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»Ihr seid nun groß und stark«, sagte ein Vater zu seinen vier Söhnen, »und müßt euch auch einmal in der Welt umsehen – vielleicht macht ihr euer Glück -, hier könnt ihr doch nicht immer bleiben.«
Darüber waren die rüstigen Jungen sehr erfreut und wollten nun alle zugleich in die Fremde gehen, denn schon lange war das ihr sehnlichster Wunsch. Der Vater aber bedeutete ihnen, daß er sie doch nicht alle auf einmal von sich entlassen könne, sondern es werde an jeden die Reihe kommen, sobald nur der andere zurückgekehrt sei. Damit waren die Brüder zufrieden, und der älteste sollte zuerst Stock und Reisebündel nehmen und sich auf den Weg machen.
Einen guten Spruch, den ihm der Vater ans Herz gelegt hatte, im Gedächtnis und einige Groschen als Reisegeld von der Mutter in der Tasche, verließ Wastl, so hieß der Bursche, das väterliche Haus und ging, ein Liedlein trällernd, aufs Geratewohl der Nase nach, da er selbst nicht wußte, wohin er wollte. Er war schon eine ziemliche Strecke fortgegangen, als ihm ein kleines, graues Männlein begegnete, das ihn fragte, ob er nichts zu verschachern habe?
»Nein«, antwortete Wastl, »ich verstehe mich schlecht aufs Schachern«, und wollte vorwärts.
»Nun, eil doch nicht so«, sagte lachend das Männlein, »vielleicht habe ich etwas, was dir zu seiner Zeit wohlbekommen dürfte. Hat dir nicht die Mutter Geld gegeben auf die Reise? Geh, kauf mir dieses Tuch da ab!«
Wastl wunderte sich nicht wenig, als der winzige Wicht, den er doch nie zuvor gesehen hatte, von den paar Groschen wußte, die ihm das Mütterchen zugesteckt hatte; doch getraute er sich nicht zu widersprechen, denn ihm wurde völlig unheimlich. Er ging daher auf den Kauf ein und wanderte dann, unbekümmert um das Männlein, weiter, ja er hatte nicht einmal das Tuch recht angesehen, weil ihn gruselte.
So ging er zwei Tage seines Weges. Als aber der zweite Tag zu Ende ging, da wußte er keine Nachtherberge. Nirgends sah er ein Wirtshaus, sondern es lag ein großer, dunkler Wald vor ihm. Wenn nur ein Haus in der Nähe wäre!, dachte er, und kam so nachsinnend immer näher und endlich ganz nahe an den Wald.
Aber erst jetzt fiel es ihm ein, daß er ja kein Geld mehr habe, und er lachte über sich selbst, wie es ihm habe einfallen können, ohne Geld weiterzugehen oder gar an einen Abendschmaus zu denken. Mißmutig setzte er sich nieder, nahm sein Tuch heraus und breitete es lachend vor sich auf den Boden. Er schaute es nun zur Kurzweil an, weil er nichts Besseres zu tun wußte. Es war hellrot und mit goldenen und silbernen Sternlein auf den Seiten ganz übersät. Ihm gefiel’s, als er es so betrachtete, nicht übel, aber Geld hätte ihm doch noch besser gefallen. Da dachte er: Ja, hätte ich nur so viele Taler, als Sternlein darauf sind, dann wär’s schon recht. Kaum gedacht, da lagen auch schon die klingenden Taler zuhauf auf dem Tuch, ohne daß unser Wastl wußte, wie das zugegangen war.
Nun fing er an, das Geld in seine Tasche zu stecken, und merkte gar nicht, daß es Nacht und immer dunkler und dunkler wurde. Und als er es gewahrte und fortgehen wollte, sah er sich von einer Schar Räuber umgeben, die ihn hernahmen und herumstießen, daß ihm Sehen und Hören verging. Er mußte, ob er wollte oder nicht, zu ihnen in die Höhle, wo er eine nicht verhoffte Nachtherberge fand.
