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Die verwünschte Burg

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Ich hatte versprochen, die Weihnachten 1820 auf der Insel Bawn Horne in der Grafschaft Tipperary zuzubringen und war dort den achtzehnten Dezember von Dublin angelangt. Müde von der Reise blieb ich zwei Tage lang bei einem Buche, das mich anzog, ruhig am Kamin sitzen.
Als ich ausging, war der erste, der mir begegnete, der alte Schmied Pierce Grace, dessen Sohn mich auf die Jagd zu begleiten pflegte.
»Willkommen hier zu Lande!« hub er an, »ich habe gestern den ganzen Tag darauf gehofft, Ew. Gnaden zu sehen.«
»Ich danke Euch, Pierce, ich bin bei der Frau vom Hause geblieben.«
»Das hörte ich«, antwortete er, »und getraute deshalb nicht, mich vor Euch zu zeigen. Johann ist bereit, Euch zu begleiten und hat Spur von einer großen Anzahl Vögel.«
Mit der Flinte in der Hand durchstreifte ich am folgenden Morgen die Umgegend und wurde von Johann, des alten Pierce Sohn, bedient. Nachdem wir einige Stunden umhergezogen waren, gelangten wir in ein gewundenes Tal, durch welches der Currihihn fließt, und erblickten die Burg von Ballinatotty, deren Grundmauern er bespült, in der Ferne.
Diese Burg ist noch immer gut erhalten und war vordem ein einigermaßen fester Platz. Hier hatte das mächtige und grausame Geschlecht O’Brian, das eine Geißel und ein Schrecken des Landes war, seinen Sitz. Die Sage hat die Namen von dreien Gliedern der Familie erhalten: Phelim mit der starken Hand, Morty mit der blutigen Hand, der Sohn, und Donough ohne Barmherzigkeit in der Finsternis, der Enkel, dessen Grausamkeiten die blutigen Taten seiner Vorfahren völlig in Schatten stellten. Von ihm wird erzählt, daß er auf einem seiner Raubzüge in das Gebiet eines benachbarten Stammhäuptlings alles, Mann und Kinder, mit dem Schwert umbrachte, die Frauen aber, nachdem sie auf seinen Befehl halb in die Erde eingegraben waren, von Bluthunden zerreißen ließ. »Gerade um seine Feinde in Furcht zu setzen«, fügte der Erzähler hinzu. Die Handlung jedoch, welche die heftigsten Verwünschungen auf ihn hervorrief, war der Mord seines Weibes, Helene mit dem Goldhaar, deren Schönheit und Freundlichkeit im ganzen Land gerühmt wurde. Sie war die Tochter des O’Kennedy von Lisnabonney Castle und schlug die angebotne Hand des Donough aus; in dieser Weigerung durch ihren Bruder Brian Oge (mit dem Beinamen der Überredende) unterstützt, wurde ihr vergönnt, unverheiratet bei ihrem Vater zu bleiben, dessen Tod sie von aller Furcht vor Zwang zu befreien schien. Doch ehe ein Monat verging, wurde Brian Oge von unbekannter Hand ermordet, bei welcher Gelegenheit Helene das gefühlvolle und wohlbekannte Trauerlied »mein Herz ist krank und schwer von Jammer« dichtete. Als sie von dem Leichenbegängnis ihres Bruders zurückkam, lauerte Donough dem Zuge auf, ihre Diener wurden niedergehauen und sie selbst sah sich genötigt, seine Frau zu werden. Helene kam zuletzt durch seine Hand um, indem er sie, der Sage nach, aus einem Bogenfenster herabstürzte, weil sie ihm mit dem Mord ihres Bruders belastet habe. Die Stelle, wo sie hinfiel, wird gezeigt und an dem Jahrestag ihres Todes, den zweiten Dienstag im August, glaubt man, besuche ihr Geist diese Stelle.
Ich gab meine Flinte ab und stieg hinauf, die Burg näher zu betrachten. Ein Fenster an der Südseite wird als dasjenige bezeichnet, aus welchem Helene sei herabgestürzt worden, doch ist es viel wahrscheinlicher, daß es von der Zinne darüber geschah, eines besondern Umstands wegen, es sind nämlich in dem Mauerwerk oben und unten regelmäßige Löcher sichtbar, woraus hervorgeht, daß zur Zeit der Erbauung Eisengitter eingefügt waren, mithin das Fenster nicht offen sein konnte.
