde zu sich berufen. Zuerst kam der Jagdschy, doch noch bevor er gekommen war, hatte die Frau ein Grab gegraben, und legte neben dasselbe ein Leichentuch. Als der Jagdschy kam, weinte und jammerte die Frau drauf los. Auf die Frage ihres Freundes warum sie weine, antwortet die Frau: »Oh weh, mein Vater ist gestorben, und ich habe ihn im Garten begraben. Jetzt ist er als Hex aus dem Grab gestiegen. Wenn du mich lieb hast, hülle dich in das Leichentuch und lege dich drei Stunden lang in’s Grab. Wenn mein Vater kommt, sieht er, dass man jemand andern hieher begraben hat, und geht davon.« Der Jagdschy erwidert hierauf, dass er sich für die Frau auch in’s Meer stürzen würde; hüllt sich in’s Leichentuch und legt sich in’s Grab. Unterdessen kommt der Baldschy, der sich auch nach dem Jammer der Frau erkundigt. Diesem erzählt sie das Gleiche, gibt ihm einen Stein in die Hand und sagt ihm, er möge sich an das Grab stellen und wenn sich der drinnenliegende Hex rühren sollte, so möge er ihn mit dem Steine totschlagen. Der Baldschy ist bereit dazu, und während er so am Grabe steht, kommt der Tiredschi. Dieser fragt auch den Grund ihres Schmerzes: »Wie sollt ich nicht weinen, sagt die Frau, mein Vater ist gestorben und darum liess ich ihm im Gartem ein Grab bereiten. Einer seiner Feinde ist Hex geworden. Schau, er hat sein Grab geöffnet und lauert nun auf ihn. Wenn du mir den Toten aus dem Grabe bringst, dann bin ich vom Übel befreit; wenn nicht, dann bin ich verloren«. »Der Tiredschi eilt schnurstracks zum Grabe, nimmt den drinnen liegenden Jagdschy heraus und bringt ihn ihr. Der Baldschy aber meinend, dass sich der Hex verdoppelt hätte, eilt ihnen nach und trachtet sie beide mit dem Stein tot zu schlagen. Der Jagdschy aber, der im Grabe gelegen war, glaubt, dass ihn der Hex gepackt habe, zerreisst das Leichentuch und springt, nackt wie er war, herum. Nun fallen die drei Männer, die sich früher gekannt hatten, einander an und fragen dies und das«.
Da nickte die Nachtigall dem Prinzen wieder zu, den Jagdschy nicht zu erwähnen, und spricht zu ihm: »Oh mein Prinz, welcher der drei verdient wohl die Frau? Meinerseits glaube ich, der Tiredschi!« Der Prinz nimmt sich des Baldschy an, weil der sich soviel Mühe gegeben hat, Während sie so streiten, und über die zwei nicht eins werden können, fängt die Sultana an, zu reden, dass sie den Jagdschy ganz vergessen hätten, wo er doch drei Stunden im Grabe gelegen war.
Die Kunde, dass sie gesprochen hatte, wird dem Padischah wieder mitgeteilt. Doch wir wollen die Sache nicht auf die lange Bank schieben. Noch einmal, Nachts, muss die Sultana zum Reden gezwungen werden. Der Jüngling sass wieder in seinem Zimmer; da sagte ihm die Nachtigall, dass das Mädchen aus Wut das Wandgestell zertrümmert habe, jetzt möge er den Käfig hinter die Türe stellen. So geschah’s auch. Der Jüngling tritt in das Gemach des Mädches, doch wie viel und was er auch reden mag, er bekommt doch keine Antwort. Da wendet er sich zuletzt zum Türpfosten und redet ihn an. Als Antwort erzählt die Nachtigall folgende Geschichte:
»Es war einmal ein Zimmermann, ein Schneider und ein Softa. Sie wollten mit einander in die weite Welt gehen und kamen in eine Stadt, wo sie sich niederliessen. Sie mieteten eine gemeinsame Wohnung, und tagsüber ging ein jeder seinem Geschäfte nach. Einmal, als sie in der Nacht schliefen, stand der Zimmermann auf, trank Kaffee, zündete sich seinen Tschibuk an und da er nicht wieder einschlafen konnte, legte er aus den im Zimmer herumliegenden kleinen Holzstückchen das Bild eines dreizehn-vierzehn jährigen Mädchens zusammen und legt sich darauf wieder schlafen. Nicht lange hernach erwacht auch der Schneider und wie er die aus Holz geformte Gestalt des Mädchens erblickte, machte er sich drann, ihr ein Kleid zu nähen, zieht es ihr an und legt sich nieder. Gegen Morgen erwacht der Softa und sieht das mondscheingleiche Bild des schönen Mädchens. Sofort wäscht er sich zum Gebet, fleht zu Allah und bittet ihn, er möge der Gestalt die Seele verleihen. Und wahrlich, es kam eine Seele von Allah und wie vom Traum erwachend ersteht die Gestalt zu einem unvergleichlich schönen Mädchen! Wie die drei nun morgens erwachen, entbrennen sie in Liebe zum Mädchen und fangen beinahe schon an zu streiten, wem das Mädchen angehören soll!«
Da fragt die Nachtigall: »Wem gebührt das Mädchen? Meiner Ansicht nach dem Zimmermann!« Der Prinz will sie dem Schneider zuteilen. Wie die beide nun so streiten, ärgert es die Sultana, dass sie den Softa ganz vergessen haben: »Oh ihr Toren – fängt sie an zu schelten – dem Softa muss sie gehören. Wenn er sie nicht zum Leben gebracht hätte, wäre alles umsonst. Ihm gebührt das Mädchen und keinem andern«.
Kaum hatte sie das gesagt, so läuft man zum Padischah und erzählt ihm den Verlauf der Geschichte. Das Mädchen hatte den Prinzen ohnedies schon liebgewonnen und hatte nichts dagegen, sich mit ihm zu verloben. Die ganze Stadt war darob in voller Freude und bereitete sich zum Hochzeitsfest. Der Jüngling wünscht nun die Hochzeit im Elternhause feiern zu dürfen. Gross war die Freude, als sie dort ankommen. Vierzig Tage und vierzig Nächte lang ging es hoch her, am einundvierzigsten wurden sie danngetraut. Die alte Frau, deren Krüge der Königssohn gebrochen hatte, wurde als Dady im Palast aufgenommen und so leben sie glücklich bis an ihr seliges Ende.

[Asien: Türkei. Märchen der Welt]

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