Am andern Tag versammelten sich die Räuber um ihn und wollten, wie sie sagten, die Sache ganz kurz machen, wenn er ihnen das Tuch nicht gebe. Wastl war froh, wenigstens mit dem Leben davonzukommen, und ließ ihnen gerne, was sie verlangten. Darauf führten sie ihn aus der Höhle, und er wanderte nach kurzer Abwesenheit ganz betrübt wieder nach Hause und begehrte nicht mehr, in die Fremde zu gehen.
Als er daheim seinen Brüdern und dem Vater erzählte, wie es ihm ergangen war, versicherten die andern drei, sie wollten sich gewiß besser in acht nehmen, und der zweite ließ nicht nach und bat immerfort, ihn ziehen zu lassen, bis endlich der Vater auch ihm das Reisebündel schnürte und die Mutter ihm einige Groschen gab und ihn wandern ließ.
Ganz wohlgemut zog er fort; aber nicht auf demselben Weg wie sein Bruder, um sich vor den Wegelagerern zu hüten, und dachte immer: Wenn nur bald das graue Männlein käme und mir auch so ein Tuch brächte wie meinem Bruder! Ich wollte gewiß nicht erschrecken. Und richtig, es dauerte nicht lange, da sah er ein Männlein, so klein wie ein Zwerg, daherkommen. Gleich fiel es ihm ein, das müßte das Männlein mit den Tüchlein sein. Die beiden redeten einander an, und das Männlein bot ihm ein Tüchlein zum Kauf an. Da kaufte denn unser Reisende das ihm angebotene Tuch dem kleinen Schacherer ab. Diesmal aber war es nicht mehr ein rotes, sondern ein blaues, mit runden Flecken und Flaschen bemaltes Tuch.
Kaum war das Zwerglein hinweg, setzte sich der frohe Hans, so hieß der zweite Bruder, ins Gras hin und wünschte Geld, soviel nur immer Gott Vater selber wünschen kann; aber es war umsonst.
Jetzt fing ihn sein Handel zu reuen an. Er hörte nicht auf, den Zwerg einen listigen Betrüger zu nennen, und so lange grollte, schmähte und schalt er, bis seine Kehle ganz trocken wurde und er statt des Scheltens eine Flasche Wein sich wünschte. Wie er aber diesen Wunsch getan hatte, stand auch schon die Flasche da, und nun meinte er, gehe es in einem hin, und er wünschte sich auch Speisen in Hülle und Fülle. Alle seine Lieblingsgerichte nannte er her, und alsogleich stand alles schon zu Diensten.
Als es Abend wurde, ging er in ein nahe gelegenes Dorf und begab sich schnell in ein Wirtshaus, wo er vom Wirt nur ein Bett verlangte. Für das Nachtmahl, sprach er, werde er schon selber sorgen.
Der Wirt wunderte sich, daß sein Gast so mir nichts dir nichts von der Straße ins Bett laufe, er ging daher demselben nach und lugte beim Schlüsselloch ins Zimmer hinein. Nun mußte er freilich sehen, wie Hans sich sein Nachtmahl zurichtete und wie ihm die Speisen mundeten. Da wässerten ihm die Zähne nach einer so wohlbestellten Küche. Er sann nun die ganze Nacht, wie er denn dieses Tuch sich verschaffen könnte, und am andern Tag ließ er den Gast nicht aus dem Haus und tat so fein und schmeichelnd und zutraulich wie mit einem alten Bekannten, bis er ihn dahin gebracht hatte, für heute noch bei ihm zu bleiben. Inzwischen aber schickte er nach den Gerichtsdienern und ließ ihn in der Nacht noch festnehmen, indem er ihn beschuldigte, er habe ihm die Zeche nicht bezahlt. So mußte Hans die Nacht im Kerker zubringen und konnte nur durch das Zurücklassen seines Tuches wieder frei werden.
Ganz zornig trat er den Rückweg an und kam endlich mißvergnügt über seine Reise nach Hause, wo er noch dazu von seinem dritten Bruder, Klaus, wacker ausgezankt wurde, der sich dann in aller Eile auch aufmachte, um zu versuchen, ob es ihm nicht besser glücken werde als den anderen zwei Brüdern.
