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Märchenbasar

Die Zauberquelle

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Vorzeiten herrschte eine Trockenheit, wie man glaubte, nie eine erlebt zu haben. Hart wie Stein waren die Felder, schwer drückte die Hitze auf Dorf und Busch, und Tage gab es in jenem Sommer, da fürchtete man, verdursten zu müssen. Am schwersten betroffen war das kleine Dörfchen Phia – Luong in der Provinz Langson, das schon in gewöhnlichen Jahren oft an Wassermangel litt. Sorge herrschte in dem Dorf, und die Ältesten beschlossen, zu Ehren des himmlischen Königs am sechsten Tag des sechsten Monats ein großes Fest zu veranstalten. An solch einem Tag den Himmel um Regen bitten konnte vielleicht gnädig angenommen werden und alle Not aufheben. Als das Fest in vollstem Gange war und die Gebete zum Himmel tönten, dass ein Rauschen war im nahen Busch, erschien plötzlich – und niemand wusste woher – ein alter Bettler, der mager war wie ein Skelett und sich in den Kreis der Dorfältesten drängte.Er verbeugte sich und fragte: „Ehrwürdige Greise, braucht das Dorf Wasser?“
Die Alten nahmen die Frage für Hohn, und jeder wäre bereit gewesen, diesen zerlumpten, verhungerten Bettler durchzuprügeln.
Also antwortete einer der Alten: „Was wohl sonst brauchen wir? Nur Wasser müssen wir haben.“ Der Bettler überlegte kurz und sagte dann: „Gebt mir eine Gans und zwei Stücke Stoff. Ich werde euch Wasser ins Dorf bringen. Wasser genug!“ Empörung erhob sich, und wirklich hätte nicht viel gefehlt und die Alten wären über den Bettler mit Stöcken hergefallen. Ein Alter murrte: „Seht den Hungerleider, will uns betrügen um eine Gans und um Stoff.“ Ein andrer seufzte hinzu: „Wasser will er bringen und sieht aus, als hätte er tausend Jahre Hunger und Durst gelitten.“
„Selbst wenn wir Tausende von Gänsen und Stoffe im Überfluss hätten, nicht eine Feder und nicht einen Fetzen würde man ihm geben wollen.“ So schimpfte man hin und her. Hungerleider und Tagedieb wurde er genannt, und fand er es geraten, unter den Drohungen das Fest zu verlassen. Nachdem er eine Weile gewandert war, fand er am Fuße eines Berges
einige Büffelherden, die traurig auf der Erde hockten und vor Durst zerrissene Lippen hatten. Er fragte: „Seht mich Armen. Wenn ihr etwas Reis übrig hättet für mich, nur ein kleines Schälchen voll, würde ich euch dankbar sein. Seit gestern schon habe ich nicht ein einziges Körnchen gegessen.“ Die Hirten holten aus dem Schatten eines Busches ihren Reisvorrat, gaben ihm mehr, als er verlangt, und einer von ihnen sagte: „Angesehener Greis, wir haben zwar Reis, aber Wasser können wir dich geben. Alle Quellen sind vertrocknet, und der Fluss führt kein Wasser mehr.“ Der Alte sah sie gerührt an und erwiderte: „Gesättigt habt ihr mich. Ich werde euren Durst löschen.“ Er führte die Hirten den Berg hinan, bis er zu einem mächtigen Felsblock kam, der unter der unbarmherzigen Sonne zu schmelzen schien. Er stieg auf den Fels, stampfte mit seinen nackten Füßen einige Male gewaltig auf dem Gestein herum, bis sich deutlich die Abdrücke seiner Füße zeigten.
Die rechte Hand erhob er, zeigte dann auf die Fußspuren, und in der Vertiefung sammelte sich plötzlich Wasser, das aus dem trocknen Fels zu dringen schien. Der Bettler lächelte gütig und sagte: „Nun trinkt euch satt, trinkt und trinkt, dieses Wasser wird nie versiegen.“ Und die Hirten tranken und tranken, und ihnen war, als dringe neue, nie gekannte Kraft in sie.
Einer der Hirten sagte: „Solches Wasser habe ich nie getrunken. Frisch ist es und kühl.“
Und sie schöpften mit den Händen, und sie schöpften mit den Reisschalen, aber das Wasser wurde nicht weniger, sondern rann immer stärker aus dem Felsen. „Ins Dorf soll man laufen“, schlug einer der Hirten vor, und schon machten sich alle auf den Weg.
Ein jeder hoffte, der Erste zu sein mit der Nachricht. Im Dorf angekommen, wollte ihnen niemand glauben; nur einige der Ehrwürdigen, als sie von dem alten Bettler hörten, schüttelten bedeutungsvoll die Köpfe und tuschelten miteinander. Man beschloss den Hirten zu folgen und den alten Bettler fragen. Am Berg angekommen, war jedoch niemand mehr zu finden, nur die neue Felsquelle mit den Fußspuren war noch da. Die Hirten durchstreiften die Büsche, der Alte aber blieb spurlos verschwunden. Alle im Dorf tranken sich satt. Die Alten berieten sich, und man glaubte annehmen zu können, dass der Gott der fruchtbaren Felder gekommen sei, um das kleine Dörfchen Phia – Luong zu retten. Bis auf den heutigen Tag hat sich die Sitte erhalten, an jedem sechsten Tag des sechsten Monats in Phia – Luong ein Fest zu Ehren des Gottes der fruchtbaren Erde zu feiern.
Unter den Opfergaben befinden sich immer eine Gans und zwei Stücke der besten Seide.
Und als erste Gäste werden beim Festmahl immer die Büffelherden des Ortes zur Tafel gebeten. Dann erst dürfen sich die ehrwürdigen Alten niederlassen.

Quelle: Sage aus Indochina

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