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Die Zauberschachteln

2.7
(6)
Ekute, der Dummling, beschloss eines Tages, den verstorbenen Verwandten seiner Mutter einen Besuch abzustatten. Ekute hatte nämlich nur die Mutter und drei Brüder im Dorf, sonst besaß er gar nichts, auch keine Frau, und seine Brüder hatten ebenfalls nichts. Aus diesem Grund machte er sich also auf, um seine Verwandten der mütterlichen Seite, nämlich die Totengeister, zu besuchen. Bald kam er in einen großen Wald, der war voller Tierfährten. Es dauerte nicht lange, da traf er einen Quastenstachler, der seinem Jagdhund eine Glocke um den Hals gehängt hatte, damit er anderen Quastenstachlern nachspüre – denn die hätten, so erzählte er Ekute, die Kassava seiner Mutter aufgegessen. Erstaunt fragte Ekute: „Wie kommt es, dass du Quastenstachler tötest? Bist du nicht selbst einer?“ Da antwortete der: „Ach, daran sind nur die Totengeister schuld. Kehr um und geh nicht zu ihnen!“ Aber Ekute lief weiter. Bald darauf traf er einen Vogel, der eine Falle aufstellte, um seine Artgenossen zu fangen. Da fragte Ekute wieder: „Wie kommt es, dass du Vögel töten willst? Bist du nicht selbst ein Vogel?“ – „Ach“, sprach der Vogel, „daran sind nur die Totengeister schuld. Kehr um und geh nicht in ihr Land.“ Ekute aber setzte seinen Weg fort und traf zwei Schweine, die hoben eine Fallgrube aus, um andere Schweine zu töten. Sie täten es, erklärte das eine Schwein auf Ekutes Frage, weil die anderen Schweine die Kassava ihrer Mutter aufzufressen pflegten. Da fragte Ekute abermals: „Wie kommt es, dass ihr Schweine töten wollt, wo ihr doch selbst zur Familie der Schweine gehört?“ Und die Schweine gaben zur Antwort: „Daran sind die Totengeister schuld. Kehr um und geh ins Land der Menschen zurück!“ Ekute aber wollte sich nicht raten lassen, bis das eine Schwein schließlich sagte: „Ach, Ekute, ich dachte, du hättest nun allmählich etwas Verstand bekommen. Aber ich sehe, du bist noch so dumm wie früher. Geh nur deiner Wege, geh, wohin es dir beliebt.“

Dann begegnete Ekute einer Antilope, die ein Netz aufgestellt hatte. Er fragte sie: „Was machst du denn hier mit dem Stellnetz?“ – „Wie kannst du nur so dumm fragen, Ekute“, erwiderte die Antilope. „Ich bin hier, um die anderen Antilopen zu fangen.“ Ekute konnte sich das alles nicht erklären, aber die Antilope fragte nun ihrerseits: „Wo willst du denn hin?“ Ekute sagte, dass er die Verwandten seiner Mutter besuchen wolle. Da sprach das Tier: „Dann geh nur diesen Weg, den ich gekommen bin, immer geradeaus, bis du an eine verlassene Lichtung kommst, dort bist du ganz nahe bei ihrem Dorf.“ Ekute ging weiter und kam noch an vielen Tieren vorbei, Elefanten, Schirrantilopen und vielen anderen, die alle auf der Treibjagd waren. So ging er lange Zeit, drei ganze Tage, bis er endlich in ein Dorf kam. Hier traf er einen Mann, der fragte ihn: „Nun, wohin willst du denn?“ Ekute antwortete: „Ich will die Ahnen meiner Mutter besuchen. Bin ich hier richtig?“ Da erwiderte der Mann: „Jawohl. Geh nur in das nächste Dorf, da wirst du sie alle finden.“ So ging denn Ekute weiter und kam auch in ein großes Dorf, das voller Tiere war. Es waren alle da: die Antilope, das Schwein, der Adler, der Hund, der Leopard, der Elefant, o je! Da sagte Ekute: „Bin ich hier nicht im Dorf meines Großvaters?“ Das sei er, bestätigten ihm die Tiere.