Aber er mochte lange Zeit gehen, bis ihm das Männlein entgegenkam, so daß er schon zweifelte, ob ihm die Brüder wohl die Wahrheit gesagt hätten. Eben, als er so sinnend dahinschlenderte, spazierte auf einmal ein kleines, winziges, aber steinaltes Herrlein auf der Straße einher, und Klaus, der immer auf den Boden sah und in Gedanken rasch vorwärtsging, hätte das kleine Ding beinahe übersprungen. Da schauten beide einander gewaltig groß an, und Klaus, fast erschrocken, wollte vorwärts eilen; der Alte aber hielt ihn, und lachend bot er ihm ein schwarzes Tuch zum Kauf an. Klaus ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm schnell das Tuch für wenige Groschen und schritt dann rüstig weiter. Kaum war das Männlein ihm aus den Augen, langte er alsbald sein Tuch hervor und wünschte Geld – aber umsonst. Er wünschte Wein und Braten; aber es wurde keine Flasche sichtbar.
Da ging ihm die Geduld aus, er kehrte und wendete das Tuch nach allen Seiten und gewahrte daran zufällig einen Riß, was ihn unwillig machte. Aber er nahm, weil er es doch nun gekauft hatte, das Tuch mit und hielt es vors Gesicht und lachte und schalt zugleich. Auf einmal sah er seinen Vater und die Brüder zu Hause arbeiten und hörte, wie sie miteinander sprachen. Da merkte er, daß dies allemal der Fall sei, sooft er durch den Riß hindurchschaute. Nun, dachte er, das ist nicht übel, und freute sich über die neue Entdeckung.
Nun wanderte er weit und breit in der Welt umher. Da kam er in eine große, schöne Stadt, deren König eben gegen einen benachbarten Fürsten Krieg führte. Das hörte Klaus, und da fiel ihm ein: Ich könnte vielleicht ein angesehener und reicher Herr werden, und er bot sich dem König an, alles zu sagen, was seine Feinde gegen ihn im Sinne hätten. Darüber war der König sehr froh und versprach ihm große Belohnung, wenn er in seine Dienste treten wolle, was jener auch gerne tat. Bald war nun der König Sieger über seine Feinde, und seine Macht wurde immer größer und größer. Aber dem, der ihm zu seiner Macht verholfen hatte, vergalt er seine guten Dienste schlecht. Denn sobald er merkte, auf welche Weise sein Dienstmann Klaus alles wissen konnte, nahm er ihm das Tuch, fertigte ihn mit schönen Worten ab und ließ ihn aus dem Land jagen.
Das hatte sich Klaus freilich nicht erhofft; um jedoch die Sache nicht noch schlimmer zu machen, nahm er sich vor, geradewegs nach Hause zu gehen und seinen jüngsten Bruder vom Reisen abzuhalten. Doch kaum war er daheim angekommen, wollte der jüngste auch schon fort und mochte es kaum erwarten, bis er über alle Berge hinweg wäre. Weil der Vater den andern erlaubt hatte, in die Fremde zu gehen, erlaubte er es, durch viele Bitten bewegt, auch seinem jüngsten und liebsten Sohn, wie sehr er ihm auch einschärfte, in der Fremde sei nicht der Ort zum Wohlleben. Der junge Wanderer dachte gar nicht, wie seine Brüder, an das Männlein, sondern nahm sich ernstlich vor, sich wenig um den Zwerg zu kümmern.
Doch dieser blieb auch bei ihm nicht aus, sondern kam nach einigen Wandertagen auch zu ihm und gab ihm für das Geld, das er noch hatte, ein weißes Tüchlein zu kaufen. Der Reisende hätte gerne sehen mögen, wozu denn etwa sein Tuch nütze, und kam endlich auf die Entdeckung, daß mit dem seinen die Kunst verbunden sei, sich unsichtbar zu machen. Da ging ihm auf einmal ein Licht auf. – Geradewegs schritt er jetzt der Gegend zu, wo sein ältester Bruder unter die Räuber gefallen war, und schlich sich, da er einige von ihnen sah, in ihre Höhle. Hier fand er in einer Ecke das rote Tuch, das sie seinem Bruder weggenommen hatten, und machte sich unsichtbar damit davon.
