Einstmals lebte in einem kleinen Dorf in Indien der Fakir Amartya, der alle Künste der Magie kannte. So hatten sich im Laufe der Jahre einige junge Männer als Schüler um ihn geschart. Nun hörte er eines Tages von einem umherziehenden Händler, dass er einen großen Guru getroffen habe, der durch lange Übung mit seinem Geiste in verschiedenen Tieren leben konnte. Dieser Gedanke faszinierte ihn von nun an derart, dass er lernte wie die Gurus innerlich völlig zur Ruhe zu kommen. In diesen Zeiten der Versenkung gelang es ihm bis zum Zeitpunkt seiner Geburt zu gelangen.
Er aber wünschte sich als ein Fisch das Leben im Meer kennen zu lernen. So saß er Tage lang unbeweglich und sein Geist wanderte in allerlei Tiere. Als Büffel zog er einen schweren Pflug über die Reisfelder oder als Tiger streifte er des Nachts durch Wälder auf der Suche nach Beute. Schließlich fand er sich einer seiner meditativen Reisen als Schnecke an einem schönen Strand und kroch als solche der Brandung entgegen. Die Wellen erfassten ihn und er wurde ins Meer gespült. Einige Zeit darauf verschlang ihn ein schillernder Fisch und er schwamm als dieser zwischen den Korallenriffen nahe der Küste und sah Fische in den leuchtendsten Farben und den eigenartigsten Formen.
Je mehr er aber in die Tiefen des Ozeans abtauchte um so starrer und lebloser wurde sein tatsächlicher Körper in der Versenkung, so dass seine Schüler begannen sich große Sorgen zu machen. Als sie ihn sogar nicht mehr atmen hörten, versuchten sie ihn durch Rütteln und Schläge ins Gesicht aus der Versenkung zu holen. Endlich kehrte sein Geist in die Gegenwart und in seinen Körper zurück aber er war zunächst wie benommen. Nach einigen Stunden hatte sich wieder erholt und erzählte von seinen ungewöhnlichen Erlebnissen.
Einige Tage später kam einige Gaukler in den Ort und führten auf dem Dorfplatz die komischsten Figuren auf und schnitten die merkwürdigsten Grimassen. Alte und junge Leute hielten sich den Bauch vor Lachen. Der Fakir aber schaute zu und verzog keine Mine. „Was ist mit dir?“, fragte ihn Chacko sein Schüler. „Ich kann nichts Lustiges an diesen Gauklern finden.“ antwortete Amartya. „Wie ist das möglich? Ich habe in meinem Leben noch keine besseren Spaßmacher gesehen.“ „Ich glaube“, sagte der Fakir, „ich habe das Lachen verlernt.“
Da sein Lachen auch nicht wiederkehrte, ging er schließlich zum Dorfältesten, um diesen um Rat zu fragen. Der hörte sich alles in Ruhe an und fragte ihn dann, seit wann er nicht mehr fröhlich sein könne. Amartya erzählte ihm von seiner langen Reise im Geiste, die ihn schließlich bis in die Unterwasserwelt geführt hatte und wie ihn seine Schüler aus Sorge gewaltsam aus der tiefen Versenkung herausgerissen hätten. Der Dorfälteste überlegte eine zeitlang und sagte schließlich: „Ich denke du hast dein Lachen im Meer bei den Fischen verloren. Versuche, ob du es nicht dort wiederfinden kannst.“
Der Fakir ging bedrückt davon. Wie sollte er jemals diesen Ort inmitten des Meeres finden und wie findet man ein verlorenes Lachen? Dennoch machte er sich am nächsten Morgen auf den Weg. Nur sein Lieblingsschüler Chacko bemerkte sein Fortgehen und ließ sich nicht davon abbringen, ihn zu begleiten. So wanderten die beiden über die Dörfer. Sie führten hier und da ihre Künste vor aber da sie dabei keine Freude zeigten, gab ihnen kaum einer Geld und sie hatten wenig zu essen.
Nach vielen Monaten kamen sie endlich an die Küste des Indischen Ozean. Nun zogen sie weiter durch die kleinen und großen Orte am Meer. Immer wieder suchte Amartya mit den Augen nach einem Platz, an den er sich erinnern könne. Immer wieder fragte ihn Chacko: „War es vielleicht hier, wo du Meister als Schnecke ins Meer gelangtest?“ Aber sie fanden die Stelle nicht. Bis sie eines Abends müde und hungrig auf halber Strecke zwischen zwei Fischerdörfern in einer kleiner Bucht Rast machen wollten und die Sonne gerade begann das Meer mit ihrem Licht zu verwandeln. Da entsann sich der Fakir, dass es genau hier gewesen war, wo er in den Ozean eingetaucht war.
