Den ersten Tag blieb der Unteroffizier zu Haus. Er fegte die Stube, putzte die Fenster und kochte ein gutes Abendbrot für sich und seine Kameraden. Und als das Essen fertig war, und er sich hinsetzte seinen Theil zu verzehren, kam ein graues Männchen und sagte »Mir auch Etwas!« Der Unteroffizier wollte anfangs dem Männchen nichts geben; doch da es immerfort bettelte, gab er ihm ein Stückchen Brot. Damit war es aber nicht zufrieden, sondern forderte auch noch Fleisch; und als es wieder lange gebettelt hatte, reichte ihm der Unteroffizier ein Stückchen Fleisch. Doch das graue Männchen war so ungeschickt und ließ es auf den Boden fallen. »Ach, ich bin so steif und kann mich nicht bücken« sagte es: »sei doch so gut und heb mir das Fleisch auf.« Das that der Unteroffizier auch: kaum aber hatte er sich gebückt, so holte das Männchen eine Peitsche hervor, gab ihm in einer Minute wohl zwanzig Hiebe und verschwand. Als nun seine Gefährten zurückkamen, war er sehr ärgerlich; doch sagte er ihnen nichts, sondern dachte, sie können es ja auch versuchen.
Am zweiten Tage mußte der Gemeine die Wirthschaft führen, und es ging ihm nicht besser als dem Unteroffizier, doch er hütete sich wohl am Abend Etwas davon zu erzählen. Als nun am dritten Tage der Tambour zu Hause blieb, kam das graue Männchen wieder und bettelte um Brot und Fleisch, ließ das Fleisch wieder auf die Erde fallen und bat den Tambour es aufzuheben. Doch der Tambour war des Teufels Putzebeutel, oder mit andern Worten, er war aus dem Kessel gesprungen, das heißt, er war ein pfiffiger, ausgelassener Strick wie alle Tamboure: der merkte daß Etwas dahinter steckte und behielt, als er sich bückte, das Männchen immer im Auge, und wie er sah daß es die Peitsche hervorzog, sprang er auf, nahm die Peitsche und prügelte das arme graue Männchen braun und blau. Da lief es eilig aus der Stube, hob im Hause eine Fallthür auf und verschwand darunter.
Wie nun die beiden andern nach Hause kamen, erzählte der Tambour wie es ihm ergangen war; und sie gestanden ein daß sie nicht so gut davon gekommen waren wie er und wollten gern wissen wo das graue Männchen geblieben sei. Sie drehten von Binsen und Weiden ein Seil, und weil der Tambour am Besten mit dem Männchen fertig geworden war, banden sie ihn daran und ließen ihn durch die Fallthür hinab. Dort unten aber war es stockfinster, und er tappte lange umher, bis er in einer kleinen Höhlung ein Pfeifchen fand. Darauf blies er keck, und siehe da, das graue Männchen stand vor ihm und bat, er möge es nur nicht schlagen, es wolle ja gern Alles gestehn, was es wisse. Und nun erzählte es ihm daß hier unten zwei wunderschöne verwünschte Prinzessinnen seien, die er erlösen könne, wenn er Muth genug habe, und es versprach ihm treulich dabei zu helfen. »Dort in der Ecke steht eine Flasche« sagte es: »daraus thu drei Züge und dann nimm das Schwert, das über der Thür hängt, und geh hier in das erste Zimmer. Da wird die jüngste Prinzessin von einem Drachen bewacht, der hat zwei Köpfe und bläst das helle Feuer aus dem Rachen: doch mit diesem Schwerte kannst du ihn erlegen. So sieh denn zu, daß du ihn gut triffst.« Der Tambour trank aus der Flasche, nahm das Schwert und machte die Thür auf. Da drang ihm ein breiter, wallender Feuerstrom entgegen; doch er sprang hindurch, hieb mit zwei Streichen dem Drachen beide Köpfe ab und befreite so die jüngste Königstochter. Die bot ihm bald große Schätze und ihr halbes Königreich zum Lohn an; und sie sagte, sie wolle seine Gemahlin werden, und zum Zeichen daß es ihr Ernst sei zog sie einen Ring vom Finger und schenkte ihn dem Tambour. Doch er wollte auch noch die andre Schwester befreien, pfiff wieder, und das graue Männchen brachte ihm die Flasche noch einmal und führte ihn vor das Zimmer, in dem die älteste Prinzessin saß. Die wurde von einem Drachen mit vier Köpfen bewacht; doch auch den erschlug er und erlöste sie auch.
Nun gingen sie alle drei zu dem Seile, und der ehrliche Tambour ließ die beiden Mädchen zuerst hinaufziehen. Als aber die Reihe an ihn kam, dachte er daß seine Freunde wohl falsch sein könnten und band zum Versuch einen Stein an das Seil: und richtig, als der Stein halb hinaufgezogen war, ließen sie ihn plötzlich wieder herunter fallen. So hatte der Tambour sein Leben gerettet; doch wie sollte er nun hinauf kommen? Er ging überall herum und gelangte auch in einen schönen Garten. Dort spazierte er auf und nieder, und weil ihm die Zeit lang wurde, blies er sich ein Stück auf dem Pfeifchen. Da stand plötzlich wieder das graue Männchen vor ihm und sprach »Eile, eile! Was streichst du hier herum und pfeifst? Es ist schon ein ganzer Monat verflossen, seit du die Prinzessinnen erlöst hast, und heut sollen deine Kameraden mit ihnen getraut werden: die Hochzeitsgäste sind schon versammelt. Komm, halte dich an meinen Rockzipfel, so will ich dich hinauf tragen.« Der Tambour faßte den Zipfel an, und das graue Männchen flog mit ihm durch die Luft und brachte ihn so wieder hinauf auf die Erde. Es zeigte ihm noch den Weg zum Königsschlosse, und dahin lief nun der Tambour so rasch er konnte, kam auch noch zu rechter Zeit an und mischte sich unter die Dienerschaft. Als die Suppe aufgetragen wurde, warf er den Ring in den Teller der jüngsten Prinzessin; und kaum erblickte sie das Gold, so sprang sie freudig auf und rief ihrer Schwester zu »Unser Erlöser ist da: nun sind wir gerettet.« Da trat der Tambour hervor, und sie küßten sich, und er erzählte wie er von seinen Kameraden betrogen worden war und durch welche List er sich gerettet hatte. Die falschen Kameraden wurden zur Strafe für ihre Untreue ins Gefängniß geworfen und bekamen nie wieder einen Sonnenstral zu sehen. Der Tambour aber wurde mit der jüngsten Prinzessin vermählt und lebte lange Zeit glücklich mit ihr.
Emil Friedrich Julius Sommer (1819–1846)
[Sagen Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen. Deutsche Märchen und Sagen]