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Märchenbasar

Die sieben Brüder mit den Wundergaben

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Ein König hatte eine einzige Tochter, die er gern an einen passenden Mann verheiraten wollte. Aber sie wollte davon nichts wissen. Sie hatte eine Laus gefangen, die sie sehr wert hielt und immerfort fütterte. Als sie nun von ihrem Vater immer mehr wegen des Heiratens gedrängt wurde, nahm sie die Laus, die sehr groß geworden war, schnitt ihr den Kopf ab, stellte sie mitten in den Hof und ließ allenthalben ausrufen: »Den Mann, der erkennt, was für ein Tier dies ist, den will ich zum Manne nehmen«. Als diese Nachricht bekannt geworden war, befahl der König, es sollten sich alle Jünglinge der vornehmen aus allen Gegenden versammeln und sich Mühe geben, damit sich zeigte, wer im Stande sei zu erkennen, dass es eine Laus sei, und als Preis die Tochter des Königs zur Frau zu bekommen. Darauf hin strömte alles, was tapfer und vornehm war, zusammen, aber erstaunlicher Weise konnte niemand die Laus erkennen. Endlich erschien der Teufel, der sie wirklich erkannte; und nach Recht und Billigkeit musste man ihm den goldenen Apfel zuwerfen und die Prinzess zur Frau geben. Der König war darüber sehr froh, weil er von einer großen Last befreit wurde, und blieb ohne Sorgen.

Als der Teufel das Mädchen bekommen hatte, begann er sie zu quälen und zu plagen, und nach einigen Tagen nahm er sie heimlich und ging mit ihr fort, ohne zu sagen, wohin er ging; und er brachte sie sehr weit fort, und zwar unter die Erde, an einen Ort, wo sie sich ihm öffnete, wenn er hinein und heraus stieg. Das Mädchen hatte nur eine Taube bei sich, die sie von zu Hause mitgenommen hatte und mit der sie sich ein wenig zu zerstreuen pflegte. Wie sie nun jetzt, vom Teufel unter der Erde eingeschlossen, so leiden musste, fasste sie den Plan, dem Könige durch die Taube davon Mitteilung zu machen. Sie schrieb auf ein Stückchen Papier, band dieses der Taube ans Bein und ließ sie fliegen zu einer Zeit, wo die Erde geöffnet war. Als die Taube auf der Oberwelt war, flog sie geradezu nach der Heimat der Prinzess und ließ sich auf dem Königspalast nieder. Nachdem man den Brief sah, nahm man ihn der Taube ab und las ihn mit großer Betrübnis. Als der König, der bis auf diesen Tag wegen des Verlustes seiner Tochter sehr bekümmert war, diesen Brief sah, den sie in Tränen und Leiden geschrieben hatte, da versammelte er, obgleich sie den Ort nicht angab, an dem sie sich befand, alle ersten seines Reiches, Herren und vornehme, und die Häupter seines Heeres, sprach zu ihnen von seinem großen Schmerze und sagte ihnen endlich: »Ich will, dass ihr meine Tochter findet, wo sie auch sei; seht hier den Brief, den sie durch ihre Taube gesandt hat«. Da nun nicht darin stand, an welchem Orte sie sich befand, wagte niemand zu versprechen sie aufzufinden.

In dieser Versammlung war auch eine alte Frau anwesend, welche sieben Söhne hatte. Diese kam auf den Gedanken, wenn ihre Söhne, welche sehr große Naturgaben hatten, sich alle zusammen träten und gemeinsam sich an das Unternehmen machten, vermöchten sie ohne Zweifel das Mädchen zu finden; und sie überlegte, ob sie vorher dem Könige davon sagen sollte oder nicht. Diese Jünglinge hatten jeder eine besondere Gabe, aber alle sieben lebten getrennt, ohne einander zu kennen, so dass der Bruder den Bruder nicht kannte und keiner von ihnen wusste, dass er noch Brüder habe. Der erste von ihnen hatte die Gabe, dass er bis zum Himmel fliegen konnte; der zweite konnte seinen Schäferstab bis zum Himmel werfen und traf damit; der dritte hatte so feine Ohren, dass er bis unter die Erde hörte; der vierte hatte einen eisernen Stab: wenn er mit dem wohin schlug, entstand an dem Platze ein Palast; der fünfte hatte so starke Schultern, dass er mit ihnen die ganze Erde aufheben konnte; der sechste hatte so starke Hände, dass er, wenn etwas auch noch so schweres selbst vom Himmel herab fiel, es mit seinen Händen auffangen konnte; der siebente hatte so scharfe Augen, dass er auch unter die Erde bis auf den Grund sah.