Nun trat er ins Versammlungshaus und wollte sich hinsetzen, aber da riefen lauter Stimmen um ihn her: „Au, au, wie kommst du dazu, dich auf uns zu setzen?“ Er setzte sich auf einen anderen Platz, aber da sagte eine Stimme: „Ach, Ekute, Pass doch auf meine Füße auf, warum musst du dich unbedingt hierher setzen?“ Ekute aber sah niemanden, weil man die Verstorbenen ja nicht sehen kann. Da sagte er zu den Unsichtbaren: „Ich wollte eigentlich meinen Großvater und die Verwandten besuchen. Wenn ich nicht willkommen bin, werde ich eben wieder zurückgehen. Sobald ich mich irgendwo hinsetze, heißt es: >Hier nicht !< Ich sehe aber niemanden, was soll ich da machen?“ Nun kam sein Großvater. Der nahm ein Blatt, formte daraus einen Trichter und träufelte Medizin in Ekutes Ohren. Ekute fiel sofort tot um, und nun sah er alle Leute. Waren das aber viele! Auch das große Dorf, in dem er sich befand, sah er nun erst richtig. Die Häuser waren ordentlich gedeckt, vorher hatte er nämlich nur Dachsparren gesehen.

Nun sprach Ekute: „Ach, mein Großvater, ich habe nichts – kein Huhn, kein Schaf, einfach nichts, dabei drei Brüder, die auch nichts haben, und meine alte Mutter. Ich wollte dich bitten, ob du mir nicht ein Huhn oder ein Schaf oder sonst irgendwas als Brautgeld geben könntest, denn eine Frau habe ich auch nicht.“

Da lachte der Großvater und sagte: „Das macht nichts. Das kommt schon alles noch. lass uns erst einmal ordentlich essen.“ Er fing ein großes Schwein, schlachtete es und aß es mit seinem Enkel. Am nächsten Tag schlachteten sie ein Schaf, und so ließen sie es sich gut gehen.

Nach einiger Zeit sagte der Großvater zu Ekute: „Komm nun, wir wollen in den Wald gehen. Ich will dir etwas zeigen, das dich zu einem großen Häuptling machen wird, so dass alle über dich staunen werden.“ Sie gingen tief in den Wald, bis sie an eine große Copaifera kamen. Dort sagte der Großvater: „Reinige den Boden um diesen Baum ordentlich, bis dort hinten.“ Er ging dann selbst bis dahin und fragte: „Siehst du mich?“ Ekute sagte: „Nein“. Da sagte der Großvater, dass er den Platz noch gründlicher säubern solle, und Ekute tat, wie ihm befohlen. „Nun musst du kleine Häuser bauen, vierzig auf dieser Seite, vierzig auf jener Seite!“ Auch das tat Ekute. Dann klopfte der Großvater an die Copaifera, und sofort schrumpfte der Baum zusammen und wurde so klein, dass sie Feuerholz von seinen Ästen abschlagen konnten. Damit entfachten sie nun ein großes Feuer, auf dem sie das Zaubermittel kochten. Der Großvater ging an einen kleinen Fluss und brachte zwei Rindenschachteln mit, die von selbst laufen konnten. Wenn er ihnen zurief: „Kommt, kommt!“, kamen sie von selbst.

Nun sprach der Großvater: „Lieber Ekute, hier hast du alles, was ich dir geben kann. Nimm diese Schachteln. Es sind Zauberschachteln. Verbirg sie gut, aber nicht in deinem Dorf, vergrabe sie im Bett des Baches, der in der Nähe deines Dorfes fließt. Kein anderer darf sie finden, sonst ist alles aus. Wenn du nun zurückgekehrt bist, brauchst du nur einen Wunsch zu äußern, und er wird in Erfüllung gehen. Die Schachteln werden dir helfen.“ Darauf erwiderte Ekute: „Ach Großvater, ich kann das alles gar nicht glauben.“ Aber der Großvater entgegnete: „Doch, doch, geh nur. Dein Dorf wird wachsen und immer größer werden. Achtzig Hütten wirst du bauen, denn du wirst achtzig Frauen heiraten, so wie du hier achtzig Häuser gebaut hast. Und nun ruf die Schachteln.“ Das tat Ekute auch. Er rief: „Kommt, kommt!“ Da kamen sie schon, und Ekute freute sich und sagte: „Ja, nun sehe ich, dass alles seine Richtigkeit hat.“

