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Märchenbasar

Die Wahrsagerin

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Einst hatte eine Frau drei Töchter. Eine derselben spann jeden Tag Baumwollfäden, die andere nähte und so verdienten sie sich ihr tägliches Brot. Eines Tages starb ihre Mutter. Einmal sahen die verwaisten Mädchen eine Zigeunerin auf der Strasse vorübergehen und sagten einander: »Rufen wir diese Frau herein und lassen wir uns von ihr die Zukunft voraussagen.« Sie riefen die Zigeunerfrau herein, die ihnen wahrsagend, dem ältesten Mädchen sagte: »Dein Kismet ist am Grunde des Brunnens;« dem mittleren sagte sie: »Dein Kismet ist im Friedhofe;« zum jüngsten aber sprach sie: »Dein Kismet ist in der Schamlosigkeit« und damit ging sie weg.
Eines Tages, als das älteste Mädchen Baumwolle spann und die Spindel gegen den Brunnen zu schwang, riss der Faden, ohne das sie wusste, wie es geschah, und die Spindel flog in den Brunnen hinab. »O weh,« sprach sie zu ihren Schwestern, »meine Spindel ist in den Brunnen gefallen, lasst mich hinab, um sie dort zu suchen.« Die Schwestern banden ihr einen Strick um den Leib und liessen sie in den Brunnen hinab. Als das Mädchen auf den Brunnengrund hinabgelangte, erblickte sie ein eisernes Tor. Sofort machte sie es auf und als sie durch dasselbe hineinging, sah sie dort einen Jüngling und ein Mädchen schlafen und neben ihnen ein Kind in einer Wiege. Sie nahm ihren Shawl und bedeckte damit den Jüngling und das Mädchen und da sie dort auch ein Messer vorfand, so nahm sie es und steckte es in ihren Gürtel. Hierauf ging sie zurück auf den Grund des Brunnens und rief ihren Schwestern zu, sie hinauf zu ziehen. Sie brachten sie hinauf und fragten sie, was sie dort unten so lange gemacht habe. »Ich habe meine Spindel gesucht und so lange gesucht, bis ich sie gefunden,« antwortete das Mädchen.
Der Jüngling dort unten war der Sohn eines reichen Mannes, das Mädchen war eine Peri und da sie den Jüngling in sich verliebt machte, so trafen sie sich jeden Tag dort unten auf dem Brunnengrunde. Als sie aus dem Schlafe erwachten und den Shawl auf sich erblickten, schrie das Peri-Mädchen: »O weh, ein Mensch hat uns gesehen,« und damit verschwand sie mit ihrem Kinde. Als der Jüngling hin- und hersuchte und sein Messer nicht fand, sprach er zu sich: »Aus den Peri-händen bin ich befreit, jetzt gehe ich, um zu erforschen, wer mein Messer von hier weggetragen.« Damit verliess er den Brunnen und nachdem er verschiedene Dinge zusammengekauft hatte, fing er an, sie auf der Strasse feilzubieten. Wer von ihm etwas kaufen wollte, dem sagte er, dass er nicht für Geld verkaufe, sondern wer irgend ein Messer, Taschenmesser oder was ähnliches habe, dem tausche er es gerne auf seine Ware um.
Wie er so in den Strassen auf- und abging, ging er auch bei dem Hause vorüber, in dem die drei Schwestern wohnten. Da auch die Mädchen etwas kaufen wollten, so riefen sie ihn herein und wählten einen Spinnrocken, Nadel und Seidensachen aus. Als sie zahlen wollten, so sagte er auch ihnen, dass er nicht für Geld verkaufe, sondern wenn sie ein Messer oder Messerähnliches haben, er ihnen das Ausgesuchte dafür hingebe. Hierauf holte das älteste Mädchen jenes Messer hervor, dass sie aus dem Brunnen brachte. Der Jüngling ging damit nach Hause und sagte seiner Mutter, sie möge zu jenem Mädchen hingehen, das ihn vom Peri-Mädchen befreite und möge sie für ihn zur Frau begehren. Die Frau ging hin und sich auf Allahs Befehl berufend, hielt sie um ihre Hand an. Das Mädchen willigte ein und in kurzer Zeit wurde die Hochzeit gefeiert.