Die sieben Jünglinge also hatten diese Gaben, die wir aufgezählt haben, und die alte dachte darüber nach, auf welche Weise sie im Stande wäre sie zusammen zu bringen. In dieser Absicht nähte sie ein Hemd, und jedes Mal, wenn einer ihrer Söhne zu ihr kam und fragte: »Für wen ist dieses Hemd?«, sagte sie zu ihm: »Es ist für dich, und an dem und dem Tage kannst du kommen und es abholen«. Das sagte sie zu allen und bestellte sie so alle auf einen Tag. Als sich nun an diesem Tage alle versammelten, einer nach dem andern, sahen sie einander an, ohne sich zu kennen, und waren sehr erstaunt. Da sprach die Mutter zu ihnen: »O meine Kinder, ihr alle seid meine Söhne und ihr alle seid Brüder aus einem Mutterleibe; warum sollt ihr so getrennt von einander leben wie fremde?« Sie sagte noch vieles andre zu ihnen, bis sie sie überzeugte, so dass sie sich erhoben und unter Freudentränen einander küssten. Dann schickte sie sie aus, die Prinzess zu suchen, zuerst aber mussten sie zum Könige gehen und den Brief des Mädchens lesen. Da sie nun in dem Briefe nicht angab, wo sie sich befand, nahmen sie die Taube mit und ließen sie vor sich herfliegen, und sie gingen nach, wohin dieselbe sie führte.

Sie waren schon ziemlich weit gegangen, immer der Taube nach, da kamen sie an einen Ort, wo die Taube anfing Zeichen zu machen und mit dem Schnabel und den Flügeln auf die Stelle hinzuzeigen, wo sich das Mädchen befand. Wie sie diese Zeichen sahen, näherte sich der dritte Jüngling der Taube und legte sein Ohr an die Erde, um zu hören, ob unter der Erde ein Geräusch vernehmbar sei; da hörte er die Stimme des Mädchens, tief unter der Erde, und alle waren über die Massen erfreut, dass sie die Prinzess gefunden hatten. Nun überlegten sie, wie sie dieselbe aus so großer Tiefe herausholen könnten. Es kam der siebente und spähte mit seinen Augen auf der Erde, um zu sehen, wo sich das Mädchen befände; er entdeckte ihren Aufenthaltsort und beschrieb ihn seinen Brüdern, damit diese ihre Künste in Bereitschaft setzen könnten. Der fünfte stemmte seine Schultern an die Erde, dort wo der siebente den Ort mit seiner Begrenzung angegeben hatte, und warf die Erde mitsammt dem Mädchen hoch empor. Da erhob sich der sechste mit geöffneten Armen und fing das Mädchen bei ihrem Sturz aus der Höhe mit seinen Händen auf. Dann machten sie sich hocherfreut auf, um zum Könige zurückzukehren. Aber der Teufel setzte ihnen sogleich nach und machte eine solche Hitze hinter ihnen, dass die Prinzess beinahe verbrannte. Sie konnte es nicht mehr aushalten und rief: »Wehe, ich verbrenne!« Sogleich fasste der vierte seinen eisernen Stab und schlug mit ihm nach seiner Gewohnheit auf die Erde, und sogleich entstand ein Palast, in welchem sie sich einschlossen und gegen die Hitze schützten. Als der verfolgende Teufel sah, dass sie in dem Palast eingeschlossen war, bat er die Jünglinge, sie möchten ihn ein wenig einlassen, bloß um das Mädchen zu sehen; aber sie gestatteten es ihm nicht. Dann bat er sie, sie möchten ihn bloß ihren Finger durch ein Loch sehen lassen. Das erlaubten sie nach vielen Bitten; wie aber das Loch geöffnet war, fasste er ihren Finger, zog daran das ganze Mädchen heraus und flog mit ihr in seinen Palast hoch in den Wolken. Da zerstörte der vierte seinen Palast mit dem eisernen Stabe, und der zweite traf den Teufel mit einem so starken Wurf, dass er ihn ganz zerschmetterte. Hierauf flog der erste in die Höhe und erhob sich so hoch, bis er das Mädchen fand; er nahm sie in seine Arme und brachte sie zu seinen Brüdern. Nachdem sie so mit Mühe sich vor dem Teufel gerettet hatten, zogen sie ohne Sorgen ihre Strasse weiter, bis sie zum Könige kamen.

Als der König die Rettung seiner Tochter erfuhr, war er so erfreut, dass er den Befehl gab, alle ersten und vornehmen und das ganze Heer solle ihnen entgegen ziehen und sie mit großen Ehren empfangen, so dass von allen Seiten die Leute zusammen strömten, um das zu schauen. Die Prinzess bat ihren Vater, er möge ihr erlauben einen von diesen Jünglingen zu wählen und zum Manne zu nehmen. Als der König ihr diese Erlaubnis gab, wählte sie den vierten mit dem eisernen Palast und heiratete ihn, und sie lebten in Freuden und Ehren.

Nicht ein Märchen habe ich euch erzählt, sondern ich wollte euch täuschen.

Quelle:
(Gustav Meyer: Albanische Märchen)

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