Sein Schüler war ganz außer sich vor Freude und ihre Müdigkeit war wie verflogen; sofort brachen sie wieder auf in das Dorf, das vor ihnen lag. Am nächsten Morgen fragten sie nach Arbeit als Fischer. Da sie jedoch keine Erfahrung in dieser Arbeit hatten, erlaubte man Ihnen nur abends die beschädigten Netze zu flicken. In dem Dorf gab es aber einige Frauen, die vor der Küste nach Perlen tauchten und als sie sahen, dass die Fremden tagsüber keine Arbeit hatten, fragten sie die beiden, ob sie sie nicht jeden Tag zu Riffen hinausrudern könnten, wo sie nach den Perlen suchten. Der Fakir willigte sofort ein. Nachdem die Frauen mit der Zeit Vertrauen gefasst hatten, erlaubten sie den beiden auch, mit ihnen auf Tauchgang zu gehen. So sah Amartya nach langer Zeit endlich die Unterwasserwelt wieder, die er in der Gestalt eines Fisches schon einmal gesehen hatte. Jedoch, wie sollte er hier sein Lachen finden?
Es vergingen die Jahre. Amartya konnte mittlerweile so lange und tief tauchen wie keine der Frauen. Von ihrem Anteil an den Perlen hatten er und Chacko sich ein eigenes Boot kaufen können. An einem Tag tauchte er tiefer als jemals zuvor und sah aus einer prächtigen Austernmuscheln einige lustig perlende Bläschen aufsteigen. Voller Hoffnung nahm er sie mit letzter Kraft mit an die Oberfläche. Im Boot öffnete er mit zitternden Händen die Muschel. Er fand darin die größte und ebenmäßigste Perle, die er je gesehen hatte. Stolz kehrten beide in den Fischerort zurück und einige Tage später fuhren sie in die große Hafenstadt und verkauften dort die herrliche Perle für sehr viel Geld.
Der Fakir war jetzt ein reicher Mann und feierte in dem Dorf ein großes Fest. Aber sein Lachen und seine Freude kehrten nicht zurück. Chacko tat alles dafür Amartya aufzuheitern jedoch ohne Erfolg. Statt dessen kaufte er sich ein Segelschiff und fuhr wieder täglich aufs Meer hinaus.
Dann kam die Zeit der Stürme und die Fischer warnten ihn, nicht auszulaufen. Selbst sein Schüler konnte ihn nicht zurückhalten. Ihm war es gleichgültig geworden, ob er leben oder sterben würde. So fuhr er mit seinem Schiff hinaus. Immer weiter wurde er von den Winden auf das offene Meer hinausgetrieben und immer heftiger schlugen die Wellen über dem Deck zusammen. Die Nacht brach herein und er verlor völlig die Kontrolle über das Ruder. Eine riesige Welle, die auf ihn zurollte, verschlang schließlich das Schiff und riss es in die Tiefe.
Amartya jedoch tauchte aus den Fluten auf und schwamm zu einer treibenden Planke. Am Morgen fand er sich wieder am Strand eines winzigen Eilandes. Er erkundete die kleine Insel und fand allerlei leckere Früchte so kam er allmählich wieder zu Kräften. Nachdem er wochenlang nirgendwo in der Ferne ein Schiff sichten konnte, begann er sich ein kleines Floß zu bauen. Er füllte leere Kokosnüsse mit Wasser, lud so viele Früchte wie er konnte auf sein Floß und überließ sich der Meeresströmung. So trieb er Tag um Tag auf dem offenen Meer und seine Vorräte gingen langsam zur Neige.
Da erinnerte er sich an sein Leben, an die vielen Abenteuer, die er bestanden hatte und an seinen Schüler Chacko, der längst zu einem Freund geworden war. Er wünschte sich, ihm auch von seinem letzten Abenteuer erzählen zu können. Er begann mit seinen Händen in die Richtung zu paddeln, wo er das Festland vermutete. Aber schon nach einigen Stunden verließen ihn seine Kräfte.
Plötzlich tauchte eine Schar von munteren großen Fischen um ihn herum auf und vollführten die tollsten Luftsprünge, diese begleiteten sie mit lustigem Schnattern. Da erkannte Amartya sein so lange gesuchtes Lachen wieder. Die Fische jedoch begannen wieder unterzutauchen. Amartya fürchtete sein Lachen endgültig zu verlieren und tauchte ihnen nach. Geschwächt wie er war, verlor er bald das Bewusstsein.
Die Fische indessen kehrten um und der kräftigste von ihnen beförderte ihn mit seiner Schnauze an die Oberfläche und nahm ihn auf seinen Rücken. Amartya kam wieder zu sich und tief empfundene Freude und Dankbarkeit stieg in ihm auf.
Er lachte von ganzem Herzen.
Die Fische, die er Delphine nannte, brachten ihn zu seinem Floß und zogen ihn darauf bis in eine Bucht hinein. Dort verabschiedeten sich die Delphine und Amartya und dieser kehrte zu seinem Freund Chacko zurück.
Das Lachen des Fakirs aber behielten auch die Delphine bis auf den heutigen Tag.
Quelle: Thomas Schukai