Während diese in Glückseligkeit lebten, gingen die andern zwei Mädchen eines Tages in’s Bad. Nachdem sie sich gewaschen hatten und wieder nach Hause gingen, da geschah es, dass die jüngste Schwester, man weiss gar nicht, wie es gekommen, von der Seite der mittleren verschwand. Diese suchte und suchte sie, fand sie aber nicht und wie sie weinend herumsuchte, kam sie zu einem Friedhofe, wo sie sich niedersetzte, um ein wenig auszuruhen. So sitzend schlief sie ein, während inzwischen das jüngste Mädchen nach Hause kam. Durch das Wiehern eines Pferdes erwachte das schlafende Mädchen und als sie sich umblickte, sah sie, dass ein Mann vom Pferde stieg, ein Grab öffnete, einen Jüngling daraus hervorzog, ihm etwas zu riechen gab und so zu sich brachte. Dann gab er ihm zu essen und zu trinken und fragte ihn, ob er ihm Gehör geben werde. »Lieber sterbe ich,« sagte der Jüngling, worauf der Mann ihn wieder in’s Grab zurücklegte und fortging.
Dieser Jüngling war ein Schehzade und erkrankte einst; jener Mann aber war ein Arzt, der zum kranken Jüngling gerufen wurde und auf den die Schönheit des Schehzade solchen Eindruck machte, dass er sich von ihm nicht mehr trennen wollte. »Ich heile dich,« sprach zu ihm der Arzt, »aber nur dann, wenn du meinen Worten Gehör schenkst.« Der Jüngling, der die Absicht des Arztes nicht begriff, wollte den Arzt nicht mehr sehen, der ihm hierauf ein betäubendes Getränk eingab, wovon er in todesähnliche Ohnmacht verfiel. Seine Eltern, welche meinten, dass er wirklich gestorben wäre, begruben ihn in jenem Friedhofe und allnächtlich ging der Arzt dorthin, um seine Absicht mit ihm zu erreichen.
Als das Mädchen dies beobachtet hatte, wartete sie bis der Morgen anbrach und eilte nach Hause. Auf dem Wege sah sie, dass man in einem Hause Lokma (Art Mehlspeise) austeile; jeder bekam einen Teller voll davon. Das Mädchen, das vom vielen Herumgehen und durch die Nachtwache hungrig wurde, ging ebenfalls hin und bat um ein-zwei Stück Lokma. Man gab auch ihr davon. Als sie sich niedersetzte um die Lokma zu verzehren, sah sie, dass die Hausleute alle weinten. Sie fragte nach der Ursache und die Diener sagten ihr: »Der Schehzade ist gestorben, gerade heute sind es vierzig Tage, dass er gestorben; seine Lokma halten wir heute.« Das Mädchen bat, man möge sie vor die Sultana führen, da sie ihr etwas zu sagen habe.
Man führte sie zur Sultansfrau und sie sagte ihr, dass ihr Sohn fürwahr nicht gestorben sei. »Gibst du mich ihm zur Frau, wenn ich ihn finde?« fragte das Mädchen. »O meine Liebe, bist du denn verrückt,« sagte die Sultana, »gerade vierzig Tage sind es schon, dass er gestorben, seitdem sind auch seine Knochen nicht mehr da.« Das Mädchen schwor, dass ihr Sohn noch lebe. »Wenn du es nicht glaubst, so komm diese Nacht mit mir und ich werde dir deinen Sohn zeigen.« Die Sultana berichtet davon dem Padischah und in der Nacht gingen sie in den Friedhof. Das Mädchen versteckte sie an einer Stelle. Um Mitternacht erschien der Arzt, stieg vom Pferde, ging hin zum Grabe und nachdem er den Schehzade wieder lebendig gemacht hatte, stellte er wieder dieselbe Frage an ihn, wie in der vorigen Nacht. Als die Eltern ihren Sohn antworten hörten, eilten sie zum Grabe hin und drückten weinend ihren Sohn an ihr Herz. Den Arzt liessen sie enthaupten, ihren Sohn jedoch verlobten sie mit dem Mädchen und verheirateten sie.
Unterdessen wartete und wartete das jüngste Mädchen auf ihre Schwester und als sie sah, dass sie nicht nach Hause komme, suchte sie einen abgetragenen Feredsche hervor, zog ihn an und von Haus zu Haus gehend, verlangte sie überall etwas Brot und fristete so ihr Leben. Da sie sich so an die Schamlosigkeit gewöhnte, tat sie jeden Tag so. Eines Tages klopfte sie an die Türe eines Hauses an. Der Eigentümer jenes Hauses hatte einen Sohn, der sich jeden Tag in sein Zimmer einschloss, seinen Kopf dort zwischen zwei Polster steckte, niemanden anschaute und so den ganzen Tag dort verblieb. So oft man ihn auch verheiraten wollte, er wollte nie eine Braut anschauen, weshalb die Mädchen auf ihn böse wurden und ihn im Stiche liessen.