Auf seiner Weiterreise sah er vor sich an der Straße ein großes, schönes Haus, und da eben die Sonne nicht gar hoch am Himmel stand, beschloß er dort zu übernachten, wenn man ihn aufnehmen würde. Als er ans Haus kam, stand ein wohlbeleibter Herr vor der Tür, der ihn gar höflich einlud, dazubleiben. Aha, dachte sich da der Reisende, das ist gewiß das Wirtshaus, wo mein Bruder so arg geprellt wurde. Er ging hinein und machte es geradeso, wie sein Bruder es früher gemacht hatte. Der Wirt, als er das sah, glaubte wieder einen reichen Fang zu machen und führte ihn in das nämliche Zimmer wie den früheren Reisenden. Hier war auch noch das schöne blaue Tuch auf einem Tischchen, das unserem Jungen geschwind in die Augen fiel. Wie nun der Wirt sah, daß sein Gast anfing, auf einem roten Tuch Geld zu zählen, schickte er, ohne sich lange zu besinnen, zum Gerichtsdiener. Ehe aber der noch ankam, waren der Gast und das blaue Tuch verschwunden.
»Jetzt wird mir auch der Herr König nicht entgehen«, sagte er lachend zu sich selbst, als er das Wirtshaus verlassen hatte, und eilte, um nur bald in die Königsstadt zu gelangen. Unter verschiedenen Vorwänden wußte er sich beim König Zugang zu verschaffen, und durch die Eigenheit seines Tuches war es ihm ein leichtes, überall ungesehen aus und ein zu kommen, bis er auch das schwarze Tuch in den Händen hatte. Furchtlos stellte er sich nun vor den König und gestand ihm frei, was er getan hatte. Der König, im höchsten Zorn über eine solche Kühnheit, wollte ihn alsogleich festnehmen lassen; aber der Bursche antwortete ihm lachend: »Du kriegst mich ganz gewiß nicht!«
Und darauf war er verschwunden und kehrte wieder zum Vater und zur Mutter heim, die nun viele glückliche Tage mit ihren Söhnen verlebten und die reichsten Leute weit und breit im Land wurden.
Darüber waren die rüstigen Jungen sehr erfreut und wollten nun alle zugleich in die Fremde gehen, denn schon lange war das ihr sehnlichster Wunsch. Der Vater aber bedeutete ihnen, daß er sie doch nicht alle auf einmal von sich entlassen könne, sondern es werde an jeden die Reihe kommen, sobald nur der andere zurückgekehrt sei. Damit waren die Brüder zufrieden, und der älteste sollte zuerst Stock und Reisebündel nehmen und sich auf den Weg machen.
Einen guten Spruch, den ihm der Vater ans Herz gelegt hatte, im Gedächtnis und einige Groschen als Reisegeld von der Mutter in der Tasche, verließ Wastl, so hieß der Bursche, das väterliche Haus und ging, ein Liedlein trällernd, aufs Geratewohl der Nase nach, da er selbst nicht wußte, wohin er wollte. Er war schon eine ziemliche Strecke fortgegangen, als ihm ein kleines, graues Männlein begegnete, das ihn fragte, ob er nichts zu verschachern habe?
»Nein«, antwortete Wastl, »ich verstehe mich schlecht aufs Schachern«, und wollte vorwärts.
»Nun, eil doch nicht so«, sagte lachend das Männlein, »vielleicht habe ich etwas, was dir zu seiner Zeit wohlbekommen dürfte. Hat dir nicht die Mutter Geld gegeben auf die Reise? Geh, kauf mir dieses Tuch da ab!«
Wastl wunderte sich nicht wenig, als der winzige Wicht, den er doch nie zuvor gesehen hatte, von den paar Groschen wußte, die ihm das Mütterchen zugesteckt hatte; doch getraute er sich nicht zu widersprechen, denn ihm wurde völlig unheimlich. Er ging daher auf den Kauf ein und wanderte dann, unbekümmert um das Männlein, weiter, ja er hatte nicht einmal das Tuch recht angesehen, weil ihn gruselte.