Nachdem meine Neugierde befriedigt war, stand ich im Begriff, den Ort wieder zu verlassen, als ich eine Öffnung in einer Ecke nach Südosten bemerkte. Ich geriet in Versuchung nachzuforschen, und fand eine enge Steintreppe, welche zu einer Schlafkammer führte. Diese Kammer war von einem Dachshund und seiner ganzen jungen Brut besetzt. Gereizt durch mein Eindringen ging die Alte auf mich los und da ich ohne Mittel zur Verteidigung war, mußte ich mich schleunig zurückziehen. Wie weit mich das wütende Tier verfolgte, kann ich nicht sagen, denn bei meiner übereilten Flucht, als ich die zweite Steintreppe herabstieg, glitt mein Fuß aus und ich rollte durch eine breite Öffnung in einen Raum, der wahrscheinlich sonst als Behälter gedient hatte. Doch die Gefahr, in welche ich jetzt geriet, war viel größer, als jene, welcher ich entfloh, denn der Boden dieses Gemachs befand sich im höchsten Grad von Verfall. Eine Katze würde kaum ohne Gefahr darüber weggeschlichen sein und bei der Gewalt, mit welcher ich anlangte, konnte die vermoderte Oberfläche nicht mehr Widerstand leisten, als ein Spinnengeweb; ich stürzte hindurch und in die finstere Tiefe hinab. Eine Menge Fledermäuse, welche meine plötzliche Ankunft auf-störte, schwangen ihre Flügel und umschwirrten mich.
Als ich wieder zu Besinnung kam, drangen verwirrte Klänge menschlicher Stimmen in meine Ohren und ich unterschied darauf eine weibliche, welche mit dem Ton der liebreichsten Zärtlichkeit sagte: »Er ist gerettet! Er ist gerettet! Das Leben kehrt zurück!« Ich schlug die Augen auf und fand mein Haupt in dem Schoße eines Bauernmädchens von achtzehn Jahren liegen, welches meine Schläfe rieb. Gesundheit oder Besorgnis gaben ihren milden, aber ausdrucksvollen Zügen eine eigene Glut und ihr hellbraunes Haar war einfach über die Stirne gescheitelt. Auf einer Seite stand ein alter Mann, ihr Vater, mit einem Bund Schlüssel, und an der andern kniete Johanne Grace mit einer Schale gebranntem Wasser, welches sie anwendete, mich wieder zu mir selbst zu bringen. Ich blickte mich um und bemerkte, daß wir uns auf einem Felsen in der Nähe der Burg befanden und der Fluß zu unsern Füßen floß. Verschiedene Ausrufungen der Freude folgten und der alte Mann bestand darauf, als Johann die Schale wegschütten wollte, daß ich einen Schluck davon nähme; nachdem ich das getan und mich aufgerichtet hatte, dankte ich ihnen und bot eine geringe Belohnung in Geld an, doch sie wollten nichts nehmen. »Gewiß und wahrhaftig«, sagten sie,»wir hätten mit Freuden zehnmal so viel für Ew. Gnaden getan, ohne Belohnung oder Vergeltung.«
Ich fragte hierauf, wie sie mich gefunden hätten. »Da ich dachte«, antwortete Johann, »daß Ew. Gnaden sich einige Zeit in den Gängen und Ecken der Burg umsehen wollten, so machte ich die Runde, um mit Hannchen da ein wenig zu schwätzen und wie wir so über dieses und jenes redeten, und Hannchen mir gerade sagte, die Jungen, ihre Brüder, hätten im Fluß gefischt und einen ganzen Zuber voll großer Aale gefangen, und wenn ich dächte, der gnädigen Frau geschähe ein Gefallen damit, so könnte ich soviel davon nehmen, als ich Lust hätte und es sollte ihnen lieb sein; als wir ein gewaltiges Getöse und Krachen hörten. ‚Was ist das?‘ rief ich. ‚Ich denke‘, antwortete Hannchen, ‚das alte, graue Pferd hat sich totgefallen oder es ist Paddy’s spanischer Hund, der umher springt, es ist nicht zu sagen, was für Verdruß mir der macht; sie sind beide in dem Torfhaus neben uns.‘ Sie meinte den untern Teil der Burg, in welchen Cromwell Bresche schoß und neben welchem die Hütte stand.«
»Eben kam Thomas Hagerty daher und wir hörten einen Schrei. ‚Das ist des Herrn Stimme‘, sagte ich, ‚er ist durch die Flur gefallen.‘ ‚Ach! wenn das ist‘, rief Thomas, ’so bin ich auf immer verloren. Noch vorigen Montag hieß mich mein Herr die Treppe herstellen, oder, sagte er, es könnte da jemand sich totstürzen und wahrhaftig, ich gedachte es morgen am Tag zu tun.‘ Wir holten ein Licht und sahen die Phukas, welche die Ursache eures Falls waren, in Gestalt von Fledermäusen fortfliegen, und da fanden wir Ew. Gnaden und Torf überall auf dem Platz, und gewiß und wahrhaftig, wenn ihr nicht zuerst darauf gefallen wärt, sondern auf die Knochen, die Paddy und Michael von der Hochzeit des jungen Herrn da aufgesammelt hatten, ihr wärt ganz zerschmettert. Wir alle waren in Eifer und Verwirrung über die verwünschten Phukas, die da waren, und wußten nicht, was wir anfangen sollten. Doch Hannchen gab den Rat, Euch an die frische Luft zu bringen und das taten wir auch und, Gott sei gedankt! unserer Sorge und Bemühung gelang es, Euch wieder ins Leben zu bringen, aber es dauerte verzweifelt lang und mir kam es vor, als sei es so gut als aus mit Euch.«

Quelle: Brüder Grimm (Irische Elfenmärchen)

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