Als unser Mädchen an die Türe jenes Hauses anklopfte, fiel sie sogleich durch ihre Gesprächigkeit und ihr hübsches Gesicht auf. Die Eltern des Jünglings überlegten es sich nicht lange und sprachen zum Mädchen: »Mein Kind, wir haben einen Sohn, möchtest du seine Frau werden?« »Ja wohl,« antwortete das Mädchen. »Unser Sohn ist aber derart, dass er mit niemandem ein Wort spricht und hat diese und diese Gestalt,« sagte die Mutter. Da versetzte das Mädchen: »Ich werde ihn schon zum Sprechen bringen, seid unbesorgt und gebet mir ihn nur zum Manne.« Damit verlobten sie das Mädchen und brachten sie in das Zimmer des Jünglings.
Das Mädchen sah, dass der Jüngling in der Tat so war, wie man ihn schilderte, seinen Kopf steckte er zwischen zwei Polster und sah niemanden an. Das Mädchen schloss die Türe, ging zum Jüngling hin und als ob sie zu sich selbst sprechen würde, sagte sie: »Aber mein Herz, lass mich gehen, drück mich nicht; o wie weh tut das, aber, – aber« – und dabei erhob sie sich geräuschvoll, setzte sich nieder und sprang im Zimmer herum. Als die Eltern des Jünglings das Sprechen und das Geschrei des Mädchens hörten, glaubten sie, dass das Mädchen ihrem Sohne gefalle und freuten sich damit.
Indessen wurde es Abend, man brachte auf einem Teller Speisen hinein und setzte sie vor das junge Paar hin. Allein der Jüngling legte sich nieder, ohne seinen Kopf zwischen den Polstern hervorzuziehen. Das Mädchen machte sich nun vor allem über die Speisen her und verzehrte sie. Dann machte sie ihr Bett, legte sich nieder und tat so, als ob sie schliefe; beobachtete jedoch den Jüngling verstohlen von unter der Bettdecke hervor. Als der Jüngling glaubte, dass das Mädchen schon eingeschlafen, stand er auf, öffnete die Türe und ging über die Treppe hinaus. Das Mädchen ging ihm sofort nach und sah, dass ihn ein Mädchen, so schön wie der Mond am vierzehnten, erwartete und mit den Worten empfing: »O mein Bej, wo warst du so lange geblieben? Ich war schon des Wartens überdrüssig; wenn du noch länger gesäumt hättest, ich hätte dich im Stiche gelassen.« Der Jüngling entschuldigte sich damit, dass man in der Nacht ein Mädchen zu ihm in sein Zimmer brachte und er nur wartete, bis sie eingeschlafen.
Jenes Mädchen war die Tochter des Padischah der Peris. Der Jüngling erblickte sie in seinem Traume und verliebte sich in sie. Das Peri-Mädchen sprach zu ihm: »Wenn du, mich ausgenommen, niemandem auf der Welt in’s Gesicht schauest, dann komme ich jeden Abend zu dir.« Deshalb steckte der Jüngling seinen Kopf zwischen zwei Polster, um niemanden ansehen zu müssen. Als das Peri-Mädchen hörte, dass man in das Zimmer des Jünglings ein Mädchen hineinbrachte, sagte sie: »Wenn du jenem Mädchen nur einmal in’s Gesicht schaust, so siehst du mich nicht mehr.« Nachdem das lauschende Mädchen dies mitangehört hatte, kehrte sie in ihr Zimmer zurück und schloss die Türe hinter sich zu. Unterdessen unterhielt sich der Jüngling mit dem Peri-Mädchen und nachdem das Mädchen weggegangen war, wollte auch der Jüngling in sein Zimmer zurückgehen.
Als er dort eintreten wollte, da bemerkte er, dass das Zimmer verschlossen war. Er wurde verlegen und hub an, das Mädchen zu bitten, dass es ihm die Türe öffne. Das Mädchen antwortete, dass sie ihm aufmache, wenn er sich auch mit ihr ein wenig unterhalten werde, und wie sehr auch der Jüngling bat und flehte, das Mädchen liess ihn nicht ein, bis er nicht geschworen, dass er sich mit ihr unterhalten werde. Hierauf öffnete das Mädchen die Türe und wie sie den eintretenden Jüngling umarmte und an sich presste, da wurde die zur Treppe führende Türe zu einer Wand. Daraus wusste der Jüngling, dass er das Peri-Mädchen für immer verloren habe.
Am andern Tag in der Früh gingen sie aus ihrem Zimmer. Die Eltern des Jünglings dankten Allah sehr und freuten sich so sehr, dass sie die junge Frau mit der grössten Liebe umgaben und nach vierzig Tage und vierzig Nächte andauernden Hochzeitsfeierlichkeiten wurde ein glückliches Paar aus ihnen.

[Asien: Türkei. Märchen der Welt]

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