Nachdem der Großvater abermals an den Baum geklopft hatte, damit er wieder seine ursprüngliche Größe annahm, kehrten die beiden ins Dorf zurück. Dort sagte der Großvater zum Schein vor den Leuten, dass er nicht viel zu vergeben hätte. Ekute solle nun wieder nach Hause gehen, aber er wolle ihn bis zum nächsten Dorf begleiten. Dies geschah auch und unterwegs erinnerte der Großvater Ekute noch einmal daran, die Schachteln ja niemanden sehen zu lassen, sondern unter dem bezeichneten Bach gut einzugraben. Darauf träufelte er ihm wieder die Medizin in die Ohren, und Ekute war wieder lebendig und wanderte mit seinen Schachteln durch den Wald seinem Dorf entgegen. Als er an den Bach kam, den sein Großvater ihm benannt hatte, grub er ihm ein anderes Bett, hob in dem alten ein Loch aus und legte die Schachteln hinein. Dann warf er Erde darauf und leitete den Bach zurück in sein altes Bett. Hierauf kehrte er in sein Dorf zurück. Dort waren natürlich alle erstaunt, und sein Bruder sagte: „Ekute, wir dachten, du wärst längst tot. Du bist ja so lange weggeblieben. Was hast du nur gemacht?“

Ekute gab zur Antwort: „Ich bin im Wald herumgeirrt und war nahe daran, zu verhungern. Aber getroffen habe ich niemanden.“ – „Ach, Ekute“, klagte der Bruder, „du treibst dich im Wald herum, und wir wären hier unterdessen beinahe verhungert.“ Nun ging Ekute dorthin, wo seine drei Häuser standen, da war alles mit Unkraut und Gestrüpp überwuchert. Bekümmert meinte er: „Ich sehe schon, mein Anwesen ist inzwischen völlig heruntergekommen.“ Darauf machte er sich daran, sein Haus und den Platz davor wieder in Ordnung zu bringen. Über Nacht aber war wie von Zauberhänden das gesamte Dorf so sauber gemacht worden und die Häuser waren so schön hergerichtet, wie man es selten sieht. Allen Leuten, die durch das Dorf kamen, gefiel der Ort und sie sagten sich: „Was für ein hübsches Dorf. Hier wollen wir ein wenig rasten.“ Sie holten kleine Gastgeschenke hervor und brachten sie Ekute. Auf diese Weise erfuhr Ekute, dass es in einem der nächsten Dörfer ein Mädchen im heiratsfähigen Alter gab. Sofort wollte er sich dorthin begeben. Aber sein Bruder hielt ihn zurück und sagte: „Was, eben bist du erst von der Reise zurückgekommen. Nichts ist vorbereitet. Du bist nicht geschmückt, und eingeölt bist du auch nicht!“ Da bat Ekute den Bruder, ihm den Kopf- schmuck zu richten. Dann legte er sich einen Messingreif um den Hals, streifte Messingringe an Arme und Beine und ging nun festlich geschmückt in jenes Dorf.

Als er zu dem Vater des Mädchens kam und ihn um seine Tochter bat, lehnte der jedoch ab: „Aber Ekute, du besitzt ja rein gar nichts zum Heiraten.“ Gegen eine Freundschaft der beiden hatte er aber nichts einzuwenden, und so stellte sich Ekute dem Mädchen vor. Als er sah, dass er ihr gefiel, fragte er vorsichtig, ob sie nicht vielleicht später einmal mit ihm in sein Dorf gehen wolle. Da erwiderte das Mädchen: „Warum so umständlich, Ekute? Ich bin jederzeit bereit, mit dir zu gehen.“ – „Dann lass uns auf der Stelle aufbrechen“, forderte nun Ekute.

Aber das Mädchen entgegnete: „Ach nein. Ich habe gerade das Essen auf dem Feuer.“ Als sie fertig war mit Kochen, bot sie Ekute zu essen an, der aber sagte: „lass uns doch gehen. Ich habe jetzt überhaupt keinen Hunger.“ Da packte das Mädchen das Essen in ein Bündel und ging, obwohl es unterdessen schon Nacht geworden war, mit Ekute in sein Dorf.