So ging er zwei Tage seines Weges. Als aber der zweite Tag zu Ende ging, da wußte er keine Nachtherberge. Nirgends sah er ein Wirtshaus, sondern es lag ein großer, dunkler Wald vor ihm. Wenn nur ein Haus in der Nähe wäre!, dachte er, und kam so nachsinnend immer näher und endlich ganz nahe an den Wald.
Aber erst jetzt fiel es ihm ein, daß er ja kein Geld mehr habe, und er lachte über sich selbst, wie es ihm habe einfallen können, ohne Geld weiterzugehen oder gar an einen Abendschmaus zu denken. Mißmutig setzte er sich nieder, nahm sein Tuch heraus und breitete es lachend vor sich auf den Boden. Er schaute es nun zur Kurzweil an, weil er nichts Besseres zu tun wußte. Es war hellrot und mit goldenen und silbernen Sternlein auf den Seiten ganz übersät. Ihm gefiel’s, als er es so betrachtete, nicht übel, aber Geld hätte ihm doch noch besser gefallen. Da dachte er: Ja, hätte ich nur so viele Taler, als Sternlein darauf sind, dann wär’s schon recht. Kaum gedacht, da lagen auch schon die klingenden Taler zuhauf auf dem Tuch, ohne daß unser Wastl wußte, wie das zugegangen war.
Nun fing er an, das Geld in seine Tasche zu stecken, und merkte gar nicht, daß es Nacht und immer dunkler und dunkler wurde. Und als er es gewahrte und fortgehen wollte, sah er sich von einer Schar Räuber umgeben, die ihn hernahmen und herumstießen, daß ihm Sehen und Hören verging. Er mußte, ob er wollte oder nicht, zu ihnen in die Höhle, wo er eine nicht verhoffte Nachtherberge fand.
Am andern Tag versammelten sich die Räuber um ihn und wollten, wie sie sagten, die Sache ganz kurz machen, wenn er ihnen das Tuch nicht gebe. Wastl war froh, wenigstens mit dem Leben davonzukommen, und ließ ihnen gerne, was sie verlangten. Darauf führten sie ihn aus der Höhle, und er wanderte nach kurzer Abwesenheit ganz betrübt wieder nach Hause und begehrte nicht mehr, in die Fremde zu gehen.
Als er daheim seinen Brüdern und dem Vater erzählte, wie es ihm ergangen war, versicherten die andern drei, sie wollten sich gewiß besser in acht nehmen, und der zweite ließ nicht nach und bat immerfort, ihn ziehen zu lassen, bis endlich der Vater auch ihm das Reisebündel schnürte und die Mutter ihm einige Groschen gab und ihn wandern ließ.
Ganz wohlgemut zog er fort; aber nicht auf demselben Weg wie sein Bruder, um sich vor den Wegelagerern zu hüten, und dachte immer: Wenn nur bald das graue Männlein käme und mir auch so ein Tuch brächte wie meinem Bruder! Ich wollte gewiß nicht erschrecken. Und richtig, es dauerte nicht lange, da sah er ein Männlein, so klein wie ein Zwerg, daherkommen. Gleich fiel es ihm ein, das müßte das Männlein mit den Tüchlein sein. Die beiden redeten einander an, und das Männlein bot ihm ein Tüchlein zum Kauf an. Da kaufte denn unser Reisende das ihm angebotene Tuch dem kleinen Schacherer ab. Diesmal aber war es nicht mehr ein rotes, sondern ein blaues, mit runden Flecken und Flaschen bemaltes Tuch.
Kaum war das Zwerglein hinweg, setzte sich der frohe Hans, so hieß der zweite Bruder, ins Gras hin und wünschte Geld, soviel nur immer Gott Vater selber wünschen kann; aber es war umsonst.
Jetzt fing ihn sein Handel zu reuen an. Er hörte nicht auf, den Zwerg einen listigen Betrüger zu nennen, und so lange grollte, schmähte und schalt er, bis seine Kehle ganz trocken wurde und er statt des Scheltens eine Flasche Wein sich wünschte. Wie er aber diesen Wunsch getan hatte, stand auch schon die Flasche da, und nun meinte er, gehe es in einem hin, und er wünschte sich auch Speisen in Hülle und Fülle. Alle seine Lieblingsgerichte nannte er her, und alsogleich stand alles schon zu Diensten.