Am anderen Morgen überlegte Ekute verzweifelt, woher er das Geld nehmen sollte, eine Frau zu bezahlen. Bald kam auch der Vater des Mädchens. Er schalt Ekute wegen seiner Unvernunft und sagte: „Bring mir das Mädchen zurück. Du kannst sie ja doch nicht bezahlen.“ Dann drehte er sich um und ging. Als Ekute nun in sein Haus trat – standen da doch fünf große Kisten voll Speergeld, eine Kiste mit Stoffen und viele, viele andere Dinge! Da rief er seinen Bruder und brachte mit ihm all die Sachen zu seinem Schwiegervater. Der wunderte sich sehr und dachte bei sich: >Wie kommt dieser Ekute, der doch vorher nichts besaß, zu all diesen Sachen?< Laut aber sprach er: „Mein lieber Sohn. Du bist herzlich willkommen. Du hast ja ungeheuer viel Geld und wirst noch ein großer Häuptling.“ Nun war Ekute natürlich sehr froh. Als nächstes sagte er sich: „Ja, eine Frau habe ich jetzt, aber keine Pflanzung. Wir müssen doch leben!“ Da erinnerte er sich an die Worte seines Großvaters. Er ging in den Wald und suchte sich einen Platz für die Pflanzung aus. Nachts aber rodeten die Unsichtbaren für ihn die Stelle und brannten sie ab. Als Ekute am nächsten Morgen kam, fand er die Pflanzung soweit vorbereitet. Da sagte er: „Nun müssen noch die Stämme beiseite geräumt werden. Es fehlt auch noch die Begrenzung der Landstücke, denn es müssen zwei Felder sein, eins für meine Mutter und eins für meine Frau.“ Am nächsten Tag war auch das geschehen, und Ekute konnte zu den Frauen sagen: „Es ist Zeit für euch, an die Arbeit zu gehen. Bringt Ngon in die Erde.“ Erstaunt fragte seine Mutter: „Was, hast du schon alles fertig, auch die Abgrenzung?“ – „Ja, gewiss“, antwortete Ekute.

Auch das Haus für seine Frau halfen die Unsichtbaren bauen. So konnte Ekute schon bald losziehen, um sich nach einer zweiten Frau umzusehen. Und da das Brautgeld jetzt immer bereit lag, dauerte es nur kurze Zeit, bis er neunundsiebzig Frauen geheiratet hatte. Alle Pflanzungen und alle Häuser für sie wurden ihm von den Unsichtbaren errichtet.

Eines Tages hörte er, dass gar nicht weit weg ein wunderschönes Mädchen lebte mit Namen Odangemaköng, das heißt „Klüger als alle“. Die wollte er auch noch haben. Sein Bruder warnte ihn: „Wer >Klüger als alle< heißt, ist immer gefährlich. Nimm dieses Mädchen lieber nicht zur Frau!“ Aber Ekute meinte: „Ach was, warum soll ich sie nicht heiraten?“ Dem Mädchen gefiel er auch sofort, und so brachte er sie als seine Frau in sein Dorf.

Gleich am ersten Abend bat das Mädchen: „Schlafe doch heute bei einer anderen Frau. Ich mag nicht.“ Das tat Ekute. Aber als er schlafen gegangen war, wandte die junge Frau einen Zauber an. Sie entzündete ein Stück Holz und fragte das Feuer: „Woher kommen all die vielen Sachen, die Ekute hat? Aus dieser Richtung?“ – Das Feuer brannte weiter. – „Aus jener Richtung?“ – Das Feuer brannte weiter. – „Aus jener Richtung?“ Und sie zeigte den Weg, der zum Bach führte. Da erlosch das Feuer. Sie ging nun den Weg entlang, bis sie an den Bach kam. Dort zündete sie wieder ein Feuer an und fragte: „Wo ist das Ding, das all die Sachen schafft? Hier?“ Das Feuer brannte. „Und hier? Und hier?“ Und sie zeigte in alle Richtungen, aber das Feuer brannte weiter. Da deutete sie auf den Platz zu ihren Füßen, und sofort erlosch das Feuer. Nun leitete sie den Bach ab und grub und grub und fand schließlich die beiden Schachteln.

„Also das ist es“, sagte sie, öffnete die Deckel und husch – all die hilfreichen Geister, die darin eingeschlossen waren, entwischten und kehrten zurück ins Land der Unsichtbaren. Da lief sie schnell ins Dorf und begann ihre Sachen zu packen. Als sie noch dabei war, kam Ekute und sagte: „Ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich kann heute gar nicht einschlafen. lass mich bei dir schlafen.“ Aber Odangemaköng rief: „Nein, bloß nicht. Komm ja nicht in mein Haus!“ So ging Ekute wieder in sein Haus und legte sich hin. Odangemaköng aber sprach: „Wenn Ekute mich morgen hier antrifft und sieht, dass alles verloren ist, wird er mich töten.“ Sie nahm all ihre Sachen und kehrte zu ihrem Vater zurück.

Als Ekute am nächsten Tag erwachte, wollte er seinen Augen nicht trauen, denn alles war weg, das ganze Dorf. Nur die drei alten Häuser standen noch wie früher, aber alle Frauen und alles übrige war verschwunden. „Siehst du, wie recht ich hatte“, sagte sein Bruder. „Hättest du dieses Mädchen nicht geheiratet, wäre alles noch wie gestern. So aber hast du nun gar nichts mehr.“

(Kamerun)

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