Als es Abend wurde, ging er in ein nahe gelegenes Dorf und begab sich schnell in ein Wirtshaus, wo er vom Wirt nur ein Bett verlangte. Für das Nachtmahl, sprach er, werde er schon selber sorgen.
Der Wirt wunderte sich, daß sein Gast so mir nichts dir nichts von der Straße ins Bett laufe, er ging daher demselben nach und lugte beim Schlüsselloch ins Zimmer hinein. Nun mußte er freilich sehen, wie Hans sich sein Nachtmahl zurichtete und wie ihm die Speisen mundeten. Da wässerten ihm die Zähne nach einer so wohlbestellten Küche. Er sann nun die ganze Nacht, wie er denn dieses Tuch sich verschaffen könnte, und am andern Tag ließ er den Gast nicht aus dem Haus und tat so fein und schmeichelnd und zutraulich wie mit einem alten Bekannten, bis er ihn dahin gebracht hatte, für heute noch bei ihm zu bleiben. Inzwischen aber schickte er nach den Gerichtsdienern und ließ ihn in der Nacht noch festnehmen, indem er ihn beschuldigte, er habe ihm die Zeche nicht bezahlt. So mußte Hans die Nacht im Kerker zubringen und konnte nur durch das Zurücklassen seines Tuches wieder frei werden.
Ganz zornig trat er den Rückweg an und kam endlich mißvergnügt über seine Reise nach Hause, wo er noch dazu von seinem dritten Bruder, Klaus, wacker ausgezankt wurde, der sich dann in aller Eile auch aufmachte, um zu versuchen, ob es ihm nicht besser glücken werde als den anderen zwei Brüdern.
Aber er mochte lange Zeit gehen, bis ihm das Männlein entgegenkam, so daß er schon zweifelte, ob ihm die Brüder wohl die Wahrheit gesagt hätten. Eben, als er so sinnend dahinschlenderte, spazierte auf einmal ein kleines, winziges, aber steinaltes Herrlein auf der Straße einher, und Klaus, der immer auf den Boden sah und in Gedanken rasch vorwärtsging, hätte das kleine Ding beinahe übersprungen. Da schauten beide einander gewaltig groß an, und Klaus, fast erschrocken, wollte vorwärts eilen; der Alte aber hielt ihn, und lachend bot er ihm ein schwarzes Tuch zum Kauf an. Klaus ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm schnell das Tuch für wenige Groschen und schritt dann rüstig weiter. Kaum war das Männlein ihm aus den Augen, langte er alsbald sein Tuch hervor und wünschte Geld – aber umsonst. Er wünschte Wein und Braten; aber es wurde keine Flasche sichtbar.
Da ging ihm die Geduld aus, er kehrte und wendete das Tuch nach allen Seiten und gewahrte daran zufällig einen Riß, was ihn unwillig machte. Aber er nahm, weil er es doch nun gekauft hatte, das Tuch mit und hielt es vors Gesicht und lachte und schalt zugleich. Auf einmal sah er seinen Vater und die Brüder zu Hause arbeiten und hörte, wie sie miteinander sprachen. Da merkte er, daß dies allemal der Fall sei, sooft er durch den Riß hindurchschaute. Nun, dachte er, das ist nicht übel, und freute sich über die neue Entdeckung.
Nun wanderte er weit und breit in der Welt umher. Da kam er in eine große, schöne Stadt, deren König eben gegen einen benachbarten Fürsten Krieg führte. Das hörte Klaus, und da fiel ihm ein: Ich könnte vielleicht ein angesehener und reicher Herr werden, und er bot sich dem König an, alles zu sagen, was seine Feinde gegen ihn im Sinne hätten. Darüber war der König sehr froh und versprach ihm große Belohnung, wenn er in seine Dienste treten wolle, was jener auch gerne tat. Bald war nun der König Sieger über seine Feinde, und seine Macht wurde immer größer und größer. Aber dem, der ihm zu seiner Macht verholfen hatte, vergalt er seine guten Dienste schlecht. Denn sobald er merkte, auf welche Weise sein Dienstmann Klaus alles wissen konnte, nahm er ihm das Tuch, fertigte ihn mit schönen Worten ab und ließ ihn aus dem Land jagen.
Das hatte sich Klaus freilich nicht erhofft; um jedoch die Sache nicht noch schlimmer zu machen, nahm er sich vor, geradewegs nach Hause zu gehen und seinen jüngsten Bruder vom Reisen abzuhalten. Doch kaum war er daheim angekommen, wollte der jüngste auch schon fort und mochte es kaum erwarten, bis er über alle Berge hinweg wäre. Weil der Vater den andern erlaubt hatte, in die Fremde zu gehen, erlaubte er es, durch viele Bitten bewegt, auch seinem jüngsten und liebsten Sohn, wie sehr er ihm auch einschärfte, in der Fremde sei nicht der Ort zum Wohlleben. Der junge Wanderer dachte gar nicht, wie seine Brüder, an das Männlein, sondern nahm sich ernstlich vor, sich wenig um den Zwerg zu kümmern.
Doch dieser blieb auch bei ihm nicht aus, sondern kam nach einigen Wandertagen auch zu ihm und gab ihm für das Geld, das er noch hatte, ein weißes Tüchlein zu kaufen. Der Reisende hätte gerne sehen mögen, wozu denn etwa sein Tuch nütze, und kam endlich auf die Entdeckung, daß mit dem seinen die Kunst verbunden sei, sich unsichtbar zu machen. Da ging ihm auf einmal ein Licht auf. – Geradewegs schritt er jetzt der Gegend zu, wo sein ältester Bruder unter die Räuber gefallen war, und schlich sich, da er einige von ihnen sah, in ihre Höhle. Hier fand er in einer Ecke das rote Tuch, das sie seinem Bruder weggenommen hatten, und machte sich unsichtbar damit davon.
Auf seiner Weiterreise sah er vor sich an der Straße ein großes, schönes Haus, und da eben die Sonne nicht gar hoch am Himmel stand, beschloß er dort zu übernachten, wenn man ihn aufnehmen würde. Als er ans Haus kam, stand ein wohlbeleibter Herr vor der Tür, der ihn gar höflich einlud, dazubleiben. Aha, dachte sich da der Reisende, das ist gewiß das Wirtshaus, wo mein Bruder so arg geprellt wurde. Er ging hinein und machte es geradeso, wie sein Bruder es früher gemacht hatte. Der Wirt, als er das sah, glaubte wieder einen reichen Fang zu machen und führte ihn in das nämliche Zimmer wie den früheren Reisenden. Hier war auch noch das schöne blaue Tuch auf einem Tischchen, das unserem Jungen geschwind in die Augen fiel. Wie nun der Wirt sah, daß sein Gast anfing, auf einem roten Tuch Geld zu zählen, schickte er, ohne sich lange zu besinnen, zum Gerichtsdiener. Ehe aber der noch ankam, waren der Gast und das blaue Tuch verschwunden.
»Jetzt wird mir auch der Herr König nicht entgehen«, sagte er lachend zu sich selbst, als er das Wirtshaus verlassen hatte, und eilte, um nur bald in die Königsstadt zu gelangen. Unter verschiedenen Vorwänden wußte er sich beim König Zugang zu verschaffen, und durch die Eigenheit seines Tuches war es ihm ein leichtes, überall ungesehen aus und ein zu kommen, bis er auch das schwarze Tuch in den Händen hatte. Furchtlos stellte er sich nun vor den König und gestand ihm frei, was er getan hatte. Der König, im höchsten Zorn über eine solche Kühnheit, wollte ihn alsogleich festnehmen lassen; aber der Bursche antwortete ihm lachend: »Du kriegst mich ganz gewiß nicht!«
Und darauf war er verschwunden und kehrte wieder zum Vater und zur Mutter heim, die nun viele glückliche Tage mit ihren Söhnen verlebten und die reichsten Leute weit und breit im Land wurden.
(mündlich aus dem Zillertal)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]